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§ 37 Abs. 2 BO Stadt Zug, § 19 Abs. 1 V PBG

Regeste:

§ 37 Abs. 2 BO Stadt Zug – Eine Erhöhung der zulässigen Ausnützungsziffer durch Kumulation von Ausnützungszuschlägen und Ausnützungsübertragungen ist zulässig. Die gemäss Bauordnung zulässigen Zuschläge haben jedoch auf der Basis der zonenmässigen Grund-Ausnützungsziffer und nicht auf der durch einen Zuschlag bereits erhöhten Ausnützungsziffer zu erfolgen (Erw. 5g).

§ 19 Abs. 1 V PBG – Im vorliegenden Fall fehlt eine genügend enge nachbarschaftliche Beziehung für die beabsichtigte Nutzungsübertragung von einem Grundstück auf das andere (Erw. 5l).

Aus dem Sachverhalt:

Auf dem Grundstück Nr. 1639 am Mülimattweg in Oberwil will X. eine Arealbebauung mit fünf Mehrfamilienhäusern, Sonnenkollektoren auf den Dächern, einem Gemeinschaftsraum im Haus 14, einer Autoeinstellhalle mit 89 Autoeinstellplätzen und sieben oberirdischen Autoabstellplätzen erstellen. In den Häusern 8/10 und 12/14 sollen 36 preisgünstige Mietwohnungen und in den drei Häusern 16, 18 und 20 24 Eigentumswohnungen realisiert werden. Der zu überbauende Teil des Grundstücks liegt in der Wohnzone 3 (W3) und in der Zone für preisgünstigen Wohnbau gemäss § 37 der Bauordnung der Stadt Zug vom 7. April 2009 (BO). Nach Einreichung des Baugesuchs am 21. September 2015 und der öffentlichen Auflage bis und mit 14. Oktober 2015 gingen innert Frist sechs Einsprachen gegen das Bauvorhaben ein. Am 29. März 2016 erteilte der Stadtrat Zug die Baubewilligung unter Bedingungen und Auflagen und wies die sechs Einsprachen ab.

Gegen die Baubewilligung reichten A. und B. am 4. Mai 2016 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein und beantragten die Aufhebung der Baubewilligung. Der Stadtrat von Zug und die Bauherrschaft beantragten die Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

(...)

5. Ausnützungsziffer

(...)

g) Die Beschwerdeführer vertreten die Auffassung, es sei unzulässig, wie der Baugesuchsteller versuche, mit kumulierten Ausnützungsübertragungen und Ausnützungszuschlägen die zulässige Ausnützungsziffer zu erhöhen. Hierzu ist auszuführen, dass die Bauordnung der Stadt Zug und die kantonale Gesetzgebung sowohl die Ausnützungsübertragung als auch Erhöhungen der zonengemässen Ausnützung zulassen und diese grundsätzlich kumuliert werden dürfen bzw. sie sich nicht gegenseitig ausschliessen. Wie unter Erwägung 4 ausgeführt, erfüllt das Bauprojekt die Anforderungen der Bauordnung der Stadt Zug an eine Arealbebauung, weshalb gestützt auf § 32 Abs. 1 lit. b BO die Ausnützung um bis zu 20 % erhöht werden kann. Da in der vorliegenden Arealbebauung mehr als 50 % der anzurechnenden Geschossfläche für den preisgünstigen Wohnungsbau reserviert ist (§ 37 Abs. 1 BO), wird auf den Anteil des preisgünstigen Wohnungsbaus ein Ausnützungszuschlag von 10 % gewährt, wobei dieser Ausnützungszuschlag zusätzlich zu den Abweichungen gemäss § 32 Abs. 1 gewährt wird (§ 37 Abs. 2 BO).

Zu hinterfragen ist allerdings die Art und Weise, wie der Stadtrat die Kumulation vornimmt. Er erhöht die für die Wohnzone 3 geltende Ausnützungsziffer von 0.65 wegen der Arealbauweise um 20 %, woraus eine Ausnützungsziffer von 0.78 resultiert. Für den Anteil preisgünstigen Wohnungsbau schlägt er den zusätzlichen Ausnützungszuschlag von 10 % jedoch nicht zur Grundausnützungsziffer von 0.65, sondern zur bereits durch die Arealbauweise erhöhten Ausnützungsziffer von 0.78. Das ist nicht korrekt. § 37 Abs. 2 Satz 2 BO sieht vor, dass der Ausnützungszuschlag für den preisgünstigen Wohnungsbau zusätzlich zu den Abweichungen gemäss § 32 Abs. 1 gewährt wird. Dieser Wortlaut lässt zwar einen gewissen Interpretationsspielraum offen. Nach Ansicht des Gerichts ist die Bestimmung jedoch eng auszulegen. § 37 Abs. 2 Satz 2 BO bedeutet lediglich, dass die Vorteile, die § 32 Abs. 1 BO gewährt (Ausdehnung der maximal zulässigen Gebäudelänge, Ausnützungszuschlag, zusätzliches Vollgeschoss usw.), nicht ausschliessen, gleichzeitig auch den Ausnützungszuschlag für den preisgünstigen Wohnungsbau in Anspruch zu nehmen, was mit anderen Worten heisst, dass die Vorteile, welche für Arealbauweise und preisgünstigen Wohnungsbau gewährt werden, kumulative und nicht nur alternative Vorteile darstellen. Es kann aber nicht sein, dass die Bauherrschaft zusätzlich dadurch profitiert, dass die bereits erhöhte Ausnützungsziffer um weitere 10 % erhöht wird. Dies würde nämlich im Ergebnis zu einer unzulässigen Überhöhung – im vorliegenden Fall zu einer Ausnützungsziffer für den Anteil preisgünstigen Wohnungsbau von 0.858 (0.65 plus 32 %) – führen. Vielmehr hat der 10 %ige Zuschlag auf der (Grund-)Ausnützungsziffer von 0.65 zu erfolgen, womit schlussendlich eine Ausnützungsziffer für den Anteil preisgünstigen Wohnungsbau von 0.845 (0.65 plus 30 % [20 % für Arealbauweise und 10 % für preisgünstigen Wohnungsbau]) resultiert. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die bereits grosszügige Kumulation von Ausnützungszuschlägen nicht derart weit zulassen wollte, wie das der Stadtrat gemacht hat. Dem Stadtrat als Baubewilligungsbehörde ist es, insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit, aber auch aus Gründen der Wahrung der Nachbarrechte, nicht erlaubt, über eine solche Ausweitung von § 37 Abs. 2 BO selber zu entscheiden. Das müsste der Gesetzgeber – falls er es denn wollte – tun. Eine grosszügigere Anwendung der baurechtlichen Vorschriften könnte allenfalls auch über den Weg des Erlasses eines Bebauungsplans erfolgen, bei dem das Stimmvolk ebenfalls wieder mitreden könnte. Bei einer Arealbebauung ist das nicht der Fall.

Zum gleichen Ergebnis, nämlich dass Kumulationen zurückhaltend zu erfolgen haben, kommt man, wenn man berücksichtigt, dass allfällige Ausnützungsübertragungen und -zuschläge nicht für sich allein, sondern stets im Kontext mit den anderen Normen des kantonalen und gemeindlichen Planungs- und Baurechts zu betrachten sind. Die städtische Bauordnung gewährt einen Arealbebauungsbonus von «bis zu 20 %» gemäss § 32 Abs. 1 lit. b BO und für den Anteil des preisgünstigen Wohnungsbaus explizit «zusätzlich» einen Ausnützungszuschlag «von 10 %» gemäss § 37 Abs. 2 BO. Gemäss § 18 Abs. 3 V PBG kann der vom Gemeinwesen für öffentliche Anlagen beanspruchte Teil des Baugrundstücks im Ausmass von «max. 25 %» der dem Baugesuch zugrundeliegenden Fläche zur anzurechnenden Landfläche gezählt werden. Und schliesslich darf gemäss § 19 Abs. 1 lit. a V PBG bei einer Ausnützungsübertragung auf dem begünstigten Grundstück die zulässige Ausnützungsziffer um «höchstens einen Viertel» erhöht werden. Wegleitend für die Baubewilligungsbehörden muss sein, dass die vom gemeindlichen Gesetzgeber festgelegte Nutzungsordnung und Zonenstruktur nicht durch ein Baubewilligungsverfahren, d.h. durch eine einfache Verwaltungsverfügung, in erheblichem Ausmass beeinträchtigt oder gar ausser Kraft gesetzt werden darf. Ausnützungserhöhungen aus Arealbebauung und preisgünstigem Wohnungsbau, zusammen mit Ausnützungsübertragungen, dürfen deshalb nicht bewirken, dass eine unerwünschte Konzentrierung der Bausubstanz entsteht. Zu vermeiden ist, dass die resultierende Mehr- bzw. Übernutzung des begünstigten Grundstücks zu Konflikten mit den massgeblichen Vorschriften über die Einordnung von Bauten und Anlagen in das Landschafts- und Ortsbild führen (vgl. Stalder/Tschirky, in: Griffel/Liniger/Rausch/Thurnherr [Hrsg], FHB Öffentliches Baurecht, Zürich 2016, Rz. 3.395). Auf dem Spiel steht neben den nachbarlichen Interessen nicht zuletzt aber auch das berechtigte Interesse der öffentlichen Hand an einer berechenbaren Auslastung der kostenintensiven, auf die Normnutzung abgestimmten Erschliessungsanlagen, die nicht örtlich überlastet werden dürfen. Der Gesetzgeber hat mit seinen Formulierungen im entsprechenden Planungs- und Baurecht zum Ausdruck gebracht, dass nicht überall zwingend an die obere Grenze zu gehen ist. Diese Grundhaltung ist insbesondere auch bei der Frage zu beachten, welches die Basis für einen zusätzlichen Ausnützungszuschlag ist. Wie ausgeführt kann diese Basis nur die zonenmässige (Grund-)Ausnützungsziffer sein.

Das führt dazu, dass dem Bauprojekt im vorliegenden Fall die notwendige Ausnützung fehlt. (...)

(...)

l) Im Rahmen der Erwägungen betreffend Ausnützungsziffer bleibt zu klären, ob die mit Vertrag zwischen der Beschwerdegegnerin 1 und der Einwohnergemeinde Zug vom 24. Februar 2015 vorgenommene Ausnützungsübertragung von GS Nr. 3392 auf GS Nr. 1639 zulässig ist. Der Stadtrat bejaht dies und beruft sich dabei auf § 19 V PBG.

(...)

l/cc) Das unbebaute GS Nr. 3392 mit einer Grösse von 486 m2 befindet sich in der Zone W2b, nordwestlich der Stadtbahnhaltestelle Zug Oberwil, am Brunnenbach zwischen der Brunnenmattstrasse und der Tellenmattstrasse. Zwischen der Tellenmattstrasse und der Bahnlinie befinden sich überbaute Grundstücke, ebenfalls der Zone W2b angehörig. Das Grundstück Nr. 1639, 77'509 m2 gross, liegt auf der anderen Seite der Bahnlinie, südöstlich der Stadtbahnhaltestelle Zug Oberwil. Der grösste Teil dieses Grundstücks befindet sich in der Landwirtschaftszone, die im südwestlichen Teil des Grundstücks liegende Fläche mit der geplanten Arealbebauung jedoch in der Zone W3. Die Luftlinie zwischen den nächstgelegenen Punkten der GS Nrn. 3392 und 1639 misst 170 m. Zwischen dem GS Nr. 3392 und dem nächstgelegenen Punkt derjenigen Fläche von GS Nr. 1639, auf der die Arealbebauung vorgesehen ist, d.h. dem Bauland, besteht sogar eine Luftliniendistanz von 285 m. Zu Fuss oder mit einem Fahrzeug gelangt man vom GS Nr. 3392 zum GS Nr. 1639 über folgende Parzellen, wobei es sich ausschliesslich um im Eigentum der Stadt Zug stehende Strassengrundstücke handelt: 2684, 2200, 1564, 1646 und 3841. Beim GS Nr. 1646 handelt es sich um die Unterführung unter der Bahnlinie.

l/dd) Das Verwaltungsgericht hatte sich bereits mit Fragen der sog. Ausnützungsübertragung zu befassen. Eine Ausnützungsübertragung liegt vor, wenn ein Bauprojekt nicht nur die sich aus der Bauparzelle ergebende Ausnützungsmöglichkeit, sondern auch Ausnützungsreserven anderer Grundstücke beansprucht.

In dem mit Urteil vom 22. April 1999 entschiedenen Fall in der Stadtgemeinde Zug nahm das Gericht Bezug auf die damals anwendbare Bestimmung von § 15 VV BauG, dass die Ausnützungsübertragung den Verzicht eines Grundeigentümers auf die Ausschöpfung der Ausnützungsziffer zugunsten seines Nachbarn bedeutet, wobei a) auf dem begünstigten Grundstück die zulässige Ausnützungsziffer um höchstens einen Viertel erhöht werden durfte; b) die Grundstücke Zonen angehören mussten, die die gleiche Nutzung gestatteten; c) die übrigen Bauvorschriften dem Anspruch auf Ausschöpfung der Ausnützung vorgingen. Im Bereich der Grenze liegende Fusswege und kleinere Gewässer hinderten die Ausnützungsübertragung nicht (Abs. 1). Bei Arealbebauungen konnte der Gemeinderat die Voraussetzungen gemäss Abs. 1 erleichtern (Abs. 3). Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass die Ausnützungsübertragung zu einer Abweichung von der Regelbauweise führe. Insofern habe sie sich an die Grenzen des gesetzlichen Ausnahmetatbestandes zu halten. Die praktische Funktion sei eine ähnliche wie bei privatrechtlichen Abmachungen über die Grenzabstände. Beide Massnahmen könnten anstelle einer Arrondierung des Bodens im Sinne der gewünschten Bauweise treten. Die Verordnung erwähne ausdrücklich, dass im Bereich der Grenze liegende Fusswege und kleinere Gewässer die Ausnützungsübertragung nicht hinderten. Sie gehe somit von einem beschränkten Anwendungsbereich der Ausnützungsübertragung aus und erwähne ausdrücklich, dass diese kleineren Abgrenzungen der bebaubaren Fläche eine Ausnützungsübertragung nicht hinderten. Dem könne aber die Lüssirainstrasse als öffentliche Erschliessungsstrasse mit beidseitigem Trottoir, welche im Eigentum der Stadt stehe, nicht gleichgestellt werden. Die noch nicht beachtliche Schranke eines Fussweges im Bereich der Grenze sei in casu klar überschritten. Es gehe auch nicht mehr um eine Übertragung zwischen benachbarten Grundstücken. Stadtrat und Regierungsrat hätten daher zu Recht die Ausnützungsübertragung gemäss § 15 Abs. 1 als nicht zulässig erachtet (V 1998 35; vgl. GVP 1999, S. 77 f.).

Im Urteil vom 31. Mai 2012 (V 2011 100; GVP 2013, S. 18 ff.) war von der damaligen Fassung von § 19 V PBG auszugehen, die sich von der früheren Regelung von § 15 VV BauG einzig hinsichtlich der im Vergleich zu § 15 Abs. 1 Satz 2 VV BauG erweiterten Abs. 2 unterschied, wonach im Bereich der Grundstücksgrenze liegende Wege, Erschliessungsstrassen und Fliessgewässer die Ausnützungsübertragung nicht hinderten. Gestützt darauf entschied das Verwaltungsgericht, dass § 19 V PBG eine etappenweise Übertragung von Ausnützungsreserven über ein Zwischengrundstück an ein nicht angrenzendes Grundstück zulasse. Das Gericht erwog, dass die Anwendung von § 19 Abs. 2 V PBG begriffsnotwendig voraussetze, dass eine Situation gegeben sei, bei der zwei Grundstücke nicht aneinander grenzten, also nicht benachbart seien. Es sei nicht ersichtlich, dass die so beschriebene Übertragung in mehreren Etappen Sinn und Zweck der Ausnützungsübertragung widersprechen würde. Solange solche schrittweisen Übertragungen innerhalb derselben Nutzungszone erfolgten, werde die Ausnützung des Baulandes verbessert, ohne dass dabei die potentiell maximal mögliche Baudichte innerhalb der Nutzungszone vergrössert werde, da aufgrund der Schranke in § 19 Abs. 1 lit. a V PBG verhindert werde, dass sich auf einem einzigen Grundstück Ausnützung «ansammle» und dort im Vergleich zur Umgebung übermässig dicht gebaut werden könne (E. 8b). Genauso sei aber auch ein abgekürztes Transferverfahren zur Ausnützungsübertragung zulässig unter Auslassung des Zwischenschritts der Übertragung der Ausnützung zunächst an einen dazwischen liegenden Eigentümer und dann erst an den Eigentümer des empfangenden Grundstücks, sofern auch die Voraussetzungen von § 19 Abs. 1 lit. a – c V PBG jeweils sowohl beim mittleren als auch beim begünstigten Grundstück eingehalten seien (E. 9). Das Bundesgericht schützte diesen Entscheid mit Urteil 1C_351/2012 vom 12. Februar 2013.

Zum Zeitpunkt des letzteren Urteils des Verwaltungsgerichts Zug stand eine Version von § 19 Abs. 1 V PBG in Kraft, nach der die Ausnützungsübertragung den vertraglichen Verzicht des Grundeigentümers auf Ausschöpfung der Ausnützungsziffer zu Gunsten seines Nachbarn darstellte. Per 1. Juli 2012 wurde § 19 Abs. 1 V PBG in dem Sinne gelockert, dass eine Ausnützungsübertragung zu Gunsten einer Eigentümerin/eines Eigentümers in der Nachbarschaft möglich wurde. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass die beiden Grundstücke nur noch der gleichen Zonenart, jedoch nicht einer Zone mit dem gleichen Nutzungsmass angehören müssen, nachdem bisher die beiden Grundstücke Zonen angehören mussten, die eine gleiche Nutzung gestatteten. Unbestrittenermassen weiteten somit das Urteil V 2011 100 und die am 1. Juli 2012 in Kraft getretene Revision von § 19 Abs. 1 V PBG die Möglichkeiten für eine Ausnützungsübertragung aus. Fraglich ist, ob die Ausnützungsübertragung zwischen den GS Nrn. 3392 und 1639 den gelockerten Bestimmungen entspricht.

l/ee) Den Materialien zur Revision der V PBG im Jahr 2012 ist zu entnehmen, dass der Regierungsrat mit einer offeneren Formulierung von § 19 Abs. 1 V PBG dem im Vernehmlassungsverfahren geäusserten Wunsch entsprechen wollte, dass allfällige Ausnützungsreserven einfacher auf Nachbargrundstücken konsumiert werden können (Regierungsratsbeschluss vom 19. Juni 2012). Möglicherweise war diese Lockerung auch vom Verwaltungsgerichtsurteil V 2011 100 vom 31. Mai 2012 beeinflusst. Wie weit die Lockerung gehen solle, insbesondere was in diesem Zusammenhang noch als «Nachbarschaft» gilt, ist jedoch weder im Verordnungstext enthalten noch führte dies der Regierungsrat in seinem Beschluss aus. Die Neufassung von § 19 Abs. 1 V PBG bedeutet einerseits, dass die interessierenden Flächen nicht mehr zusammenhängen müssen. Andererseits hat sie zur Folge, dass eine Übertragung von Ausnützungsreserven zwischen nicht angrenzenden Grundstücken nicht mehr etappenweise über Zwischengrundstücke – im Sinne einer «Kette» – zu erfolgen hat, wie das noch im Urteil V 2011 100 verlangt wurde, sondern die Übertragung zwischen der Eigentümerschaft der beiden betroffenen Grundstücke direkt geregelt werden kann. Insofern hilft es im vorliegenden Fall den Beschwerdegegnern 1 und 2 nicht bzw. ist es jedenfalls nicht ausreichend, dass zwischen dem GS Nr. 3392, das Ausnützung abtritt, und dem GS Nr. 1639, welches diese Ausnützung übernimmt, Strassenflächen liegen, die im Eigentum der Einwohnergemeinde Zug sind. Entscheidend ist einzig, ob sich die beiden Grundstücke «in der Nachbarschaft» befinden und diese – was der Fall ist – der gleichen Zonenart angehören.

Mit Fragen der räumlichen Beziehung von Nachbarn bzw. von Grundstücken hat sich die Gerichtspraxis immer wieder zu befassen. So erachtet das Verwaltungsgericht z.B. gemäss ständiger Praxis Nachbarn von Bauvorhaben bis zu einem Abstand von 100 Metern als zur Beschwerde berechtigt (vgl. Urteil V 2009 96 vom 23. Februar 2010 E. 2b). Weiter darf gemäss Urteil V 2016 89 vom 28. März 2017 bei der Anwendung der Ästhetikklausel nicht nur auf die unmittelbare Umgebung abgestellt werden. Vielmehr ist eine umfassende Würdigung aller massgeblichen Gesichtspunkte unter Einbezug der weiteren Umgebung und unter Berücksichtigung der optischen Fernwirkung vorzunehmen. Die Beurteilung der Frage nach der Einordnung darf nicht willkürlich auf einige wenige umliegende Gebäude beschränkt werden. Vielmehr sind in diesem Sinn sämtliche in dieser Umgebung stehenden Bauten miteinzubeziehen. Im konkreten Fall betraf dies das ganze Quartier, in welchem sich das in Frage stehende Bauprojekt befand.

Mit der Möglichkeit der Ausnützungsübertragung wird die Ausnützung des zur Verfügung stehenden Baulandes verbessert, ohne dass die zonengemässe Baudichte insgesamt überschritten wird (Christoph Fritzsche/Peter Bösch/Thomas Wipf, Zürcher Planungs- und Baurecht, 5. Aufl., Zürich 2011, S. 732). Wie das Gericht im Urteil vom 31. Mai 2012 (V 2011 100) festhielt (E. 6d), kann gerade dank der Ausnützungsübertragung derjenige Grundeigentümer, der durch faktische oder rechtliche Umstände an der vollen Ausnützung seines Grundstücks gehindert ist, die auf seinem Grundstück schlummernden Nutzungsreserven trotzdem wirtschaftlich verwerten und an einen Nachbarn veräussern. So besehen dient das Institut der Ausnützungsübertragung der Verwirklichung der in der Bundesverfassung verankerten Eigentumsgarantie (Art. 26 Abs. 1 BV). Zusätzlich wird dadurch dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) Nachachtung verschafft. Die Ausnützungsübertragung widerspricht jedoch dem Zweck der grundsätzlich ausnahmefeindlichen Ausnützungsziffer, nicht nur im grossflächigen Rahmen bzw. für das ganze Gebiet einer Zone eine bestimmte Baudichte festzulegen, sondern zur Wahrung des Zonencharakters auch eine gleichmässige Verteilung der Baudichte innerhalb der einzelnen Zonen herbeizuführen (Felix Huber, Die Ausnützungsziffer, Diss. Zürich 1986, S. 81). Eine unerwünschte Konzentrierung der Bausubstanz soll vermieden werden. Dementsprechend sind Ausnützungsübertragungen zurückhaltend zuzulassen. Waren bis 1. Juli 2012 Ausnützungsübertragungen zu Gunsten «des Nachbarn» möglich, wollte man mit der Ausweitung auf «in der Nachbarschaft» sicher nicht Tür und Tor öffnen für Übertragungen über grössere Distanzen, selbst wenn gleichzeitig auch die Beschränkung auf Grundstücke in Zonen der gleichen Nutzung aufgegeben wurde. Mit der Lockerung wollte man hingegen sinnvolle Lösungen zusätzlich erleichtern und komplizierte Verfahren vermeiden, wie das beim Bauprojekt, welches zum Urteil V 2011 100 führte, noch der Fall war. Die Voraussetzung, dass eine genügend enge nachbarschaftliche Beziehung der fraglichen Grundstücke besteht, sollte jedoch nicht aufgegeben werden.

Die Bewilligung einer Ausnützungsübertragung greift in die gesetzliche Nutzungsordnung ein. Sie kann nicht auf beliebige Distanz möglich sein. Ein Teil der kantonalen Bau- und Planungsgesetze sieht die Nutzungsübertragung mit unterschiedlicher Ausgestaltung innerhalb derselben Zone ausdrücklich vor. So verlangt der Kanton Bern, dass die betreffenden Grundstücke unmittelbar aneinander angrenzen, der Kanton Aargau und der Kanton Basel-Landschaft setzen benachbarte Grundstücke voraus und der Kanton Basel-Stadt lässt es genügen, wenn die beiden Grundstücke demselben Baublock angehören (vgl. Stalder/Tschirky, a.a.O., Rz. 3.394). Der Baublock nach basel-städtischem Recht (§ 9 Abs. 2 des Bau- und Planungsgesetzes, BPG, vom 17. November 1999, 730.100) entspricht offenbar einer – im Vergleich zum Quartier offensichtlich kleineren – Raumeinheit. Im Kanton Zürich darf eine Ausnützungsübertragung gemäss der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts nicht zu einer § 238 Abs. 1 PBG ZH verletzenden Konzentration der Bausubstanz führen, wobei jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob die Ausnützungsübertragung zu Baukörpern führt, welche den Rahmen der zonengemässen, durch Bauvorschriften und Parzellarordnung geprägten Überbauungsstruktur sprengen und sich deshalb nicht mehr befriedigend in die bauliche Umgebung einordnen (VB.2006.00272, E. 3.3). Insbesondere wird also auch von der baulichen Umgebung gesprochen, was mit der Umschreibung «Nachbarschaft» weitgehend vergleichbar ist. Es ist zweifellos davon auszugehen, dass eine Nutzungsübertragung nicht dazu führen darf, dass die gemäss Zonenordnung bestehende oder angestrebte Bebauungsstruktur in einem weiteren wie auch einem engeren Kontext des Baugrundstücks unterlaufen wird. Je weiter der Nachbarschaftsbegriff gezogen wird, umso mehr einzelne oder kumulierte Ausnützungsübertragungen werden möglich, womit eine Bauzone bzw. eine zonenmässig ausgeschiedene Nutzungsart schnell ihr an sich verbindliches Gepräge verlieren könnte.

Auch wenn man mit Arnold Marti (ZBl 2014, S. 165) davon ausgeht, dass unter den in § 19 Abs. 1 V PBG verwendeten Begriff «in der Nachbarschaft» nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht nur unmittelbar aneinander angrenzende Grundstücke fallen, so ist zu prüfen, ob eine genügend enge nachbarliche Beziehung der fraglichen Grundstücke bestehe. Marti betont zu Recht, dass bei der Auslegung der Voraussetzungen der im zugerischen Recht vorgesehenen Nutzungsübertragung vorsichtig vorgegangen werden muss und zu verhindern ist, dass unbeabsichtigte Rechtsänderungen erfolgen oder beabsichtigte übersehen werden. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass der Verordnungsgeber bei der letzten Revision von § 19 V PBG am Wortlaut des zweiten Absatzes nichts geändert hat, wonach im Bereich der Grundstücksgrenze liegende Wege, Erschliessungsstrassen und Fliessgewässer die Ausnützungsübertragung nicht hindern sollten. Es ist weiterhin von Grundstücksgrenze, nicht Grundstücksgrenzen die Rede, was gegen eine zu weit greifende Anwendung des neu verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffs der Nachbarschaft spricht.

Im vorliegenden Fall fehlt eine genügend enge nachbarschaftliche Beziehung im Sinne von § 19 Abs. 1 V PBG. Denn es ist festzustellen, dass das übertragende Grundstück in einer zu grossen Entfernung vom empfangenden Baugrundstück bzw. dem «Baugrund» liegt. Eine Luftliniendistanz von 170 m bzw. – unter Ausklammerung des Nichtbaugebiets – von 285 m stellt an sich schon eine erhebliche Distanz dar. Von Nachbarschaft kann – wenn überhaupt – in der Regel nur gesprochen werden, wenn sich Objekte im gleichen Quartier befinden. Die beiden in Frage stehenden Grundstücke liegen jedoch in zwei unterschiedlichen Quartieren. Vor allem aber gebricht es vorliegend an einer erkennbaren, durch sinnfällige Umstände begründeten Nachbarschaftsbeziehung zwischen den beiden Grundstücken, sei es durch die Terrainverhältnisse, die Strassenführung oder Infrastrukturanlagen. Mit Ausnahme davon, dass beide Grundstücke der Wohnzone angehören, besteht zwischen ihnen keinerlei Zusammenhang. Zudem befindet sich zwischen ihnen die Eisenbahnlinie. Was die von den Beschwerdegegnern heruntergespielte Bedeutung der Bahnlinie betrifft, über (bzw. unter) welche die Abfolge von Strassengrundstücken als direkte Verbindung zwischen den Grundstücken führt, so steht dem entgegen, dass § 32 BO explizit zwischen Arealbebauungen «am Hang» und «in der Ebene» unterscheidet und diese Bereiche sich von der südlichen bis zur nördlichen Gemeindegrenze nach ihrer Position «östlich der SBB-Linie» und «westlich der SBB-Linie» unterscheiden. Demzufolge unterbricht die Bahnlinie zumindest bei der hier gegebenen Distanz ganz klar eine Nachbarschaftsbeziehung im Sinne der Verordnungsbestimmung zwischen übertragendem und empfangendem Grundstück.

Somit ist festzustellen, dass die Ausnützungsübertragung § 19 Abs. 1 V PBG widerspricht, weil die beiden betroffenen Grundstücke nicht in der Nachbarschaft liegen.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. Mai 2017, V 2016 43

Das Urteil ist rechtskräftig.

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