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Art. 12 lit.a BGFA

Regeste:

Art. 12 lit. a BGFA – Die Kontaktaufnahme eines Rechtsanwalts mit einem potentiellen Zeugen ist nur ausnahmsweise mit der anwaltlichen Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung vereinbar und sollte mit Zurückhaltung und Vorsicht vorgenommen werden. Generell ist die Wahrheitsfindung bzw. die Zeugenbefragung Aufgabe des Gerichts und nicht der Parteien oder ihrer Anwälte. Die Kontaktierung eines möglichen Zeugen ist nur dann zulässig, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht, die Befragung im Interesse des Mandaten liegt und so ausgestaltet wird, dass jede Beeinflussung vermieden und die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht bzw. die Untersuchungsbehörde gewährleistet wird.

Aus den Erwägungen:

5. Schliesslich wirft die Anzeigeerstatterin dem Verzeigten vor, in unerlaubter Weise einen (möglichen) Zeugen beeinflusst zu haben.

5.1 Zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung gemäss Art. 12 lit. a. BGFA gehört auch, dass der Anwalt grundsätzlich jegliches Verhalten unterlässt, das die Gefahr einer Beeinflussung von Zeugen hat. Die selbständige Kontaktaufnahme mit einer Person, die als Zeuge in Betracht kommt, erscheint unter diesem Gesichtspunkt als problematisch, da mit einem solchen Vorgehen stets eine zumindest abstrakte Gefahr einer Beeinflussung verbunden ist. Eine Kontaktaufnahme mit einem potentiellen Zeugen ist daher nur ausnahmsweise mit der anwaltlichen Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung vereinbar und sollte nur mit Zurückhaltung und Vorsicht vorgenommen werden. Generell ist die Wahrheitsfindung bzw. die Zeugenbefragung Aufgabe des Gerichts und nicht der Parteien oder ihrer Anwälte. Die Kontaktierung eines möglichen Zeugen ist nur dann zulässig, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht, die Befragung im Interesse des Mandaten liegt und so ausgestaltet wird, dass jede Beeinflussung vermieden und die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht bzw. die Untersuchungsbehörde gewährleistet wird. Als sachlicher Grund für eine private Zeugeneinvernahme ist namentlich das Einschätzen der Erfolgsaussichten von Prozesshandlungen wie etwa die Prozesseinleitung, das Einlegen bzw. der Rückzug eines Rechtsmittels oder das Stellen eines Beweisantrages anzusehen; entscheidend sind aber die Umstände des konkreten Einzelfalls. Um der Gefahr einer Beeinflussung des potentiellen Zeugen bzw. dem blossen Anschein einer unzulässigen Einflussnahme in solchen Fällen entgegenzuwirken, sind entsprechende Vorsichtsmassnahmen zu treffen. So soll der Anwalt den Zeugen schriftlich um ein Gespräch ersuchen und ihn darauf hinweisen, dass er weder verpflichtet ist zu erscheinen noch auszusagen. Ebenfalls hat der Anwalt dem Zeugen mitzuteilen, im Interesse welches Mandanten das Gespräch stattfinden soll. Das Gespräch soll ohne den Mandanten und wenn immer möglich in den Räumlichkeiten des Anwalts stattfinden, wobei gegebenenfalls eine Drittperson als Gesprächszeugin hinzugezogen werden soll. Der Anwalt darf keinen Druck auf den Zeugen ausüben und ihn insbesondere nicht zu einer bestimmten Aussage oder überhaupt zu irgendeiner Aussage drängen und ihm für den Fall des Schweigens nicht mit Nachteilen drohen. Verpönt ist auch das Stellen von Suggestivfragen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_909/2010 vom 12. April 2010 E. 2.1 unter Hinweis auf BGE 136 II 551 E. 3 ff.; vgl. zum Ganzen auch Fink, Private Zeugenbefragung im Zivilprozess, 2015, Rz 106 ff., und Züger, Privater Zeugenkontakt der Verteidigung in der Praxis, ZStrR 131/2013 S. 247 ff., 253 ff.).

5.2 In der abschliessenden Stellungnahme vom 3. Mai 2016 führte der Verzeigte aus, die Kontaktnahme mit A._ sei gleich zu Beginn der Mandatierung erfolgt; sie sei notwendig und geboten gewesen. A._ sei von seiner Mandantin (der B._ AG) über den Kontakt und die Konstellation vorinformiert gewesen. Dieser habe an der Befragung vom 13. April 2016 bestätigt, dass er sich «in keinster Weise» unter Druck gesetzt gefühlt habe. Er (der Verzeigte) habe weder am Telefon noch in der E-Mail detaillierte Fragen oder Suggestivfragen gestellt. A._ habe seine Wahrnehmungen frei erzählt; diese seien festgehalten und bestätigt worden. Weitere Kontakte seien nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund könne ihm (dem Verzeigten) kein Fehlverhalten oder gar eine Verletzung von Berufspflichten vorgeworfen werden. Er habe der Gefahr, einen allfälligen Zeugen unter Umständen beeinflussen zu können, mit der gebotenen Sorgfalt und Vorsicht vorgebeugt. Würden seine Handlungen bereits als Beeinflussung eines Zeugen qualifiziert, bedeutete dies, dass bei ähnlichen Fällen praktisch blind rechtliche Wege beschritten werden müssten, ohne dass erste wichtige Abklärungen zum Sachverhalt, zu Chancen/Risiken und zu möglichen Vorgehen gemacht werden könnten. Das wiederum könne nicht im Sinne der Beteiligten und Behörden sein, nicht einmal der Anzeigeerstatterin (act. 12 S. 3).

5.3 Der Auffassung des Verzeigten kann nicht gefolgt werden, und zwar aus folgenden Gründen:

5.3.1 Allgemein ist vorab festzuhalten, dass ein Rechtsanwalt den Sachverhalt eines Falles sorgfältig zu prüfen hat. Seine primären Informationsquellen sind der eigene Klient bzw. die ihm von diesem zur Verfügung gestellten Unterlagen. Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit der Angaben seines Klienten vertrauen. Eine Überprüfung ist allenfalls notwendig, wenn begründeter Anlass besteht, an der Wahrheit der Angaben zu zweifeln, oder wenn diese ungenau sind. Im Grundsatz ist der Anwalt jedoch nicht verpflichtet, eigene Ermittlungen anzustellen, um zu prüfen, ob die von seinem Klienten erteilten Informationen richtig sind. Wenn der Klient somit angibt, ein Zeuge könne zu einer bestimmten Tatsache bzw. einem Sachverhalt Angaben machen, darf der Rechtsanwalt diesen Angaben grundsätzlich vertrauen. Er ist nicht verpflichtet, die Aussagen eines Zeugen im Vorfeld eines allfälligen Verfahrens (ohne begründete Zweifel) zu überprüfen. Eine private Zeugenbefragung durch den Anwalt ist bei gegebenen Voraussetzungen vielmehr eine Befugnis des Rechtsanwalts und keine Pflicht. Sagt der Zeuge im Verfahren nachteilig für den eigenen Klienten aus, hat die negativen Folgen dieser Zeugenaussage der Klient zu tragen (vgl. Fink, a.a.O., Rz 107 ff. m.w.H.). Davon abweichend kann es allenfalls im Strafprozess geboten sein, eigene Ermittlungen durchzuführen, wenn es um die Frage geht, ob ein Zeuge zur Entlastung des Mandanten beitragen kann (vgl. Züger, a.a.O., S. 250 f., und Fink, a.a.O. Rz 165 ff., je m.w.H.). Eine solche Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben, weshalb nicht näher darauf einzugehen ist.

5.3.2 Die Befragung von Zeugen ist – wie bereits dargelegt – Aufgabe der Gerichte und nicht Obliegenheit der Parteien oder ihrer Anwälte. Ausnahmsweise kann eine Kontaktierung von Zeugen dann zulässig sein, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht. Ein solcher fehlt, wenn sich der Anwalt die erforderlichen Informationen auch mit weniger einschneidenden Mitteln beschaffen und das gleiche Resultat, z.B. auch über einen Antrag an die verfahrensleitende Stelle, erreicht werden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_909/2010 vom 12. April 2011 E. 2.1 und 2.3; Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 22; ZR 106/2007 Nr. 81 S. 307; vgl. auch Fink, a.a.O., Rz 199 ff., und Züger, a.a.O., S. 254 f., die allerdings den sachlichen Grund als Kriterium der Zulässigkeit ablehnen und einzig als massgebend erachten, dass der Zeuge bei der Befragung durch den Rechtsanwalt nicht beeinflusst wurde).

Der Verzeigte rechtfertigt sein Vorgehen lediglich mit dem allgemeinen Hinweis, es sei zunächst darum gegangen, «den Prozessstoff überhaupt abzuklären»; die Befragung von A._ sei mit Blick auf die Wahl bzw. Einleitung des Verfahrens und die Beurteilung der damit verbundenen Risiken notwendig und geboten gewesen sei. Auf solche Gründe dürfte sich ein Rechtsanwalt wohl praktisch bei jeder privaten Zeugenbefragung berufen. Weshalb diese im vorliegenden Fall sachlich notwendig gewesen sei und weshalb die erforderlichen Information vorab nicht schon von der eigenen Klientin oder zu einem späteren Zeitpunkt über einen Antrag an die verfahrensleitende Stelle hätten beschafft werden können, legt der Verzeigte hingegen nicht dar. Wenn er im Übrigen vorbringt, dass es im Zeitpunkt der Befragung noch völlig offen gewesen sei, ob und allenfalls welche rechtlichen Schritte gegen wen eingeleitet werden sollten, drängt sich die Frage auf, warum der Verzeigte A._ zu diesem Zeitpunkt überhaupt befragt hat. Ein konkreter sachlicher Grund, welcher die Befragung als notwendig erscheinen liesse, ist unter den gegebenen Umständen nicht ersichtlich.

5.3.3 Im Weiteren hat der Verzeigte nicht alle erforderlichen Vorsichtsmassnahmen getroffen, um eine Beeinflussung zu vermeiden und die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht bzw. die Untersuchungsbehörden zu gewährleisten. Zwar ist aufgrund der im vorliegenden Verfahren durchgeführten Befragung von A._ davon auszugehen, dass der Verzeigte den Befragten «in keinster Weise» unter Druck gesetzt und ihn auch nicht aufgefordert hat, bestimmte Aussagen zu machen oder gewisse Sachen zu verschweigen (vgl. act. 10 Ziff. 22, 25, 27 und 32). Auf der anderen Seite ist unbestritten, dass der Verzeigte A._ ohne vorherige schriftliche Anfrage direkt und ohne Beizug einer Drittperson telefonisch kontaktiert hat. Im Weiteren muss aufgrund der Aussagen von A._ angenommen werden, dass er nicht genau darüber informiert war, wofür seine Angaben verwendet werden sollten. So führte er einerseits aus, er sei von einer Klage [in einem Zivilverfahren] ausgegangen, da er gewusst habe, dass es um eine Schadenersatzforderung in einer bestimmten Höhe gehe (act. 10 Ziff. 18-20). An anderer Stelle erklärte er dann, er habe gewusst, dass sich die B._ AG und C._ bei der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei treffen würden, dass ein Verfahren eingeleitet werde oder laufe und dass seine Bestätigung für dieses Verfahren verwendet werde (act. 10 Ziff. 30). Hinzu kommt, dass der Verzeigte A._ beim Telefongespräch nicht bloss allgemein danach fragte, ob er zur Beendigung des Auftragsverhältnisses zwischen der Anzeigeerstatterin und der B._ AG (aus eigener Wahrnehmung) Angaben machen könne (act. 10 Ziff. 21 a.E.). Vielmehr «diskutierten» sie beide «konkret über die Kommunikation zwischen C._ und der B._ AG und wie der Mandatswechsel hätte von statten gehen sollen» (act. 10 Ziff. 16). Dabei wurde A._ offenbar vom Verzeigten «über die Situation befragt», wobei der Verzeigte «beispielsweise die Frage [stellte], wie ich [A._] die Aussage von C._ beurteilen würde, dass Daten nur gegen Zahlung der geforderten Summe geliefert würden. Dabei wollte der Verzeigte wissen, ob dies so von statten gegangen sei und ob C._ dies als Druckmittel verwendet habe. Der Verzeigte fragte mich, wie ich das erlebt hätte» (act. 10 Ziff. 17 und 21). Diese (unbestrittenen) Aussagen von A._ zeigen, dass es sich beim fraglichen Telefongespräch nicht bloss um eine prozessökonomisch motivierte, untergeordnete Vorabklärung, sondern vielmehr um eine Besprechung handelte, bei welcher der Verzeigte zumindest einzelne Fragen mit suggestivem Charakter stellte und sich von seinem Gesprächspartner offensichtlich entscheidende Informationen erhoffte (vgl. BGE 136 II 551 E. 3.3.2 a.E.). Damit kann nicht mehr bloss von einer abstrakten Gefahr einer Beeinflussung des Zeugen gesprochen werden. Im Übrigen hat A._ zwar bestätigt, dass der Verzeigte seine Aussagen in der (zweiten) E-Mail vom 3. Februar 2015 (act. 1/4) richtig wiedergegeben hat (act. 10 Ziff. 28). Daraus folgt aber nicht zwingend, dass dort die Wahrnehmungen des Zeugen vollständig und korrekt festgehalten wurden. Dies zeigt sich an der Aussage von A._, wonach für eine Mehrforderung [der Anzeigeerstatterin gegenüber der B._ AG] kein Raum bestanden habe, da im Vertrag eine pauschale Vergütung abgemacht worden sei. Diese Aussage war in der ersten E-Mail vom 30. Januar 2015 (act. 7/3) noch enthalten, wurde von A._ dann aber vollständig gestrichen, weil er diesen Satz zwar vielleicht so gesagt habe, er aufgrund seiner damaligen Position aber nicht habe beurteilen können, ob dies zugetroffen habe (vgl. act. 10 Ziff. 24, 25 und 27). Dagegen ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden. Problematisch ist allerdings, dass der Verzeigte die Aussagen von A._ zumindest faktisch protokolliert hat, indem er sie in E-Mails schriftlich festhielt und vom Zeugen explizit bestätigten liess. Mit einem solchen Vorgehen wird der Zeuge auf seine Aussagen «festgenagelt», was dazu führt, dass er sich daran gebunden fühlt und sich bei einer behördlichen Einvernahme nicht mehr frei äussern kann (vgl. Züger, a.a.O., S. 265 m.w.H.). Eine störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht bzw. die Untersuchungsbehörde ist damit nicht mehr gewährleistet. Schliesslich verletzt das unvorsichtige Vorgehen des Verzeigten aber auch die Interessen seiner Klientin, weil aufgrund der unzulässigen privaten Befragung die Aussagen des Zeugen in den staatlichen Verfahren u.U. nicht (mehr) verwertbar sind und damit das Beweisergebnis erheblich gefährdet wird (vgl. Reichart/Hafner, Private Zeugenbefragung durch den Anwalt im Zivilprozess, SJZ 107/2011 S. 201 ff., 205).

5.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Verzeigte mit seinem Vorgehen die Anforderungen, die an eine private Zeugenbefragung zu stellen sind, nicht erfüllt und damit seine Berufspflichten im Sinne von Art. 12 lit. a BGFA verletzt hat.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, 7. Juli 2016

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