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§§ 52c Abs. 3 und 67 Abs. 1 und 3 WAG

Regeste:

§§ 52c Abs. 3 WAG, 67 Abs. 1 und 3 WAG, Art. 82 Bst. b BGG – Beim Regierungsrat kann nach § 67 WAG Abstimmungs- und Wahlbeschwerde geführt werden; soweit ein kantonaler Erlass angefochten wird (abstrakte Normenkontrolle), ist das Bundesgericht die zuständige Beschwerdeinstanz (Art. 82 Bst. b BGG). Beim vorliegenden Begehren um Nichtanwendung einer Gesetzesbestimmung handelt es sich um eine abstrakte Normenkontrolle (Erw. 4). Der Regierungsrat ist zwar berechtigt, die von ihm anzuwendenden generellen Rechtssätze im Zusammenhang mit einem konkreten Rechtsanwendungsakt vorfrageweise auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen und im Falle der Rechtswidrigkeit nicht anzuwenden (akzessorisches Prüfungsrecht). Im vorliegenden Fall mangelt es indes an einem rechtlichen Zusammenhang zwischen der beanstandeten Norm und dem angefochtenen Rechtsanwendungsakt (Erw. 5). Die Beschwerde nach § 67 Abs. 1 WAG hat von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (Abs. 3). Im Dispositiv seines Entscheides kann der Regierungsrat einer allfälligen  Verwaltungsgerichtsbeschwerde die aufschiebende Wirkung entziehen (Erw. 10).

Aus dem Sachverhalt:

Am 2. Mai 2013 verabschiedete der Kantonsrat Zug Änderungen des Wahl- und Abstimmungsgesetzes, darunter § 52c Abs. 3 WAG, wonach an der Sitzzuteilung bei den Kantonsratswahlen nur diejenigen Parteien und Gruppierungen teilnehmen, die mindestens 5 % der Parteistimmen auf Gemeindeebene oder 3 % der Parteistimmen kantonal erreichen. Gegen die Änderungen des Wahl- und Abstimmungsgesetzes wurde das Referendum nicht ergriffen. Der Erwahrungsbeschluss wurde im Amtsblatt vom 12. Juli 2013 publiziert. In der Rechtsmittelbelehrung wurde festgehalten, dass gegen den Beschluss Beschwerde beim Bundesgericht innert dreissig Tagen erhoben werden könne und die Beschwerdefrist am Tag nach der Publikation im Amtsblatt beginne. Innert der genannten Frist wurde keine Beschwerde erhoben.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 setzte der Regierungsrat die Änderungen des WAG per 1. Januar 2014 in Kraft. Am 20. Dezember 2013 erfolgte die Amtsblattpublikation zum Inkrafttreten. Am 10. Januar 2014 erhoben die X-Partei sowie A.B. und C.D. gegen den neuen § 52c Abs. 3 WAG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowie subsidiäre Verfassungsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragten im Wesentlichen die Aufhebung von § 52c Abs. 3 WAG. Infolge verpasster Frist trat das Bundesgericht mit Urteil vom 4. April 2014 (1C_10/2014) auf die Beschwerde nicht ein.

Am 6. Juni 2014 schrieb die Staatskanzlei die kantonalen Gesamterneuerungswahlen für die Amtsperiode 2015–2018 im Amtsblatt aus. Am 6. Juni 2014 erhoben wiederum die X-Partei sowie A.B. und C.D. «Wahlbeschwerde» beim Regierungsrat und beantragten, das direkte Quorum gemäss § 52c Abs. 3 WAG sei bei der Wahl des Kantonsrates vom 5. Oktober 2014 nicht anzuwenden. Eventualiter sei festzustellen, dass die Regelung des § 52c Abs. 3 WAG vor Bundesrecht und Völkerrecht nicht standhalte.

Zur Begründung brachten die Beschwerdeführenden im Wesentlichen vor, dass die Anwendung von § 52c Abs. 3 WAG ihre verfassungsmässigen Rechte, namentlich das aktive und passive Wahlrecht verletze. Mit Entscheid vom 1. Juli 2014 trat der Regierungsrat auf diese Beschwerde nicht ein.

Aus den Erwägungen:

(...)

4. Aus der Beschwerdeschrift vom 6. Juni 2014 geht hervor, dass die Beschwerdeführenden wiederum § 52c Abs. 3 WAG anfechten. § 52c Abs. 3 WAG, der seit dem 1. Januar 2014 in Kraft ist, sei «nicht anzuwenden», eventualiter sei festzustellen, dass dieser «vor Bundesrecht und Völkerrecht nicht standhalte». In der ersten Beschwerde vom 10. Januar 2014 wurde die Aufhebung von § 52c Abs. 3 WAG bereits beantragt. Ein rechtlicher Unterschied zwischen diesen beiden Begehren ist kaum feststellbar. Die Nichtanwendung der angefochtenen Bestimmung kommt einer faktischen Aufhebung gleich. Die Beschwerdeführenden führen am 6. Juni 2014 weitgehend dieselben Gründe gegen § 52c Abs. 3 WAG an wie am 10. Januar 2014.

Es stellt sich einleitend die Frage, ob das Rechtsbegehren eine abstrakte oder eine konkrete Normenkontrolle von § 52c Abs. 3 WAG beinhaltet. Die abstrakte Normenkontrolle ist ein Verfahren, bei dem eine Rechtsnorm in ihrer abstrakten Geltung, d.h. ohne Rücksicht auf einen konkreten Rechtsanwendungsakt, geprüft wird. Die Frage der Rechtsmässigkeit einer Rechtsnorm bildet dabei die Hauptfrage. Die konkrete Normenkontrolle hingegen wird in der Lehre auch akzessorisches Prüfungsrecht genannt, da die Normenkontrolle anlässlich der Überprüfung eines Rechtsanwendungsaktes ausgelöst wird.

Die Beschwerde vom 6. Juni 2014 beinhaltet nur vermeintlich eine konkrete Normenkontrolle. Vom juristischen Gehalt her handelt es sich um eine abstrakte Normenkontrolle. Dies aus folgenden Gründen: Diese Beschwerde richtet sich wiederum – wie die frühere Beschwerde vom 10. Januar 2014 - direkt und abstrakt gegen § 52c Abs. 3 WAG. Dies geht bereits aus dem Ingress der Beschwerde vom 6. Juni 2014 hervor: «Wahlbeschwerde gegen die Anwendung des direkten Quorums gemäss § 52c Abs. 3 WAG». Die Beschwerde richtet sich somit nicht gegen die Ausschreibung der Gesamterneuerungswahlen vom 6. Juni 2014. Dies wäre jedoch nötig, um von einer konkreten Normenkontrolle bei der Anwendung eines Rechtsanwendungsaktes ausgehen zu können. Auch das Rechtsbegehren nimmt keinen Bezug auf die – nur dem Schein nach – angefochtene Wahlausschreibung vom 6. Juni 2014, sondern direkt auf § 52c Abs. 3 WAG. Es wird keine ganze oder teilweise Aufhebung des Rechtsanwendungsaktes, somit der Wahlausschreibung, verlangt. In der Beschwerdeschrift wird die Wahlausschreibung vom 6. Juni 2014 nur bezüglich der dort aufgeführten Rechtsmittelbelehrung erwähnt, sonst in keiner Weise gerügt.

Die Beschwerdeführenden selber gehen in ihrer Beschwerdeschrift nirgends von einer konkreten Normenkontrolle aus. Eine solche Normenkontrolle würde bestehen, wenn nach den Gesamterneuerungswahlen das Ergebnis der Wahlen angefochten würde, weil der Partei wegen § 52c Abs. 3 WAG der Einzug in den Kantonsrat verwehrt würde. Die Auffassung, dass es sich hier um eine abstrakte Normenkontrolle handelt, halten die Beschwerdeführenden in ihrer Rechtsschrift indirekt selber fest (S. 3, Ziff. 2.3): «Zwar entfaltet § 52c Abs. 3 WAG seine rechtliche Wirkung erst mit der Sitzzuteilung nach der Wahl. Diese Wirkung ist jedoch bereits mit der Ankündigung der Wahl vom 6. Juni 2014 voraussehbar. (...) Deshalb erscheint es aus Gründen der Rechtssicherheit gegeben, bereits jetzt Beschwerde einzulegen.» Der erste zitierte Satz ist zutreffend «Zwar entfaltet (...) »). Erst nach den Wahlen könnte die Partei im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle § 52c Abs. 3 WAG anfechten (Rechtsanwendungsakt: Ergebnis der Wahlen).

Aus der Beschwerdebegründung geht aber hervor, dass die Beschwerdeführenden die Beschwerde nicht auf einen Rechtsanwendungsakt (Wahlausschreibung) stützen, sondern losgelöst davon – abstrakt – «auf Gründe der Rechtssicherheit». Diese «Gründe der Rechtssicherheit» beinhalten eine abstrakte Normenkontrolle. Dadurch soll Klarheit über die Rechtslage für diese und weitere Wahlen geschaffen werden, unabhängig von einem konkreten Anwendungsfall.

Für eine konkrete Normenkontrolle wäre zudem ein Rechtsanwendungsakt nötig, ganz oder teilweise basierend auf der beanstandeten Rechtsnorm (§ 52c Abs. 3 WAG). Der herangezogene Rechtsanwendungsakt (Ausschreibung der Wahlen) bezieht sich nicht im Geringsten auf § 52c Abs. 3 WAG, sondern enthält operative Einzelheiten für die Vorbereitung und Umsetzung der Wahl.

Soweit im Rahmen dieser Beschwerde eine abstrakte Normenkontrolle erfolgen soll, ist das Urteil des Bundesgerichts vom 4. April 2014 für den Kanton Zug bindend. Dieses hält überzeugend fest, bis wann vor welcher Instanz eine abstrakte Normenkontrolle erfolgen müsse. Die Absicht der Beschwerdeführenden ist offensichtlich: Sie haben die Beschwerdefrist für die abstrakte Normenkontrolle vor Bundesgericht verpasst. Sie versuchen wieder dasselbe vor dem Regierungsrat durchzusetzen, aber versteckt als konkrete Normenkontrolle.

(...)

5. Der Regierungsrat kann auch nicht aufgrund des akzessorischen Prüfungsrechts § 52c Abs. 3 WAG auf seine Übereinstimmung mit der Bundesverfassung überprüfen. Das akzessorische Prüfungsrecht bedeutet die Möglichkeit des Regierungsrats, die von ihm anzuwendenden generellen Rechtssätze im Zusammenhang mit einem konkreten Rechtsanwendungsakt vorfrageweise auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen und im Falle der Rechtswidrigkeit nicht anzuwenden. Diese vorfrageweise Prüfung von § 52c Abs. 3 WAG ist bei der angefochtenen Wahlausschreibung aber nicht möglich, weil sich die Wahlausschreibung weder ganz noch teilweise auf § 52c Abs. 3 WAG stützt. Es besteht kein rechtlicher Zusammenhang zwischen der beanstandeten Norm und dem angefochtenen Rechtsanwendungsakt. Ein solcher Zusammenhang wird von den Beschwerdeführenden auch nicht geltend gemacht. Mangels Akzessorietät fällt auch diese Prüfungsmöglichkeit ausser Betracht.

Das kantonale Recht kennt keine Möglichkeit, dass der Regierungsrat abstrakt ein formelles kantonales Gesetz überprüfen darf. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen kann somit mit einer Stimmrechtsbeschwerde aufgrund von § 67 Abs. 1 WAG beim Regierungsrat kein formelles kantonales Gesetz angefochten werden. Gemäss § 38 Abs. 1 der Kantonsverfassung vom 31. Januar 1894 (KV, BGS 111.1) übt der Kantonsrat die gesetzgebende und aufsehende Gewalt aus. Dem Kantonsrat obliegen gemäss § 41 Abs. 1 Bst. b KV das ausschliessliche Recht der Gesetzgebung und gemäss § 41 Abs. 1 Bst. c KV die Oberaufsicht über die Behörden. Der Regierungsrat hingegen ist gemäss § 47 Abs. 1 KV mit dem Vollzug der Gesetze beauftragt. Er ist verfassungsrechtlich verpflichtet, formelle Gesetze, die in Kraft sind, umzusetzen. Die Beschwerdeführenden verlangen, dass diese verfassungsrechtliche Ordnung umgekehrt wird. Gemäss ihrem Begehren müsste der Regierungsrat als Exekutive Entscheide des Kantonsrats als Legislative «nicht anwenden» bzw. als rechtwidrig erklären. Die Beschwerdegründe, die gemäss § 67 Abs. 1 WAG bei der Stimmrechtsbeschwerde zugelassen sind, beinhalten nicht die Möglichkeit zugunsten des Regierungsrats, im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle ein formelles Gesetz faktisch aufzuheben. Ebenso wenig hätte das Verwaltungsgericht die Möglichkeit, im Rahmen einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine abstrakte Normenkontrolle über ein kantonales formelles Gesetz vorzunehmen. Zu diesem Zwecke müsste eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht gemäss Art. 82 Bst. b, Art. 87 Abs. 1 und Art. 88 Abs. 1 Bst. a BGG eingereicht werden.

(...)

9. Es stellt sich die weitere Rechtsfrage, welche Rechtsmittelbelehrung beim Beschluss aufzuführen ist. Nach Auffassung des Regierungsrats kann § 52c Abs. 3 WAG nur beim Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (abstrakte Normenkontrolle) angefochten werden, wobei die Frist dazu längst abgelaufen ist und bereits ein Bundesgerichtsurteil in derselben Sache vorliegt. Es erübrigt sich, diese Rechtsmittelbelehrung aufzuführen, weil ein solcher Instanzenzug offensichtlich aussichtslos ist. Da sich die Beschwerdeführenden für den Weg der Stimmrechtsbeschwerde gemäss § 67 Abs. 1 WAG entschieden haben, ist bei der Rechtsmittelbelehrung auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht hinzuweisen.

10. Gemäss § 67 Abs. 3 WAG hat die eingereichte Beschwerde keine aufschiebende Wirkung. Es ist jedoch nicht geklärt, ob diese Norm - als wahlrechtliche Spezialnorm - ebenfalls bei einer allfälligen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gilt. Es könnte der Standpunkt vertreten werden, dass bei Verfahren vor Verwaltungsgericht der abweichende § 66 Abs. 1 VRG zur Anwendung kommt. Danach hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufschiebende Wirkung, sofern die anordnende Behörde nicht aus zwingenden Gründen den sofortigen Vollzug des anfechtbaren Entscheides angeordnet hat. Aus den Materialien zum WAG sind keine Hinweise zu dieser Rechtsfrage zu entnehmen. Es ist jedoch diesbezüglich eine klare Rechtslage zu schaffen. Einer allfälligen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Regierungsratsbeschluss wird daher gemäss § 66 Abs. 1 VRG die aufschiebende Wirkung entzogen. Dies lässt sich wie folgt begründen: Die Erfolgschancen einer allfälligen Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind sehr gering. Hingegen liegt ein hohes öffentliches Interesse vor, dass die Wahlen am 5. Oktober 2014 aufgrund des geltenden WAG ordnungsgemäss durchgeführt werden können. Die Wahlvorbereitungen sind bei der Verwaltung und den Parteien in vollem Gange. Die gesamte Organisation wie logistische Vorbereitung, die elektronische Programmierung und die Drucklegung benötigen gemäss genauem Zeitplan einen erheblichen zeitlichen Vorlauf. Bei weiteren Verzögerungen könnten geordnete Wahlen am 5. Oktober 2014 nicht durchgeführt werden. Eine Verschiebung der Wahlen würde die demokratischen Grundsätze der Kantonsverfassung massiv beeinträchtigen.

Regierungsrat, 1. Juli 2014

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