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Art. 13 Abs. 1 BGFA, Art. 248 StPO

Regeste:

Art. 13 Abs. 1 BGFA, Art. 248 StPO – Im Entsiegelungsverfahren gemäss Art. 248 StPO besteht das Anwaltsgeheimnis gegenüber dem Entsiegelungsrichter im Umfang der prozessualen Mitwirkungsobliegenheiten nicht. Demgemäss kann der Anwalt in diesem Verfahren ohne Entbindung vom Anwaltsgeheimnis seinen prozessualen Obliegenheiten nachkommen und dem Zwangsmassnahmengericht die zur Durchführung der Triage nötigen Auskünfte erteilen.

Aus den Erwägungen:

1.     Nach § 14 Abs. 1 lit. e EG BGFA ist die Aufsichtskommission zuständig für die Entbindung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom Berufsgeheimnis. Diese Aufgabe hat die Aufsichtskommission gestützt auf § 14 Abs. 4 EG BGFA an das Präsidium delegiert. Der Präsident der Aufsichtskommission ist daher zuständig zur Behandlung des vorliegenden Gesuchs.

 2.     Gemäss Art. 13 Abs. 1 BGFA unterstehen Anwältinnen und Anwälte zeitlich unbegrenzt und gegenüber jedermann dem Berufsgeheimnis über alles, was ihnen infolge ihres Berufes von ihrer Klientschaft anvertraut worden ist. Der anwaltlichen Berufspflicht kommt eine herausragende Bedeutung zu. Das anwaltliche Berufsgeheimnis als ein im öffentlichen Interesse geschaffenes, für einen funktionierenden und den Zugang zur Justiz garantierenden Rechtsstaat unerlässliches Institut garantiert die Vertraulichkeit sämtlicher Einblicke, welche der Klient im Rahmen einer berufsspezifischen Tätigkeit der Anwältin oder dem Anwalt in seine Verhältnisse gewährt hat. Über den institutionellen Teilgehalt hinaus auf einer individualrechtlichen Ebene begründet die Verpflichtung und das Recht einer Anwältin oder eines Anwalts, sämtliche Informationen, die ihnen infolge ihres Berufes von Klienten anvertraut worden sind, geheim zu halten (Urteil des Bundesgerichts 2C_586/2015 vom 9. Mai 2016 E. 2.1 f. mit Hinweisen). Am institutionellen Charakter des Berufsgeheimnisses ändert nichts, dass vertrauliche Informationen in gesetzlich angeordneten Ausnahmefällen offenzulegen sind. Eine Pflicht zur Offenlegung ist aber nicht leichthin anzunehmen. Vielmehr ist eine Durchbrechung des Grundsatzes der anwaltlichen Verschwiegenheit nur gerechtfertigt, wenn die übrige Rechtsordnung es gebietet. Vorausgesetzt sind ein höherrangiges öffentliches Interesse, eine gesetzliche Grundlage und die Beachtung der Verhältnismässigkeit. Auch in diesen Ausnahmefällen hat die Offenlegung hinsichtlich Personenkreis, Inhalt und Zeitpunkt schonungsvoll zu erfolgen (Nater/Zindel, in: Fellmann/Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. A. 2011, Art. 13 BGFA N 96, mit Hinweis auf Schiller, Schweizerisches Anwaltsrecht, 2009, Rz 570 ff.).

 3.     Nach Art. 248 Abs. 1 StPO sind Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden. Stellt die Strafbehörde ein Entsiegelungsgesuch, so entscheidet innerhalb eines Monats im Vorverfahren das Zwangsmassnahmengericht und in den anderen Fällen das Gericht, bei dem der Fall hängig ist, endgültig (Art. 248 Abs. 3 StPO). Das Gericht kann zur Prüfung des Inhalts der Aufzeichnungen und Gegenstände einer sachverständigen Person beiziehen (Art. 248 Abs. 4 StPO).

 4.     Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung trifft den Inhaber von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, die prozessuale Obliegenheit, die von ihm angerufenen Geheimhaltungsinteressen ausreichend zu substanziieren und den Entsiegelungsrichter bei der Sichtung und Klassifizierung von Dokumenten zu unterstützen; auch hat er jene Dokumente oder Dateien zu benennen, die seiner Ansicht nach der Geheimhaltung unterliegen. Das gilt auch für Dokumente und Dateien, die unter das Anwaltsgeheimnis fallen. Entsprechend hat der Entsiegelungsrichter eine Sichtung der Daten und Gegenstände (sog. richterliche Triage) vorzunehmen. Dabei hat er zu prüfen, welche Gegenstände für eine Verwendung durch die Strafverfolgungsbehörden in Frage kommen und welche ausscheiden. Auch bei komplexen Datenmengen muss der Entsiegelungsrichter die ihm vom Gesetz zugewiesene Aufgabe wahrnehmen und (zumindest) offensichtlich irrelevante Dateien von der Entsiegelung bzw. Herausgabe an die Untersuchungsbehörde aussondern. Zur Erleichterung der Triage, namentlich bei grossen Datenmengen, kann der Entsiegelungsrichter technische Experten und Hilfsmittel beiziehen, was namentlich dem Schutz von Geheimnis- und Persönlichkeitsrechten sowie der Nachachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes dienen kann (BGE 137 IV 189 E. 4.2 u. 5.1.2; BGE 141 IV 77 E. 5.5.1 u. 5.5.3; Urteil des Bundesgerichts 1B_349/2018 vom 13. März 2019 E. 1). Der Entsiegelungsrichter hat somit das Recht – und die Pflicht –, die Daten zu sichten, um aufgrund der Angaben des Inhabers der versiegelten Daten prüfen zu können, ob diese Daten aufgrund des geltend gemachten Geheimhaltungsinteresses tatsächlich nicht entsiegelt werden dürfen.

 5.     Daraus erhellt, dass ein vom Inhaber geltend gemachtes Geheimhaltungsinteresse, namentlich das Anwaltsgeheimnis, gegenüber dem Entsiegelungsrichter im Umfang der prozessualen Mitwirkungsobliegenheiten nicht besteht. Demgemäss kann der Gesuchsteller ohne Entbindung vom Anwaltsgeheimnis im Entsiegelungsverfahren seinen prozessualen Obliegenheiten nachkommen und dem ZMG Zürich die in den Verfügungen vom 11. und 19. Mai 2022 verlangten Auskünfte erteilen. Eine Entbindung vom Anwaltsgeheimnis durch den Präsidenten der Aufsichtskommission ist damit entbehrlich. Auf das Entbindungsgesuch des Gesuchstellers ist daher mangels eines aktuellen Rechtschutzinteresses nicht einzutreten.

Präsident der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, 9. Juni 2022 (AP 2022 68)

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