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Art. 286 Abs. 2 ZGB; Art. 129 Abs. 1 ZGB

Regeste:

Art. 286 Abs. 2 ZGB; Art. 129 Abs. 1 ZGB – Zur Frage, ob die dem gekündigten und in der Folge arbeitslos gewordenen Unterhaltsschuldner ausbezahlte Abgangsentschädigung (nebst den Arbeitslosentaggeldern) als Einkommen anzurechnen ist.

Aus dem Sachverhalt:

1. Die Parteien haben am […] 1998 vor dem Zivilstandsamt [...] geheiratet. Aus ihrer Ehe sind die Kinder C., geb. […], D., geb. […], und E., geb. […], hervorgegangen.

2. Mit Urteil des Kantonsgerichts Zug vom 14. April 2010 wurde – gestützt auf eine von den Parteien während des Verfahrens eingereichte Vereinbarung über die Scheidungsfolgen – die Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Sorge über die Kinder der Beklagten zugeteilt und der Kläger verpflichtet, folgende Unterhaltsbeiträge zu bezahlen (…):

- für die Kinder: je CHF 1'200.– bis zum erfüllten 12. Altersjahr, je CHF 1'320.– vom 13. bis zum erfüllten 16. Altersjahr und je CHF 1'430.– vom 17. Altersjahr bis zum Abschluss einer Erstausbildung (Ziff. 2.3 des Urteils);

- für die Beklagte: CHF 2'200.– bis 31. August 2015 und CHF 1'500.– bis 31. August 2021 (Ziff. 3.1 des Urteils).

Die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen basierte auf einem Einkommen des Klägers von CHF 11'800.– netto pro Monat (inkl. 13. Monatslohn, exkl. Kinderzulagen; E. 7 des Urteils).

[...]

4. Am 20. Juni 2016 kündigte die damalige Arbeitgeberin des Klägers, die F. AG, [...], das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Ab dem 20. Juli 2016 wurde der Kläger bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2016 freigestellt (vgl. Ziffer 1 des «Settlement Agreements» vom 24./30. Juni 2016 […]). Seit 1. Januar 2017 ist der Kläger arbeitslos und bezieht Arbeitslosentaggelder, die sich im Jahre 2017 im Schnitt auf monatlich CHF 9'100.– (wenn der Januar mit den Wartetagen nicht miteingerechnet wird) beliefen (Abrechnungen der Arbeitslosenkasse […]). Gemäss Ziffer 2 des Settlement Agreements erhielt der Kläger von der F. AG, […], eine Abfindung («severance») von brutto CHF 149'243.00, einen Bonus für das Jahr 2016 («bonus for 2016») von brutto CHF 77'458.00 und einen Betrag von brutto CHF 22'432.00 für ausstehende Ferienguthaben («remaining holiday entitlement payout»).

5. Am 30. Oktober 2017 reichte der Kläger beim Kantonsgericht Zug, Einzelrichter, gegen die Beklagte die vorliegende Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils ein [er beantragte die Aufhebung von Ziff. 2.3 und Ziff. 3.1 des Urteils des Kantonsgerichts Zug vom 14. April 2010 und die Neufestlegung dieser Unterhaltsbeiträge].

Aus den Erwägungen:

2. Der Kläger verlangt eine  Abänderung des Urteils des Kantonsgerichts Zug vom 14. April 2010 sowohl betreffend die Kinderunterhaltsbeiträge als auch betreffend den nachehelichen Ehegattenunterhaltsbeitrag.

2.1 Den Beitrag für den Kinderunterhalt hat das Gericht auf Antrag eines Elternteils oder des Kindes neu festzusetzen, wenn sich die Bedürfnisse des Kindes, die Leistungsfähigkeit der Eltern oder die Lebenskosten ändern. Vorausgesetzt ist, dass sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (Art. 286 Abs. 2 ZGB). Erheblich ist eine Veränderung, wenn sie die nach Art. 285 ZGB massgebenden Parameter der Beitragsbemessung betrifft und im Hinblick auf die Berechnung des Kinderunterhaltsbeitrages bezüglich Dauer und Ausmass von Gewicht ist. Nicht erforderlich ist die fehlende Voraussehbarkeit der Veränderung im Zeitpunkt der ursprünglichen Festlegung der Unterhaltsbeiträge, soweit der Veränderung tatsächlich nicht Rechnung getragen worden ist (vgl. BGE 131 III 189 E. 2.7.4; Aeschlimann, in: Schwenzer/Fankhauser [Hrsg.], FamKomm, 3. A. 2017, Band I: ZGB, Art. 286 ZGB N 5).

Den nachehelichen Unterhaltsbeitrag zugunsten eines Ehegatten kann das Gericht bei erheblicher und dauernder Veränderung der Verhältnisse herabsetzen, aufheben oder für eine bestimmte Zeit einstellen (Art. 129 Abs. 1 ZGB). Nachträgliche Veränderungen der Verhältnisse begründen nur dann eine Abänderung des Entscheids, wenn sie bei der Festsetzung der Rente nicht zum Voraus berücksichtigt wurden (BGE 131 III 189 E. 2.7.4).

2.2 Der Kläger begründet die Veränderung der Verhältnisse im Hauptstandpunkt (einzig) damit, dass ihm gekündigt worden sei und er seit 1. Januar 2017 nicht mehr den damaligen Lohn, sondern Arbeitslosentaggelder beziehe ([...]; zu den Eventualbegründungen s. E. 2.7.5 und 2.7.6). Die Beklagte wendet ein, unter Berücksichtigung der Abgangsentschädigung, die über die Dauer von 24 Monaten verteilt (maximaler Taggeldanspruch) zu den Arbeitslosentaggeldern hinzuzurechnen sei, sei gar keine Verschlechterung der finanziellen Situation beim Kläger zu erkennen (…). Der Kläger verweist auf die Berechnung der Abgangsentschädigung und behauptet gestützt darauf, die Abgangsentschädigung sei als Entschädigung für geleistete Dienste und nicht als Entschädigung zur Abfederung künftiger Lohneinbussen zu verstehen. Es habe sich bei der Abgangsentschädigung um eine freiwillige Leistung seines Arbeitgebers und somit um eine Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR gehandelt, welche im Sinne einer zusätzlichen Vergütung als Anerkennung für bereits geleistete Dienste und als Ansporn für künftige Tätigkeiten ausgerichtet werde. Deshalb sei sie bei der Ermittlung des Einkommens nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu berücksichtigen (…). Die Beklagte entgegnet, dass es aus unterhaltsrechtlicher Sicht irrelevant sei, welche Kriterien für die Berechnung der Abgangsentschädigung herbeigezogen würden. Eine Abgangsentschädigung bleibe eine Abgangsentschädigung (…).

2.3 Mithin stellt sich die Frage, ob die Abgangsentschädigung («Severance») als Einkommen anzurechnen ist und, gegebenenfalls, für welche Dauer. Gemäss älterer Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons Zürich wurden Abfindungszahlungen bei der Unterhaltsberechnung nicht berücksichtigt, mit der Begründung, es handle sich um Vermögen des Arbeitnehmers (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich LP050011 vom 20. Juni 2015; zitiert nach Maier, Die konkrete Berechnung von Unterhaltsansprüchen im Familienrecht, dargestellt anhand der Praxis der Zürcher Gerichte seit Inkraftsetzung der neuen ZPO, FamPra.ch 2014 S. 302 ff., 336). Nach neuerer Praxis rechnet das Obergericht des Kantons Zürich Abgangsentschädigungen als Einkommen des Berechtigten an. In einem Entscheid aus dem Jahre 2011 tat es dies mit der Begründung, dass diese zur Abfederung des Stellenverlustes ausgerichtet worden sei (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich LP090044 vom 1. Juli 2011 E. 3.4.2b; Maier, a.a.O., S. 336). Das Kantonsgericht Basel-Landschaft berücksichtigte eine Netto-Abgangsentschädigung als Einkommen, wenn mit ihr die Kompensation eines mit dem Stellenverlust zusammenhängenden Erwerbsausfalls bezweckt wird (Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 400 14 68 vom 27. Mai 2014 E. 7). Das Bundesgericht erwog in einem Verfahren betreffend Abänderung des Kindesunterhalts, dass es nur dann gerechtfertigt sei, eine Entlassungsentschädigung allein für die Zeit der Arbeitslosigkeit anzurechnen, falls die Entschädigung zur Überbrückung einer der Kündigung nachfolgenden Arbeitslosigkeit erfolgt sei (Urteil des Bundesgerichts 5A_90/2017 vom 24. August 2017 E. 7.2.3).

2.4 Die Frage, ob eine Abgangsentschädigung als Einkommen anzurechnen ist, stellt sich namentlich auch im Arbeitslosenversicherungsrecht (vgl. etwa Blesi, Abgangsentschädigung des Arbeitgebers: Ungereimtheiten im Arbeitslosenversicherungsrecht, ARV 2006 S. 85 ff.) oder im Steuerrecht (vgl. etwa Blöchliger, Wann haben Abgangsentschädigungen Vorsorgecharakter?, StR 63/2008 S. 498 ff.). Die Anrechnungskriterien sind jeweils unterschiedlich.

2.4.1 Im Arbeitslosenversicherungsrecht gilt gemäss Art. 11a Abs. 1 AVIG beispielsweise der Arbeitsausfall so lange nicht als anrechenbar, als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers den durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Verdienstausfall decken. Anlass zur Einführung dieser Bestimmung war, dass «allgemein als stossend empfunden [wurde], wenn Versicherte ausserordentlich hohe Leistungen von ihrem ehemaligen Arbeitgeber erhalten und vom ersten Tag an Arbeitslosenentschädigung beziehen können» (Botschaft zu einem revidierten Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 28. Februar 2011, BBl 2001 2245, 2278). Nach dieser Regelung liegt bei der Ausrichtung von freiwilligen Leistungen grundsätzlich kein anrechenbarer Arbeitsausfall (also kein Verdienstausfall) vor (Blesi, a.a.O., S. 88). Als freiwillige Leistungen gelten gemäss Art. 10a AVIV Leistungen des Arbeitgebers bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die nicht Lohn- oder Entschädigungsansprüche nach Art. 11 Abs. 3 AVIG darstellen. Entschädigungsansprüche wiederum sind Ansprüche, die der gekündigten Person für die Zeit nach der (tatsächlichen und rechtlichen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehen. Es geht im Wesentlichen um Schadenersatzansprüche gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber wegen ungerechtfertigter fristloser Entlassung bzw. wegen gerechtfertigter fristloser Kündigung durch den Arbeitnehmer (Blesi, a.a.O., S. 89). Ob die Abgangsentschädigung (vertraglich) geschuldet ist oder ob sie freiwillig erfolgt, spielt für die Qualifikation nach Art. 11 Abs. 3 AVIG keine Rolle (BGE 128 V 176 E. 3c).

2.4.2 Im Steuerrecht ist auf die Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) hinzuweisen. Demnach haben Abgangsentschädigungen Vorsorgecharakter, wenn sie ausschliesslich und unwiderruflich dazu dienen, die mit den Risiken Alter, Invalidität und Tod verbundenen finanziellen Folgen zu mildern. Dazu gehören beispielsweise freiwillig geleistete Entschädigungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, um die durch den vorzeitigen Austritt entstandenen Lücken in dessen beruflicher Vorsorge zu schliessen. Bei deren Berechnung sind die vorsorgerechtlichen Grundsätze zu beachten. Die Entschädigung muss analog den BVG-Leistungen objektiv dazu dienen, im Vorsorgefall (Alter, Tod, Invalidität) dem Empfänger die Fortsetzung seiner gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise sicherzustellen (Kreisschreiben Nr. 1 der ESTV vom 3. Oktober 2002 Ziff. 3.2).

2.5 Das Unterhaltsrecht folgt anderen Prinzipien als das Arbeitslosenversicherungsrecht oder das Steuerrecht, weshalb die dortigen Definitionen nicht, jedenfalls nicht unbesehen übernommen werden können. Insbesondere ist zu beachten, dass beim Arbeitslosenversicherungsrecht und Steuerrecht auf einer Seite Rechte und Pflichten des Staates tangiert sind, während im Unterhaltsrecht ausschliesslich Rechte und Pflichten Privater – insbesondere Rechte der unterhaltsberechtigten Kindern oder (Ex-)Ehegatten – zu berücksichtigen sind. Zudem muss im Unterhaltsrecht eine Veränderung erheblich sein (Art. 129 Abs. 3 ZGB und Art. 286 Abs. 2 ZGB), damit sie zur Abänderung festgelegter Unterhaltsrenten berechtigt. Eine solche Schwelle existiert im Arbeitslosenversicherungsrecht oder im Steuerrecht nicht. Bereits deshalb drängt sich im Unterhaltsrecht bei der Anrechnung einer Abgangsentschädigung eine weniger restriktive Handhabung auf. Im Unterhaltsrecht gilt, dass die Abänderung einer Unterhaltsrente bei unbedeutenden oder bloss vorübergehenden Schwankungen der Leistungsfähigkeit ausgeschlossen ist. Erforderlich für eine Abänderung ist, dass aufgrund erheblich und dauerhaft veränderter Umstände durch das alte Scheidungsurteil «ein unzumutbares Ungleichgewicht» zwischen den betroffenen Parteien entstanden ist. Zur Beurteilung dieser Voraussetzung sind die Interessen von Vater, Mutter und Kind oder Kindern gegeneinander abzuwägen (Urteile des Bundesgerichts 5A_506/2011 vom 4. Januar 2012 E. 4.1 und 5D_183/2017 vom 13. Juni 2018 E. 4.1).

2.6 Entscheidend für die Abänderung von Unterhaltsbeiträgen ist somit eine Abwägung der Interessen und Beurteilung der Zumutbarkeit im Einzelfall. Für diese Beurteilung kann der Zweck der Abgangsentschädigung nur insofern relevant sein, als die Berücksichtigung der Abgangsentschädigung als Einkommen zu einem unzumutbaren Ungleichgewicht führen würde. Hierzu ist indes weniger der Zweck der Abgangsentschädigung relevant, als vielmehr deren Höhe. Denn der (Netto-)Betrag der Abgangsentschädigung steht dem Unterhaltsschuldner unabhängig vom Zweck derselben nach ihrer Ausrichtung zur Verfügung. Ein unterschiedlicher Zweck ändert denn auch nichts daran, dass die Entschädigung – so die Regel – als Einmalzahlung ausgerichtet wird.

Zum Zweck ist anzufügen, dass damit ohnehin nicht der subjektive Zweck, den der Arbeitgeber einer Abgangsentschädigung beimisst, gemeint sein kann, sondern der objektive Zweck (s. auch Urteil des Bundesgerichts 2C_86/2017 vom 26. September 2017 E. 2.3.1), ansonsten es im Belieben des Arbeitgebers stünde, mit einer (subjektiven) Zweckbestimmung Einfluss auf den Unterhalt zu nehmen. Die vom Arbeitgeber bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgerichteten Abgangsentschädigungen können verschiedene Gründe haben (beispielsweise Schmerzensgeld für die Entlassung, Abfederung der Folgen eines Stellenverlustes, Überbrückung einer auf die Kündigung folgenden Arbeitslosigkeit, Treueprämie für langjährige Dienstverhältnisse, Risikoprämie für die persönliche Sicherheit und berufliche Zukunft, Entgelt für erbrachte Arbeitsleistungen, Ausgleich allfällig entstehender Lücken oder langfristiger Einbussen in der beruflichen Vorsorge [Vorruhestandsregelungen] etc.). Oft handelt es sich um pauschale Abfindungssummen, deren Zweck unklar ist (Blöchliger, a.a.O., S. 498; Urteil des Bundesgerichts 5A_90/2017 vom 24. August 2017 E. 7.2.3). Kein Kriterium zur Abgrenzung des Zwecks stellt der Modus dar, mit dem die Abfindung bemessen wird, namentlich die Bemessung nach Dienstalter, Funktion (Kader) oder Lebensalter (vgl. Blöchliger, a.a.O., S. 508 mit Hinweis). Dass Dienstalter, Funktion und Lebensalter bei der Bemessung berücksichtigt werden, trifft nämlich ohnehin auf die meisten Abgangsentschädigungen zu (für die gesetzliche Abgangsentschädigung nach Art. 339c OR s. etwa BGE 115 II 30 E. 3). Auch kein Unterscheidungskriterium zur Ermittlung des (objektiven) Zwecks ist die – in der Regel vom Arbeitgeber gewählte – Bezeichnung der Abgangsentschädigung. So unklar der genaue Zweck einer jeden Abfindungsleistung und so schwierig deren Ermittlung ist, so klar (und notorisch) ist also bei objektiver Betrachtungsweise, dass jede Abgangsentschädigung zu einem gewissen Teil den Schmerz der Entlassung lindert und mit jeder Abgangsentschädigung, die freiwillig entrichtet wird (mithin über die vertraglich geschuldeten Lohn- und Gratifikationszahlungen hinausgeht), der Stellenverlust zu einem gewissen Teil abgefedert wird. Objektiv betrachtet kann eine freiwillige Abgangsentschädigung somit kaum ganz auf die Zeit vor, aber auch kaum ganz auf die Zeit nach dem Stellenverlust angerechnet werden (dahingehend auch Urteil des Bundesgerichts 5A_90/2017 vom 24. August 2017 E. 7.2.3). Entscheidend für die Frage, ob die Abänderungsvoraussetzungen gegeben sind, ist, wie erwähnt, stets die Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls.

2.7 Vorliegend erhielt der Kläger ab 1. Januar 2017 monatlich rund CHF 9'100.00 Arbeitslosentaggelder (Schnitt der Monate Februar bis und mit Dezember 2017 [aufgrund der Wartetage ohne Januar 2017]; […]). Im Vergleich zum dem Scheidungsurteil zugrunde gelegten Einkommen von monatlich CHF 11'800.00 (…) stellt dies eine Reduktion von rund 23 % dar. Die Arbeitslosentaggelder werden dem Kläger längstens bis 1. Januar 2019 (24 Monate) ausbezahlt (vgl. Abrechnung der Arbeitslosenkasse Januar 2017 […]: "Rahmenfrist 02.01.17 - 01.01.19").

2.7.1 Wie erwähnt, erhielt der Kläger eine Abgangsentschädigung. Diese entspricht gemäss einem vom Kläger eingereichten Blatt mit der Bezeichnung «COMPENSATION DETAILS (§2 SETTLEMENT AGREEMENT)» 8,5 Monatslöhnen und beläuft sich auf total CHF 149'243.00 brutto. Werden davon die Sozialversicherungsabgaben von ermessensweise 15 % abgezogen, resultiert eine Nettoentschädigung von rund CHF 126'000.00. Verteilt auf die 24 Monate, in denen der Kläger maximal Arbeitslosentaggelder erhält, entspricht das CHF 5'250.00 netto im Monat. Zuzüglich der Arbeitslosentaggelder von CHF 9'100.00 resultiert somit ein monatliches Einkommen von CHF 14'350.00. Würde die Abgangsentschädigung nur auf 20 Monate verteilt, wenn davon ausgegangen würde, dass erst ab einer viermonatigen Arbeitslosigkeit von einer dauerhaften oder erheblichen Veränderung gesprochen wird (vgl. Urteile des Bundesgerichts 5A_78/2014 vom 25. Juni 2014 E. 4.2 und 5A_352/2010 vom 29. Oktober 2010 E. 4.3), dann würde dies sogar einem Nettobetrag von CHF 6'300.00 pro Monat entsprechen, und das monatliche Totaleinkommen des Klägers beliefe sich dann auf CHF 15'400.00. Das Einkommen von monatlich jedenfalls CHF 14'350.00 netto liegt CHF 2'550.00 über dem dem Scheidungsurteil zugrunde liegenden CHF 11'800.00, was eine Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von monatlich rund 22 % entspricht. Vorliegend kann offenbleiben, in welchem Umfang genau die Abgangsentschädigung als Überbrückung der Arbeitslosigkeit oder des Stellenverlustes diente. Denn erstens dient, wie dargelegt (E. 2.6), jede Abgangsentschädigung zu einem gewissen Teil der Abfederung des Stellenverlustes. Und zweitens würde selbst dann kein Abänderungsgrund vorliegen, wenn die Abgangsentschädigung beispielsweise nur zu einem Viertel der Abfederung des Stellenverlustes diente. Dann wären nur ein Viertel der CHF 5'250.00, mithin CHF 1'312.50, als Einkommen zum Arbeitslosentaggeld hinzuzurechnen, womit immer noch ein monatliches Einkommen von CHF 10'412.50 verbliebe. Das wäre im Vergleich zu CHF 11'800.00 eine Verschlechterung von lediglich CHF 1'387.50 oder von 12 %, was aufgrund der vorliegenden Umstände (s. auch nachfolgend E. 2.7.4) nicht als erhebliche oder dauerhafte Veränderung zu taxieren wäre.

2.7.2 Ohnehin aber deutet nichts darauf hin, dass die Abgangsentschädigung ausschliesslich oder über einen Anteil von einem Viertel als Anerkennung für die geleisteten Dienste des Klägers gewährt worden wäre. Denn der Kläger ist, wie er selber ausführt, an Krebs erkrankt, wovon die frühere Arbeitgeberin Kenntnis hatte und was die frühere Arbeitgeberin offenbar dazu bewog, die Kündigungsmodalitäten «sehr zurückhaltend und vorsichtig» einzuleiten. «Nicht zuletzt wegen dieser heiklen Situation», so der Kläger, habe sich seine damalige Arbeitgeberin bereit erklärt, «bei der Bemessung der Abgangsentschädigung eine gewisse Grosszügigkeit zu zeigen». Damals seien die Prognosen der Krebserkrankung sehr schlecht gewesen. Dass er (der Kläger) sich sehr gut erholt habe, sei damals nicht voraussehbar gewesen (…). Damit legt der Kläger selber dar, dass die Grosszügigkeit bei der Bemessung der Entschädigung (auch) auf seine Krebserkrankung zurückzuführen war. Dies hat jedoch mit einer Anerkennung bzw. einer Entschädigung für geleistete Dienste nichts zu tun. Vielmehr steht damit fest, dass sich die damalige Arbeitgeberin insbesondere aufgrund der Krebserkrankung zu einer Abfindungszahlung in grosszügiger Höhe bewogen sah. Bei einer Krebserkrankung mit schlechter Prognose sind die Chancen, die Eigenversorgungskapazität längerfristig auf demselben Niveau zu halten, schlecht. Das ist notorisch. Der Kläger führte jedoch aus, dass er sich sehr gut erholt habe und im Moment sein Gesundheitszustand stabil sei (…). Aus diesem Grund ist es nicht unzumutbar, wenn die Abgangsentschädigung, die umfangmässig auch auf die schlechte Gesundheitsprognose bzw. die «heikle Situation» zurückzuführen war, dem Einkommen des Klägers angerechnet wird, insbesondere nachdem die schlechte Prognose nicht eingetroffen ist.

2.7.3 Aus dem Umstand, dass die Arbeitslosenversicherung die Abgangsentschädigung nicht angerechnet hat (so der Einwand des Klägers […]), lässt sich nichts zu Gunsten des Klägers ableiten. Erstens gelten, wie erwähnt (E. 2.4.1), im Arbeitslosenversicherungsrecht andere Kriterien als im Unterhaltsrecht. Zweitens wäre es unbillig, wenn die Abgangsentschädigung (auch) in der Unterhaltsfrage nicht als Einkommen angerechnet würde, weil dann der Kläger von der Nichtberücksichtigung zweimal – einmal durch die uneingeschränkten Arbeitslosentaggelder und einmal durch Herabsetzung des Unterhalts – profitieren würde.

2.7.4 Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung kommt hinzu, dass als massgebendes Einkommen des Klägers für die im Scheidungsurteil vom 14. April 2010 festgelegten Renten ein Einkommen in Höhe von CHF 11'800.00 netto zugrunde gelegt wurde (...). Nebst der Abgangsentschädigung erhielt der Kläger anlässlich der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einen Bonus für das Jahr 2016 von brutto CHF 77'458.00 und den Monatslohn von CHF 17'558.00 brutto (inklusive Spesenentschädigung von CHF 900.00 pro Monat) für die Zeit der Freistellung (Ziffer 2 des Settlement Agreements […]). Allein die in der Zeit vom 20. Juli 2016 (Datum der Freistellung) bis 31. Dezember 2016 (Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses) erhaltenen Spesen, denen aufgrund der Freistellung keine tatsächlichen Geschäftsauslagen gegenüberstanden, beliefen sich auf über CHF 4'500.00; faktisch führte die Fortzahlung der Spesen sogar zu einer Lohnerhöhung von CHF 900.00 monatlich. Werden nun diese Spesen vom Bruttolohn in Abzug gebracht und von der Differenz schliesslich die Sozialversicherungsabgaben subtrahiert, resultiert ein Nettolohn von CHF 14'308.30 (…). Werden zudem vom Bruttobonus 2016 (CHF 77'458.00) 15 % für Sozialabgaben abgezogen und wird dieser Jahresnettobonus auf zwölf Monate verteilt, resultiert ein monatlicher Bonus von CHF 5'486.60 netto. Gesamthaft belief sich das monatliche Nettoeinkommen des Klägers im Jahr 2016 somit auf CHF 19'794.90. Dieses Einkommen lag rund CHF 8'000.– über dem dem Scheidungsurteil zugrunde gelegten Einkommen des Klägers von netto CHF 11'800.–. Der Lohn von CHF 19'794.90 bedeutet im Vergleich zum Lohn von CHF 11'800.– eine wirtschaftliche Verbesserung von 68 %, was – für sich genommen – bereits zu einer Erhöhung der Renten berechtigt hätte. Ob das im Scheidungsurteil angegebene Einkommen von CHF 11'800.00 der Realität entsprach oder zu tief angesetzt war, ist dabei unerheblich (Schwenzer/Büchler, FamKomm, 3. A. 2017, Art. 129 ZGB N 49). Die Beklagte verlangte indes keine Erhöhung, was bei der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen ist.

2.7.5 Für den Fall, dass die Abgangsentschädigung als Lohnfortzahlung qualifiziert werde, macht der Kläger – im Sinne einer Eventualbegründung – geltend, dass er sich im Hinblick auf das Ende der Bezugstage bei der Arbeitslosenversicherung entschieden habe, eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. eine eigene Gesellschaft zu gründen. Dies verlange von ihm einen erheblichen finanziellen Einsatz. Das Aktienkapital der G. AG belaufe sich auf CHF 100'000.– und sei voll liberiert. Dieses für die berufliche Weiterentwicklung benötigte Kapital sei bei der Abgangsentschädigung vorab in Abzug zu bringen (…). Die Beklagte bestreitet dies (…).

Gemäss Handelsregistereintrag wurde die G. AG am […] Juni 2018 gegründet. Der Kläger, Mitglied des Verwaltungsrates, ist die einzige im Handelsregister eingetragene zeichnungsberechtigte Person dieser Gesellschaft (…). Vorab ist – der Ordnung halber – festzuhalten, dass der Kläger nicht behauptet, die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sommer 2018 sei ein Abänderungsgrund. Der Kläger wendet einzig im Sinne einer Eventualbegründung ein, das Kapital von CHF 100'000.00 sei bei der Abgangsentschädigung vorab in Abzug zu bringen. Dieser Einwand verfängt nicht. Denn massgebend zur Beurteilung, ob geänderte Umstände vorliegen, ist der Zeitpunkt der Einreichung der Abänderungsklage (BGE 137 III 604 E. 4.1.1), mithin der 30. Oktober 2017 (…). Damals war die Selbständigkeit des Klägers noch kein Thema. Zudem behauptet der Kläger nicht explizit, das Aktienkapital sei ausschliesslich von ihm liberiert worden; die Gründungsurkunde der G. AG legt er nicht ins Recht. Zudem behauptet er, wie die Beklagte zu Recht einwendet (…), auch nicht, dass das Aktienkapital aus der Abgangsentschädigung bezahlt wurde. Dass Kosten, die im Hinblick auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit anfallen, als Bedarfspositionen von der Abgangsentschädigung (rechnerisch) in Abzug gebracht werden können, ist zwar nicht ausgeschlossen, setzt aber voraus, dass solche Kosten (beispielsweise Investitionen zwecks Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit oder Weiterbildungskosten zwecks Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt) für die Beibehaltung oder Wiedererlangung der finanziellen Leistungsfähigkeit unumgänglich, zumindest jedoch angemessen sind, was von demjenigen zu beweisen ist, der solche Kosten geltend macht (Art. 8 ZGB), mithin vom Kläger. Der Kläger legt allerdings nicht dar, weshalb eine Aktiengesellschaft (und nicht beispielsweise eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem Stammkapital von CHF 20'000.– oder sogar eine Einzelfirma) gegründet und weshalb das Aktienkapital voll liberiert werden musste. Die Vermutung der Beklagten, der Kläger habe mit diesem Vorgehen den Anrechnungsbetrag der Abgangsentschädigung minimieren wollen (…), ist somit nicht von der Hand zu weisen.

2.7.6 Ebenfalls im Sinne einer Eventualbegründung macht der Kläger geltend, die Abgangsentschädigung sei – wenn überhaupt – nur auf ein Jahr, nämlich das Jahr 2017, verteilt anzurechnen (…).

Auch dieser Einwand ist unbegründet. Erstens dauert der Taggeldanspruch des Klägers zwei Jahre (s. Abrechnung der Arbeitslosenkasse Januar 2017 […]: «Rahmenfrist 02.01.17 - 01.01.19»). Zweitens ist zur Beurteilung, ob geänderte Umstände vorliegen, der Zeitpunkt der Einreichung der Abänderungsklage (BGE 137 III 604 E. 4.1.1), mithin der 30. Oktober 2017 (…), massgebend, und am 30. Oktober 2017 wäre – selbst nach der Eventualbegründung des Klägers – die Abgangsentschädigung noch immer anzurechnen gewesen.

2.8 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Arbeitslosigkeit – falls nur die Arbeitslosentaggelder berücksichtigt werden – zu einer Reduktion des dem Urteil zugrunde gelegten monatlichen Einkommens um 23 % führte, eine Arbeitslosigkeit nicht per sofort, sondern erst nach einer gewissen Dauer (beispielsweise nach vier Monaten) einen Abänderungsgrund darstellt, die Abgangsentschädigung verteilt auf 24 Monate zusammen mit den Arbeitslosentaggeldern zu einem Monatseinkommen führte, das 22 % über dem dem Scheidungsurteil zugrunde gelegten Einkommen liegt und der Kläger bis Ende 2016 ein gegenüber dem Einkommen gemäss Scheidungsurteil um 67 % höheres Einkommen erzielte (die Spesenausrichtung in der Freistellungszeit noch nicht berücksichtigt), ohne dass die Beklagte eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages gefordert hatte. Mithin lag bzw. liegt weder im Zeitpunkt der Einleitung der Klage noch zurzeit, das heisst im Zeitpunkt dieses Entscheids, eine erhebliche oder dauerhafte Veränderung der Verhältnisse im Sinne von Art. 286 Abs. 2 ZGB oder Art. 129 Abs. 3 ZGB vor. Die Klage des Klägers ist daher abzuweisen.

2.9 Weitere Beweise als die eingereichten Urkunden sind nicht abzunehmen. Der Kläger beantragt seine Einvernahme zur Frage, was mit der Abgangsentschädigung abgegolten worden wäre, sowie zur Gründung der G. AG (…). Weiter offerierte der Kläger die Befragung von H., Verantwortlicher der Personalabteilung der F. AG, dazu, dass sich nirgends ein Hinweis finden lasse, wonach die Abgangsentschädigung zur Abfederung einer möglichen Arbeitslosigkeit geleistet worden wäre oder sie Vorsorgecharakter gehabt hätte, sowie zur Berechnung der Abgangsentschädigung (…). Die Befragung des Klägers oder des Zeugen H. zum Zweck der Abgangsentschädigung ist nicht erforderlich, da es, wie erwähnt, nicht auf die subjektive Zweckbestimmung des Arbeitgebers ankommt (E. 2.6), und umso weniger auf den Zweck, den der Kläger der Abgangsentschädigung beimass oder heute beimisst. Die Befragung des Zeugen H. zur Berechnung der Entschädigung ist nicht erforderlich, da der Modus der Berechnung bzw. Bemessung für die Frage der Anrechnung irrelevant ist (E. 2.6). Im Übrigen wird in den Rechtsschriften nicht ausgeführt, dass bei der F. AG alle Abgangsentschädigungen nach dieser Methode bzw. mit exakt denselben Parametern (s. auch E-Mail von H. vom […] Juni 2018 mit Anhang […]) berechnet werden; wie zudem der Kläger selber darlegt (s. seine Ausführungen zur damaligen Krebsprognose [E. 2.7.2]), enthielt die Bemessung der klägerischen Abgangsentschädigung individuelle, klägerspezifische Komponenten. Die Befragung des Klägers zur Gründung der G. AG ist deshalb nicht erforderlich, da der Kläger in der Rechtsschrift nicht darlegt, inwiefern diese Auslagen für die Gründung bzw. die Gründung einer Aktiengesellschaft überhaupt und die volle Liberierung – sofern das Aktienkapital überhaupt (voll) vom Kläger liberiert wurde – für die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit unumgänglich oder angemessen waren.

Entscheid des Einzelrichters des Kantonsgerichts Zug EO 2017 176 vom 6. September 2018

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