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Art. 172 ff. ZGB

Regeste:

Art. 172 ff. ZGB – Wird während eines  Eheschutzverfahrens das Scheidungsverfahren hängig gemacht und in diesem die Anordnung von vorsorglichen Massnahmen in Bezug auf die künftigen Verhältnisse beantragt, ist die Zuständigkeit des Eheschutzgerichts diesbezüglich grundsätzlich nicht mehr gegeben.

Aus dem Sachverhalt:

Während der Rechtshängigkeit eines Verfahrens um Erlass von Eheschutzmassnahmen gemäss Art. 172 ff. ZGB zwischen A. und B. machte A. beim Bezirksgericht Affoltern das Scheidungsverfahren hängig und beantragte die Anordnung von vorsorglichen Massnahmen in Bezug auf die Obhut. In der Folge schrieb die zuständige Einzelrichterin des Kantonsgerichts Zug das Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit ab. Dagegen reichte B. Berufung beim Obergericht ein.

Aus den Erwägungen:

(...)

2. Das Eheschutzgericht ist zuständig für Massnahmen bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit der Scheidung, für die Zeit danach ist das Scheidungsgericht zuständig (BGE 101 II 1 bestätigt in BGE 129 III 60 E. 3 = Pra 92 [2003] Nr. 102). Eheschutzmassnahmen sind indes auch nach der Einleitung des Scheidungsverfahrens wirksam, bis sie vom Scheidungsgericht im Rahmen vorsorglicher Massnahmen abgeändert werden (BGE 129 III 60 E. 4.2). Wird während der Dauer des Eheschutzverfahrens der Scheidungsprozess anhängig gemacht, wird ersteres nicht einfach gegenstandlos. Der Eheschutzrichter bleibt für Massnahmen bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit der Scheidung zuständig, und zwar auch dann, wenn erst nach diesem Zeitpunkt darüber entschieden werden kann (BGE 129 III 60 E. 2 f. = Pra 2003 Nr. 102). Demnach ist nicht von Belang, ob über die Eheschutzmassnahmen aufgrund der Zeit, welche die Behandlung des Dossiers in Anspruch nimmt, vor oder nach der Rechtshängigkeit der Scheidungsklage entschieden wurde, sofern es keinen Zuständigkeitskonflikt gibt (BGE 138 III 646 E. 3.3.2 = Pra 102 [2013] Nr. 34).

2.1 Die Vorrichterin stellte fest, dass im Eheschutzverfahren vor Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens noch kein rechtskräftiger Entscheid über die Obhutszuteilung ergangen sei. Weiter führte sie aus, dass die Zuteilung der Obhut nur für die Zukunft erfolgen könne (mit Hinweis auf Six, Eheschutz, Zürich/Basel/Genf 2008, Rz. 1.65). Aus den Ausführungen der Vorrichterin erhellt, dass es hier nicht um die Regelung der Verhältnisse für einen Zeitraum während des Getrenntlebens vor der Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens geht, sondern um die Zuteilung der Obhut pro futuro, nachdem die Ehescheidung bereits anhängig gemacht wurde. Gestützt darauf erklärte sich die Vorinstanz diesbezüglich als nicht mehr zuständig (BGE 101 II 1 bestätigt in BGE 129 III 60 E. 3). Dieser Auffassung ist beizupflichten. Die Gesuchstellerin hat im Scheidungsverfahren vor dem Bezirksgericht Affoltern die Anordnung von vorsorglichen Massnahmen in Bezug auf die Obhut beantragt, wodurch ein Kompetenzkonflikt zwischen dem zugerischen Eheschutz- und dem zürcherischen Scheidungsgericht entstand. Bei dieser Ausgangslage ist die Zuständigkeit des Eheschutzgerichts nicht mehr gegeben (BGE 138 III 646 E. 3.3.2 = Pra 102 [2013] Nr. 34; Engler in: SJZ, 110 [2014] Nr.5, S. 127). Entgegen der Auffassung des Gesuchsgegners wurde der Zuständigkeitskonflikt nicht aufgelöst, indem die Gesuchstellerin die Vorinstanz zum Erlass eines Entscheids in der Sache aufgefordert hat, nachdem sich das Bezirksgericht Affoltern für die Beurteilung der Obhutszuteilung im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen als unzuständig erachtet bzw. das entsprechende Massnahmeverfahren im Hinblick auf einen möglichen Kompetenzkonflikt sistiert hatte. Werden im Scheidungsverfahren vorsorgliche Massnahmen zur Regelung des Getrenntlebens in Bezug auf die Zeit nach der Hängigkeit des Scheidungsverfahrens beantragt, über welche das Eheschutzgericht noch nicht rechtskräftig entschieden hat, bleibt für eine Zuständigkeit des Eheschutzrichters kein Raum mehr. Die Berufung erweist sich diesbezüglich als unbegründet.

2.2 Die Gesuchstellerin vertritt die Auffassung, der erstinstanzliche Abschreibungsbeschluss wegen Gegenstandslosigkeit sei auch im Falle der Bestätigung der Unzuständigkeit des Kantonsgerichts Zug aufzuheben. Da die örtliche und sachliche Zuständigkeit Prozessvoraussetzungen seien, hätte deren Fehlen zu einem Nichteintretensentscheid führen müssen.

Dem kann nicht gefolgt werden. Bis zum Zeitpunkt, in welchem das Ehescheidungsverfahren und das Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen anhängig gemacht wurden, war das Eheschutzgericht zuständig und hatte folglich auf das Gesuch um Eheschutzmassnahmen einzutreten. Fällt eine Prozessvoraussetzung erst im Verlaufe des Verfahrens weg, wird das Verfahren als gegenstandslos erklärt (vgl. BGE 111 Ib 182 E. 2a S. 185; Kriech in: Brunner/Gasser/Schwander, ZPO Kommentar, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 242 N 3 und 5; Killias, Berner Kommentar ZPO, 2012, Art. 242 N 10; a.M. Zürcher in: Sutter-Somm/Hasenböhler/ Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur ZPO, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2013, Art. 60 N 28). So oder anders kommt dem Prozessurteil aber ohnehin keine anspruchsbezogene materielle Rechtskraft zu (Zürcher, a.a.O., Art. 60 N 29; Killias, a.a.O., Art. 242 N 22). Aus der Formulierung im Dispositiv des angefochtenen Entscheids, wonach das Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben werde, erwächst den Parteien kein Nachteil.

3. Im Eventualantrag verlangt die Gesuchstellerin sodann die Überweisung an das Bezirksgericht Affoltern. Weder die Zivilprozessordnung noch das kantonale Recht sehen die Überweisung des Prozesses bei Fehlen einer Prozessvoraussetzung vor (vgl. Müller in: Brunner/Gasser/
Schwander, ZPO Kommentar, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 59 N 38). Demnach besteht keine entsprechende Rechtsgrundlage. Der Antrag der Gesuchstellerin auf Prozessüberweisung ist daher abzuweisen.

Obergericht, II. Zivilabteilung, 30. April 2014

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