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Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 DSG

Regeste:

Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 DSG – Verwertbarkeit von Dashcamaufzeichnungen in einem Strafverfahren; Persönlichkeitsverletzung durch Bearbeitung von Personendaten – Rechtfertigung durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse

Aus den Erwägungen:

(...)

4.4 Wie vorstehend ausgeführt, hat der Anzeigeerstatter sowohl vor der Polizei als auch gegenüber der Staatsanwaltschaft im Hauptanklagepunkt anschaulich und widerspruchsfrei ausgeführt, dass der Beschuldigte auf der Überholspur der Autobahn bei einer Geschwindigkeit von mindestens 110 km/h wiederholt so nahe zu ihm aufgeschlossen habe, dass er im Rückspiegel das vordere Kontrollschild des Fahrzeuges des Beschuldigten nicht mehr habe erkennen können, sondern lediglich noch die Windschutzscheibe. Zum Ablauf und zu den Distanzen hielt der unter Wahrheitspflicht stehende Anzeigeerstatter in seiner Befragung als Zeuge fest, das zu nahe Auffahren sei «schubweise» erfolgt; d.h. der fehlbare Autolenker sei «schätzungsweise» bis auf zwei bis drei Meter an ihn herangefahren, danach habe er sich wieder auf zwanzig Meter zurückfallen lassen; anschliessend habe er wieder nahe aufgeschlossen (act. 2/1 Ziff. 11 und 14).

Es besteht auch insoweit kein Grund, nicht auf die glaubhaften Angaben des Anzeigeerstatters abzustellen. Zwar ist einzuräumen, dass das genaue Schätzen von Distanzen über den Rückspiegel schwierig ist und dass daraus Ungenauigkeiten resultieren können. Dies ist indessen nicht entscheidend. Massgebend ist vielmehr, dass der Abstand in jedem Fall ausserordentlich gering war, was sich mit hinreichender Deutlichkeit daraus ergibt, dass der Anzeigeerstatter zeitweise das vordere Kontrollschild des vom Beschuldigten gesteuerten Wagens in seinem Rückspiegel nicht mehr erkennen konnte. Daher ist die Annahme der Vorinstanz, der Abstand müsse jeweils weniger als fünf Meter betragen haben, entgegen der Auffassung des Beschuldigten grundsätzlich vertretbar. Um den erwähnten Ungenauigkeiten in der Schätzung des Abstands aber noch etwas mehr Rechnung zu tragen, weil beispielsweise bei nicht optimal gerichtetem Rückspiegel die Front eines nachfolgenden Wagens auch bei leicht grösserem Abstand nicht sichtbar ist, ist zugunsten des Beschuldigten anzunehmen, der Abstand habe jeweils wenige Meter, in jedem Fall aber unter zehn Meter betragen.

4.5 Dem Beschuldigten wird des Weiteren vorgeworfen, nach dem Überholen des Personenwagens des Anzeigeerstatters bei der Ausfahrt Küssnacht eine auf der Fahrbahn angebrachte doppelte Sicherheitslinie überfahren zu haben. Diesen Vorfall schilderte einerseits der Anzeigeerstatter in seiner Anzeige und in seiner Befragung gegenüber der Polizei, anderseits wird der Vorfall durch die Aufnahmen der Dashcam des Anzeigeerstatters dokumentiert (act. 1/1/3). Hierzu ist Folgendes festzuhalten:

4.5.1 Die Vorinstanz hielt fest, es gebe in der Schweiz keine Rechtsprechung, wonach der Einsatz von Dashcams unzulässig wäre, sofern solche primär zur eigenen Absicherung eingesetzt würden. Die Vorinstanz hat deshalb geschlossen, die Videoaufnahmen seien verwertbar. Der Beschuldigte hält demgegenüber dafür, die Dashcam-Aufzeichnungen seien rechtswidrig erlangt worden und daher nicht verwertbar.

4.5.2 Beim Einsatz von Dashcams werden Personen und Fahrzeugkennzeichen erkennbar, womit entsprechende Filmaufnahmen in Übereinstimmung mit dem Beschuldigten als Bearbeitung von Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. a und lit. e des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) zu betrachten sind.

Gemäss Art. 12 Abs. 1 DSG darf, wer Personendaten bearbeitet, die Persönlichkeit der betroffenen Person nicht widerrechtlich verletzen. Nach Abs. 1 von Art. 13 DSG («Rechtfertigungsgründe») ist eine Verletzung der Persönlichkeit widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist (Art. 13 Abs. 1 DSG). Neben dem Interesse des Datenbearbeiters können dabei auch Interessen Dritter oder sogar der betroffenen Personen selbst die Datenbearbeitung unter Umständen rechtfertigen. Grundsätzlich kann jedes schützenswerte Interesse, d.h. jedes Interesse von allgemein anerkanntem Wert, berücksichtigt werden (BGE 138 II 346 E. 10.3 S. 364 mit Hinweisen). Die Prüfung, ob ein Rechtfertigungsgrund für einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und setzt eine Abwägung aller betroffenen Interessen voraus (vgl. BGE 138 II 346 E. 9.2).

4.5.3 Im vorliegenden Anklagepunkt ist zunächst festzuhalten, dass eine Verurteilung des Beschuldigten auch ohne das Abstellen auf die Deshcamaufzeichnungen erfolgen kann. Zu beachten ist, dass der Anzeigeerstatter bereits in seiner Anzeige schilderte, der Porschefahrer habe beim Spurwechsel «die doppelt durchzogene Linie» überfahren. Gegenüber der Polizei bestätigte der Anzeigeerstatter, es sei so «wie auf dem Film festgehalten» gewesen. Seine Angaben sind insoweit glaubhaft, zumal auch hier nicht ersichtlich ist, weshalb er den ihm zuvor unbekannten Beschuldigten wider besseres Wissen belasten sollte. Damit ist bereits aufgrund der Aussagen des Anzeigeerstatters erstellt, dass der Beschuldigte bei der Ausfahrt Küssnacht die doppelte Sicherheitslinie überfuhr.

4.5.4 Sodann ist anzuführen, dass der Anzeigeerstatter gegenüber der Staatsanwaltschaft zur Frage, weshalb er eine Front-Dashcam in seinem Fahrzeug habe, ausführte, Technik-Freak zu sein. Auch sei er beruflich viel unterwegs, weshalb es hilfreich sei, wenn man dokumentieren könne, wie man sich selbst im Strassenverkehr bewegt, bzw. wenn man in einer kritischen Situation beweisen könne, dass man schuldlos sei (act. 2/1 Ziff. 10). Aufgrund dieser Aussagen ist davon auszugehen, dass der Anzeigeerstatter seine Dashcam zwar permanent in Betrieb hatte, jedoch nicht deshalb, weil er «Hobbypolizist» spielen wollte, wie der Beschuldigte vermutet. Denn nicht das Überfahren der doppelten Sicherheitslinie, sondern der ausserordentlich geringe Abstand war Ursache, dass der Anzeigeerstatter die Polizei verständigte (vgl. hierzu act. 1/1/1). Gleichwohl ist festzuhalten, dass es zumindest problematisch erscheint, das Geschehen auf der Strasse ständig zu filmen. Wie es sich damit genau verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben.

Denn im vorliegenden Fall kommt entscheidend hinzu, dass der Anzeigeerstatter zur Beweissicherung berechtigt gewesen war, die Dashcam, nachdem ihn der Beschuldigte mit seinem Porsche derart bedrängt hatte, in Betrieb zu nehmen bzw. laufen zu lassen. Hierin ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz keine Rechtswidrigkeit zu erkennen, zumal der Beschuldigte mit seinem Fahrverhalten die Gefahr einer Auffahrkollision schuf, die angesichts der hohen Geschwindigkeiten schlimme Folgen hätte haben können (a.M. offenbar der eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte, wonach das nachvollziehbare Interesse, bei Unfällen Bilder als Beweismittel zur Hand zu haben, kein den Persönlichkeitsschutz überwiegendes Interesse darstelle; vgl. OG GD 5/11 S. 2). Mit anderen Worten hat die Aufzeichnung des Überfahrens der doppelten Sicherheitslinie durch den ersten deutlich gewichtigeren Verstoss einen Anlassbezug erhalten, sodass entgegen der Auffassung des Beschuldigten keine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung und damit auch kein Beweisverwertungsverbot vorliegt. Das Interesse des Anzeigeerstatters, zur Beweissicherung die Dashcam in Betrieb zu nehmen bzw. laufen zu lassen, war unter den gegebenen Umständen höher einzustufen als dasjenige des Beschuldigten, sich unbeobachtet und unkontrolliert im Strassenverkehr zu bewegen. Damit ist das Überfahren der doppelten Sicherheitslinie (gewissermassen doppelt) bewiesen.

(...)

Obergericht, Strafabteilung, 11. Mai 2017

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