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Staats- und Verwaltungsrecht

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Gesellschaftsrecht

Art. 697i und Art. 697j i.V.m. Art. 697m OR; Art. 706b OR

Regeste:

Solange der Aktionär seinen GAFI-Meldepflichten nach Art. 697i und Art. 697j OR nicht nachgekommen ist, ruhen gemäss Art. 697m Abs. 1 OR die Mitgliedschaftsrechte, die mit den Aktien verbunden sind, deren Erwerb gemeldet werden muss. Die Erfüllung der Meldepflicht verfolgt keinen Selbstzweck. Eine Ausnahme von der Meldepflicht besteht namentlich dann, wenn der Gesellschaft die meldepflichtigen Angaben gemäss Art. 697i OR und Art. 697j OR bekannt sind und die Gesellschaft eine Eintragung im Verzeichnis der Inhaberaktionäre gemäss Art. 697l OR auch ohne formelle Meldung vornehmen kann (E. 4.6). Die Berufung auf 697m Abs. 1 OR ist im Übrigen i.S.v. Art. 2 Abs. 2 ZGB missbräuchlich, wenn die Anrufung dieser Norm zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will, und das Verhalten der sich darauf berufenden Aktiengesellschaft gleichsam im Widerspruch zu ihrem früherem Verhalten steht (E. 6). Die Abhaltung einer Universalversammlung in Abwesenheit auch nur eines Aktionärs oder seiner Vertretung stellt einen schwerwiegenden formellen Mangel dar, der zur Nichtigkeit der anlässlich dieser Versammlung getroffenen Beschlüsse führen muss (E. 8).

Aus dem Sachverhalt:

1.1 Die Beklagte ist eine nicht börsenkotierte Schweizer Aktiengesellschaft mit Sitz in Zug und bezweckt den Rohstoffhandel als Händler, Distributor oder Agent sowie die Beratung von Rohstoffproduzenten, Handelsunternehmen und anderen Dienstleistern in dieser Branche.

1.2 Die Beklagte wurde ursprünglich im Jahr 2011 von A. und B. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Schweizer Recht unter der Firma C. GmbH gegründet. A. und B. waren als Gesellschafter je 50 % am Stammkapital von CHF 20'000.– der C. GmbH beteiligt.

1.3 Am 23. Oktober 2014 (Datum des Eintrags im Handelsregister) änderte die Beklagte ihre Rechtsform und wurde in die heutige Aktiengesellschaft umgewandelt. Das Aktienkapital der Beklagten von CHF 100'000.– ist in 1'000 Inhaberaktien mit einem Nennwert von je CHF 100.– eingeteilt.

1.4 Im Zusammenhang mit der im Rahmen der Umwandlung durchgeführten Kapitalerhöhung brachte die von B. zu 100 % beherrschte B. mbH, eine deutsche Gesellschaft mit begrenzter Haftung mit Sitz in Ingolstadt, Deutschland, CHF 40'000.– ein. Nach der Umwandlung verkaufte B. seine Beteiligung von 10 % an der Beklagten an die B. mbH, die daraufhin 50 % der Anteile an der Beklagten hielt.

1.5 Die Klägerin ist eine deutsche Gesellschaft mit begrenzter Haftung mit Sitz in München, Deutschland. Im Zusammenhang mit der im Rahmen der Umwandlung durchgeführten Kapitalerhöhung brachte die Klägerin, welche zu diesem Zeitpunkt zu 100 % direkt von A. gehalten wurde, ebenfalls CHF 40'000.– ein. Gemäss Beschluss der ausserordentlichen Generalversammlung vom 13. Juni 2014 wurden der Klägerin daher total 400 Inhaberaktien zugeteilt. Das entsprach einer Beteiligung von 40 % am Aktienkapital der Beklagten. Weitere 100 Inhaberaktien und damit 10 % am Aktienkapital wurden A. zugeteilt. Nach der Umwandlung übertrug A. seine Beteiligung von 10 % an der Beklagten an die Klägerin.

1.6 Vom Parlament wurde am 12. Dezember 2014 das Bundesgesetz zur Umsetzung der 2012 revidierten Empfehlungen der Groupe d’action financière (GAFI) verabschiedet. Am 1. Juli 2015 traten die sog. GAFI-Bestimmungen von Art. 697i-m im OR in Kraft.

1.7 Am 5. April 2017 und am 18. Oktober 2017 fanden ausserordentliche Generalversammlungen der Beklagten – in Form von Universalversammlungen – statt, an welchen die Klägerin teilnahm und insbesondere Dividendenausschüttungen beschlossen wurden.

1.8 Am 8. August 2018 stellte die Klägerin beim Kantonsgericht Zug, Einzelrichter, ein Gesuch betreffend Auskunft und Einsicht sowie betreffend Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung gegen die Beklagte (Verfahren ES 2018 449). Mit Entscheid vom 6. März 2019 wies der Einzelrichter das Gesuch ab.

1.9 Am 16. April 2019 hielt die Beklagte drei ordentliche Generalversammlungen für die Geschäftsjahre 2015, 2016 und 2017 in Form von Universalversammlungen ab. An diesen Generalversammlungen wurden für diese Geschäftsjahre der Beklagten sämtliche Jahresrechnungen und Geschäftsberichte sowie die jeweilige Gewinn- und Verlustverwendung genehmigt. Zudem wurden sämtlichen Verwaltungsratsmitgliedern Entlastung erteilt und die bestehenden Verwaltungsratsmitglieder für eine neue dreijährige Amtsperiode bis 2021 gewählt. Die Klägerin wurde zu diesen Versammlungen weder eingeladen, noch nahm sie an diesen teil.

Aus den Erwägungen:

(…)
3. Betreffend die Gültigkeit der am 16. April 2019 getroffenen Generalversammlungsbeschlüsse stellt sich die Beklagte auf den Standpunkt, die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin hätten im relevanten Zeitraum i.S.v. Art. 697m Abs. 1 OR geruht, da sie es zuvor versäumt habe, die gesetzlich geforderten GAFI-Meldungen vorzunehmen. Als Konsequenz daraus sei der Klägerin kein Anspruch auf Einladung und Teilnahme an den Generalversammlungen vom 16. April 2019 zugekommen.

3.1 Die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin seien bis am 23. April 2019 suspendiert gewesen, da es die Klägerin bis dahin unterlassen habe, ihrer Pflicht zur Meldung des Erwerbs von Inhaberaktien gemäss Art. 697i OR sowie der Meldung der wirtschaftlich berechtigten Person gemäss Art. 697j OR nachzukommen. Erst mit dem mit Datum vom 15. April 2019 versehenen Schreiben (eingegangen bei der Beklagten am 23. April 2019) sei die Klägerin ihren GAFI-Meldepflichten nachgekommen. Gemäss diesem Schreiben sei A. wirtschaftlich berechtigte Person (Ultimate Beneficial Owner [UBO]) der Klägerin, welche im Zeitpunkt der Meldung zu 50 % am Aktienkapital der Beklagten beteiligt gewesen sei.

Den entsprechenden Generalversammlungen der Beklagten vom 16. April 2019 sei ein Gesuch betreffend Auskunft und Einsicht sowie betreffend Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung gegen die Beklagte vom 8. August 2018 und ein entsprechendes Verfahren vor dem Kantonsgericht Zug vorausgegangen (Verfahren ES 2018 449). Im Entscheid vom 6. März 2019 habe der Einzelrichter festgehalten, dass die Klägerin ihren GAFI-Meldepflichten nicht nachgekommen sei und deshalb ihre Mitgliedschaftsrechte ruhen würden.

Auch das von der Klägerin im Verfahren ES 2018 449 eingereichte und vom Einzelrichter aufgrund der Novenschranke nicht mehr berücksichtigte Schreiben der Klägerin vom 13. Dezember 2018 habe die gesetzlichen Anforderungen an korrekte GAFI-Meldungen nicht erfüllt. Die Klägerin verschweige dabei, dass insbesondere die GAFI-Meldung nach Art. 697i OR namentlich mangels des erforderlichen ldentifikationsnachweises nicht rechtsgenüglich erfolgt sei. Mit dem Schreiben vom 13. Dezember 2018 habe der Rechtsvertreter der Klägerin nur einen nicht beglaubigten Auszug aus dem Handelsregister der Klägerin vom 20. November 2017 vorgelegt. Es habe somit an der erforderlichen Beglaubigung und der Aktualität des Auszugs gefehlt. Die vermeintlichen GAFI-Meldungen der Klägerin seien damit offenkundig unvollständig gewesen und hätten von der Beklagten in dieser Form nicht anerkannt werden dürfen. Gemäss dem GAFI-Gesetz sei es einzig und allein an der Klägerin gewesen, ihren GAFI-Meldungen proaktiv unter Beilegung der erforderlichen Dokumente nachzukommen. Die Beklagte sei in keiner Weise verpflichtet, eigene Nachforschungen anzustellen. Auch eine anerkannte oder unbestrittene Aktionärseigenschaft würde den Aktionär nicht von der formellen Meldepflicht entbinden. Es handle sich um ein sehr formalisiertes Verfahren, und es gehe um Geldwäscherei und die Terrorismusbekämpfung. Das Gesetz schreibe klar vor, wie diese Meldung zu erstatten sei. In Bezug auf die gesetzlich vorgesehenen Konsequenzen bleibe kein Interpretationsspielraum.

Die Beklagte sei somit ohne Weiteres berechtigt gewesen, die Generalversammlungen als Universalversammlungen i.S.v. Art. 701 OR abzuhalten. Einer vorgängigen Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatts (SHAB) habe es nicht bedurft; eine derartige Einberufungsmodalität gelte bei einer Universalversammlung gerade nicht.

3.2 Die Klägerin bringt demgegenüber zusammengefasst und im Wesentlichen vor, die Beklagte wisse seit ihrer Umwandlung von einer GmbH in eine AG im Herbst 2014 um die Aktionärsstellung der Klägerin. Diese Aktionärsstellung habe die Beklagte seither auch mehrfach anerkannt. Die Klägerin legt verschiedene Ereignisse dar, bei welchen die Beklagte die Aktionärsstellung der Klägerin und den an den Aktien der Beklagten wirtschaftlich Berechtigten anerkannt habe. Beispielsweise habe die Beklagte die Klägerin in einem hängigen Gerichtsverfahren in Deutschland als ihre «50 %-ige Aktionärin» bezeichnet. Weiter habe die Beklagte im Jahr 2017 zwei ausserordentliche Generalversammlungen durchgeführt, zu denen die Klägerin zugelassen und an denen ihr jeweils eine Dividende ausgeschüttet worden sei – einmal sogar explizit entsprechend ihrer 50 %-igen Beteiligung.

Ebenso habe die Beklagte A. mehrfach als wirtschaftlich berechtigte Person an 500 ihrer Inhaberaktien, die von der Klägerin gehalten würden, anerkannt. So habe die Beklagte A. als ihren «UBO» bezeichnet. Weiter habe die Beklagte Kaufangebote hinsichtlich der 50 %-Beteiligung der Klägerin an der Beklagten explizit an A. gerichtet. Zudem habe die Beklagte A. in einem hängigen Gerichtsverfahren in Deutschland als mittelbar (über die Klägerin) an der Beklagten beteiligt bezeichnet.

Schliesslich habe die Klägerin der Beklagten vorsichtshalber am 13. Dezember 2018 eine Meldung betreffend die von ihr gehaltenen Inhaberaktien an der Beklagten und ihrer wirtschaftlich berechtigten Person zugestellt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt seien deshalb sämtliche (vorgeschobenen) Zweifel der Beklagten an der Stellung der Klägerin als 50 %-ige Aktionärin der Beklagten und an der Stellung von A. als wirtschaftlich berechtigte Person an der Beklagten ausgeschlossen gewesen.

Selbst wenn das Schreiben vom 13. Dezember 2018 nicht als rechtsgültige GAFI-Meldung gewertet würde, hätte die Beklagte zur Wahrung der Aktionärsrechte dieser «unbekannten» Aktionäre die Einberufung der strittigen Generalversammlungen, zumindest aber die Mitteilung über die Auflage der Geschäftsberichte am Gesellschaftssitz im SHAB publizieren müssen. Schliesslich hätte den «unbekannten» Aktionären die Möglichkeit geboten werden müssen, sich mittels (rechtzeitiger) GAFI-Meldung Zugang zu den strittigen Generalversammlungen zu verschaffen. Aus diesem Grund habe die Beklagte auf keinen Fall auf die Publikationen im SHAB verzichten dürfen.

Im Ergebnis sei der Klägerin als unliebsame Aktionärin eine Teilnahme an den strittigen Generalversammlungen bewusst verunmöglicht worden. Dabei habe es sich nicht etwa um ein Versehen seitens der Beklagten gehandelt. Vielmehr hätten die Beklagte und die andere 50 %-ige Aktionärin der Beklagten beabsichtigt, die Klägerin bewusst von der Beschlussfassung und Geltendmachung ihrer Aktionärsrechte ausschliessen. Die jeweiligen Generalversammlungsbeschlüsse seien deshalb nichtig. Die SHAB-Meldung sei gesetzlich und gemäss Art. 21 der Statuten der Beklagten vorgeschrieben gewesen.

4. Ausgehend von der (materiell-rechtlichen) Aktionärsstellung der Klägerin ist vorliegend die strittige Rechtsfrage zu klären, ob die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin i.S.v. Art. 697m Abs. 1 OR geruht haben und die Beklagte berechtigt war, die Klägerin von den Generalversammlungen der Beklagten vom 16. April 2019 auszuschliessen.

4.1 Am 1. Juli 2015 traten die GAFI-Bestimmungen von Art. 697i–m OR in Kraft. Dabei betrifft ein wesentlicher Anteil der neuen Regulierung verschärfte Meldepflichten von Inhabern von Beteiligungsrechten, insbesondere den Aktionären (Facincani/Sutter, Meldepflichten des Aktionärs bei privaten Aktiengesellschaften – Auf dem Weg zum gläsernen Aktionär?, TREX 2015 S. 216).

Wer Inhaberaktien einer Gesellschaft erwirbt, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind, muss gemäss Art. 697i Abs. 1 OR den Erwerb, seinen Vor- und seinen Nachnamen oder seine Firma sowie seine Adresse innert Monatsfrist der Gesellschaft melden. Der Aktionär hat den Besitz der Inhaberaktie nachzuweisen und sich als ausländische juristische Person wie folgt zu identifizieren: durch einen aktuellen beglaubigten Auszug aus dem ausländischen Handelsregister oder durch eine gleichwertige Urkunde (Art. 697i Abs. 2 OR). Wer allein oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Aktien einer Gesellschaft, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind, erwirbt und dadurch den Grenzwert von 25 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen erreicht oder überschreitet, muss der Gesellschaft gemäss Art. 697j Abs. 1 OR innert Monatsfrist den Vor- und Nachnamen und die Adresse der natürlichen Person melden, für die er letztendlich handelt (wirtschaftlich berechtigte Person).

Die Meldepflicht des Inhaberaktionärs findet ihren Gegenpart in der Pflicht der Inhaberaktiengesellschaft ein Verzeichnis über die Inhaberaktionäre sowie über die der Gesellschaft gemeldeten wirtschaftlich berechtigten Personen zu führen (vgl. Art. 697l Abs. 1 OR; Lutz/Kern, Umsetzung der GAFI-Empfehlungen: Massgebliche Auswirkungen bei der Geldwäschereibekämpfung und im Gesellschaftsrecht, SJZ 2015 S. 307; Glanzmann, in: Kunz/Jörg/Arter [Hrsg.], Entwicklungen im Gesellschaftsrecht XI, Neue Transparenzvorschriften bei AG und GmbH, 2016, S. 293). Dieses Verzeichnis enthält bei juristischen Personen die Firma sowie die Adresse der Inhaberaktionäre und der wirtschaftlich berechtigten Personen (Art. 697l Abs. 2 OR).

Gemäss Art. 697m Abs. 1 OR ruhen die Mitgliedschaftsrechte, die mit den Aktien verbunden sind, deren Erwerb gemeldet werden muss, solange der Aktionär seinen Meldepflichten nicht nachgekommen ist. Nach Art. 3 der Übergangsbestimmungen des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 2014 zur Umsetzung der 2012 revidierten GAFI-Empfehlungen müssen Personen, die beim Inkrafttreten der Änderung bereits Inhaberaktien halten, ihrer Meldepflicht innert sechs Monaten nachkommen, d.h. bis 1. Januar 2016 (vgl. Glanzmann, a.a.O., S. 290).

4.2 Mit den im Jahr 2015 eingeführten GAFI-Bestimmungen Art. 697i–m OR bezweckte der Gesetzgeber, die Transparenz bei juristischen Personen zu erhöhen. Mit verschiedenen Massnahmen war beabsichtigt, sicherzustellen, dass die Behörden Zugang zu den Informationen über die Aktionärinnen und Aktionäre und die Personen haben, die eine juristische Person letztendlich kontrollieren, insbesondere bei Gesellschaften mit Inhaberaktien (Botschaft zur Umsetzung der 2012 revidierten Empfehlungen der Groupe d'action financière [GAFI] vom 13. Dezember 2013, BBl 2014 [nachfolgend: Botschaft], S. 607; vgl. auch Gericke/Kuhn, Neue Meldepflichten bezüglich Aktionären, Gesellschaftern und wirtschaftlich Berechtigten – die «société anonyme» ist Geschichte, AJP 2015 S. 853; Spoerlé, in: Roberto/Trüeb [Hrsg.], Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. A. 2016, Art. 697i OR N 2). Mit den Massnahmen sollten die für die Bekämpfung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung zuständigen Behörden rechtzeitig hinreichende, verwertbare und aktuelle Informationen über den wirtschaftlich Berechtigten und über die Kontrolle juristischer Personen erhalten bzw. darauf zugreifen können (Botschaft, S. 614). Um diesen Zugriff durch die Behörden zu gewährleisten, sollte die Gesellschaft (oder der bezeichnete Finanzintermediär) verpflichtet werden, ein Verzeichnis über die meldepflichtigen Inhaberinnen und Inhaber und wirtschaftlich Berechtigten von Inhaberaktien zu führen (Botschaft, S. 618).

4.3 Der Zweck der Meldepflicht besteht somit darin, Transparenz zu schaffen. Die Erfüllung der Meldepflicht verfolgt mithin keinen Selbstzweck. Vor diesem Hintergrund soll nach gewissen Vertretern in der Lehre eine Ausnahme von der Meldepflicht namentlich dann bestehen, wenn der Gesellschaft die meldepflichtigen Angaben gemäss Art. 697i OR und Art. 697j OR bekannt sind und die Gesellschaft eine Eintragung im Verzeichnis der Inhaberaktionäre gemäss Art. 697l OR auch ohne formelle Meldung vornehmen kann (vgl. Hess/Dettwiler, a.a.O., Art. 697i OR N 16; dieselben, a.a.O., Art. 697j OR N 70). Eine Meldung gemäss Art. 697i OR erübrigt sich beispielsweise bei einer Umwandlung einer GmbH in eine Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien, da die Anteilseigner aufgrund der gesetzlichen Regelungen für diese Formen von juristischen Personen bereits bekannt sind (Hess/Dettwiler, a.a.O., Art. 697i OR N 16).

4.4 Erfolgt zwar gestützt auf die GAFI-Bestimmungen eine Meldung, beinhaltet diese aber nicht alle gesetzlich geforderten Angaben oder Nachweise, so ist in der Lehre umstritten, ob der meldepflichtige Erwerber damit seine Meldepflicht erfüllt hat (verneinend: Hess/Dettwiler, a.a.O., Art. 697m OR N 23; bejahend: in Bezug auf den Besitzesnachweis und die Identifikationspflicht, mit der Begründung, dass die einschneidenden Rechtsfolgen einer Meldepflichtverletzung in diesen Fällen unverhältnismässig wäre, da die Beibringung dieser Belege nur der Bestätigung der erfolgten Meldung dienten: Lutz/Kern, a.a.O., S. 308; Facincani/Sutter, a.a.O., S. 219). Das Sanktionsregime ist angesichts seiner sehr einschneidenden, pönalen Natur jedenfalls restriktiv anzuwenden (Gericke/Kuhn, a.a.O., S. 362). Angesichts der Schwere der Sanktionen einer Meldepflichtverletzung einerseits und der Pflicht des Verwaltungsrats, im Interesse der Gesellschaft zu handeln und das Verzeichnis gemäss Art. 697l OR zu führen andererseits, obliegt es jedenfalls dem Verwaltungsrat der Gesellschaft nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft den Aktionär, der eine mangelhafte oder unvollständig dokumentierte Meldung gemacht hat, auf fehlende Angaben oder Dokumente aufmerksam macht (Hess/Dettwiler, a.a.O., Art. 697m OR N 23; vgl. auch Gericke/Kuhn, a.a.O., S. 362; Urteil des Handelsgerichts Zürich HE170202 vom 9. Oktober 2017 E. 5.3.3: «Die Meldung des Klägers ist freilich aktenkundig und die Beklagte anerkennt, dass sie erfolgte. Die Beklagte zeigt nirgends auf, dass sie dem Kläger mitgeteilt habe, sie halte dessen Meldung für ungenügend. Dies wäre jedoch schon allein aufgrund von Treu und Glauben nötig gewesen»).

4.5 Schliesslich ist auch im Rahmen der GAFI-Gesetzgebung das Rechtsmissbrauchsverbot zu beachten. Als allgemeiner Rechtsgrundsatz gilt das Rechtsmissbrauchsverbot gemäss Bundesgericht in der ganzen Rechtsordnung. Es bildet Bestandteil des schweizerischen Ordre public und ist von jeder Instanz von Amtes wegen anzuwenden (BGE 143 III 666 E. 4.2; BGE 128 III 201 E. 1c). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (BGE 143 III 279 E. 3.1; BGE 140 III 583 E. 3.2.4; BGE 138 III 425 E. 5.2; BGE 128 II 145 E. 2.2). Ob eine Berechtigung missbräuchlich ausgeübt wird, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BGE 143 III 279 E. 3.; BGE 138 III 425 E. 5.2; BGE 135 III 162 E. 3.3.1; BGE 121 III 60 E. 3d). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn der Rückgriff auf das Rechtsinstitut mit dem angestrebten Zweck nichts zu tun hat oder diesen gar ad absurdum führt. Die Geltendmachung eines Rechts ist ebenfalls missbräuchlich, wenn sie im Widerspruch zu einem früheren Verhalten steht und dadurch erweckte berechtigte Erwartungen enttäuscht. Art. 2 Abs. 2 ZGB dient als korrigierender "Notbehelf" für die Fälle, in denen formales Recht zu materiell krassem Unrecht führen würde. Rechtsmissbrauch ist restriktiv anzunehmen. Einen Grundsatz der Gebundenheit an das eigene Handeln gibt es nicht. Vielmehr ist in einem Widerspruch zu früherem Verhalten nur dann ein Verstoss gegen Treu und Glauben zu erblicken, wenn dieses ein schutzwürdiges Vertrauen begründet hat, das durch die neuen Handlungen enttäuscht wird (BGE 143 III 666 E. 4.2; vgl. zum Ganzen auch: Urteil des Bundesgerichts 6B_1039/2019 vom 16. Juni 2020 E. 2.3.2).

4.6 Vorliegend ist unstreitig und anerkannt (s. oben: Sachverhalt Ziff. 1.2), dass die Beklagte ursprünglich im Jahr 2011 von A. und B. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Schweizer Recht unter der Firma C. GmbH gegründet wurde. A. und B. waren als Gesellschafter je 50 % am Stammkapital von CHF 20'000.– der C. GmbH beteiligt. Am 23. Oktober 2014 änderte die Beklagte ihre Rechtsform und wurde in die heutige Aktiengesellschaft umgewandelt. Bei der im Rahmen der Umwandlung durchgeführten Kapitalerhöhung brachte die von B. zu 100 % beherrschte B. mbH CHF 40'000.– ein. Nach der Umwandlung verkaufte B. seine Beteiligung von 10 % an der Beklagten an B. mbH, die daraufhin 50 % der Anteile an der Beklagten hielt. Die Klägerin, welche zu diesem Zeitpunkt zu 100 % direkt von A. gehalten wurde, brachte im Rahmen der Kapitalerhöhung ebenfalls CHF 40'000.– ein. Gemäss Beschluss der ausserordentlichen Generalversammlung vom 13. Juni 2014 wurden der Klägerin daher total 400 Inhaberaktien zugeteilt. Das entsprach einer Beteiligung von 40 % am Aktienkapital der Beklagten. Weitere 100 Inhaberaktien und damit 10 % am Aktienkapital wurden A. zugeteilt. Nach der Umwandlung übertrug A. – was die Beklagte vorliegend selbst ausführte – seine Beteiligung von 10 % an der Beklagten an die Klägerin.

Nachdem die GAFI-Bestimmungen von Art. 697i–m OR im Jahr 2015 in Kraft traten, waren – wie erwähnt – diejenigen Personen, die beim Inkrafttreten der Änderung bereits Inhaberaktien hielten, verpflichtet, ihrer Meldepflicht innert sechs Monaten nachkommen, d.h. bis 1. Januar 2016. Am 5. April 2017 und am 18. Oktober 2017 fanden ausserordentliche Generalversammlungen der Beklagten – in Form von Universalversammlungen – statt, an welchen die Klägerin teilnahm und insbesondere Dividendenausschüttungen beschlossen wurden. An beiden Versammlungen wurde unstreitig beschlossen, der Klägerin eine Dividende im Umfang von 50 % auszuschütten (vgl. Schreiben der Beklagten betreffend Dividendenzahlung vom 31. Oktober 2017, welches ausdrücklich festhält, dass die Klägerin «entsprechend ihrer Anteile 50 % dieser Summe», d.h. der Dividende von insgesamt CHF 3 Mio. erhält).

Aufgrund der vorgängigen Gründung einer GmbH durch B. und A. und der nachfolgenden Umwandlung dieser Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft waren der Beklagten im Zeitpunkt des Inkrafttretens der GAFI-Bestimmungen sowohl die Inhaber der Aktien als auch die daran wirtschaftlich berechtigten Personen bekannt, weshalb die Gesellschaft eine Eintragung im Verzeichnis der Inhaberaktionäre gemäss Art. 697l OR auch ohne formelle Meldung hätte vornehmen können. Da die von B. und A. gegründete GmbH in eine Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien umgewandelt wurde und die Beklagte anerkennt, dass A. in der Folge seinen Anteil von 10 % an die Klägerin übertrug – und dies durch die im Jahr 2017 abgehaltenen Universalversammlungen bestätigt wird –, war der mit den GAFI-Bestimmungen verfolgte Zweck der Meldepflicht, Transparenz zu schaffen, bereits erfüllt. Aus diesem Grund hat sich im vorliegenden Fall eine formelle Meldung durch die Klägerin zur Führung des gesetzlich vorgeschriebenen Verzeichnisses nach Art. 697l OR erübrigt.

(…)

5. Selbst wenn man der Auffassung der Beklagten folgen und eine formelle GAFI-Meldung zur Geltendmachung der Mitgliedschaftsrechte am 16. April 2019 hätte voraussetzen wollen, so ist an dieser Stelle im Sinne einer Eventualbegründung festzuhalten, dass die Klägerin zumindest der Meldepflicht nach Art. 697j OR mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 vollständig nachgekommen ist.

Mit diesem Schreiben teilte der Rechtsvertreter der Klägerin der Beklagten rund vier Monate vor den strittigen Generalversammlungen gestützt auf Art. 697i OR und Art. 697j OR mit, dass A. jederzeit der wirtschaftlich Berechtigte der A. mbH gewesen sei, und dass diese Gesellschaft 50 % der Aktien der Beklagten halte. Mit der Einbringung seiner 100 %-Beteiligung an der A. mbH in die A. Holding GmbH am 28. November 2017 sei die wirtschaftliche Berechtigung von A. unverändert geblieben. Die Klägerin legte diesem Schreiben unter anderem die Liste der Gesellschafter der A. mbH vom 21. Oktober 2011 und vom 7. Dezember 2017, einen Handelsregisterauszug der A. mbH vom 20. November 2017, eine Passkopie von A. sowie eine Bestätigung von D., des Geschäftsführers der A. mbH, vom 12. Dezember 2018 über die wirtschaftliche Berechtigung von A. bei.

Die Beklagte wendet im Rahmen des vorliegenden Verfahrens dagegen ein, dieses Schreiben erfülle die Meldungsformalitäten gemäss Art. 697i Abs. 2 OR nicht, da nur ein nicht beglaubigter Handelsregisterauszug der Klägerin, welcher zudem älter als ein Jahr gewesen sei, beigelegt worden sei. Damit ist unbestritten und gleichsam belegt, dass die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 13. Dezember 2018 der Meldepflicht hinsichtlich Art. 697j OR nachgekommen ist und der Beklagten unter Angabe von Vor- und Nachnamen sowie der Adresse (…) bestätigte, dass nach wie vor A. an den Aktien der Klägerin wirtschaftlich berechtigt ist.

Da die Meldepflicht betreffend die Angaben nach Art. 697j OR spätestens mit dem Schreiben vom 13. Dezember 2018 erfüllt war, kann offen bleiben, ob und inwiefern die Beklagte dies bereits früher anerkannt hat.

6. Betreffend die Meldung der Aktionärsstellung gestützt auf Art. 697i OR trifft es zwar zu, dass der mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 eingereichte (ausländische) Handelsregisterauszug vom 20. November 2017 datierte und nicht beglaubigt war. Die Berufung auf diesen unvollständigen Identifikationsnachweis gemäss Art. 697i Abs. 2 lit. c OR und die gestützt darauf erfolgte Nichtbekanntgabe der abzuhaltenden Generalversammlungen vom 16. April 2019 ist jedoch aus mehreren Gründen treuwidrig:

6.1 Zunächst dient die Beibringung dieser Belege nur der Bestätigung der gestützt auf Art. 697i OR erfolgten Meldung. Zwar trifft es – wie die Beklagte ausführt – zu, dass die Klägerin aufgrund des Entscheids des Einzelrichters des Kantonsgerichts Zug ES 2018 449 vom 6. März 2019 davon ausgehen musste, dass die Beklagte die klägerischen Mitgliedschaftsrechte hinsichtlich einer künftigen Generalversammlung gestützt auf Art. 697m Abs. 1 OR als ruhend betrachten würde. Der Einzelrichter berücksichtigte in diesem Entscheid jedoch das Schreiben der Klägerin vom 13. Dezember 2018 aufgrund der Novenschranke nicht. Unabhängig davon, dass gewisse Vertreter der Lehre dafürhalten, dass die Meldepflicht auch ohne Identifikationsnachweis erfüllt ist (s. oben E. 4.4), wäre der Verwaltungsrat der Beklagten jedenfalls angesichts der Schwere der Sanktionen einer Meldepflichtverletzung einerseits und der Pflicht des Verwaltungsrats, im Interesse der Gesellschaft zu handeln und das Verzeichnis gemäss Art. 697l OR zu führen, andererseits gestützt auf die ansonsten einwandfreie Meldung vom 13. Dezember 2018 nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, die Klägerin über die Generalversammlungen in Kenntnis zu setzen, um ihr die Teilnahme unter Nachweis ihres Aktienbesitzes (und der nach Auffassung der Beklagten fehlenden Angaben gemäss Art. 697i OR) zu ermöglichen. Mit der Pflicht der Klägerin zum Nachweis ihres Aktienbesitzes anlässlich der Teilnahme an den Generalversammlungen vom 16. April 2019 wäre der Verwaltungsrat auch seiner Pflicht nach Art. 697m Abs. 4 OR nachgekommen zu verhindern, dass Aktionäre trotz Verletzung ihrer Meldepflicht ihre Rechte wahrnehmen (vgl. dazu Hess/Dettwiler, a.a.O., Art. 697m OR N 25).

6.2 Hinzu kommt in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte das Rechtsinstitut der GAFI-Meldepflicht vorliegend zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet hat, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will, und ihr Verhalten gleichsam im Widerspruch zu ihrem früherem Verhalten steht.

6.2.1 Mit den neu eingeführten GAFI-Bestimmungen sollten die für die Bekämpfung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung zuständigen Behörden rechtzeitig hinreichende, verwertbare und aktuelle Informationen über den wirtschaftlich Berechtigten und über die Kontrolle juristischer Personen erhalten bzw. darauf zugreifen können. Um diesen Zugriff durch die Behörden zu gewährleisten, sollte die Gesellschaft (oder der bezeichnete Finanzintermediär) verpflichtet werden, ein Verzeichnis über die meldepflichtigen Inhaberinnen und Inhaber und wirtschaftlich Berechtigten von Inhaberaktien zu führen.

Wie erwähnt waren der Beklagten aufgrund der Vorgeschichte und der Umwandlung der damaligen GmbH in eine Aktiengesellschaft sowohl die Aktionärin als auch der daran wirtschaftlich Berechtigte bekannt (s. oben E. 4.6). Die Aktionärsstellung der Klägerin – und nur darum geht es vorliegend – anerkannte die Beklagte nach Inkrafttreten der GAFI-Vorschriften mehrmals, namentlich an den ausserordentlichen Generalversammlungen vom 5. April 2017 und am 18. Oktober 2017. Weiter teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 erneut mit, dass sie Aktionärin sei und es sich bei A. um den wirtschaftlich Berechtigten handle. Vor diesem Hintergrund lässt die darauf folgende Unterlassung, die Klägerin über die Abhaltung der Generalversammlungen vom 16. April 2019 in Kenntnis zu setzen, keinen anderen Schluss zu, als dass die Beklagte sich vorliegend im Widerspruch zu ihrem Verhalten im Jahr 2017 nur deshalb auf die GAFI-Bestimmungen beruft, um die Klägerin von den strittigen Generalversammlungen vom 16. April 2019 auszuschliessen. Dabei blendet die Beklagte in rechtlicher Hinsicht völlig aus, dass die Meldepflicht des Inhaberaktionärs ihren Gegenpart in der Pflicht der Inhaberaktiengesellschaft findet, ein Verzeichnis über die Inhaberaktionäre sowie über die der Gesellschaft gemeldeten wirtschaftlich berechtigten Personen zu führen (vgl. Art. 697l Abs. 1 OR). Wenn es der Beklagten wirklich allein darum gegangen wäre – wie sie an der Hauptverhandlung mehrfach betonte –, aus Gründen der Geldwäscherei- und Terrorismusbekämpfung Transparenz zu schaffen, so hätte sie die Klägerin vorgängig über ihre Absicht informiert, am 16. April 2019 Generalversammlungen abhalten zu wollen, um es der Klägerin zu ermöglichen, den geforderten Identifikationsnachweis vollständig zu erbringen. Wie ausgeführt hätte dies die Beklagte in einer Art und Weise tun können, welche im Einklang zur Pflicht des Verwaltungsrats gestanden wäre, gemäss Art. 697m Abs. 4 OR dafür zu sorgen, dass keine Aktionäre unter Verletzung der Meldepflichten ihre Rechte ausüben.

6.2.2 Mit der Durchführung der Generalversammlungen vom 16. April 2019 ohne die Klägerin verfolgte die Beklagte einen Zweck, der mit dem von den GAFI-Bestimmungen verfolgten Zweck der Geldwäscherei- und Terrorismusbekämpfung nichts zu tun hat und verhielt sich überdies widersprüchlich zu früherem Verhalten, weshalb ihr Verhalten keinen Rechtsschutz verdient und die Berufung auf Art. 697m Abs. 1 OR vorliegend missbräuchlich ist (vgl. Art. 2 Abs. 2 ZGB).

6.2.3 Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob die Bestimmungen von Art. 697i, Art. 697j und Art. 697m OR als zwingend zu beurteilen und der Disposition der Parteien entzogen sind. Das Rechtsmissbrauchsverbot ist in der ganzen Rechtsordnung anwendbar und schützt gerade vor der zweckwidrigen Verwendung von – an sich – verbindlichen Rechtsvorschriften. So hat jeder Aktionär beispielweise gestützt auf die (unentziehbare) Bestimmung von Art. 697 OR das Recht auf Auskunft- und Einsichtnahme. Dennoch ist eine aktienrechtliche Auskunfts- und Einsichtsklage, deren Geltendmachung in Wirklichkeit nicht der Ausübung von Aktionärsrechten dient, sondern auf die Destabilisierung des Verwaltungsrates abzielt, wegen Rechtsmissbrauchs abzuweisen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_36/2010 vom 20. April 2010, zusammengefasst in ius.focus 2010 Nr. 282). Gleichsam ist auch das Recht, die Klägerin gestützt auf Art. 697m Abs. 1 OR von einer Generalversammlung auszuschliessen, nach Treu und Glauben auszuüben.

6.2.4 Schliesslich trifft es zwar zu, dass der Einzelrichter mit Entscheid ES 2018 449 vom 6. März 2019 das klägerische Gesuch um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung abwies und festhielt, dass die Klägerin ihren GAFI-Meldepflichten nicht nachgekommen sei und deshalb ihre Mitgliedschaftsrechte ruhen würden. Ebenfalls hielt der Einzelrichter fest, dass sich die Beklagte nicht rechtsmissbräuchlich verhalten habe (E. 2.3). Jedoch ist zu beachten, dass der Einzelrichter das Schreiben der Klägerin vom 13. Dezember 2018 bei seinem Entscheid nicht berücksichtigte und der Entscheid lediglich nach einer summarischen Prüfung erging und nicht über den Streitgegenstand hinweggehend in materielle Rechtskraft erwachsen ist. Mithin konnte die Beklagte gestützt auf den Entscheid nicht darauf vertrauen, dass das Gericht im Rahmen einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen die Generalversammlungsbeschlüsse vom 16. April 2019 – nach umfassender Prüfung des konkreten Falles – zum gleichen Schluss gelangen würde wie der Einzelrichter. Vielmehr war die Beklagte – wie vorstehend erwähnt – nach dem Erhalt des Schreibens vom 13. Dezember 2018 nach Treu und Glauben gehalten, der Klägerin anzukündigen, dass sie am 16. April 2019 eine Universalversammlung abhalte und damit der Klägerin zu ermöglichen, die nach Meinung der Beklagten fehlenden Belege beizubringen, um ihre Mitgliedschaftsrechte ausüben zu können.

7. Nach dem Gesagten haben die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin im Zusammenhang mit den Generalversammlungen vom 16. April 2019 nicht geruht, weshalb ihr ein Recht auf Einladung und Teilnahme zugekommen wäre.

8. Nichtige Generalversammlungsbeschlüsse sind von Anfang an unwirksam; sie werden vom Recht als überhaupt nicht zustande gekommen betrachtet (Dubs/Truffer, Basler Kommentar, 5. A. 2016, Art. 706b OR N 4). Das Gesetz normiert in Art. 706b OR – in nicht abschliessender Weise – drei Tatbestände für die Nichtigkeit von Beschlüssen der Generalversammlung. Nichtig sind insbesondere Beschlüsse, die zwingend gewährte Aktionärsrechte entziehen oder beschränken (Ziff. 1), Kontrollrechte von Aktionären über das gesetzliche Mass hinaus beschränken (Ziff. 2) oder die Grundstruktur der Aktiengesellschaft missachten, etwa die Bestimmungen des Kapitalschutzes verletzen (Ziff. 3).

8.1 Die im Gesetz ausdrücklich genannten Nichtigkeitsgründe beschlagen primär inhaltliche Mängel des Beschlusses. Auch schwerwiegende Mängel in seinem Zustandekommen, d.h. formelle Mängel, können indessen zur Nichtigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses führen (Böckli, Aktienrecht, 4. A. 2009, § 16 Rz 174). Diese Nichtigkeit aus formellen Gründen wird teilweise unterschieden vom Falle eines Schein- oder Nichtbeschlusses. Dem Sachverhalt also, bei welchem von vornherein kein Generalversammlungsbeschluss vorliegt, weil entweder gar keine Generalversammlung im Rechtssinne zustande gekommen ist oder anlässlich einer solchen ein Beschluss nicht gefasst wurde (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, § 25 Rz 117; Dubs/Truffer, a.a.O., Art. 706b OR N 17; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 4P.331/2006 vom 5. Juni 2007 E. 4.2.3).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die Abhaltung einer Universalversammlung in Abwesenheit auch nur eines Aktionärs oder seiner Vertretung einen schwerwiegenden formellen Mangel dar, der zur Nichtigkeit der anlässlich dieser Versammlung getroffenen Beschlüsse führen muss (BGE 137 III 460 E. 3.3.2 m.w.H.; vgl. auch die Urteile des Bundesgerichts 4A_141/2020 vom 4. September 2020 E. 3.2 und 4A_248/2015 vom 15. Januar 2016 E. 2.3; sinngemäss auch Urteil des Bundesgerichts 5A_482/2014 vom 14. Januar 2014 E. 5).

8.2 Da die Generalversammlungsbeschlüsse vom 16. April 2019 unter Ausschluss der Mitwirkung und Teilnahme der Klägerin zustande kamen, welche 50 % der Aktien an der Beklagten hält, haftet diesen Beschlüssen ein formeller Fehler an, welcher gemäss Art. 706b Ziff. 1 OR zur Nichtigkeit der Beschlüsse führt; es liegen nach oben Gesagtem mithin «Nichtbeschlüsse» vor. Mithin ist das klägerische Hauptbegehren gutzuheissen, und es ist festzustellen, dass die an den Generalversammlungen vom 16. April 2019 getroffenen Beschlüsse nichtig sind.

Urteil des Kantonsgerichts Zug vom 7. Januar 2021 A3 2020 11

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