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Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG, Übergangsrecht

Regeste:

Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG, Übergangsrecht – Ob das alte Recht mit Mehrwertsteuerprivileg oder das neue Recht ohne Mehrwertsteuerprivileg anwendbar ist, hängt davon ab, wann das Gesuch um Nachlassstundung eingereicht wurde. Der Zeitpunkt der Kollokation ist nicht massgebend.

Aus den Erwägungen:

2. Art. 219 SchKG regelt die Rangordnung der Gläubiger im Konkurs. Die Bestimmung ist über Art. 321 Abs. 2 SchKG auch im Nachlassverfahren anwendbar, in dem ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung zustande kommt. In seiner früheren Fassung enthielt Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse SchKG einen Buchstaben e, wonach zur zweiten Klasse auch die «Steuerforderungen aus dem Mehrwertsteuergesetz vom 12. Juni 2009 mit Ausnahme der Forderungen aus Leistungen, die von Gesetzes wegen oder aufgrund behördlicher Anordnung erfolgen», gehörten. Diese Bestimmung trat mit dem Mehrwertsteuergesetz vom 12. Juni 2009 am 1. Januar 2010 in Kraft (AS 2009 5255 und 5257). Mit der Änderung des SchKG vom 21. Juni 2013 (neues Sanierungsrecht), in Kraft seit 1. Januar 2014, wurde die Bestimmung wieder aufgehoben (AS 2013 4113 und 4123). Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG und damit die Rangordnung mit dem Zweitklass-Privileg für Mehrwertsteuerforderungen hatte somit nur vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2013 Geltung.

3. Die Parteien streiten darüber, ob im vorliegenden Fall Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse SchKG in seiner neuen Fassung ohne Mehrwertsteuerprivileg (Version der Klägerinnen) oder in seiner früheren Fassung mit Mehrwertsteuerprivileg (Version der Beklagten) anwendbar ist. Einig sind sie sich darin, dass die fraglichen Mehrwertsteuerforderungen zu einem Zeitpunkt entstanden, als noch die frühere Fassung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse SchKG in Kraft war. Unumstritten ist zudem, dass auch das Gesuch um Nachlassstundung und die Genehmigung des Nachlassvertrags noch unter Geltung der alten Privilegienordnung erfolgten, während der Kollokationsplan erst nach dem Inkrafttreten der neuen Privilegienordnung aufgelegt wurde (vgl. auch act. 1/2 und act. 1/11). Nach Darstellung der Klägerinnen sind alle Mehrwertsteuerforderungen, die nach dem 1. Januar 2014 kolloziert werden, in die dritte Klasse zu verweisen (act. 1 Ziff. 55, 70; act. 24 Ziff. 48; act. 30 Ziff. 44). Die Beklagte stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, massgeblicher Zeitpunkt, welche Privilegienordnung zur Anwendung gelange, sei das Eröffnungsdatum des Nachlassverfahrens. Indem das vorliegende Nachlassverfahren noch unter der früheren Fassung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse SchKG eröffnet worden sei, sei die frühere Rangordnung mit Mehrwertsteuerprivileg anwendbar (act. 18 S. 9 ff.; act. 27 S. 6 ff., act. 34 S. 2 ff.). Hier zu entscheiden ist demnach die übergangsrechtliche Frage, ob der Zeitpunkt der Eröffnung des Nachlassverfahrens oder jener der Kollokation dafür massgeblich ist, ob Mehrwertsteuerforderungen nach der alten oder neuen Privilegienordnung zu kollozieren sind.

4. Die Änderung des SchKG vom 21. Juni 2013 (neues Sanierungsrecht) enthält eine Übergangsbestimmung, die auch die Frage regelt, bis zu welchem Zeitpunkt Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG noch anwendbar ist. Diese Bestimmung steht unter der Überschrift «Übergangsbestimmung zur Änderung vom 21. Juni 2013» und hat folgenden Wortlaut (AS 2013 4122):

«Wurde das Gesuch um Nachlassstundung vor dem Inkrafttreten der Änderung vom 21. Juni 2013 eingereicht, so gilt für das Nachlassverfahren das bisherige Recht.»

Demnach ist in der Frage, welche Privilegienordnung in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist, das Datum des Gesuchs um Nachlassstundung entscheidend. In Nachlassverfahren, die vor dem 1. Januar 2014 eröffnet wurden, gilt die altrechtliche Privilegienordnung, mit der Folge, dass Mehrwertsteuerforderungen in der zweiten Klasse zu kollozieren sind. Wann der Kollokationsplan aufgelegt wird, ist dabei unerheblich. In Nachlassverfahren, die nach dem 1. Januar 2014 eröffnet werden, gilt demgegenüber die neue Rangordnung, also jene ohne Mehrwertsteuerprivileg. In solchen Nachlassverfahren sind Mehrwertsteuerforderungen in der dritten Klasse zu kollozieren (Gasser, Neues Nachlassverfahren – praktische Konsequenzen für die Betreibungs- und Konkursämter, in: BlSchK 2014 S. 8 f.). Im vorliegenden Fall ist folglich, nachdem das Gesuch um Nachlassstundung vor dem 1. Januar 2014 eingereicht wurde, die frühere Rangordnung anwendbar, also jene mit Mehrwertsteuerprivileg.

5. Nach Ansicht der Klägerinnen ist die zitierte Übergangsbestimmung vorliegend nicht einschlägig. Sie berufen sich dabei auf einen in der Zeitschrift «Jusletter» vom 23. Juni 2014 publizierten Aufsatz von Jean-Daniel Schmid. Laut diesem Autor fehlt eine Übergangsbestimmung, die die zeitliche Geltung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG regeln würde. Die Übergangsbestimmung zur Änderung vom 21. Juni 2013 betreffe nur «das Nachlassverfahren an und für sich». Frühere Änderungen der Privilegienordnung gemäss Art. 219 SchKG hätten jeweils eine explizite Übergangsbestimmung vorgesehen, die die Fortdauer von Privilegien über den Zeitpunkt ihrer formellen Abschaffung hinaus statuiert hätten. Da in Bezug auf das Mehrwertsteuerprivileg eine solche Übergangsbestimmung fehle, sei davon auszugehen, dass das Mehrwertsteuerprivileg unmittelbar mit seiner formellen Aufhebung per 1. Januar 2014 dahinfallen solle. Ausserdem sei die insolvenzrechtliche Privilegierung fiskalischer Interessen in der Sache verfehlt und darum möglichst rasch nicht mehr anzuwenden. Im Ergebnis müsse bei der Frage, ab wann das Mehrwertsteuerprivileg nicht mehr zur Anwendung gelange, auf einen späteren Verfahrensschritt als die Eröffnung des Nachlassverfahrens abgestellt werden. Als sachgerechter Anknüpfungspunkt dränge sich dabei das Datum der Kollokation auf. Erfolge die Kollokation erst nach dem 1. Januar 2014, sei die neue Rangordnung ohne Mehrwertsteuerprivileg anwendbar, und zwar auch dann, wenn das Insolvenzverfahren noch vor dem 1. Januar 2014 eröffnet worden sei (Schmid, Bis wann wird die Mehrwertsteuer in der Insolvenz noch bevorzugt?, in: Jusletter vom 23. Juni 2014 Rz 9 ff.). Diese Argumentation, die die Klägerinnen in ihre Rechtsschriften übernehmen, überzeugt nicht.

5.1 Nach ihrem Wortlaut regelt die Übergangsbestimmung zur Änderung vom 21. Juni 2013 die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt «für das Nachlassverfahren» noch das bisherige Recht gilt. Gleichermassen knüpfen die romanischsprachigen Gesetzesfassungen an der «procédure concordataire» (RO 2013 4121) bzw. der «procedura concordataria» (RU 2013 4121) an, ohne erkennen zu lassen, dass damit nur ausgewählte Aspekte des Nachlassverfahrens gemeint wären. In sprachlich-grammatikalischer Hinsicht ist die Übergangsbestimmung demnach auf sämtliche Änderungen anwendbar, die die Gesetzesnovelle vom 21. Juni 2013 für das im elften Titel des SchKG (Art. 293–336) normierte Nachlassverfahren mit sich brachte. Zu diesen Änderungen des Nachlassverfahrens gehört auch die Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG. Die Vorschrift des Art. 219 SchKG ist zwar formal im sechsten Titel «Konkursrecht» (Art. 197–220) eingeordnet, mittels der Verweisungen in Art. 321 Abs. 2 und Art. 247 Abs. 1 SchKG wird sie jedoch in den elften Titel über das Nachlassverfahren importiert. Indem die Übergangsbestimmung vom «Nachlassverfahren» spricht, erfasst sie insoweit auch die Regelung in Art. 219 SchKG. Dass die Kollokation gemäss Art. 219 SchKG Teil des Nachlassverfahrens ist und darum vom Wortlaut her in den Anwendungsbereich der Übergangsbestimmung fällt, ergibt sich zudem daraus, dass beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung die Kollokation gemäss Art. 219 SchKG zu den gewöhnlichen Verfahrensschritten gehört (vgl. Art. 321 SchKG). Die These, die Übergangsbestimmung zur Änderung des SchKG vom 21. Juni 2013 erfasse nicht auch die Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG, lässt sich folglich bereits im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut nicht halten.

5.2 Was die systematische Interpretation angeht, ist festzuhalten, dass die zitierte Übergangsbestimmung in der Gesetzesnovelle vom 21. Juni 2013 am Ende von Ziffer I steht, unter der die einzelnen Änderungen des SchKG, darunter die Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG, aufgeführt sind. Die systematische Stellung der Übergangsbestimmung spricht somit ebenfalls dafür, dass diese auch die Frage regelt, bis zu welchem Zeitpunkt die frühere Rangordnung mit Mehrwertsteuerprivileg anwendbar sein soll. Diese Interpretation entspricht auch der Überschrift der Übergangsbestimmung, die sich auf die «Änderung vom 21. Juni 2013» insgesamt und damit auch auf die Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG bezieht. Folglich kann aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber gleichzeitig auf eine Übergangsbestimmung verzichtete, die speziell die Geltungsdauer von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG regeln würde, nicht auf eine Gesetzeslücke geschlossen werden. Frühere Revisionen des SchKG, die zu Änderungen von Art. 219 SchKG führten, sahen zwar zuweilen eine besondere Übergangsbestimmung vor, die zur Abgrenzung zwischen bisherigem und neuem Recht an der Konkurseröffnung, dem Pfändungsvollzug oder der Bewilligung der Nachlassstundung anknüpften (vgl. Art. 2 Abs. 3 der Schlussbestimmungen zur Änderung vom 16. Dezember 1994 [AS 1995 1227]; Schlussbestimmung zur Änderung vom 24. März 2000 [AS 2000 2532]; Schlussbestimmung zur Änderung vom 19. Dezember 2003 [AS 2004 4031]; Schlussbestimmung zur Änderung vom 18. Juni 2010 [AS 2010 4922]). Dies ändert indessen nichts daran, dass die hier zur Diskussion stehende Übergangsbestimmung zur Änderung vom 21. Juni 2013 generell gefasst und insoweit eben lückenlos ist.

5.3 Auch in der Entstehungsgeschichte finden sich keine Hinweise dafür, dass die erwähnte Übergangsbestimmung nicht auch die Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG erfassen sollte. Wie die Materialien zeigen, war man sich im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten zum neuen Sanierungsrecht einig, dass das kaum eingeführte Zweitklass-Privileg für Mehrwertsteuerforderungen dem Revisionsziel, Sanierungen möglichst zu erleichtern, zuwiderläuft und deshalb umgehend wieder beseitigt werden muss. Bereits der Bundesrat sah in seinem Gesetzesentwurf vom 8. September 2010 die Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG vor (BBl 2010 6509). In diesem Entwurf fand sich auch schon die allgemeine Übergangsbestimmung, die schliesslich Gesetz wurde (BBl 2010 6518), wobei der Bundesrat in seiner Botschaft nicht erläuterte, wie diese zu verstehen wäre. In den parlamentarischen Beratungen sodann liess sich Bundesrätin Sommaruga dahin vernehmen, dass das Mehrwertsteuerprivileg «schnellstmöglich» zu beseitigen sei (AB 2011 N 1818). Dies sagte sie allerdings noch in der Eintretensdebatte, um die Dringlichkeit des neuen Sanierungsrechts insgesamt zu betonen, weshalb sich aus der Äusserung keine Rückschlüsse auf Sinn und Zweck der Übergangsbestimmung ziehen lassen. Auch soweit einzelne Parlamentarier in ihren Voten das Mehrwertsteuerprivileg aufgriffen, verwiesen sie jeweils nur allgemein auf die Notwendigkeit, dieses wieder aufzuheben, ohne zur Frage des Übergangsrechts Stellung zu beziehen (vgl. die Voten von NR Schwander [AB 2011 N 1702], SR Bischof [AB 2012 S. 351], NR Vogler [AB 2013 N 597] und NR Leutenegger-Oberholzer [AB 2013 N 600]). Letztlich nahmen National- und Ständerat die Streichung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG (AB 2012 S. 353; AB 2013 N 604) wie auch die Übergangsbestimmung (AB 2011 S. 355; AB 2011 N 618) diskussionslos so an, wie der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Die Materialien belegen demnach, dass die Abschaffung des kaum eingeführten Mehrwertsteuerprivilegs politisch unumstritten war; dass übergangsrechtlich nicht die Einreichung des Gesuchs um Nachlassstundung massgebend sein sollte, wie von Wortlaut und Systematik der Übergangsbestimmung vorgesehen, lässt sich ihnen nicht entnehmen.

5.4 Nach der Übergangsbestimmung zur Änderung vom 21. Juni 2013 wird ein bereits eröffnetes Nachlassverfahren noch nach altem Recht zu Ende geführt. Die Regel dient einerseits dem geordneten Verfahrensablauf und der Prozessökonomie. Andererseits trägt sie dem Interesse der Verfahrensbeteiligten Rechnung, dass die Spielregeln nicht sozusagen während des Spiels ändern (vgl. Schwander, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2. A. 2016, Art. 404 ZPO N 20). Diese Anliegen haben auch im Zusammenhang mit der Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG ihre Berechtigung. Die Frage, welche Forderungen privilegiert sind, ist nämlich nicht erst im Rahmen der Kollokation gemäss Art. 321 SchKG, sondern bereits im Zustimmungsverfahren relevant, weil gemäss Art. 305 Abs. 2 SchKG Gläubiger mit privilegierten Forderungen nicht stimmberechtigt sind. Wäre der übergangsrechtliche Grundsatz einschlägig, wonach neue Verfahrensvorschriften sofort und uneingeschränkt anzuwenden sind (BGE 115 II 97 E. 2c; vgl. auch BGE 129 III 80 E. 1), könnte es – so im vorliegenden Fall – dazu kommen, dass der Bund im Zustimmungsverfahren noch den Status eines privilegierten Gläubigers inne und darum kein Stimmrecht hätte, ehe er in der Kollokation bloss in der dritten Klasse zugelassen würde. Der Bund als ein Gläubiger des Gemeinschuldners würde auf diese Weise seines Stimmrechts beraubt, ohne voll befriedigt zu werden. Ein solches Ergebnis wäre mit dem Zweckgedanken von Art. 305 Abs. 2 SchKG nicht vereinbar (vgl. Hardmeier, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar SchKG, 2. A. 2010, Art. 305 SchKG N 26). Um dem Bund sein Stimmrecht zu gewähren, müsste das Zustimmungsverfahren mit neu berechnetem Quorum wiederholt werden, was wiederum gegen prozessökonomische Interessen wie auch gegen den Grundsatz der Nichtrückwirkung (Art. 1 Abs. 1 SchlT ZGB) verstossen würde (vgl. auch Schmid, a.a.O., Fn 50 a.E.). Solche Konflikte lassen sich vermeiden, wenn ein einmal eröffnetes Nachlassverfahren bis zum Schluss der Liquidation nach bisherigem Recht abgewickelt wird. Die übergangsrechtliche Lösung, wie sie die Änderung vom 21. Juni 2013 vorsieht, ist daher sachgerecht auch in Bezug auf die Frage, bis wann Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG noch Anwendung findet. Sie stimmt im Übrigen auch mit dem vom Bundesgericht festgehaltenen Grundsatz überein, wonach die Privilegien im Nachlassverfahren so zu berücksichtigen sind, wie sie bei Eröffnung des Nachlassverfahrens bestanden haben (BGE 125 III 154 E. 3b; 76 I 282 E. 2).

5.5 Zweifelsohne zeitigt das Mehrwertsteuerprivileg negative Auswirkungen auf die Sanierungsfähigkeit eines Gemeinschuldners. Denn die gerichtliche Bestätigung des Nachlassvertrags setzt unter anderem voraus, dass die angemeldeten privilegierten Forderungen hinreichend sichergestellt sind (Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2 aSchKG bzw. Art. 306 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG). Müssen auch Mehrwertsteuerforderungen sichergestellt werden, sind die Chancen für eine erfolgreiche Sanierung entsprechend geringer. Ausserdem benachteiligt das Mehrwertsteuerprivileg Drittklassgläubiger, weil es das Vermögen des Gemeinschuldners im betreffenden Umfang abschöpft (vgl. Hunkeler, Konkursrechtliche Privilegierung der Mehrwertsteuer, in: Jusletter vom 26. Oktober 2009). Der Gesetzgeber hat diese Auswirkungen erkannt und darum Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG im Rahmen der Revision des Sanierungsrechts wieder aufgehoben (E. 5.3). Dies allein genügt indessen nicht, um der gleichzeitig erlassenen Übergangsbestimmung die Anwendung zu versagen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Abweichung vom Wortlaut nur dann zulässig, wenn triftige Gründe vorliegen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt (BGE 140 V 213 E. 4.1; vgl. im Zusammenhang mit Art. 219 SchKG auch BGE 127 III 470 E. 3b). Was die Systematik, die Entstehungsgeschichte und den Zweck der Übergangsbestimmung angeht, sind – wie ausgeführt (E. 5.2–5.4) – keine solchen Gründe ersichtlich. Inwiefern ein Fiskalprivileg gerechtfertigt ist, ist im Kern eine politische Frage, die je nach Blickwinkel unterschiedlich beantwortet werden kann. Dass der Gesetzgeber die Sanierungsfähigkeit des Gemeinschuldners sowie die Interessen der Drittklassgläubiger nunmehr wieder höher gewichtet als das Interesse des Fiskus an einer Privilegierung, bedeutet nicht automatisch, dass der Wortlaut der Übergangsbestimmung nicht deren wirklichen Sinn widergäbe oder dass eine wortgetreue Auslegung zu einem stossenden Ergebnis führte, zumal das Mehrwertsteuerprivileg ebenfalls in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurde und während immerhin vier Jahren Gesetzeskraft hatte. Eine teleologische Reduktion in dem Sinn, dass die Übergangsbestimmung auf die Aufhebung von Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG nicht anzuwenden und stattdessen auf eine Übergangsregel zurückzugreifen wäre, die eine baldmögliche Anwendung des neuen Rechts erlauben würde, rechtfertigt sich unter diesen Umständen nicht.

6. Die Übergangsbestimmung zur Änderung des SchKG vom 21. Juni 2013 regelt demnach auch die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt im Nachlassverfahren das Privileg für Mehrwertsteuerforderungen gemäss Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse lit. e aSchKG anwendbar ist. Es liegt mit anderen Worten keine Gesetzeslücke vor, die auf dem Weg des Gewohnheits- oder Richterrechts zu schliessen wäre (vgl. Art. 1 ZGB). Entscheidend ist, wann das Gesuch um Nachlassstundung eingereicht wurde; der Zeitpunkt der Kollokation hat keine Bedeutung. Nachdem im vorliegenden Fall das Gesuch um Nachlassstundung noch vor dem 1. Januar 2014 eingereicht wurde, ist Art. 219 Abs. 4 Zweite Klasse SchKG in seiner früheren Fassung mit Mehrwertsteuerprivileg anwendbar. Die Liquidatoren kollozierten die Mehrwertsteuerforderungen der Beklagten von CHF 23'050'258.93 und CHF 1'687'733.83 zu Recht im zweiten Rang. Die Klage ist entsprechend abzuweisen. Ob gleich zu entscheiden wäre, wenn die X. nicht im Nachlass-, sondern im Konkursverfahren liquidiert würde, kann hier im Übrigen offen bleiben.

Urteil des Kantonsgerichts Zug A2 2016 23 vom 11. Juli 2017 (noch nicht rechtskräftig)

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