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Art. 134 ZGB, Art. 298 ZGB, Art. 308 ZGB

Art. 122 ff. ZGB, Art. 124e ZGB, Art. 22f Abs. 1 FZG, Art. 63 Abs. 1bis IPRG

Regeste:

Art. 122 ff. ZGB, Art. 124e ZGB, Art. 22f Abs. 1 FZG, Art. 63 Abs. 1bis IPRG ­– Vorsorgeausgleich bei der beruflichen Vorsorge zurechenbaren ausländischen Vorsorgeguthaben.
Indirekte Teilung ausländischer Vorsorgeguthaben mittels Festlegung einer angemessenen Entschädigung nach Art. 124e ZGB. Auszahlung der angemessenen Entschädigung nach Art. 124e ZGB durch Übertragung einer Austrittsleistung nach Freizügigkeitsgesetz (FZG).

Aus dem Sachverhalt:

Die Parteien heirateten im Jahr 1998. Im Jahr 2018 reichte die Klägerin gegen den Beklagten beim Kantonsgericht Zug die Scheidungsklage ein. Im Ehescheidungsverfahren war u.a. die Teilung der Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge umstritten.
Im Entscheid wies das Kantonsgericht Zug die Freizügigkeitsstiftung, welcher der Beklagte angeschlossen war, gerichtlich an, von dessen Konto gestützt auf Art. 122 ZGB einen Betrag von CHF 529'119.– zuzüglich Zins ab Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens auf ein Vorsorgekonto der Klägerin und gestützt auf Art. 124e ZGB einen Betrag von CHF 204'579.– zuzüglich Zins ab Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens auf ein Freizügigkeitskonto der Klägerin zu überweisen.

Aus den Erwägungen:

13. Schliesslich ist über die Teilung der Guthaben der beruflichen Vorsorge zu befinden.

13.1 Die Parteien beantragen übereinstimmend die hälftige Teilung der Guthaben der beruflichen Vorsorge (…). Die Klägerin macht geltend, der Beklagte verfüge über der beruflichen Vorsorge zurechenbare Guthaben bei der D. Freizügigkeitsstiftung in der Schweiz, bei E. in England sowie bei F. Pension in Südafrika. Die Summe dieser Guthaben sei hälftig zu teilen und die D. Freizügigkeitsstiftung anzuweisen, diesen Betrag auf ein auf die Klägerin lautendes Freizügigkeitskonto zu übertragen (…). Der Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, die Guthaben bei F. Pension seien grösstenteils vorehelich geäufnet worden, weshalb lediglich die Guthaben bei der D. Freizügigkeitsstiftung und der E. zu teilen seien (…).

13.2 Bezüglich der Teilung des Guthabens aus beruflicher Vorsorge gilt die Offizialmaxime. Die Parteien können Anträge zur Teilung stellen. Das Gericht ist an diese allerdings nicht gebunden, da der Vorsorgeausgleich der Disposition der Parteien weitgehend entzogen ist und das Gericht die Bestimmungen über den Vorsorgeausgleich von Amtes wegen anwendet. Zudem gilt im Rahmen des Vorsorgeausgleichs der Untersuchungsgrundsatz. Dies bedeutet, dass das Scheidungsgericht die erforderlichen Angaben betreffend Höhe der Altersguthaben grundsätzlich von Amtes wegen einzuholen hat, wobei sich auch aus den Art. 122 ff. ZGB keine uneingeschränkte Untersuchungsmaxime ergibt. Den Parteien obliegt es daher im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht, dem Gericht die notwendigen Tatsachen und Beweismittel zu unterbreiten. Mit anderen Worten trifft die Parteien eine aktive Mitwirkungspflicht, weshalb die Parteien angehalten werden dürfen, dem Gericht die Höhe der Austrittsleistungen mitzuteilen (Urteil des Bundesgerichts 5A_111/2014 vom 16. Juli 2014 E. 4.2; Oehler, Sachverhaltsermittlung und Beweis im Scheidungsrecht, in: Dolge [Hrsg.], Substantiieren und Beweisen, 2013, S. 111; Jungo/Grütter, in: Schwenzer/Fankhauser [Hrsg.], FamKommentar Scheidung, Band II: Anhänge, 3. A. 2017, Anh. ZPO Art. 281 N 12; Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, Das Familienrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 6. A. 2018, N 10.168 f.; Meyer Honegger, in: Schwenzer/Fankhauser [Hrsg.], FamKommentar Scheidung, Band II: Anhänge, 3. A. 2017, Anh. ZPO Art. 277 N 15 f.). Betreffend die Folgen einer unberechtigten Mitwirkungsverweigerung ist auf E. 4.2.3 zu verweisen.

13.3 Gehört ein Ehegatte oder gehören beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge an und ist bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten, so hat jeder Ehegatte nach Art. 123 ZGB Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung samt Freizügigkeitsguthaben des anderen Ehegatten. Massgeblich für die Berechnung der Austrittsleistung ist der Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens, vorliegend der (…) 2018 (…).

13.4 Da die Klägerin in der Schweiz unbestrittenermassen nie gearbeitet hat, verfügt sie über keine teilbaren Vorsorgenansprüche in der Schweiz. Dass seitens der Klägerin ausländische Vorsorgeguthaben bestünden, wurde nicht geltend gemacht und ist angesichts der sehr kurzen Arbeitstätigkeit der Klägerin nicht anzunehmen (…).

13.5 Der Beklagte verfügt einerseits über eine Freizügigkeitsleistung bei der D. Freizügigkeitsstiftung in der Schweiz in Höhe von CHF 1'058'238.– (…).

Andererseits besteht ein Vorsorgeguthaben des Beklagten bei der E. in England. Bezüglich dem Vorsorgeguthaben bei der E. ist der Beklagte der gerichtlichen Anordnung, einen Kontoauszug per (…) 2018 einzureichen, unberechtigterweise nicht nachgekommen (…). Dies ist bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, weshalb auf den von der Klägerin behaupteten Inhalt abzustellen ist (…). Die Klägerin rechnet dem Beklagten ein Vorsorgeguthaben bei der E. von GBP 76'275.36 bzw. CHF 99'158.– an.

Ausserdem verfügt der Beklagte über ein Vorsorgeguthaben bei F. in Südafrika. Dieses Guthaben hatte per (…) 2009 einen Wert von ZAR 935'520.07 (…). Ausgehend vom Guthaben per (…) 2003 von ZAR 380'728.98 (…) und einer durchschnittlichen Rendite von jährlich 16,19% rechnet die Klägerin dem Beklagten ein Guthaben von rund ZAR 4'200'000.– bzw. CHF 310'000.– an (…). Der Beklagte hat diese Berechnung nicht bestritten. An der Hauptverhandlung führte er lediglich aus, dieser Ausgleichsanspruch sei «grösstenteils vorehelich geäufnet» worden (…), was die Klägerin wiederum bestreitet (…). In welchem Umfang dieser Anspruch vorehelich sein soll, macht der Beklagte jedoch nicht geltend. Ausserdem offerierte er keinen Beweis für die behauptete, rechtshindernde Tatsache, dass das Vorsorgeguthaben grösstenteils vorehelich ist. Insbesondere legt er keinen entsprechenden Kontoauszug per (…) 2018 ins Recht. Dementsprechend ist auf die Berechnung der Klägerin abzustellen.

Mithin verfügt der Beklagte per Stichtag insgesamt über Vorsorgeguthaben in Höhe von CHF 1'467'396.– (= CHF 1'058'238.– + CHF 99'158.– + CHF 310'000.–).

13.6 Die schweizerischen Gerichte – im vorliegenden Fall das Kantonsgericht Zug (…) – sind für den Vorsorgeausgleich ausschliesslich zuständig, sofern und soweit es um den Ausgleich von Vorsorgeansprüchen gegenüber einer schweizerischen Einrichtung der beruflichen Vorsorge geht (Art. 63 Abs. 1bis IPRG). Für Ansprüche im Ausland gegenüber ausländischen Vorsorgeeinrichtungen ist das Kantonsgericht Zug ebenfalls zuständig, allerdings nicht ausschliesslich. Da sich der Vorsorgeausgleich nach dem auf die Scheidung anwendbaren Recht richtet (…), ist vorliegend schweizerisches Recht anwendbar. Dies gilt grundsätzlich auch für Vorsorgeansprüche im Ausland. Bezüglich der Höhe der Anwartschaften und der Frage, wie eine Aufteilung vollzogen werden kann, ist jedoch die für die einzelne Vorsorgeeinrichtung geltende Rechtsordnung massgebend (Urteil des Bundesgerichts 5A_176/2014 vom 9. Oktober 2014 E. 3.2). Das zuständige schweizerische Gericht kann das schweizerische Recht in der Regel nicht direkt auf eine ausländische Vorsorgeeinrichtung anwenden, d.h. im Ausland gelegene Vorsorgeguthaben unmittelbar aufteilen oder den ausländischen Vorsorgeträger in das schweizerische Verfahren einbinden. Ausserdem ist zweifelhaft, ob eine schweizerische Anordnung über die Teilung eines ausländischen Vorsorgeguthabens von einer ausländischen Vorsorgeeinrichtung anerkannt würde. Aus diesen Gründen erfolgt regelmässig eine indirekte Teilung des ausländischen Guthabens mittels Art. 124e Abs. 1 ZGB: Dem berechtigten Ehegatten wird eine angemessene Entschädigung in Form einer Kapitalabfindung oder Rente zugesprochen, wenn das schweizerische Gericht die Teilung der Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge im Ausland nicht wirksam durchführen kann. Das zuständige schweizerische Gericht hat dafür zu sorgen, dass das Gesamtergebnis des Vorsorgeausgleichs den Grundsätzen der Vorsorgeausgleichsregelung des ZGB entspricht (Widmer Lüchinger, Zürcher Kommentar, 3. A. 2018, Art. 63 IPRG N 24 ff. und 63 ff.; Jametti/Weber, in: Schwenzer/Fankhauser [Hrsg.], FamKommentar Scheidung, Band II: Anhänge, 3. A. 2017, Anh. IPR N 79 ff.; vgl. Jungo/Grütter, a.a.O., Anh. ZPO Art. 281 N 4; Jungo/Grütter, a.a.O., Art. 124e ZGB N 14; Grütter, Der neue Vorsorgeausgleich im Überblick, FamPra.ch 2017, S. 151; Urteil des Bundesgerichts 5A_623/2007 vom 4. Februar 2008 E. 2; Botschaft vom 29. Mai 2013 zur Änderungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, BBl 2013 4887, S. 4929).

13.7 Gemäss Art. 124e Abs. 1 ZGB schuldet der verpflichtete Ehegatte dem berechtigten Ehegatten eine angemessene Entschädigung in Form einer Kapitalabfindung oder einer Rente, wenn ein Ausgleich aus Mitteln der beruflichen Vorsorge nicht möglich ist. Es kann vorkommen, dass Guthaben und Anwartschaften der beruflichen Vorsorge zuzurechnen sind, aber dennoch keine Austrittsleistungen gemäss Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (FZG, SR 831.42) bestehen bzw. dieses und das BVG für die Berechnung der Ansprüche und die Frage derer Übertragbarkeit nicht anwendbar sind. Dies trifft insbesondere auf ausländische Vorsorgeguthaben zu. Die in diesem Fall zu leistende angemessene Entschädigung ist nach gerichtlichem Ermessen festzulegen. Die Bemessung erfolgt – wie nach altem Recht (aArt. 124 ZGB) – zweistufig: Da sich jeder Vorsorgeausgleich an der hälftigen Teilung orientiert, ist in einem ersten Schritt der Betrag festzulegen, der bei hälftiger Teilung geschuldet wäre. In einem zweiten Schritt ist dieser Betrag nach den Vorsorgebedürfnissen beider Ehegatten zu gewichten, denn die Angemessenheit der Entschädigung wird mit Rücksicht auf die Vorsorgebedürfnisse der Ehegatten beurteilt. Ebenfalls zu berücksichtigen sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nach der Scheidung. Dem Gericht kommt dabei ein grosses Ermessen zu. Die Auszahlung der so festgelegten angemessenen Entschädigung kann (anstelle einer Rente oder Kapitalabfindung) auch durch Übertragung einer Austrittsleistung nach FZG erfolgen. Es kann sein, dass zwar ein bestimmtes Guthaben aus der beruflichen Vorsorge nicht geteilt werden kann, der Ehegatte aber über weitere Vorsorgeguthaben verfügt, die sehr wohl einer Teilung zugänglich sind. Das Gericht kann dann von diesen mehr als die Hälfte auf Anrechnung an die angemessene Entschädigung nach Art. 124e Abs. 1 ZGB übertragen. Diese Möglichkeit wird in Art. 124e Abs. 1 ZGB nicht erwähnt, ist aber in Art. 22f Abs. 1 FZG ausdrücklich vorgesehen (Geiser, Basler Kommentar, 6. A. 2018, Art. 124e ZGB N 5, 8 und 9; Jungo/Grütter, a.a.O., Art. 124e ZGB N 3, 8 und 12; Widmer Lüchinger, a.a.O., Art. 63 IPRG N 64; Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, a.a.O., Rz 10.60c f.; Urteil des Bundesgerichts 5A_623/2007 vom 4. Februar 2008 E. 3; Botschaft vom 29. Mai 2013 zur Änderungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, BBl 2013 4887, S. 4922).

13.8 Der Beklagte verfügt über eine Austrittsleistung nach FZG in Höhe von CHF 1'058'238.00 bei der D. Freizügigkeitsstiftung sowie über ausländische Vorsorgeguthaben im Betrag von CHF 409'158.– (vgl. E. 13.5).

13.8.1 Die hälftige Teilung der in der Schweiz gelegenen Vorsorgeguthaben ergibt einen Anspruch der Klägerin in Höhe von CHF 529'119.– (vgl. E. 13.3).

13.8.2 Anschliessend ist die angemessene Entschädigung gemäss Art. 124e Abs. 1 ZGB festzulegen (vgl. E. 13.7). Im ersten Schritt sind die ausländischen Vorsorgeguthaben hälftig zu teilen, was einen Betrag von CHF 204'579.00 ergibt. Anschliessend ist dieser Betrag – im zweiten Schritt – nach den Vorsorgebedürfnissen und den wirtschaftlichen Verhältnissen der Ehegatten nach der Scheidung zu gewichten. Vorliegend sind die unterschiedlichen Wohnsitze bzw. Lebensmittelpunkte der Parteien von grundlegender Bedeutung. In Mosambik, wo der Beklagte nach eigenen Angaben lebt, sind sowohl die Einkommen als auch die Lebenshaltungskosten bedeutend tiefer als in der Schweiz. Dies wird vom Beklagten anerkannt (…). Dementsprechend besteht auf Seiten der Klägerin ein wesentlich höheres Vorsorgebedürfnis. Der Beklagte hat nicht behauptet, er würde in Zukunft (insbesondere nach Eintritt ins ordentliche Pensionsalter) wieder in die Schweiz zurückkehren. Mangels gegenteiliger Hinweise ist bei der Klägerin davon auszugehen, dass sie auch künftig in der Schweiz leben wird. Am erheblich höheren Vorsorgebedürfnis der Klägerin würde sich aber selbst dann nichts ändern, wenn die Klägerin – als britische Staatsangehörige – ihren Lebensmittelpunkt nach Grossbritannien verlegen würde; auch zwischen Mosambik und Grossbritannien bestehen bezüglich Einkommen und Lebenshaltungskosten erhebliche Unterschiede. Kein anderes Bild ergibt sich, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien nach der Scheidung berücksichtigt werden: Die Klägerin hat zwar Anspruch auf einen nachehelichen Unterhalt in Form einer Kapitalabfindung sowie auf eine güterrechtliche Ausgleichszahlung. Aufgrund der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in der Schweiz und Mosambik sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten dennoch als bedeutend besser einzustufen als jene der Klägerin. Aus diesen Gründen rechtfertigt es sich, der Klägerin antragsgemäss die Hälfte der ausländischen Guthaben, mithin CHF 204'579.–, als Entschädigung gemäss Art. 124e Abs. 1 ZGB zuzusprechen. Die F. Freizügigkeitsstiftung ist entsprechend anzuweisen.

Entscheid des Kantonsgerichts Zug A1 2018 11 vom 19. November 2019

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