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§ 8 Abs. 3 EG BGFA

Regeste:

§ 9 Abs. 3 EG BGFA - Voraussetzungen, unter denen die Berechtigung zur Führung des Titels «Rechtsanwältin» bzw. «Rechtsanwalt» entzogen werden kann.

Aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss § 9 Abs. 1 EG BGFA berechtigt das von der Anwaltsprüfungskommission aufgrund der bestandenen Prüfung erteilte Anwaltspatent die Inhaberin bzw. den Inhaber, unter der Berufsbezeichnung «Rechtsanwältin» bzw. «Rechtsanwalt» aufzutreten und erbringt den Nachweis der fachlichen Voraussetzungen im Sinne von Art. 7 BGFA für die Eintragung im kantonalen Anwaltsregister. Nach § 9 Abs. 3 EG BGFA kann die Berechtigung zur Führung des Titels gemäss Abs. 1 befristet oder unbefristet entzogen werden, wenn strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, welche die Vertrauenswürdigkeit als Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt beeinträchtigen. Zuständig für den Entzug ist die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des Kantons Zug (§ 14 Abs. 1 Bst. d1 EG BGFA).

2. Für die Beurteilung der Frage, ob eine strafrechtliche Verurteilung vorliegt, welche die Vertrauenswürdigkeit als Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt beeinträchtigt, lassen sich dem EG BGFA weder eine Definition noch einzelne Kriterien entnehmen. Die Bestimmung von § 9 Abs. 3 EG BGFA ist folglich auszulegen.

2.1 Eines der Ziele der Teilrevision des EG BGFA von 2016 war es, dieses Gesetz mit einer Regelung zu ergänzen, welche es der Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte ermöglichen soll, in speziellen Fällen die Berechtigung zur Führung des Titels «Rechtsanwältin» bzw. «Rechtsanwalt» zu entziehen. Im Bericht und Antrag des Obergerichts vom 19. August 2015 (Seite 7) wird ausgeführt, dass es beim Entzug der Berechtigung zur Führung des Titels nicht um eine zusätzliche Bestrafung der betroffenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, sondern um den Schutz des Publikums gehe. Dieses kenne in der Regel den Unterschied zwischen eingetragenen und nicht eingetragenen, also ausschliesslich beratend tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten nicht und sei insbesondere nicht mit der Tatsache vertraut, dass lediglich im Anwaltsregister eingetragene Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen der (Disziplinar-)Aufsicht unterstünden. Das rechtsuchende Publikum sei aber vor beiden Kategorien zu schützen, wenn jemand aufgrund eines strafbaren Verhaltens nicht mehr vertrauenswürdig sei. Daher solle solchen Personen die Berechtigung zur Führung des Titels entzogen werden können. Damit werde in diesem einen Punkt eine Gleichbehandlung von eingetragenen und nicht eingetragenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten erreicht.

2.2 Das Bundesgericht befasste sich im Entscheid BGE 104 Ia 189 mit der Frage, wann ein Anwärter mit Rücksicht auf seinen Leumund zu einem der Bewilligungspflicht unterstehenden Beruf zuzulassen ist. Dabei hielt es fest, die beurteilende Behörde dürfe sich nicht mit einer rein formellen Betrachtungsweise begnügen. Vielmehr sei aufgrund des aus Art. 4 BV abgeleiteten Grundsatzes der Verhältnismässigkeit konkret zu prüfen, ob die Lebensführung des Anwärters mit einem Makel behaftet sei, der ihn als zur Ausübung des betreffenden Berufes ungeeignet erscheinen lasse. Das Erfordernis des guten Leumundes sei somit verfassungsgemäss, d.h. unter dem Gesichtswinkel der Zweckangemessenheit auszulegen. Für den Beruf eines Grundbuchverwalters dürfe zweifellos gefordert werden, dass der Anwärter nicht wegen eines Tatbestandes vorbestraft sei, der seinen Charakter und namentlich seine Vertrauenswürdigkeit in Frage stellen würde.

2.3 Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit sind demnach die konkreten Umstände auf die Zweckangemessenheit hin zu prüfen. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gilt auch bei der Beantwortung der Frage, ob Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die persönlichen Voraussetzungen für den Registereintrag erfüllen. Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. b BGFA darf für einen Ein-trag im Register keine strafrechtliche Verurteilung vorliegen wegen Handlungen, die mit dem Anwaltsberuf nicht zu vereinbaren sind. Ob eine bestimmte Handlung mit dem Anwaltsberuf zu vereinbaren ist oder nicht, entscheidet sich aufgrund der konkreten Tatumstände. In Betracht fallen vor allem Handlungen, die vorsätzlich (direkter Vorsatz und Eventualvorsatz) begangen wurden. Liegt demgegenüber blosse Fahrlässigkeit vor, lässt sich die Tat allenfalls noch mit dem Anwaltsberuf vereinbaren. Hier darf kein allzu strenger Massstab angelegt werden. Dies gilt vor allem für leichtere Verfehlungen, selbst wenn sie im Privatauszug erscheinen. Für die Verweigerung des Eintrags im Anwaltsregister bzw. für die Löschung dieses Eintrags muss also stets eine gewisse Tatschwere vorliegen. Tatschwere und Sanktion müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen, also verhältnismässig sein (Staehelin/Oetiker, in: Fellmann/Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. A. 2011, Art. 8 BGFA N 18).

2.4 Die Bestimmung von Art. 8 Abs. 1 lit. b BGFA beruht auf der Überlegung, dass das Vertrauensverhältnis, das zwischen Anwalt und Klient bestehen muss, gestört sein kann, wenn der Anwalt nicht vollumfänglich für Seriosität und Ehrenhaftigkeit bürgt. Es können nur solche Verurteilungen Auswirkungen auf die Ausübung des Anwaltsberufes haben, die mit dem Anwalts-beruf nicht vereinbar sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Anwalt oder in einem privaten Umfeld gehandelt hat. Bei der Prüfung der Frage der Vereinbarkeit der strafrechtlichen Verurteilung mit dem Anwaltsberuf verfügt die Aufsichtsbehörde über einen grossen Beurteilungsspielraum; sie hat indessen stets den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten (Beschluss der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des Kantons Zug AK 2018 1 vom 5. Juni 2018, E. 2 m.w.H.).

2.5 Zu den Handlungen, die nicht mit dem Anwaltsberuf zu vereinbaren sind, zählen namentlich strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (Mord, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung sowie gewisse Handlungen gegen die sexuelle Integrität), Delikte gegen das Vermögen (Betrug, Veruntreuung, Diebstahl, Raub, Erpressung, ungetreue Geschäftsbesorgung, Steuerdelikte), Delikte gegen die Willensfreiheit (Drohung, Nötigung), Urkundenfälschung und Geldwäscherei (insbesondere Art. 305bis StGB); solche sind grundsätzlich geeignet, die berufliche Zutrauenswürdigkeit des Anwalts in Frage zu stellen (Staehelin/Oetiker, a.a.O., Art. 8 BGFA N 20; Urteil des Bundesgerichts 2C_183/2010 vom 21. Juli 2010 E. 2.4, je mit weiteren Hinweisen). Mit dem Anwaltsberuf oft noch zu vereinbaren sind Delikte, bei denen ganz allgemein die kriminelle Energie gering ist (z.B. eine mässige Geschwindigkeitsübertretung nach SVG; BGE 137 II 425, E. 6.1).

3. RA A. hat, wie bereits erwähnt, im Zeitraum von 2008 bis 2015 verschiedene Vermögensdelikte begangen. Namentlich hat er mit Vorsatz und Bereicherungsabsicht Gelder in Höhe von EUR 503'000.–, welche ihm im Zeitraum von 2008 bis 2015 auf geschäftlicher Basis anvertraut wurden, verabredungswidrig verwendet. Zudem hat er, wiederum mit Vorsatz und Bereicherungsabsicht, im Zeitraum von 2013 bis 2015 als treuhänderischer Verwaltungsrat zweier schweizerischer Aktiengesellschaften zu Lasten von deren Konti nicht geschäftsmässig begründete und damit unrechtmässige Überweisungen in Höhe von CHF 257'560.– und CHF 84'000.– getätigt. RA A. ist deswegen mit Strafbefehl vom 11. Mai 2020 rechtskräftig schuldig gesprochen worden der mehrfachen Veruntreuung von Vermögenswerten gemäss Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB sowie der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung gemäss Art. 158 Ziff. 1 i.V.m. Abs. 3 StGB. Sowohl die Veruntreuung nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB als auch die qualifizierte ungetreue Geschäftsbesorgung nach Art. 158 Ziff. 1 i.V.m. Abs. 3 StGB stellen Verbrechen dar. Zwar enthält der Strafbefehl vom 11. Mai 2020 keine Ausführungen zum Verschulden von RA A.. Aufgrund der Strafhöhe (Freiheitsstrafe von 180 Tagen) muss indes angenommen werden, dass die Staatsanwaltschaft das Verschulden RA A. als schwer wertete. Sein Verhalten weist denn auch eine erhebliche Tatschwere in Sinne von Art. 8 BGFA und von § 9 Abs. 3 EG BGFA auf. RA A. hat über einen Zeitraum von gut sieben Jahren hinweg ihm auf geschäftlicher Basis, anfänglich wohl in seiner Eigenschaft als Anwalt, anvertraute Gelder in massiver Höhe vorsätzlich und mit Bereicherungsabsicht veruntreut. Zudem hat er im Zeitraum von 2013 bis 2015 in seiner geschäftlichen Tätigkeit als treuhänderischer Verwaltungsrat zweier Aktiengesellschaften über deren Konti unrechtmässig verfügt, indem er mit Vorsatz und Bereicherungsabsicht nicht geschäftsmässig begründete Überweisungen in grosser Höhe tätigte. Zusätzliches Gewicht erhalten die Verfehlungen von RA A. insofern, als die Staatsanwaltschaft anstelle einer Geldstrafe eine Freiheitsstrafe ausgesprochen hat. Als Begründung für die Anordnung einer Freiheitsstrafe führte die Staatsanwaltschaft aus, vorliegend werde eine (bedingte) Freiheitsstrafe ausgefällt, da (bedingte) Geldstrafen RA A. bisher nicht von erneuter Delinquenz abgehalten hätten und da die Deliktsstruktur zeige, dass der sich ständig in Geldnot befindende Beschuldigte kaum imstande wäre, eine Geldstrafe zu bezahlen.

4. Der Rechtsanwalt wird von seinen Klienten mandatiert, um ihre Interessen auf gesetzeskonformem Weg durchzusetzen. Mit seinem juristischen Wissen und der Erfahrung soll er den Rechtsuchenden helfen. Diese Tätigkeit erfordert ein hohes Mass an Vertrauenswürdigkeit. Diese Vertrauenswürdigkeit ist bei RA A. nicht mehr gegeben. Er hat über Jahre hinweg in seiner geschäftlichen Tätigkeit Gelder in erheblicher Höhe veruntreut und zudem über Konti zweier Aktiengesellschaften unrechtmässig verfügt. Mit diesem Verhalten hat er zum Ausdruck gebracht, dass die erforderliche Seriosität und Ehrenhaftigkeit nicht vorhanden ist. RA A. hat eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt und sich dadurch erhebliche wirtschaftliche Vorteile verschafft. Die der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Handlungen RA A. und die darin zum Ausdruck kommende Geringschätzung gesetzeskonformen Verhaltens beeinträchtigen dessen Vertrauenswürdigkeit als Rechtsanwalt massiv.

5. Nach § 9 Abs. 3 EG BGFA kann die Berechtigung zur Führung des Titels befristet oder unbefristet entzogen werden. Vorliegend ist ein unbefristeter Entzug angezeigt. Mit Blick auf den Schutz des rechtsuchenden Publikums schliessen die massiven und über einen langen Zeitraum verübten Delikte einen befristeten Entzug der Berechtigung zur Führung des Titels aus. Ein unbefristeter Entzug ist auch nicht unverhältnismässig. Einerseits sind die von RA A. verübten Straftaten als Verbrechen und demnach als schwere Taten zu qualifizieren. Erschwerend kommt hinzu, dass RA A. diese Taten in Ausübung seiner beruflichen respektive geschäftlichen Tätigkeit vorgenommen hat. Andererseits führte RA A. in seiner Stellungnahme vom 10. Juli 2020 aus, dass er seit der Löschung seines Eintrags im Anwaltsregister und dem Entzug seiner Notarbefugnis im Jahre 2009 nicht mehr als Rechtsanwalt tätig sei und auch eine allfällige Berufsbezeichnung «Rechtsanwalt» nicht mehr verwende und freiwillig auf eine Verwendung dieser Bezeichnung verzichtet habe. Insofern stellt der unbefristete Entzug keine unverhältnismässige Sanktion dar.

6. Zusammenfassend ergibt sich, dass bei RA A. strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, welche die Vertrauenswürdigkeit als Rechtsanwalt beeinträchtigen. Die Berechtigung zur Führung des Titels Rechtsanwalt ist ihm gestützt auf § 9 Abs. 3 EG BGFA unbefristet zu entziehen.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, 5. November 2020 (AK 2020 8)

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