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Art. 33 lit. a DBG; § 30 Abs. 1 lit a StG

Art. 140 Abs. 1 DBG, § 136 Abs. 1 StG

Regeste:

Art. 140 Abs. 1 DBG, § 136 Abs. 1 StG – Beschwerdefrist. Praxispräzisierung betreffend Zustellfiktion: Mitteilungen von Zuger Behörden, die mit eingeschriebener Postsendung zugestellt wurden und die nicht abgeholt worden sind, gelten  am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste. Zur Ermittlung des letzten Tags der siebentägigen Abholfrist ist der Tag der versuchten Zustellung nicht mitzuzählen, das heisst die Frist beginnt am Tag nach der ersten erfolglosen Zustellung zu laufen.

Aus dem Sachverhalt:

A. Die Steuerverwaltung des Kantons Zug eröffnete dem Ehepaar X. am 8. November 2011 die Steuerveranlagung für die Kantons- und Gemeindesteuern 2010 sowie für die Direkte Bundessteuer 2010. Es handelte sich dabei um eine Ermessensveranlagung. Dagegen erhob das Ehepaar X. am 8. Dezember 2011 Einsprache bei der Rechtsmittelkommission der kantonalen Steuerverwaltung, welche die Einsprache 18. September 2013 abwies.

B. Mit Eingabe vom 28. Oktober 2013 gelangt das Ehepaar X. mit Steuerrekurs an das Verwaltungsgericht und stellt dabei den Antrag, die Einsprache zur Ermessensveranlagung 2010 sei gutzuheissen. Am 19. November 2013 beantragt die Rechtsmittelkommission unter anderem, auf den Rekurs sei nicht einzutreten, da die Rekurrenten verspätet an das Verwaltungsgericht gelangt seien. Die Rechtskommission beruft sich dabei auf eine Praxis des Verwaltungsgerichts zur so genannten Zustellfunktion.

Aus den Erwägungen:

1. (...)

2. Die Rekurrenten haben ihre erste Eingabe, mit der sie sich beim Verwaltungsgericht gegen den Einspracheentscheid erkennbar zur Wehr gesetzt hatten, am 28. Oktober 2013 der Post übergeben. Strittig ist zunächst, ob der vorliegende Rekurs damit fristgerecht eingereicht wurde. Wäre diese Frage zu verneinen, könnte nicht auf die Eingabe eingetreten werden.

a/aa) Wird eine Verfügung der Steuerbehörden mit eingeschriebener Post verschickt und wird der Adressat anlässlich einer versuchten Zustellung nicht angetroffen und daher eine Abholeinladung in seinen Briefkasten oder in sein Postfach gelegt, gilt die Sendung am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt, und zwar selbst dann, wenn die Post von sich aus eine längere Aufbewahrungs- oder Abholfrist gewährt hat und die Sendung erst am letzten Tag dieser Frist abgeholt wird (Zustellfiktion). Voraussetzung für diese Rechtsfolge ist, dass die Sendung von der betreffenden Person mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, was in der Regel während der Hängigkeit eines Verfahrens der Fall ist (Zweifel / Athanas [Hg.]: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, Bd. I/2b, 2.A., Zürich 2008, Art. 116 Rz. 21, mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung, z.B. BGE 127 I 31 E. 2 a und b; 130 III 396 E. 1.2.3; BGer vom 23. März 2006, in StE [2006] B 93.6 Nr. 27 E. 3). Die von der Praxis festgelegte Zustellfiktion betrifft Fälle, in denen eine Sendung innerhalb der siebentägigen Abholfrist nicht abgeholt wurde. Die Frist bis zum Eintreten der Zustellfiktion wird nicht verlängert, wenn ein Abholen nach den anwendbaren Bestimmungen der Post auch noch länger möglich ist, etwa in Folge eines Zurückbehaltungsauftrags (BGE 123 III 492 E. 1, mit Hinweis). Auch andere Abmachungen mit der Post können den Eintritt der Zustellfiktion nicht hinausschieben (BGer 1P.264/2000 vom 30. August 2000 E. 2b). Die Zustellfiktion rechtfertigt sich, weil die an einem Verfahren Beteiligten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dafür zu sorgen haben, dass behördliche Akte sie erreichen können. Diese Pflicht entsteht mithin als prozessuale Pflicht mit der Begründung eines Verfahrensverhältnisses und gilt insoweit, als während des hängigen Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der Zustellung eines behördlichen Aktes gerechnet werden muss (vgl. GVP 2003, 333, Erw. 5).

a/bb) Für die Festlegung des Zeitpunkts der Zustellfiktion ist eine klare, einfache und vor allem einheitliche Regelung notwendig (BGE 123 III 492 E. 1). Dies ist auch für die verfügenden Behörden, allfällige Gegenparteien und die Rechtsmittelbehörden wichtig. Gerade weil die Post heute unternehmerische Freiheit geniesst und ihre Mitarbeiter nicht mehr wie Beamte direkt an die Grundsätze staatlichen Handelns gebunden sind, darf sich der Eintritt der Zustellfiktion nicht an kundenfreundlichen oder irrtümlichen Anpassungen der Abholfrist im Einzelfall orientieren (BGer 1P.264/2000 vom 30. August 2000 E. 2b). Bei der Beantwortung der Frage, ab wann nach einer erfolglosen erstmaligen Zustellung einer eingeschriebenen Sendung die Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt, hat das Bundesgericht um die Jahrhundertwende aus Gründen der Rechtssicherheit eine Praxis entwickelt, welche vom Verwaltungsgericht in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung in konstanter Rechtsprechung übernommen wurde. Darauf hat die Rekursgegnerin korrekt hingewiesen. Demzufolge wird das Zustellungsdatum immer sieben Tage nach dem erfolglosen Zustellungsversuch fingiert. Dies gilt sogar auch dann, wenn der letzte Tag der siebentägigen Frist auf einen Samstag oder einen anerkannten Feiertag fällt. Der Zeitpunkt der Zustellfiktion ist auch immer erkennbar, da die sieben Tage mit dem erfolglosen Zustellversuch beginnen, dessen Datum auf der Abholeinladung erscheint (BGE 127 I 31 E. 2b). Die Rekursgegnerin verweist auf zwei nicht veröffentlichte Entscheide des Verwaltungsgerichts, in denen das Gericht die Ansicht vertreten hat, dass zur Ermittlung des letzten Tags der siebentägigen Abholfrist der Tag der versuchten Zustellung mitzuzählen sei. Es trifft zu, dass das Verwaltungsgericht in den beiden angeführten Entscheiden diese Meinung vertrat. Das Verwaltungsgericht entwickelte diesen Grundsatz in Ermangelung einer Regelung im VRG zu Beginn des 21. Jahrhunderts, d.h. zu einem Zeitpunkt, als es in der Schweiz noch kein landesweit vereinheitlichtes Zivil- und Strafprozessrecht gab. Seit dem 1. Januar 2011 sind sowohl die Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO, SR 272) wie auch die eidgenössische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO, SR 312.0) in Kraft. Zu beachten ist auch, dass am 1. Januar 2007 das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG, SR 173.110) in Kraft gesetzt wurde, welches unter anderem die Voraussetzungen für den Zugang zum höchsten Schweizer Gericht regelt. Seit dem 1. Januar 2007 gilt ebenfalls das Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32), welches für das Verfahren vor dem allgemeinen Verwaltungsgericht des Bundes in Art. 37 VGG grundsätzlich auf das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021) verweist. Alle diese erwähnten Verfahrensgesetze haben im Gegensatz zum Zuger VRG die Zustellfiktion gesetzlich geregelt. So enthalten sowohl das VwVG wie auch das BGG folgende Bestimmung: «Eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift des Adressaten oder einer anderen berechtigten Person überbracht wird, gilt spätestens am siebenten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt» (Art. 20 Abs. 2bis VwVG; Art. 44 Abs. 2 BGG). Gestützt auf die ZPO und die StPO gilt die Zustellung einer Mitteilung (Terminologie StPO) bzw. von Vorladungen, Verfügungen und Entscheiden (Terminologie ZPO) bei einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, als erfolgt: «am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste» (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO; Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO). Es ist festzustellen, dass in allen gewichtigen nunmehr schweizweit vereinheitlichten Verfahrensgesetzen die Zustellung einer nicht abgeholten oder entgegengenommenen Sendung auf den siebten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch fingiert wird. Aufgrund des klaren Wortlauts dieser Bestimmungen ist davon auszugehen, dass bei der Ermittlung des letzten Tages der siebentägigen Abholfrist nicht der Tag der erfolglosen Zustellung den Beginn des Fristenlaufs markiert, sondern erst der darauffolgende Tag. Auch das höchste Schweizer Gericht geht in seiner Rechtsprechung zu den erwähnten Bestimmungen davon aus, dass mit Blick auf die Zustellfiktion die siebentägige Abholfrist am Tag nach der ersten erfolglosen Zustellung zu laufen beginnt (vgl. BGer 6B_940/2013 vom 31. März 2014 E. 2.1.2 und E. 2.3 [zu Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO]; BGer 5A_732/2013 vom 10. Dezember 2013 E. 4.1 und 4.3 [zu Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO]; BGer 1C_402/2011 vom 2. Dezember 2011 E. 2.1 und 2.3 [indirekte Bestätigung der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts betreffend Art. 20 Abs. 2bis VwVG]). Aufgrund dieser eindeutigen Rechtsprechung lässt es sich mit Blick auf die Rechtssicherheit und das öffentliche Interesse an klaren, einfachen und einheitlichen Regelungen somit kaum mehr vertreten, dass das Verwaltungsgericht eine davon abweichende Praxis verfolgt. Somit ist festzuhalten, dass Mitteilungen von Zuger Behörden, die mit eingeschriebener Postsendung zugestellt wurden und die nicht abgeholt worden sind, am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt gelten, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste. Zur Ermittlung des letzten Tags der siebentägigen Abholfrist ist der Tag der versuchten Zustellung nicht mitzuzählen.

(...)

[Gestützt auf diese Überlegungen trat das Gericht auf den Rekurs ein, wies ihn dann aber ab.]

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. Juni 2014 A 2013 / 29

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