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Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG

Regeste:

Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG. – Das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte kann während der gesamten fünfjährigen Frist von Art. 8a Abs. 4 SchKG, mithin auch nach Ablauf der Jahresfrist von Art. 88 Abs. 2 SchKG, gestellt werden.

Aus dem Sachverhalt:

1. Am 1. Februar 2019 leitete die A. AG beim Betreibungsamt X. gegen die B. AG eine Betreibung für eine Forderung von CHF 256'500.– ein (Nr. …). Gleichentags leitete auch die C. SA gegen die B. AG beim Betreibungsamt X. eine Betreibung für eine Forderung von CHF 421'347.– ein (Nr. …).

2. Die B. AG verlegte am 1. Februar 2019 ihren Sitz von X. nach Y. Das Betreibungsamt X. konnte daher die Zahlungsbefehle in den Betreibungen Nrn. … und … nicht zustellen.

3. Mit Schreiben vom 18. November 2020 ersuchte die B. AG das Betreibungsamt X., die Betreibungsregistereinträge in den Betreibungen Nrn. … und … gestützt auf Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG ab sofort Dritten nicht mehr bekannt zu geben. Mit Verfügung vom 23. November 2020 wies das Betreibungsamt X. das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte ab.

4. Dagegen liess die B. AG (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 26. November 2020 Beschwerde bei der II. Beschwerdeabteilung des Obergerichts Zug als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs einreichen und folgende Anträge stellen:

1. Es sei die Verfügung des Betreibungsamtes X. vom 23. November 2020 aufzuheben und das Betreibungsamt X. anzuweisen, die Betreibungen Nrn. … und … vom 1. Februar 2019 Dritten nicht mehr bekannt zu geben.

2. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Staatskasse.

5. In der Beschwerdeantwort vom 3. Dezember 2020 beantragte das Betreibungsamt X. sinngemäss die Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen

1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, laut Ziff. 5 der Weisung der Dienststelle Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs Nr. 5 des Bundesamtes für Justiz (neuer Art. 8a Abs. 3 Bst. d SchKG) vom 18. Oktober 2018 sei das Gesuch um Nichtbekanntgabe eines Betreibungsregistereintrages auch nach Ablauf der Einjahresfrist gemäss Art. 88 Abs. 2 SchKG zulässig. Setze der Gläubiger nach Ablauf der Einjahresfrist die Betreibung nicht fort, gelte sie als unbegründet und dürfe Dritten nicht mehr bekannt gegeben werden. Eine Fristansetzung an den Gläubiger gemäss Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG müsse vorliegend nicht erfolgen, da der Gläubiger erloschene Betreibungen in keinem Fall fortsetzen könne; eine Fristansetzung wäre daher sinnlos.

2. Das Betreibungsamt hält dem entgegen, die Beschwerdeführerin habe vom 26. Februar 2014 bis zum 11. Februar 2020 ihren Hauptsitz an der … in X. gehabt. Im Betreibungsregisterauszug seien sämtliche Betreibungen, welche während diesem Zeitraum eingegangen seien, aufzuführen, ausser (1) die Betreibung sei nichtig oder aufgrund einer Beschwerde oder eines gerichtlichen Entscheides aufgehoben, (2) der Schuldner habe mit einer Rückforderungsklage obsiegt oder (3) der Gläubiger habe die Betreibung zurückgezogen. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt.

3. Gemäss Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG geben Ämter Dritten von einer Betreibung keine Kenntnis, wenn der Schuldner nach Ablauf einer Frist von drei Monaten seit der Zustellung des Zahlungsbefehls ein entsprechendes Gesuch gestellt hat, sofern der Gläubiger nach Ablauf einer vom Betreibungsamt angesetzten Frist von 20 Tagen den Nachweis nicht erbringt, dass rechtzeitig ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlages (Art. 79-84 SchKG) eingeleitet wurde.

3.1 Zunächst ist zu prüfen, ob das Betreibungsamt X. für die Beurteilung des Gesuchs um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte zuständig war, konnten doch in den fraglichen Betreibungen Nrn. … und … keine Zahlungsbefehle zugestellt werden.

3.1.1 Zuständig für das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte ist dasjenige Betreibungsamt, bei welchem die beanstandete Betreibung eingereicht worden ist bzw. welches den Zahlungsbefehl ausgestellt hat. Ein unzuständiges Amt hat ein Gesuch um Nichtbekanntgabe gemäss Art. 32 Abs. 2 SchKG an das zuständige Amt zu überweisen (vgl. Weisung der Dienststelle Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs Nr. 5 [neuer Art. 8a Abs. 3 Bst. d SchKG] des Bundesamtes für Justiz vom 18. Oktober 2018, S. 2 Ziff. 4; Rodriguez/Gubler, Die Abwehr von Betreibungsregistereinträgen ab dem 1. Januar 2019, in: ZBJV 2019 S. 24).

3.1.2 Das Betreibungsamt X. stellte in den Betreibungen Nrn. … und … zwar die Zahlungsbefehle aus, konnte diese aber nicht zustellen, da die Beschwerdeführerin am 1. Februar 2019 ihren Sitz von X. nach Y. verlegte. Gleichwohl war das Betreibungsamt X. zuständig für die Beurteilung des Gesuchs um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte, da die fraglichen Betreibungen beim Amt eingereicht wurden und es die entsprechenden Zahlungsbefehle ausgestellt hat.

3.2 Weiter ist zu prüfen, ob das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte auch nach Ablauf der Jahresfrist von Art. 88 Abs. 2 SchKG gestellt werden kann, um zu verhindern, dass diese bis zu fünf Jahre lang (Art. 8a Abs. 4 SchKG) im Register erscheint.

3.2.1 Laut Ziff. 5 der Weisung der Dienststelle Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs Nr. 5 (neuer Art. 8a Abs. 3 Bst. d SchKG) des Bundesamtes für Justiz vom 18. Oktober 2018 ist auf ein Gesuch, das eine Betreibung betrifft, die vor mehr als fünf Jahren eingeleitet wurde und folglich nicht mehr im Betreibungsregisterauszug für Dritte einsehbar ist, mangels Rechtsschutzinteresse nicht einzutreten. Zur Frage, ob es dem Betriebenen möglich sein soll, nach Ablauf der Jahresfrist von Art. 88 Abs. 2 SchKG noch ein Gesuch um Nichtbekanntgabe der Betreibung zu stellen, äussert sich die Weisung nicht explizit.

3.2.2 Nach Rodriguez/Gubler überwiegen die Gründe, das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte während der gesamten fünfjährigen Frist von Art. 8a Abs. 4 SchKG zuzulassen. Ein Gläubiger, der es unterlassen habe, rechtzeitig gegen den Rechtsvorschlag vorzugehen, gebe zu erkennen, dass die Betreibung wahrscheinlich unbegründet sei. Dies entspreche der Idee des Gesetzgebers: Wo eine Betreibung nicht fortgesetzt werde, gelte sie im Sinne der Revision als unbegründet. Sei die Betreibung gerechtfertigt gewesen, so müsse der Gläubiger zur Durchsetzung seiner Forderung ohnehin eine neue Betreibung anheben und den Rechtsvorschlag (diesmal) innert der Frist von Art. 88 Abs. 2 SchKG beseitigen lassen. Tue er dies, so erscheine diese Betreibung (die ja dieselbe Forderung betreffe) definitiv im Betreibungsregisterauszug (Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG). Hinzu komme, dass auch aus intertemporal-rechtlichen Gründen nicht auf die Frist von Art. 88 Abs. 2 SchKG abgestellt werden sollte; ansonsten müssten sich vor dem 1. Januar 2019 (zu Unrecht) betriebene Personen noch bis zu vier Jahre mit alten Einträgen plagen (Rodriguez/Gubler, a.a.O., S. 24).

3.2.3 Auch Bernauer (Der neue Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG in der Praxis, in: AJP 7/2019, S. 699) vertritt die Ansicht, dass ein Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte auch nach dahingefallener Betreibung, d.h. nach Ablauf der Frist für das Fortsetzungsbegehren gemäss Art. 88 Abs. 2 SchKG, erlaubt sein sollte. Erstens handle ein Gläubiger, der sich nicht rasch nach Erhebung eines Rechtsvorschlags an den Richter wende, nach Auffassung des Gesetzgebers gegen Treu und Glauben. Nachdem er sich an einer Vollstreckung nicht interessiert gezeigt habe, sei ein allfälliges Interesse des Gläubigers an der weiteren Bekanntgabe des Eintrags im Betreibungsregister aber von vornherein in Frage gestellt. Zweitens tangiere das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung ohnehin nicht in erster Linie die Interessen des Gläubigers, dessen Betreibung nicht mehr bekanntgegeben werde, sondern die Interessen der Öffentlichkeit resp. potentieller Gläubiger an einem aussagekräftigen Betreibungsregister. Diese Interessen seien vom Gesetzgeber bei der Schaffung von Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG berücksichtigt worden. Drittens sei es keineswegs so, dass der Gläubiger gar nicht mehr reagieren könne. Abgesehen davon, dass er seine Forderung unabhängig von der Betreibung mittels Anerkennungsklage geltend machen könnte, könne der Gläubiger vielmehr grundsätzlich jederzeit erneut die Betreibung einleiten. Ein Interesse daran, dass auch die ursprüngliche, inzwischen dahingefallene Betreibung weiterhin im Register erscheine – mithin zwei Einträge betreffend dieselbe Forderung bestünden –, sei nicht ersichtlich.

3.2.4 Demgegenüber soll es nach Brönnimann (Verstärkter Schutz vor ungerechtfertigten Betreibungen und ihren Auswirkungen – Zu den Änderungen von Art. 8a, Art. 73 und Art. 85a SchKG, in: Festschrift für Jolanta Kren Kostkiewicz, Zivilprozess und Vollstreckung national und international – Schnittstellen und Vergleiche, 2018, S. 414 f.) dem Betriebenen nicht möglich sein, nach Ablauf der Jahresfrist von Art. 88 Abs. 2 SchKG ein Gesuch um Nichtbekanntgabe zu stellen. Der Gläubiger könne nach Ablauf der Jahresfrist gar nicht mehr reagieren. Daher sei ein Vorgehen nach Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG nach dahingefallener Betreibung nicht geeignet, die gerechtfertigten von den ungerechtfertigten Betreibungen zu unterscheiden.

3.2.5 Das Bundesgericht hat die Frage, ob der Betriebene nach Ablauf der Jahresfrist von Art. 88 Abs. 2 SchKG, welche die Gültigkeit des Zahlungsbefehls begrenzt und nach deren Ablauf der Gläubiger nicht mehr tätig werden kann (sondern ohnehin eine neue Betreibung anheben müsste), ein Gesuch um Nichtbekanntgabe der Betreibung stellen kann, damit diese nicht weiter – bis zu fünf Jahren (Art. 8a Abs. 4 SchKG) – im Register erscheine, bisher nicht erörtert (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_656/2019 vom 22. Juni 2020 E. 3.5).

3.2.6 Insgesamt überwiegen die Gründe, die für die Zulassung des Gesuchs um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte während der gesamten fünfjährigen Frist von Art. 8a Abs. 4 SchKG sprechen. Es besteht ein Rechtsschutzinteresse an der Behandlung von Gesuchen um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte während der gesamten fünfjährigen Frist von Art. 8a Abs. 4 SchKG. Setzt der Gläubiger eine Betreibung innert der Frist von Art. 88 Abs. 2 SchKG nicht fort oder kann er – wie vorliegend – eine Betreibung gar nicht fortsetzen, war die Betreibung wahrscheinlich unbegründet. Für solche unbegründeten Betreibungen schuf der Gesetzgeber die Möglichkeit, nach Art. 8a Abs. 3 lit. d SchKG vorzugehen. Dementsprechend hat das Betreibungsamt X. das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte zu Unrecht abgewiesen.

4. In Gutheissung der Beschwerde ist demnach die Verfügung des Betreibungsamtes X. vom 23. November 2020 in den Betreibungen Nrn. … und … aufzuheben. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Nichtbekanntgabe der Betreibungen Nrn. … und … ist gutzuheissen und das Betreibungsamt X. anzuweisen, diese Betreibungen Dritten nicht bekanntzugeben.

Das Verfahren vor der kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs ist kostenlos (Art. 20a Abs. 2 Ziff. 5 SchKG). Parteientschädigungen sind nicht auszurichten (Art. 62 Abs. 2 GebV SchKG).

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, Urteil vom 4. März 2021 (BA 2020 42)

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