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Art. 1 IPRG, Art. II Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958
Art. 29 Abs. 2 BV
Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
Art. 74 ZPO, Art. 731b OR
Art. 90 Abs. 2 IPRG, Art. 15 Abs. 1 IPRG
Art. 234 Abs. 1 ZPO, Art. 245 Abs. 1 ZPO

Art. 257 ZPO

Regeste:

Art. 257 Abs. 1 ZPO – Ein Sachverhalt ist dann sofort beweisbar im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO, wenn er ohne zeitliche Verzögerung und ohne besonderen Aufwand nachgewiesen werden kann. Dabei hat der Kläger den vollen Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen zu erbringen. Die Rechtslage ist im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO klar, wenn die Anwendung und Auslegung einer Norm zu keinem Zweifel Anlass gibt. Die Rechtsfolge muss sich bei der Anwendung des Gesetzes unter Berücksichtigung von Lehre und Rechtsprechung ohne weiteres ergeben und die Rechtsanwendung damit zu einem eindeutigen Ergebnis führen.

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss Art. 257 Abs. 1 ZPO gewährt das Gericht Rechtsschutz im summarischen Verfahren, wenn der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar ist (lit. a) und die Rechtslage klar ist (lit. b). Der Rechtsschutz in klaren Fällen ermöglicht es der klagenden Partei, bei eindeutiger Sach- und Rechtslage rasch, d.h. ohne einlässlichen Prozess im ordentlichen Verfahren, zu einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid zu kommen (BGE 138 III 620 E. 5.1.1).

1.1 Ein Sachverhalt ist dann sofort beweisbar im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO, wenn er ohne zeitliche Verzögerung und ohne besonderen Aufwand nachgewiesen werden kann. Der Rechtsschutz in klaren Fällen unterliegt keiner Beweisstrengebeschränkung. Blosses Glaubhaftmachen genügt für die Geltendmachung des Anspruchs nicht, sondern der Kläger hat den vollen Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen zu erbringen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7221, 7351 Ziff. 5.18 zu Art. 253 E-ZPO; Sutter-Somm / Lötscher in: Sutter-Somm / Hasenböhler / Leuenberger / [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. A. 2016, Art. 257 ZPO N 6; Hofmann, Basler Kommentar, 2. A. 2013, Art. 257 ZPO N 10). Der Beweis ist in der Regel durch Urkunden zu erbringen (BGE 138 III 123 E. 2.1.1 m.H.). Bestreitet die Gegenpartei die Tatsachen, kann der schnelle Rechtsschutz grundsätzlich nicht gewährt werden, da kein liquider Sachverhalt vorliegt. Offensichtlich unbegründete oder haltlose Bestreitungen, über die sofort entschieden werden kann, genügen indes nicht, um einen klaren Fall auszuschliessen (Urteil des Bundesgerichts 5A_645/2011 vom 17. November 2011 E. 1.2 m.H.). Der Gesuchsteller hat sofort den vollen Beweis für die anspruchsbegründenden Tatsachen zu erbringen, so dass klare Verhältnisse herrschen. Dies allein ist der relevante gesetzliche Massstab und nicht, ob der Gesuchsgegner seine Einwendungen glaubhaft gemacht hat oder nicht. Demnach muss es für die Verneinung eines klaren Falles genügen, dass der Gesuchsgegner substanziiert und schlüssig Einwendungen vorträgt, die in tatsächlicher Hinsicht nicht sofort widerlegt werden können und die geeignet sind, die bereits gebildete richterliche Überzeugung zu erschüttern. Demgegenüber ist ein klarer Fall zu bejahen, wenn das Gericht auf Grund der Aktenlage zur Überzeugung gelangt, der Anspruch des Gesuchstellers sei ausgewiesen und eine eingehende Abklärung der beklagtischen Einwände könne daran nichts ändern (BGE 138 III 620 E. 5.1.1). Es kann immerhin gesagt werden, dass die Rechtslage, nach welcher der Gesuchsteller die anspruchsbegründenden Tatsachen voll zu beweisen hat und sich der Gesuchsgegner mit substanziierten und schlüssigen Einwendungen begnügen kann, dazu führt, dass der Gesuchsteller auch den Beweis für den Nichtbestand des diesen zugrunde gelegten Tatsachenfundaments erbringen muss, wenn er liquide Verhältnisse im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO schaffen will (BGE 138 III 620 E. 6.2 m.H. auf Jent-Sorensen in: Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], Kurzkommentar ZPO, 2. A. 2014, Art. 257 ZPO N 11). Eine Verpflichtung zur Leistung Zug um Zug kann in diesem Verfahren sodann nur erfolgen, wenn sowohl der Haupt- als auch der Gegenanspruch liquid sind (Sutter-Somm/Lötscher, a.a.O., Art. 257 ZPO N 8 m.H. auf ZR 85 Nr. 108).

1.2 Die Rechtslage ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung klar, wenn die Anwendung und Auslegung einer Norm, namentlich auf Grund ihres Wortlauts, der Rechtsprechung oder bewährten Lehre, zu keinem Zweifel Anlass gibt (Urteil des Bundesgerichts 4A_447/2011 vom 20. September 2011 E. 2.3). Die Rechtsfolge muss sich bei der Anwendung des Gesetzes unter Berücksichtigung von Lehre und Rechtsprechung ohne weiteres ergeben und die Rechtsanwendung damit zu einem eindeutigen Ergebnis führen. Dagegen ist die Rechtslage nicht klar, wenn die Anwendung einer Norm einen Ermessens- oder Billigkeitsentscheid des Gerichts mit wertender Berücksichtigung der gesamten Umstände erfordert (Urteil des Bundesgerichts 4A_688/2014 vom 15. April 2015 E. 3.1 m.w.H.; BGE 141 III 23). Unter klarem Recht im Sinne von Art. 257 ZPO ist grundsätzlich nur objektives Recht (einschliesslich Gewohnheitsrecht zu verstehen). Sind aber Verträge und Statuten auslegungsbedürftig, hat der Richter dabei auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückzugreifen und die Interessen der Parteien zu berücksichtigen und damit letztlich sein Ermessen auszuüben, besteht dafür im Verfahren nach Art. 257 ZPO ebenfalls kein Raum (Hofmann, a.a.O., Art. 257 ZPO N 11a m.w.H.). Fälle, in denen das Gericht Willenserklärungen nach dem Vertrauensprinzip auslegen muss, können nicht im Verfahren nach Art. 257 ZPO behandelt werden (ZR 2012 Nr. 65 E. 3). Ist allerdings eine vertragliche Regelung oder privatrechtliche Satzung im (seltenen) Einzelfall klar, sollten diese nicht absolut und per se vom Anwendungsbereich von Art. 257 ZPO ausgeschlossen werden (Hofmann, a.a.O., Art. 257 ZPO N 11a).

2. Der Gesuchsteller stützt sich für sein Begehren auf die Bestimmung von Ziffer 3 der Vereinbarung «B». Darin erklärt sich die Gesuchsgegnerin – unter der Bedingung einer Darlehens-gewährung der B. AG an die S. in Weissrussland über EUR 1,4 Mio. – bereit, vom Gesuchsteller 5 % der Aktien der B. AG zu einem Kaufpreis von EUR 1,4 Mio. zu erwerben, wobei die Tilgung des Kaufpreises in vier bestimmten Ratenzahlungen zu erfolgen hat. Es wird sodann festgehalten, dass die Parteien über diesen Kauf noch einen separaten Kaufvertrag abschliessen würden (Vi act. 1/3).

2.1 Mit Recht erblickt der Gesuchsteller darin einen Vorvertrag i.S. von Art. 22 OR. Er ist aber der Auffassung, dass dieser im vorliegenden Fall dem Hauptvertrag gleichzusetzen sei, da er bereits alle wesentlichen Elemente des Hauptvertrages enthalte. Nach der gefestigten bundesgerichtlichen Rechtsprechung könne daher direkt auf Erfüllung geklagt werden.

2.2 Der Vorvertrag i.S. von Art. 22 OR ist ein Schuldvertrag, in dem sich eine oder jede Partei zum Abschluss eines künftigen Schuldvertrages, des Hauptvertrages verpflichtet. Je nach dem Inhalt des Vorvertrages hat eine oder jede Partei das – oft bedingte oder zeitlich limitierte – Recht, von der anderen den Abschluss des Hauptvertrages zu verlangen (Gauch/ Schluep/Schmid/Emmenegger, Schweizerisches Obligationenrecht, Allg. Teil, 10. A. 2014, Rz 1076). Die wesentlichen Punkte des Hauptvertrages müssen nach herrschender Auffassung – im Sinne eines Gültigkeitserfordernisses – auf Grund des Vorvertrages bestimmt oder bestimmbar sein (BGE 98 II 307). Ist aber der Leistungsgegenstand bereits bestimmt oder bestimmbar, so ist der Hauptvertrag kein Vertrag mehr, ist er noch unbestimmt, so ist der Vorvertrag noch kein Vertrag (Merz, Vertrag und Vertragsschluss, 2. A. 1992, Rz 290 ff.; BGE 129 III 264 E. 3.2.1; 118 II 32 E. 3). Zumindest kann nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung und einem Teil der Lehre bei einem Vorvertrag, der bereits alle wesentlichen Elemente des Hauptvertrages enthält und zwischen den gleichen Parteien zu den gleichen Bedingungen abzuschliessen ist, direkt auf Erfüllung geklagt werden (BGE 118 II 32 E. 3c; vgl. Gauch/Schluep/Schmid/Emmenegger, a.a.O., Rz 1087, 1088a). Es muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden, ob nicht die Parteien, indem sie explizit einen Vorvertrag und nicht einen Hauptvertrag eingegangen sind, stillschweigend die Möglichkeit der Real-exekution vertraglich ausschliessen wollten (Zellweger-Gutknecht, Basler Kommentar, 6. A. 2015, Art. 22 OR N 65). Ob die Parteien tatsächlich direkt, vorbehaltlos und rechtlich voll bindend einen Hauptvertrag schliessen wollten, kann nur eine Auslegung im Einzelfall zeigen. Dabei sind die konkreten Umstände zu beachten (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_297/2013 vom 4. September 2013 E. 3.2.1). Nur dann stellt der von ihnen verwendete Terminus Vorvertrag eine falsa demonstratio dar (Zellweger-Gutknecht, a.a.O., Art. 22 OR N 16). Dass der Leistungsgegenstand bereits bestimmt oder bestimmbar ist, schliesst für sich allein die Annahme eines Vorvertrages keineswegs aus. Selbst wenn der spätere Vertrag unter den gleichen Parteien zustande kommt, ist er somit ein vom Vorvertrag verschiedener Vertrag. Welchen Sinn es macht und ob es vernünftig ist, einen entsprechenden Vorvertrag abzuschliessen, ist im Übrigen eine Frage, über die weder die Dogmatik noch die Gerichte, sondern die Parteien – in Ausübung ihrer Privatautonomie – selber zu entscheiden haben (Gauch / Schluep / Schmid / Emmenegger, a.a.O., Rz 1080). Es ist zu respektieren, wenn die Parteien sich erst zum Abschluss eines fraglichen Hauptvertrages verpflichten wollten (Zellweger-Gutknecht, a.a.O., Art. 22 OR N 16). Parteien, die den Weg über einen Vorvertrag oder eine vorvertragsnahe Abrede wählen, bringen mitunter gerade damit zum Ausdruck, dass es sich im Hinblick auf das (hauptvertragliche) Endergebnis (noch) nicht mit letzter Konsequenz binden wollen (Zellweger-Gutknecht, a.a.O., Art. 22 OR N 18).

2.3 Im vorliegenden Fall bestreitet die Gesuchsgegnerin, dass gestützt auf den Vorvertrag direkt die versprochene Leistung des Hauptvertrages durchgesetzt werden könne. Aufgrund der Komplexität der Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien könnten die Essentialia eines Vertrages nicht auf einige wenige, auf den ersten Blick primäre Punkte reduziert werden. Andernfalls hätte sich eine Verweisung auf einen separaten Kaufvertrag erübrigt. Es sei notorisch, dass bei vergleichbaren Transaktionen vielseitige Verträge mit zusätzlichen Beilagen und Einwilligungen üblich seien. Mit dem Verweis auf einen separaten Kaufvertrag habe sie (die Gesuchsgegnerin) ihren Willen dargetan, dass weitere für sie wesentliche Punkte noch nicht abschliessend dargelegt seien (act. 7 S. 6 f.).

Nach dem Wortlaut der in Frage stehenden Bestimmung von Ziffer 3 des Vertrags «B» erscheint es tatsächlich naheliegend, dass die Parteien darin noch nicht sämtliche relevanten Punkte des Aktienkaufvertrages regeln und sich für den Aktienkauf noch nicht in allen Teilen und unveränderlich binden wollten. Jedenfalls sind die Einwände der Gesuchsgegnerin nicht offensichtlich unbegründet oder haltlos. Das Vorbringen des Gesuchstellers, wonach die Parteien in vertraglicher Hinsicht einen unkomplizierten Umgang gepflegt hätten, ist unbehelflich. Für den Aktienkauf wollten es die Parteien nach dem Wortlaut der Vereinbarung offenbar ge-rade nicht bei den knappen Regelungen in Ziffer 3 des Vertrages «B» belassen, sondern beabsichtigten ausdrücklich den Abschluss eines Kaufvertrages (Vi act. 1/3 Ziff. 3). Diesbezüglich ist ergänzend zu bemerken, dass der Gesuchsteller sowie die von ihm beherrschten Gesellschaften der S. das Darlehen über EUR 1,4 Mio. – entgegen den Ausführungen im Gesuch – nicht aufgrund eines einzigen Satzes in Ziffer 3 des Vertrages «B» valutiert haben (act. 1 Rz 24, 28). Vielmehr haben der Gesuchsteller sowie die B. AG und die H. Holding AG mit der S. separate, jeweils dreiseitige Darlehensverträge abgeschlossen und es mithin nicht bei der Regelung in Ziffer 3 des Vertrages «B» belassen (Vi act. 1 Rz 13; Vi act. 3/6, 8, 10, 12). Gemäss den vorstehenden Erwägungen wäre deshalb zu prüfen, ob die Parteien die Möglichkeit der Realexekution des Vorvertrages – d.h. der Bestimmung Ziffer 3 im Vertrag «B» hinsichtlich des Aktienkaufes – nicht ausschliessen wollten, indem sie ausdrücklich auf einen noch abzuschliessenden separaten Kaufvertrag verwiesen haben (vgl. E. 2.2 hiervor). Wenn der Gesuchsteller hier anderer Auffassung ist, hätte er den Nachweis zu erbringen, dass die Parteien – entgegen dem Wortlaut des Vorvertrags – in Tat und Wahrheit direkt, vorbehaltlos und rechtlich voll bindend den Aktienkaufvertrag schliessen wollten und der Vorvertrag alle wesentlichen Elemente enthält. Für diese – subjektive – Auslegung hat er aber keine Beweise geliefert. Es müsste daher eine objektive, normative Auslegung des Vorvertrages Platz greifen (vgl. BGE 138 III 659 E. 4.2.1). Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage. Diese Auslegung ist indes nur unter Rückgriff auf das Vertrauensprinzip möglich, das aus Art. 2 ZGB fliesst. Die Rechtslage ist aber wie erwähnt nicht klar, wenn die Anwendung einer Norm einen Ermessens- oder Billigkeitsentscheid des Gerichts mit wertender Berücksichtigung der gesamten Umstände erfordert (Urteil des Bundesgerichts 4A_688/2014 vom 15. April 2015 E. 3.1 m.w.H.). Ist ein Vertrag auslegungsbedürftig, so hat der Richter auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückzugreifen und die Interessen der Parteien zu berücksichtigen und damit letztlich sein Ermessen auszuüben, wofür im Verfahren nach Art. 257 ZPO aber kein Raum besteht (E. 1 hiervor mit Zitathinweisen). Da im vorliegenden Fall mithin die Willenserklärungen der Parteien nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt werden müssen, kann der Rechtsschutz für klare Fälle im summarischen Verfahren nicht gewährt werden (ZR 2012 Nr. 65 E. 3).

(...)

Obergericht, II. Zivilabteilung, 4. März 2016

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