05.08.2015, Medienmitteilung

Weisung über die Mehrwertsteuer in der Zivil-​ und Strafrechtspflege

Gestützt auf § 25a der Verordnung des Obergerichts über den Anwaltstarif vom 3. Dezember 1996 (BGS 163.4) wird beschlossen:

1.       Keine Mehrwertsteuerpflicht der Gerichte und der Staatsanwaltschaft

Die richterlichen Behörden und Ämter der Zivil-​ und Strafrechtspflege (nachfolgend der Einfachheit halber als "Gerichte" bezeichnet) üben hoheitliche Tätigkeiten aus und sind weder steuerpflichtig noch vorsteuerabzugsberechtigt. Folglich haben die Gerichte im Zusammenhang mit der Festsetzung und Auferlegung ihrer Gebühren und zusätzlicher Kosten keine Mehrwertsteuer zu berechnen und auszuweisen.

Hat das Gericht in einem Verfahren Auslagen, die ihrerseits mit Mehrwertsteuer belastet sind (Kosten für Sachverständigengutachten, Übersetzungen, amtliche Verteidigungen, unentgeltliche Rechtsbeistände), und kann es diese Auslagen auf Verfahrensbeteiligte überwälzen, so erfolgt die Überwälzung mitsamt der Mehrwertsteuer.

2.       Mehrwertsteuerobjekt Dienstleistungen (Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte)

Die Dienstleistungen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unterliegen seit dem 1. Januar 1995 grundsätzlich der Mehrwertsteuer. Die Höhe der Steuer richtet sich nach Bundesrecht; derzeit beträgt die Steuer 8 % (Art. 25 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz, SR 641.20).

Die Mehrwertsteuer auf den Dienstleistungen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist insbesondere in zwei Bereichen zu berücksichtigen:

Prozessentschädigungen

Entschädigungen an unentgeltliche Rechtsbeistände und amtliche Verteidigerinnen und Verteidiger

2.1.    Prozessentschädigungen

2.1.1  Materiell

Die Prozessentschädigung soll der berechtigten Prozesspartei die Kosten und Umtriebe, welche ihr durch das gerichtliche Verfahren entstanden sind, ganz oder teilweise vergüten. Diese Kosten bestehen bei anwaltlicher Vertretung im Wesentlichen aus dem Anwaltshonorar. Die Prozessentschädigung als solche ist (weil Schadenersatz) bei der sie empfangenden Prozesspartei nicht Objekt der Mehrwertsteuer. Die Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälte werden aber die von ihnen zu bezahlende Mehrwertsteuer mit der Honorarrechnung auf ihre Klientinnen und Klienten überwälzen, sodass die Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Prozessentschädigung zu berücksichtigen ist.

Grundlage für die Prozessentschädigungen ist die Verordnung des Obergerichtes über den Anwaltstarif vom 3. Dezember 1996 (AnwT). Gemäss § 25a AnwT wird die Mehrwertsteuer zum Honorar und zu den Auslagen hinzugerechnet. Das gilt selbstverständlich nur für diejenigen Honorare und Auslagen, welche tatsächlich der Mehrwertsteuer unterliegen und welche die Prozesspartei nicht selbst als Vorsteuer in Abzug bringen kann.
Die bisher geltende Weisung der Verwaltungskommission des Obergerichts vom 5. Dezember 1994 hielt dazu fest, dass bei der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer nicht auf konkrete Umstände einzugehen sei, da der Aufwand für die Ermittlung und Bemessung allfälliger Vorsteuerabzüge oder die Berücksichtigung spezieller Steuerabrechnungsverfahren zu gross wäre. Es war daher immer mit dem jeweils gültigen Normalsatz zu rechnen. Diese Lösung ist nicht mehr zeitgemäss. Eine generelle, auf alle Fälle von Prozessentschädigungen zutreffende Lösung gibt es jedoch weiterhin nicht. Wie bei übrigen Schadenersatzforderungen hat daher diejenige Partei, welche allfällige durch die Mehrwertsteuer zusätzlich entstandene Kosten ersetzt haben möchte, dies zu beantragen und im Bestreitungsfall die behaupteten Kosten, d.h. die auf das Anwaltshonorar geleistete bzw. zu leistende und nicht vorsteuerabzugsberechtigte Mehrwertsteuer, nachzuweisen.
Das Gericht hat dabei Folgendes zu berücksichtigen:
Das Gericht kennt den jeweils aktuellen Mehrwertsteuersatz für anwaltliche Dienstleistungen von Amtes wegen.
Die Mehrwertsteuer ist nur dann zum Honorar und zu den Auslagen hinzuzurechnen, wenn dies von der Partei bzw. der Rechtsvertretung im Rechtsbegehren ausdrücklich beantragt wird, damit die Gegenpartei dazu Stellung nehmen kann.
Wird die Hinzurechnung der Mehrwertsteuer beantragt und opponiert die Gegenpartei diesem Antrag nicht, ist die Prozessentschädigung in der Regel um den aktuellen Satz der Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Ist die Rechtsvertretung der Partei, der eine Prozessentschädigung zugesprochen wird, nicht mehrwertsteuerpflichtig, ist die Mehrwertsteuer nicht hinzuzurechnen.
Hat eine Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland, ist die Mehrwertsteuer nicht hinzuzurechnen (vorbehalten bleibt der Nachweis, dass die Partei trotzdem mehrwertsteuerpflichtig ist, etwa aufgrund anderslautender Staatsverträge).
Bei übrigen streitigen Anträgen auf Hinzurechnung der Mehrwertsteuer ist die Sach- und Rechtslage wie bei anderen streitigen Fragen abzuklären und im Einzelfall zu entscheiden. Dabei können folgende Grundsätze angewandt werden:
Als Nachweis, dass eine Rechtsanwältin bzw. ein Rechtsanwalt und/oder eine Partei mehrwertsteuerpflichtig sind, genügt in der Regel die Angabe der MWST-​Nummer. Bei Zweifeln kann eine Unternehmerbescheinigung verlangt werden.
Wird geltend gemacht, die Partei sei selber nicht mehrwertsteuerpflichtig, genügt diese Behauptung in der Regel. Bei Zweifeln kann die Mehrwertsteuerpflicht bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung überprüft werden.

Ist die Partei selber mehrwertsteuerpflichtig, ist die Mehrwertsteuer nur dann zur Prozessentschädigung hinzuzurechnen, wenn sie nachweist, dass sie die Mehrwertsteuer, welche sie ihrer Rechtsvertretung zu zahlen hat, nicht (als Vorsteuer) von ihrer eigenen Mehrwertsteuerschuld abziehen kann.

2.1.2  Formell

In der Entschädigungsformel des Dispositives eines Entscheides ist darauf hinzuweisen, falls die Mehrwertsteuer hinzugerechnet wird. Beispiel: "Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Prozessentschädigung von CHF 4'000.-- (MWST inbegriffen) zu bezahlen." Weitere Details wie etwa der Steuersatz sind nicht anzugeben. Sollte die Hinzurechnung der Mehrwertsteuer ganz oder teilweise abgelehnt werden oder sind infolge verschiedener Mehrwertsteuersätze Ausscheidungen vorzunehmen, ist dies in den Erwägungen zu den Entschädigungsfolgen zu vermerken.

2.2     Bemessung von Entschädigungen an unentgeltliche Rechtsbeistände und amtliche Verteidigerinnen und Verteidiger

2.2.1  Materiell

Unentgeltliche Rechtsbeistände und amtliche Verteidigerinnen und Verteidiger müssen für ihre Entschädigung in der Regel Mehrwertsteuer bezahlen und haben deshalb grundsätzlich Anspruch auf eine Erhöhung der Entschädigungen im Umfang des jeweils für anwaltliche Dienstleistungen geltenden Mehrwertsteuersatzes.

2.2.2  Formell

Die Rechtsanwältin bzw. der Rechtsanwalt benötigt in solchen Fällen einen Beleg für die Abrechnung gegenüber der Steuerbehörde. Diesen kann ihr bzw. ihm nur das Gericht verschaffen. Auch hier ist daher darauf hinzuweisen, falls die Mehrwertsteuer hinzugerechnet wird. Beispiel: "X wird verpflichtet, Y für das ... Verfahren eine Parteientschädigung von CHF 1'144.80 (MWST inbegriffen) zu bezahlen."

2.2.3  Zeitlich

Ändert der aktuelle Steuersatz für anwaltliche Dienstleistungen während einer unentgeltlichen Vertretung oder einer amtlichen Verteidigung, haben die Gerichte die unterschiedlichen Steuersätze zu berechnen und auszuweisen. Die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben die Aufwendungen für die jeweiligen Zeitperioden zu spezifizieren; sie haben derjenigen Instanz, bei der ein Verfahren hängig ist, bis spätestens drei Monate nach Änderung des Steuersatzes eine Zwischen-​Honorarnote einzureichen. Die abschliessende Festsetzung der Entschädigung bleibt vorbehalten. Die Auszahlung der Entschädigung erfolgt in der Regel erst nach Abschluss des Mandats; ausnahmsweise, d.h. bei umfangreichen und länger dauernden Verfahren kann - ebenfalls auf entsprechendes Begehren hin - bereits aufgrund des Zwischenentscheides eine Akontozahlung geleistet werden.

2.3     Abrechnungsmethode

Die Abrechnungsmethode der Rechtsvertretung oder der Partei gegenüber der Mehrwertsteuerbehörde ist bei der Berechnung der Entschädigung ohne Einfluss und nicht zu berücksichtigen.

2.4     Kautionen

Die Mehrwertsteuerpflicht hat zur Folge, dass Kautionen, die Entschädigungen sichern sollen, entsprechend erhöht angesetzt werden.

3.       Schlussbestimmung

Diese Weisung ersetzt den Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts vom 5. Dezember 1994 zur Berücksichtigung des Inkrafttretens der Verordnung über die Mehrwertsteuer sowie die Beschlüsse der Verwaltungskommission vom 14. August 1996, 17. Dezember 1998 und vom 19. Dezember 2000.