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§ 6 EG KVG; § 7 EG KVG; Art. 2 Abs. 2 KVAG; aArt. 12 Abs. 2 KVG
Art. 16 ATSG; Art. 28a Abs. 2 und 3 IVG

Art. 9 Abs. 2 UVV

Regeste:

Art. 9 Abs. 2 UVV (Stand: 31.12.2016) – unfallähnliche Körperschädigung. Die Voraussetzung des äusseren Ereignisses bei einer unfallähnlichen Körperschädigung verlangt ein Geschehen, dem ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt (Erw. 3.1.2). Dem Joggen, verbunden mit Schwedenschritten und insbesondere mit dem zusammenhängenden Treppenspringen, wobei abwechslungsweise eine Stufe auszulassen ist, ist ein gesteigertes Gefährdungspotential zuzuerkennen. Es ist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Sprungtechnik beim Squat-Jump zu verweisen. Pflicht des Unfallversicherers zur sorgfältigen Abklärung des Sachverhalts im Sinne von 43 Abs. 1 ATSG, ansonsten die erst mit der Einsprache erfolgte Präzisierung der Aussage des Versicherten nicht unter Verweis auf die Beweisregel der so genannten spontanen Aussagen der ersten Stunde übergangen werden kann (Erw. 6.1.2).

Aus dem Sachverhalt:

Der Versicherte A., Jahrgang 1970, Wirtschaftsprüfer in der Treuhand- und Revisionsgesellschaft B. und über diese bei der C. AG obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert, verspürte gemäss Bagatell-Unfallmeldung vom 28. Oktober 2015 am 10. Oktober 2015 beim Joggen mit integrierten Kraftübungen für die Beine einen heftigen Schmerz im rechten Knie. Während der erstbehandelnde Arzt Dr. D. eine unklare posterolaterale Knieaffektion, differenzialdiagnostisch eine Meniskusläsion oder eine chondrale Läsion festhielt, zeigte das MRI vom 19. Januar 2016 einen radiären Riss im Hinterhorn des Meniskus medialis, angrenzend an die interkondyläre Meniskuswurzel. Zudem bestanden eine diskrete mukoide Degeneration in der pars intermedia, eine mitteltiefe Knorpelfissur retropatellar medial sowie ein minimaler Gelenkerguss. Nach den Angaben des Versicherten seien erste Schmerzen im Sommer 2015 beim Joggen aufgetreten, das Velofahren sei aber immer problemlos gewesen. Ab dem 10. Oktober 2015 seien wieder akute Knieschmerzen aufgetreten. Dem Versicherer bekannt ist sodann, dass bereits 1990 eine Arthroskopie beider Knie stattfand und nebst einer AC-Gelenksdistorsion 2012 rechts sind offenbar multiple frühere Knieverletzungen beidseits beim Eishockey erstellt. Vor diesem Hintergrund verneinte die C. AG am 5. Februar 2016 das Vorliegen eines Unfalls nach Art. 4 ATSG wie auch das Vorliegen einer unfallähnlichen Körperschädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV. Die am 9. Februar 2016 dagegen erhobene Einsprache – mit dem Hinweis darauf, dass eine Listendiagnose nach Art. 9 Abs. 2 UVV vorliege – wies die C. AG mit Entscheid vom 14. April 2016 vollumfänglich ab.

Aus den Erwägungen:

(...)

3.1.1 Die unfallähnlichen Körperschädigungen müssen sämtliche Unfallbegriffsmerkmale erfüllen mit Ausnahme der ungewöhnlichen äusseren Einwirkung. Besondere Bedeutung kommt der Voraussetzung eines äusseren Ereignisses – allenfalls im Körperinnern – zu. Hat ein solches nicht stattgefunden, und sei es auch nur als Auslöser eines Gesundheitsschadens, liegt eindeutig eine krankheits- oder degenerativ bedingte Gesundheitsschädigung vor. Seit Januar 1998 gelten Körperschädigungen, die von einer Erkrankung oder Degeneration herrühren, explizit als ausgeschlossen. Wie erwähnt ist die Auflistung in Art. 9 Abs. 2 UVV abschliessend, weshalb Erweiterungen durch Analogieschlüsse nicht zulässig sind. Kann eine Schädigung indes nicht eindeutig nachgewiesen werden, so hat der Leistungsansprecher die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Hinsichtlich der Kausalität der körperähnlichen Schädigungen gilt im Übrigen ebenfalls der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Rumo-Jungo/Holzer, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 4. Auflage, Zürich/ Basel/ Genf 2012, S. 80 f.).

3.1.2 Die Voraussetzung des äusseren Ereignisses verlangt im Grundsatz nach einem ausserhalb des Körpers liegenden, objektiv feststellbaren, sinnfälligen, unfallähnlichen Vorfall. Kein unfallähnliches Ereignis liegt vor, wenn der äussere Faktor mit dem (erstmaligen) Auftreten der für eine der in Art. 9 Abs. 2 UVV enthaltenden Gesundheitsschäden typischen Schmerzen gleichgesetzt wird. Sodann ist das Kriterium auch nicht erfüllt, wenn die Schmerzen bei einer blossen Lebensverrichtung auftreten, die die versicherte Person zu beschreiben in der Lage ist. Verlangt ist vielmehr ein Geschehen, dem ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt. Dies ist zu bejahen, wenn die zum einschiessenden Schmerz führende Tätigkeit im Rahmen einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird, wie dies etwa für viele sportliche Betätigungen zutreffen kann. Der äussere Faktor mit erheblichem Schädigungspotential ist sodann auch zu bejahen, wenn die in Frage stehende Lebensverrichtung einer mehr als physiologisch normalen und psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers, insbesondere seiner Gliedmassen, gleichkommt. Wer indes beim Aufstehen, Absitzen, Abliegen, beim Bewegen im Raum oder bei Handreichungen einen einschiessenden Schmerz erleidet, der sich als Symptom einer Listenverletzung erweist, kann sich nicht auf das Vorliegen einer unfallähnlichen Körperschädigung berufen. Allerdings ist das Erfordernis erfüllt bei Änderungen der Körperlage, die nach unfallmedizinischer Erfahrung häufig zu körpereigenen Traumen führen, wie etwa das plötzliche Aufstehen aus der Hocke, die heftige und/oder belastende Bewegung und die durch äussere Einflüsse unkontrollierbare Änderung der Körperlage. Erforderlich und hinreichend für die Bejahung eines äusseren Faktors ist, dass diesem ein gesteigertes Schädigungspotential zukommt, sei es zufolge einer allgemein gesteigerten Gefährdungslage, sei es durch Hinzutreten eines zur Unkontrollierbarkeit der Vornahme der alltäglichen Lebensverrichtung führenden Faktors. Dabei kann der Auslösungsfaktor alltäglich und diskret sein. Es muss sich indessen um ein plötzliches Ereignis handeln wie eine heftige Bewegung oder das plötzliche Aufstehen aus der Hocke. Dabei kommt es beim Begriffsmerkmal der Plötzlichkeit im Rahmen der unfallähnlichen Körperschädigungen weniger auf die Dauer der schädigenden Einwirkung an als vielmehr auf deren Einmaligkeit. Keine unfallähnliche Körperschädigung liegt mithin vor, wenn die Listenverletzung ausschliesslich auf wiederholte, im täglichen Leben laufend auftretende Mikrotraumata zurückzuführen ist, welche eine allmähliche Abnützung bewirken und schliesslich zu einem behandlungsbedürftigen Gesundheitsschaden führen (BGE 129 V 466 Erw. 4.2.2 und Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG] U 159/06 vom 29. August 2006 Erw. 2, mit vielen weiteren Hinweisen).

3.1.3 Nach der Praxis kann die schädigende äussere Einwirkung in einer körpereigenen Bewegung bestehen wie dem plötzlichen Aufstehen aus der Hocke (BGE 116 V 148 Erw. 2c), in einem Fehlschlag beim Fussballspiel (RKUV 1990 Nr. U 112 S. 375 Erw. 3), im Aufheben oder Abstellen von Gewichten von 40 bis 50 kg (BGE 116 V 149 Erw. 4), im Umlagern eines Heizkörpers von über fünf Meter Länge und einem Gewicht von über 100 kg von einem Wagen auf einen Arbeitsbock (BGE 123 V 43, nicht publ. Erw. 3b), im Bruch eines Rückenwirbels zufolge von Kontraktionen bei einem epileptischen Anfall (SVR 1998 UV Nr. 22 S. 81), im Verschieben eines Wäschekorbes mit dem linken Fuss, was zu einer Verdrehung des rechten Knies führt (RKUV 2000 Nr. U 385 S. 267), in einem Sprung von einer Verpackungskiste (RKUV 2001 Nr. U 435 S. 332), im Ausrutschen und Verdrehen des Knies als Folge der Bemühung, balgende Hunde zu trennen (Urteil des EVG U 127/00 vom 27. Juni 2001), im Stolpern, einer unkoordinierten Ausweichbewegung des Beines und daraufhin erfolgtem Anschlagen des linken Knies an einem Anhängerwagen (Urteil U 158/00 vom 27. Juni 2001), im Misstritt beim Volleyball, was zu einem einschiessenden Zwick im Knie führte (Urteil U 92/00 vom 27. Juni 2001), im Sprung von einem Bahngepäckwagen aus der Höhe von 60 cm (Urteil U 266/00 vom 21. September 2001), im Erleiden einer Zerrung der Adduktorenmuskeln während des Fussballtrainings (Urteil U 20/00 vom 10. Dezember 2001), in der Verstauchung eines Knöchels als Folge einer Rotationsbewegung (Urteil U 287/00 vom 22. Februar 2002) oder in einer brüsken Drehbewegung beim Kochen mit einschiessendem Schmerz im Knie (Urteil U 5/02 vom 21. Oktober 2002). Verneint wird der äussere schädigende Faktor bei vermehrter Arbeitsbelastung, die zu kontinuierlicher Zunahme und Verschlechterung der Kniebeschwerden führte (Urteil U 198/00 vom 30. August 2001), bei wiederholten Anstrengungen wie bei Arbeiten mit Hammer oder Bohrer (BGE 123 V 43, nicht publ. Erw. 3b) oder beim Auftreten von Schmerzen nachts bei Drehbewegungen und nach längerem Gehen (Urteil U 458/00 vom 24. Oktober 2001, vgl. für die vorstehend aufgeführten bejahenden und verneinenden Beispiele: BGE 129 V 466 Erw. 4.1).

3.1.4 Weiterer Judikatur, die vorliegend von Belang sein könnte, kann im Wesentlichen das Folgende entnommen werden: In verfahrensrechtlicher Hinsicht ergibt sich aus dem Urteil 8C_ 696/2013 vom 14. November 2013 Erw. 4.3, dass ein Unfallversicherer im Nachgang an umfassende Sachverhaltsabklärungen nicht verpflichtet ist, die versicherte Person zur weitergehenden Substantiierung des gemeldeten Geschehens aufzufordern. Aus den Entscheiden RKUV 2004 U 502 S. 183 sowie U 322/02 vom 7. Oktober 2003 ergibt sich, dass der äussere Faktor im Falle eines regelkonformen Rückwärtspurzelbaums unter Verweis auf ähnlich gelagerte Fälle wie jenem einer regelkonform ausgeführten Rolle vorwärts einer Turnlehrerin oder jenem eines ordentlichen Jiu-Jitsu-Trainings verneint wurde. Im Entscheid 8C_772/2009 vom 7. Mai 2010 Erw. 3.3 führt das Bundesgericht aus, komme es beim Aufstehen aus der Hocke, mit einem Kleinkind im Arm, zu einem starken Schmerz und zu einer Knieblockade, besage dies noch nichts. Das Auftreten von Schmerzen als solches sei nämlich noch kein äusserer schädigender Faktor. Beim Aufstehen aus der Hocke mit einem Kleinkind auf dem Arm handle es sich nämlich um einen gewohnten, mehrmals täglich ausgeübten Bewegungsablauf und somit um eine alltägliche Verrichtung, die üblicherweise im Rahmen einer physiologisch normalen und psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers erfolge und bei welcher grundsätzlich kein besonderes Schädigungspotential vorhanden sei. Es fehle an einer gesteigerten Gefahrenlage wie auch am Hinzutreten eines zur Unkontrollierbarkeit des aus der Hocke Aufstehens führenden Moments. Als solches könne entgegen der Ansicht der Betroffenen auch das Kleinkind auf dem Arm nicht gelten, gehöre doch auch dieses zur alltäglichen Lebensverrichtung und es sei anzunehmen, dass der Bewegungsablauf gerade in Rücksichtnahme auf das Kind besonders kontrolliert ausgeführt werde. Mit dem plötzlichen Aufstehen aus der Hocke gemäss BGE 116 V 145 sei dies jedenfalls nicht vergleichbar. Im Entscheid 8C_454/2013 vom 24. September 2013 Erw. 6.3 wird in Bezug auf die vermutungsweise Nennung möglicher Bewegungen, die für einen Meniskusriss ursächlich hätten sein können, festgestellt, dass die blosse Verdachtsdiagnose einer Verletzung dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nie genüge.

3.1.5 Im Entscheid 8C_295/2015 vom 8. September 2015 hat das Bundesgericht in Erwägung 4 zu einer speziellen Fitness-Übung Stellung bezogen und ausgeführt, die sportliche Aktivität allein als Anlass des für die Verletzung angeblich ursächlichen Bewegungsablaufs genüge nicht für die Bejahung des mit Blick auf den äusseren Faktor praxisgemäss erforderlichen gesteigerten Gefahrenpotenzials (SVR 2014 UV Nr. 30 S. 100, 8C_147/2014 Erw. 3.3). Der Versicherte habe während der Sprünge auf einem Bein aber gleichzeitig mit dem anderen Bein Kniestösse ausgeführt mit dem Ziel, einen Gegner, das heisst seinen Fitnesstrainer, zu treffen, welcher sich mit Handschuhen geschützt habe. Von einem gleichmässigen Bewegungsablauf wie etwa beim Joggen könne damit nicht gesprochen werden (Urteil 8C_118/2008 vom 23. Oktober 2008 Erw. 3.3). Der Fall sei vielmehr zu vergleichen mit der vom Bundesgericht als unfallähnliches Geschehen qualifizierten Partnerübung im Rahmen eines Selbstverteidigungskurses. Das Bundesgericht habe wegen der Kraftanstrengung und den ständigen Belastungswechseln in kurzer Abfolge im Bewegungsablauf als Ganzem eine erhöhte Verletzungsgefahr angenommen (SVR 2014 UV Nr. 30 S. 100, 8C_147/2014 Erw. 3.5). Auch hier sei, ähnlich wie beim Squat-Jumping, von einer Gefahrenlage auszugehen, welche die Annahme eines mitwirkenden äusseren Faktors im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 UVV unterstütze (SVR 2014 UV Nr. 29 S. 97, 8C_40/2014 Erw. 3.1). Das kantonale Gericht habe seinerseits in Betracht gezogen, dass die Übung zum normalen Trainingsprogramm des Versicherten gehört habe. Das Bundesgericht habe jedoch die Annahme der für die Qualifikation als unfallähnliches Geschehen erforderlichen Gefahrenlage auch nicht ausgeschlossen im Fall der Fitness-lnstruktorin, die sich beim Squat-Jump verletzt gehabt habe, obwohl dieser zu ihren alltäglichen, gewohnten Lebensvorrichtungen gezählt habe (SVR 2014 UV Nr. 29 S. 97, 8C_40/2014, Erw. 3.2).

Im Entscheid 8C_40/2014 vom 8. Mai 2014 Erw. 3.1 f. äusserte sich das Bundesgericht erstmals zum so genannten Squat-Jumping. Es hielt dabei fest, der Argumentation, wonach bei einem Squat-Jump kein äusserer Faktor im Sinne eines gesteigerten Gefährdungspotenzials zufolge allgemein gesteigerter Gefahrenlage mitwirke, könne nicht gefolgt werden. Die beim Squat-Jumping angewandte Sprungtechnik berge – bedingt durch die zu unterlassende Ausholbewegung und die fehlende Ausgleichsfunktion mittels Armeinsatzes – die erhebliche Gefahr eines während des Sprunges eintretenden Gleichgewichtsverlustes und damit wiederum eines auch unsauberen Wiederaufsetzens auf dem Boden in sich, was, wenn nicht gar zu Stürzen, so doch zu fehlerhaften Steuerungen einzelner Körperteile, namentlich der Beine, führen könne. Angesichts der dadurch geschaffenen Verletzungsgefahr könne ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial jedenfalls nicht verkannt werden. Entsprechend gelte, dass der von der Beschwerdegegnerin als Fitness-Instruktorin demonstrierte Squat-Jump mit einer Gefahrenlage verbunden gewesen sei, welche die Annahme eines mitwirkenden äusseren Faktors im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 UVV unterstütze. Daran änderte nichts, dass ein Squat-Jump zumindest bei der beruflich als Fitness-Instruktorin tätigen Beschwerdegegnerin zu den alltäglichen, gewohnten Lebensverrichtungen zähle. Eine physiologisch noch im Normalbereich liegende und auch psychologisch beherrschte Beanspruchung werde bei einem Squat-Jump schon aufgrund der zu vermeidenden Zuhilfenahme der Arme zur Haltung des Gleichgewichtes – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – eindeutig überschritten. Von einem lediglich mit grösserem Kraftaufwand verbundenen gleichmässigen Bewegungsablauf könne auch in der besonderen beruflichen Situation der Beschwerdegegnerin nur bei optimalem Gelingen des Sprunges gesprochen werden. Die gleichwohl bestehende Gefahrenlage führe nämlich dazu, dass es – sei es während des Sprunges selbst, sei es erst bei der anschliessenden Landung auf dem Boden – zu Unregelmässigkeiten im Übungsablauf kommen könne, welche leicht auch zu körperlichen Verletzungen führen könnten.

(...)

6. In der Folge gilt es in einem ersten Schritt zu prüfen, ob vorliegend von einem sinnfälligen Ereignis nach Lehre und Praxis ausgegangen werden kann, in einem zweiten Schritt ist dann zu klären, ob die Kausalität der fraglichen Verletzung zum Ereignis rechtsgenüglich erstellt ist oder aber ob von einer klar krankhaften bzw. degenerativen Ursache ausgegangen werden muss.

6.1.

6.1.1 Zur Sachverhaltserhebung in casu ist unter Verweis auf Erwägung 3.4.2 noch einmal daran zu erinnern, dass es rechtsprechungsgemäss jedenfalls dann nicht überzeugt, wenn ein Versicherter den Sachverhalt erst im Einsprache- oder sogar erst im Beschwerdeverfahren ergänzt resp. erst dann wichtige Aspekte erstmals erwähnt, obschon der Unfallversicherer den Sachverhalt vorher vermittels Frageblättern detailliert erhoben und damit seine Verpflichtung zur richtigen und vollständigen Sachverhaltsfeststellung erfüllt hat.

6.1.2 Trotz offensichtlichen Klärungsbedarfs nach Vorliegen lediglich der Bagatellunfallmeldung vom 28. Oktober 2015 – in welcher der Versicherte lediglich vom Joggen, in welches Kraftübungen für die Beine integriert gewesen seien, berichtet hatte – unterliess es der Unfallversicherer vorliegend, die angezeigten Fragen zu Art und Umfang der genannten Kraftübungen für die Beine vermittels Frage- oder Erhebungsblättern bzw. vermittels individueller Nachfrage zu stellen bzw. zu klären. Zog der Unfallversicherer nun aber ohne jede Nachfrage Schlüsse und qualifizierte er das «Joggen mit integrierten Kraftübungen für die Beine» ohne genaue Vorstellung davon, worum es sich bei den integrierten Kraftübungen für die Beine handeln könnte, als gewöhnlichen Bewegungsablauf ohne gesteigerte Gefahrenlage resp. als Lebensverrichtung mit physiologisch normaler und psychologisch beherrschter Beanspruchung des Körpers, so kam er seiner Pflicht zur sorgfältigen Abklärung des Sachverhalts im Sinne von 43 Abs. 1 ATSG nicht in rechtsgenüglicher Weise nach. Vor diesem Hintergrund kann die erst mit der Einsprache erfolgte Präzisierung, bei den integrierten Kraftübungen für die Beine handle es sich um Treppensprünge und Schwedenschritte, nicht einfach unter Verweis auf die Beweisregel der so genannten spontanen Aussagen der ersten Stunde übergangen werden, wenngleich der Beschwerdeführer, der bereits Ende November 2015 von der Absicht, die Leistungspflicht des Versicherers zu verneinen, erfahren hatte, die entsprechenden Präzisierungen bereits früher, als er mit dem Hinweis auf weitere medizinische Abklärungen um den Erlass einer anfechtbaren Verfügung gebeten hatte, hätte nachschieben können. Im Lichte der versicherungsseitig weitgehend unterbliebenen Sachverhaltsabklärungen kann ihm dies jedenfalls nicht zum Nachteil gereichen und die genannten Präzisierungen sind bei der Qualifikation des Geschehensablaufs zu berücksichtigen.

Nach dem Gesagten gilt für das Gericht als nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass der Beschwerdeführer am 10. Oktober 2015, 08.30 Uhr, joggen ging und dass er in sein Jogging-Training auch Kraftübungen für die Beine, konkret beidbeinig vollführte Treppensprünge unter jeweiligem Überspringen jedes zweiten Tritts sowie Schwedenschritte, integrierte bzw. dass er während dieser Kraftübungen heftig einschiessende Schmerzen im rechten Knie verspürte.

Zur Frage, ob dem Joggen mit integrierten Kraftübungen für die Beine, mit Treppensprüngen und Schwedenschritten, die nach Lehre und Praxis gebotene Sinnfälligkeit zukommt, ist auf die unter Erwägung 3.1.3 ff., insbesondere unter Erwägung 3.1.5 wiedergegebene Judikatur zu verweisen. Nachdem das Bundesgericht im Entscheid 8C_40/2014 zur Sprungtechnik beim Squat-Jump ausführte, Sprünge ohne Ausholbewegung und ohne ausgleichenden Armeinsatz würden erhebliche Gefahren für den Gleichgewichtsverlust, für unsauberes Auftreten und für Stürze beinhalten und angesichts dieser so geschaffenen Verletzungsgefahr könne ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotential nicht verneint werden, selbst für eine professionelle Fitness-Trainerin nicht, nachdem das Bundesgericht Squat-Sprüngen somit die geforderte Sinnfälligkeit zuerkannte, qualifizierte es im Entscheid 8C_295/2015 – wo es um die Einschätzung von Fitnessübungen ging, bei welchen der Betroffene jeweils auf einem Bein hüpfte und mit dem Knie des andern Beins gegen einen gepolsterten Handschuh seines Trainers schlug – auch das einbeinige Hüpfen verbunden mit Kniestössen des anderen Beines gegen eine Polsterung als äusseren Faktor, zumal das Ganze auch mit der bereits früher als sinnfällig qualifizierten Partnerübung im Rahmen eines Selbstverteidigungskurses vergleichbar sei. Ergänzend hielt das Bundesgericht fest, wie beim Squat-Jumping sei auch bei dieser Übung von einer gesteigerten Gefahrenlage auszugehen. Im Lichte dieser Rechtsprechung ist nach Ansicht des Zuger Gerichts auch dem hier zu beurteilenden Joggen, verbunden mit Schwedenschritten und insbesondere mit dem zusammenhängenden Treppenspringen, wobei abwechslungsweise eine Stufe auszulassen ist – was die Kraftanstrengung erhöht und die Gefahr von Fehltritten gesteigert erscheinen lässt –, ein gesteigertes Gefährdungspotential zuzuerkennen bzw. die Übung als mit den obig umschriebenen Fitnessübungen vergleichbar zu qualifizieren ist. Springt jemand beidbeinig eine Treppe hoch und überspringt er jede zweite Stufe, ist dies mit variierendem Krafteinsatz, damit aber auch mit erhöhtem Kraftaufwand verbunden und birgt, wie angesprochen, die Gefahr von Misstritten, was eindeutig für das Vorliegen der geforderten gesteigerten Gefahrenlage spricht. Nach dem Gesagten ist im geschilderten Sachverhalt ein äusserer Faktor im Sinne von Gesetz, Verordnung, Lehre und Praxis zu sehen.

6.2

6.2.1 Nachdem insbesondere der Hausarzt, Dr. D., zweimal darauf hinwies, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Knie eine gewisse Vorgeschichte aufweise, dass frühere Knieverletzungen aktenkundig seien und dass der Beschwerdeführer erste Beschwerden beim Joggen bereits für Sommer 2015 beklagt habe, stellt sich die Frage, ob die mit MRI vom 19. Januar 2016 sowie intraoperativ erkannten und diagnostizierten Verletzungen, insbesondere der Meniskusriss und die Läsion des anteromedialen Bündels des vorderen Kreuzbandes, auch als überwiegend wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem fraglichen Ereignis bzw. als dessen Folge gelten können. Diesbezüglich ist zum einen zu bedenken, dass sich aus den beiden genannten Berichten von Dr. D. nicht klar ergibt, ob dieser die ab Sommer beklagten und nach dem 10. Oktober 2015 – nach dem fraglichen Ereignis – festgehaltenen Schmerzen in einem Zusammenhang sieht oder nicht. Soweit der Beschwerdeführer seinerseits moniert, die im Sommer beklagten Beschwerden hätten sich von der Hüfte abwärts aussenseitig bis zur Wade erstreckt und seien nicht vergleichbar mit den ab Oktober aufgetretenen Schmerzen, welche sich auf die Innenseite des Knies konzentriert hätten, kann diesen Angaben kein besonderes Gewicht zuerkannt werden. Die Frage ist folglich ausschliesslich unter Zuhilfenahme der medizinischen Berichte, insbesondere der Berichte des Facharztes, zu klären.

6.2.2 In medizinischer Hinsicht ist vorab festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin es offensichtlich unterliess, die Akten einem Vertrauensarzt vorzulegen. Die Behauptung, die erlittenen Verletzungen stünden nicht in einer natürlichen und adäquaten Kausalität zum fraglichen Ereignis basiert mithin nicht auf medizinischen Überlegungen, sondern ist als Schlussfolgerung aus der Verneinung der Sinnfälligkeit des geschilderten Geschehnisablaufs zu verstehen. Die entsprechende Feststellung entbehrt mithin einer ausreichenden Grundlage bzw. einer rechtsgenüglichen Begründung. Demgegenüber basieren die Beurteilungen der Dres. D. und insbesondere E., wonach vor allem die intraoperativ zusätzlich zur Meniskusläsion festgestellten Verletzungen, die Teilruptur des anteromedialen Bündels des vorderen Kreuzbandes und die Zerreissung der Plica infrapatellaris auf eine erhebliche, schwerere Verletzung, gleichzeitig aber auch auf ein alleiniges Ereignis hindeuteten, auf medizinischen Erfahrungen, besonders auf der Erfahrung des routinierten orthopädischen Chirurgen Dr. E. Kann der Operateur in casu aufgrund seines Erfahrungsschatzes festhalten, dass ein solches Verletzungsbild klar auf ein singuläres Ereignis, nicht aber auf Degeneration hindeutet, verwendet er in diesen Zusammenhang den nicht juristischen Terminus «höchstwahrscheinlich», genügt dies nach Ansicht des Gerichts dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit und bezeichnet nicht nur eine blosse Möglichkeit. Dass Hausarzt Dr. D., kein Facharzt für Orthopädie und/oder orthopädische Chirurgie, mit seinem Hinweis auf frühere Knieschädigungen den Verdacht auf eine degenerative Ursache schürte und mit der Verwendung des Wortes «wahrscheinlich» ebenfalls lediglich auf eine mögliche Ursache hinwies, entwertet die fachärztliche Einschätzung schliesslich in keiner Weise.

6.3 Nach dem Gesagten gilt als nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass dem Ereignis vom 10. Oktober 2015 die geforderte Sinnfälligkeit zukommt bzw. dass dieses einen äusseren Faktor im Sinne von Lehre und Praxis darstellt, überdies dass das Ereignis zu den diagnostizierten Verletzungen, von welchen jedenfalls der Meniskusriss und die Teilruptur des vorderen Kreuzbandes als Listenverletzungen nach Art. 9 Abs. 2 UVV gelten, in einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang steht. Bei dieser Beurteilung der Sachlage erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob der am 1. Januar 2017 in Kraft tretende neue Art. 6 Abs. 2 UVG im Sinne einer Vorwirkung überhaupt beachtet werden dürfte oder nicht.

7. Entsprechend erweist sich die Beschwerde als begründet und sie ist insoweit gutzuheissen, als die Verfügung vom 5. Februar 2016 und der Einspracheentscheid vom 14. April 2016 aufzuheben sind und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten ist, dem Beschwerdeführer für die Folgen des Ereignisses vom 10. Oktober 2015 Leistungen gemäss UVG auszurichten.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. November 2016, S 2016 62
Das Urteil war bei Erscheinen der GVP noch nicht rechtskräftig.

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