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Art. 363 Abs. 2 und 3 ZGB

Art. 134 Abs. 4 ZBG i.V.m Art. 274 Abs. 2 ZGB

Regeste:

Art. 134 Abs. 4 ZBG i.V.m Art. 274 Abs. 2 ZGB – Lehnt ein urteilsfähiges Kind den Umgang mit einem Elternteil kategorisch ab, so ist dieser aus Gründen des Kindeswohls auszuschliessen (Erw. 4.1).
Sistierung des Besuchsrechts im vorliegenden Fall als mildestmögliche Massnahme (Erw. 4.3).

Aus dem Sachverhalt:

A., Jahrgang 2006, gemeinsame Tochter der ehemals miteinander verheirateten B. und C. lebt bei ihrer Mutter C., welche auch die elterliche Sorge inne hat. Es besteht eine Besuchsrechtsbeistandschaft nach Art. 308 Abs. 2 ZGB. Am 8. März 2016 informierte der Beistand die KESB darüber, dass sich A. weigere, den Kindsvater B. zu sehen. Am 23. Mai 2016 und am 29. Juni 2016 liess die Kindsmutter C. bei der KESB unter anderem die Sistierung des Besuchsrechts auf unbestimmte Zeit beantragen. Nach der Durchführung einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung von A. sistierte die KESB am 16. August 2017 gestützt auf Art. 134 Abs. 4 ZGB i.V.m. Art. 274 Abs. 2 ZGB bis auf Weiteres das Besuchsrecht zwischen B. und seiner Tochter A. Die Aufgaben des Beistands änderte die KESB dahingehend ab, als er den Kindsvater künftig mit den für ihn notwendigen Informationen über seine Tochter zu versorgen habe, soweit er diese nicht selber beschaffen könne. Gegen diesen Entscheid der KESB reichte B. am 23. August 2017 beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein und beantragte dessen Aufhebung. Demgegenüber beantragten sowohl die KESB als auch C. die Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

(…)

4. Umstritten und zu prüfen ist die Notwendigkeit und  Verhältnismässigkeit der Sistierung des Besuchsrechts zwischen A. und ihrem Vater für die Wahrung des Kindswohls.

4.1 Nach Art. 133 Abs. 1 Ziff. 3 und Abs. 2 ZGB beachtet das Gericht bei der Regelung des persönlichen Verkehrs (Art. 273 ZGB) alle für das Kindswohl wichtigen Umstände und berücksichtigt dabei unter anderem – soweit tunlich – die Meinung des Kindes. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Kindeswille für die Regelung des Besuchsrechts von herausragender Bedeutung. Der Wunsch des Kindes bei der Frage der Regelung des Besuchsrechts muss berücksichtigt werden, namentlich wenn es sich aufgrund des Alters und der Entwicklung des Kindes um einen gefestigten Entschluss handelt (BGE 124 III 90, 92, Erw. 3b). Nicht nur bei der Ausgestaltung des Besuchsrechts im Einzelnen ist der Kindeswille zu berücksichtigen, sondern vor allem auch bei der Frage, ob überhaupt Besuche stattfinden sollen (BGE 127 III 295 Erw. 2 ff.). Lehnt ein urteilsfähiges Kind den Umgang kategorisch ab, so ist dieser aus Gründen des Kindeswohls auszuschliessen, weil ein gegen den starken Widerstand erzwungener Besuchskontakt mit dem Zweck des Umgangsrechts im Allgemeinen ebenso unvereinbar ist wie mit dem Persönlichkeitsrecht des Kindes (Urteil des Bundesgerichts vom 3. Januar 2006, 5C.250/2005, Erw. 3.2.1). Beruht die Weigerungshaltung auf eigenem Erleben des Kindes, beispielsweise von familiärer Gewalt, oder auf einem unlösbaren Loyalitätskonflikt, so darf sie nicht einfach übergangen werden (vgl. auch Basler Kommentar ZGB I-Schwenzer/Cottier, Art. 273 N 11).

4.2 Zu prüfen ist das Vorliegen einer Kindswohlgefährdung von A. In diesem Zusammenhang ist auch ihr Wille hinsichtlich der Sistierung des Besuchsrechts zu ermitteln und zu klären, inwieweit darauf abzustellen ist.

(…)

4.2.2 Es bleibt mithin festzuhalten, dass A. mehrmals – entweder alleine oder in Anwesenheit ihrer Mutter – angehört worden ist. Sie brachte in stetiger und in sich schlüssiger Weise deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck, dass und warum sie vor ihrem Vater Angst habe sowie dass sie ihn zur Zeit nicht mehr sehen wolle. Die Ängste von A. gegenüber ihrem Vater beruhen nach der Ansicht der Psychiater Dres. D. und E. vorwiegend auf ihren eigenen Erfahrungen und eigener Meinungsbildung und weniger auf einem Einwirken der Mutter. Lediglich im Zusammenhang mit den finanziellen Auseinandersetzungen der Kindseltern sei eine manipulative Beeinflussung der Kindsmutter wahrscheinlich. Im Lichte der in Erwägung 4.1 vorstehend zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur darf der Wille von A. nicht einfach übergangen werden. Angesichts ihres Alters (Jahrgang 2006) ist sie nämlich wohl unbestrittenermassen hinsichtlich des persönlichen Verkehrs mit ihrem Vater als urteilsfähig zu betrachten. Des Weiteren ist unter Verweis auf die zahlreichen Anhörungen und auf ihre Ausführungen gegenüber den Gutachtern von einem gefestigten Entschluss von A. auszugehen. An dieser Beurteilung vermag auch der Einwand des Beschwerdeführers, wonach A. bei der Begutachtung im Triaplus-KJ von ihrer Mutter begleitet worden sei und aus diesem Grund nicht unbeeinflusst habe Auskunft geben können, nichts zu ändern. Es ist nämlich zu beachten, dass A. auch am 15. Juni 2015 gegenüber der Scheidungsrichterin und am 1. März 2016 gegenüber der KESB, jeweils in Abwesenheit ihrer Mutter, stets inhaltlich identische und in sich schlüssige Aussagen gemacht hat. Zum Thema Gefährdung des Kindswohls bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass A. betreffend die Frage der Sistierung des Besuchsrechts als urteilsfähig zu betrachten ist und dass sie eine Sistierung eindeutig und unmissverständlich befürwortet. Des Weiteren beruht ihre Weigerungshaltung auf ihrem eigenen Erleben des Verhaltens ihres Vaters ihr und anderen Personen (insbesondere ihrer Mutter) gegenüber. Zu beachten ist zudem, dass A. seitens ihres Vaters wahrscheinlich auch häusliche Gewalt und verschiedenartige Drohungen miterleben musste und dass sie sich in einem unlösbaren Loyalitätskonflikt befindet. Schliesslich bejahte auch der ehemalige Schulleiter das Vorliegen einer Kindswohlgefährdung. Der vom Beschwerdeführer auf A. und auf ihre Mutter ausgeübte Druck betreffend Wiederaufnahme des persönlichen Verkehrs ist immens. Wie hoch dieser Druck sein muss, vermag ansatzweise der Umstand zu verdeutlichen, dass die Kindsmutter und A. an einen dem Beschwerdeführer unbekannten Ort weggezogen sind und gegen ihn eine Auskunftssperre erwirkt haben. Lediglich der Vollständigkeit halber bleibt an dieser Stelle auf die KESB-Unterlagen zu verweisen, denen ein mehrfaches aggressives, lautes und zum Teil bedrohliches Verhalten des Beschwerdeführers an den Anhörungen zu entnehmen ist. Durch sein Verhalten bestätigt der Beschwerdeführer die diesbezüglichen Aussagen von A. und ihrer Mutter auf eindrückliche und beängstigende Weise. Es bleibt mithin festzuhalten, dass das Vorliegen einer Kindswohlgefährdung von A. zu bejahen ist.

4.3 Zu prüfen ist des Weiteren, ob die von der KESB angeordnete Sistierung des Besuchsrechts erforderlich ist und ob es sich dabei um die mildest mögliche Massnahme handelt.

Seit 2015 sind die Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und A. unterbrochen. Im Rahmen der Scheidung wurden angesichts der bereits damals vorhandenen Weigerung von A., ihren Vater zu sehen, in Nachachtung des Subsidiaritätsprinzips vorerst begleitete Besuchstage verfügt und eine Besuchsrechtsbeistandschaft errichtet. Alle Versuche des Beistands, Besuche aufzugleisen, scheiterten an der Verweigerungshaltung von A. Daran vermochten auch diverse Gespräche nichts zu ändern. Aus diesen Gründen und auch angesichts der Zerstrittenheit der Kindseltern ist eine kindeswohlkonforme Ausübung des Besuchsrechts zwischen Beschwerdeführer und A. derzeit nicht möglich. In dieser Situation gibt es drei Möglichkeiten: Durchsetzung eines allfälligen Besuchsrechts mit Zwangsmassnahmen und gegen den ausdrücklichen Willen von A., eine Sistierung oder eine Aufhebung des Besuchsrechts. Der Umstand, dass A. wiederholt ihre Ängste geäussert hat und diese aufgrund der Ausführungen des forensisch-psychiatrischen Gutachtens aufgrund eigener Erfahrungen entstanden sind, ist zentral für die Entscheidung, ob Besuche gegen ihren ausdrücklichen Willen zwangsweise durchgesetzt werden sollen oder nicht. Ein gegen ihren starken Widerstand erzwungener Besuchskontakt wäre in Nachachtung der in Erwägung 4.1 vorstehend zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur sowohl mit dem Zweck des Umgangsrechts im Allgemeinen als auch mit ihrem Persönlichkeitsrecht unvereinbar und wird vom Beschwerdeführer berechtigterweise auch gar nicht beantragt. Die Sistierung des Besuchsrechts stellt die mildere Massnahme als dessen Aufhebung dar, sodass diese Lösung das Gebot der Verhältnismässigkeit wahrt. Es ist zudem nicht zu beanstanden, dass die KESB keine Befristung der Sistierung angeordnet hat, da dadurch wiederum ein dem Kindswohl widersprechender Druck auf A. aufgebaut würde. Die KESB hat in regelmässigen Abständen zu prüfen, ob die Sistierung des Besuchsrechts nach wie vor notwendig und verhältnismässig ist. Es ist daher festzuhalten, dass die von der KESB angeordnete Sistierung des Besuchsrechts zurzeit erforderlich ist und dass es sich dabei auch um die mildest mögliche Massnahme handelt. Die Beschwerde erweist sich als diesbezüglich unbegründet.

(…)

6. Zusammenfassend und in Berücksichtigung aller Aspekte bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer jegliche angstauslösende Verhaltensweise gegenüber A. bestreitet. Es steht ausser Frage, dass er alles Mögliche getan hat, um einen Kontakt zu seiner Tochter aufzubauen und sie sehen zu können. Dennoch verkennt er vorliegend, dass er aufgrund seiner aufbrausenden und fordernden Art ihre Bedürfnisse nicht wahrnehmen kann und sie somit nachvollziehbar mit Rückzug reagiert. Durch Druck kann kein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Durch sein Verhalten gegenüber der KESB und dem Verwaltungsgericht bestätigt er zudem die diesbezüglichen Aussagen von A. und ihrer Mutter auf eindrückliche und beängstigende Weise. Die Verweigerungshaltung von A. ist als autonomer Kindeswille zu betrachten und vor allem auch angesichts ihres Alters (Jahrgang 2006) entsprechend zu würdigen und zu berücksichtigen. Eine zwangsweise Durchsetzung des Besuchsrechts widerspräche wohl unbestrittenermassen dem Kindeswohl, sodass die Sistierung desselben gestützt auf Art. 134 Abs. 4 ZGB i.V.m. Art. 274 Abs. 2 ZGB bis zu einer Beruhigung der Situation als notwendig und auch als die mildest mögliche Massnahme zur Wahrung des Kindswohls von A. erscheint. Die Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit der angeordneten Kindesschutzmassnahme ist zudem in regelmässigen Abständen von der KESB zu überprüfen. Es ist dabei gerechtfertigt, dass die KESB auf die zeitliche Festlegung der Sistierung verzichtet hat, um einen allfälligen dadurch entstehenden erneuten und dem Kindeswohl widersprechenden Druck auf A. zu vermeiden. Der Entscheid der KESB vom 16. August 2017 ist jedenfalls in Berücksichtigung aller Aspekte zu Recht ergangen; die Beschwerde erweist sich mithin als unbegründet und muss vollumfänglich abgewiesen werden.

(…)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. April 2018, F 2017 40
Das Urteil ist rechtskräftig.

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