Navigieren auf Kanton Zug

Inhaltsnavigation auf dieser Seite

Navigation

Gerichtspraxis

Staats- und Verwaltungspraxis

Denkmalschutz

Sozialversicherungsrecht

Kindes- und Erwachsenenschutzrecht

Ergänzungsleistungen

Ausländerrechtliche Administrativhaft

§ 27 Abs. 2 und 3 VRG

Regeste:

§ 27 Abs. 2 und 3 VRG – Unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Verfahren der ausländerrechtlichen Administrativhaft. Im Haftverlängerungsverfahren ist nach höchstrichtlicher Rechtsprechung i.d.R. nach drei Monaten eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung auf entsprechenden Antrag zu gewähren. Hierzu können nur patentierte Anwältinnen und Anwälte bestellt werden (Anwaltsmonopol in der unentgeltlichen Rechtsvertretung, nicht hingegen in der gewillkürten Vertretung). Zu entschädigen ist die Interessenvertretung im Einzelfall, nicht aber die systematische Nutzung der entsprechenden Verfahren als Plattform für eigene Zwecke und zur Mittelbeschaffung (hier durch den Verein AsyLex; E. 6.2).

Aus dem Sachverhalt:

Gegen A. (Antragsgegner), alias B., geboren 1994, besteht seit Januar 2021 eine gültige Einreisesperre, die im Januar 2022 erneuert wurde bis 20. Januar 2025 (inkl. Ausschreibung im Schengener Informationssystem). Nichtsdestotrotz reiste A., alias B., von Deutschland herkommend am 8. Oktober 2022 zum wiederholten Male in die Schweiz ein, wo er am 12. Oktober 2022 um vorübergehenden Schutz ersuchte als ukrainischer Staatsangehöriger («Schutzstatus S»). Dieses Ersuchen wies das Staatssekretariat für Migration (SEM) mit Entscheid vom 13. Februar 2023 ab, da A., alias B., sich nicht als ukrainischer Staatsangehöriger auszuweisen vermochte, er entsprechende Dokumente auch nicht beschaffen wollte und er den deutschen Behörden – wobei er offenbar zuvor sechs Jahre in Berlin gelebt habe – als belarussischer Staatsangehöriger bekannt war. Gleichzeitig wurde er aus der Schweiz weggewiesen. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Gegen A., alias B., bestehen weiter mindestens vier Strafbefehle dreier verschiedener Staatsanwaltschaften allein in der Schweiz (Basel-Landschaft, Zug, Luzern) wegen u.a. Tätlichkeiten, Nötigung, zahlreichen Delikten gegen das Vermögen, Hausfriedensbruch etc. Das Amt für Migration (AFM) ordnete am 13. Juli 2023 die Ausschaffungshaft an; am 14. Juli 2023 bewilligte die Haftrichterin diese für vorerst drei Monate bis zum 10. Oktober 2023.

Am 5. Oktober 2023 ersuchte das AFM das Verwaltungsgericht um Prüfung einer Verlängerung der Ausschaffungshaft nach Art. 76 AIG um zwei Monate.

Am 9. Oktober 2023, 10:55 Uhr, fand in Anwesenheit des Antragsgegners, seiner Vertreterin und einer Vertreterin des AFM die gesetzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung statt.

Aus den Erwägungen:

(…)

4.4       In Berücksichtigung aller Aspekte und des gewichtigen Interesses der Schweiz an einer geordneten und kontrollierten Ausreise erweist sich die bisherige Haft von knapp drei Monaten und deren beantragte Verlängerung um weitere zwei Monate als verhältnismässig. Der Verlängerung der Ausschaffungshaft wird für die Dauer von zwei Monaten, d.h. bis und mit 10. Dezember 2023, die richterliche Zustimmung erteilt.

(…)

6.2       Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist im Haftverlängerungsverfahren in aller Regel nach drei Monaten eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu gewähren, wenn ein dahingehender Antrag gestellt wird, wobei das Erfordernis der fehlenden Aussichtslosigkeit «differenziert zu handhaben» sei (BGE 139 I 206 E. 3.3.1; 134 I 92 E. 3.2.3). Vorliegend erschien zwar eine Haftentlassung prima vista als aussichtslos und der Antragsgegner angesichts seiner guten Beherrschung der deutschen Sprache auch nicht als besonders unbeholfen. Angesichts der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ihm indes antragsgemäss dennoch Rechtsanwältin C. als unentgeltliche Rechtsbeiständin zu bestellen. Diese hat gegenüber der sie bestellenden Instanz Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für ihre zur Interessenwahrung notwendigen Aufwendungen (§ 27 Abs. 3 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes [VRG; BGS 162.1]). Gemäss § 9 Abs. 4 der Verordnung über die Kosten im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Zug (KoV; BGS 162.12) sind die patentierten Anwältinnen und Anwälte in der Regel nach einem Stundenansatz von 200.– (inklusive Mehrwertsteuer und Barauslagen) zu entschädigen, wobei aktuell angepasst an die zwischenzeitlich eingetretene Teuerung praxisgemäss ein Stundenansatz von Fr. 220.– pro Stunde zur Anwendung gelangt (vgl. etwa Haftrichterverfügung VGer ZG V 2023 82 vom 15. September 2023). Mit Honorarnote vom 9. Oktober 2023 macht die Rechtsanwältin für ihre Bemühungen (Aktenstudium sowie Vorbereitung Plädoyer) einen Zeitaufwand von 1,75 Stunden sowie für ihre Gehilfin D. einen solchen von einer Stunde (zuzüglich Reisezeit von zwei Stunden sowie Verhandlung von ca. 30 Minuten) geltend, zu Stundenansätzen von Fr. 220.– resp. Fr. 110.–.

6.2.1     Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung ist zu berücksichtigen, dass nur Aufwendungen im Zusammenhang mit dem hiesigen Gerichtsverfahren zu entschädigen sind. Im gerichtlichen Verfahren hat indes die Rechtsanwältin keinerlei Anstalten unternommen, beim Gericht oder beim AFM Einsicht in die massgeblichen Verfahrensakten zu nehmen (was praxisgemäss in diesen dringlichen Verfahren unkompliziert via Webtransfer ermöglicht wird) und ihre Aktenkenntnis mithin auf den aktuellen Stand zu bringen (nach offenbar am 12. September 2023 erstmals erfolgter Beschaffung der damals vorliegenden Akten des AFM durch eine Hilfsperson). Das gemäss Honorarnote von der Rechtsanwältin vorbereitete Plädoyer litt denn auch – soweit es nicht ohnehin lediglich aus den von AsyLex standardmässig präsentierten rechtlichen und rechtspolitischen Ausführungen ohne Bezug zum konkreten Fall oder dem vorliegenden Verfahren bestand – erheblich an diesem Versäumnis. Dieses verleitete die Anwältin etwa dazu, in einem wesentlichen Punkt (Untätigkeit des AFM über längere Zeit) die aktenwidrige Behauptung aufzustellen, das AFM habe sich zuletzt am 24. Juli 2023 nach dem Verbleib der nötigen Reisepapiere erkundigt. Die substituierte D. hielt in ihrem am 9. Oktober 2023 abschliessend gehaltenen Plädoyer nota bene daran auch nach gegenteiliger Information durch das AFM unbeirrt fest (zur fehlenden Sachkompetenz der Substituierten vgl. sogleich E. 6.2.2). Zusammengefasst wurden hier durch Rechtsanwältin C. bzw. ihre Gehilfin D. keine Aufwendungen getätigt, die als auf die Interessenwahrung des konkret am Recht stehenden Klienten gerichtet qualifiziert werden könnten. Vielmehr beschränkte sich der Einsatz der Vertreterinnen im vorliegenden Verfahren darauf, eine mittlerweile bekannte «Plädoyerkonserve» aufzuwärmen, ohne sich ernsthaft mit dem individuellen Einzelfall des hier konkret am Recht stehenden Menschen zu befassen.

Der für diese untaugliche Rechtsvertretung geltend gemachte Aufwand kann nicht entschädigt werden: Entschädigungspflichtig sind im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nur Aufwendungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte der konkreten, am Recht stehenden Person im Prozess stehen und die notwendig und verhältnismässig sind (etwa: BGer 9C_387/2012 vom 26. September 2012 E. 3.2). Eine schablonenartige Rechtsvertretung ohne wirkliches Interesse an oder seriöser Auseinandersetzung mit dem konkreten Einzelfall ist in keiner Weise geeignet, geschweige denn notwendig, zur Interessenwahrung des Klienten. Dies gilt umso mehr in einem Bereich, in dem die gerichtlich vorzunehmende Verhältnismässigkeitsprüfung zentral ist, die jeweils zwangsläufig am Sachverhalt des Einzelfalles anknüpft und keinesfalls allein auf pauschalen Allgemeinplätzen basieren kann. Die Haftgerichte tragen eine Verantwortung, zu verhindern, dass besonders vulnerable Ausländer und Asylsuchende im Haftprüfungsverfahren durch AsyLex für eigene Zwecke bewirtschaftet und instrumentalisiert werden können, indem mit ihnen ein Massengeschäft betrieben wird, das klarerweise nicht der Interessenwahrung im Einzelfall dient, sondern vielmehr den politischen Zwecken und der Mittelbeschaffung von AsyLex (vgl. bezüglich des ähnlich gelagerten Falles der Vereine Psychex bzw. Psychexodus, die gerichtsnotorisch sowie nach höchstrichterlicher Feststellung in ähnlicher Weise fürsorgerisch untergebrachte Menschen für eigene politische Zwecke einspannen und als Plattform missbrauchen BGer 5A_571/2017 vom 3. August 2017 E. 3).

6.2.2     Nachdem vorliegend so oder anders für die in der Sache untaugliche Rechtsvertretung keine Entschädigung zugesprochen werden kann, ist lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass zwar im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht kein anwaltliches Vertretungsmonopol besteht, mithin eine Vertretung auch durch Personen ohne Rechtsanwaltspatent zulässig ist. Dies gilt jedoch nur hinsichtlich der gewillkürten Vertretung. Hingegen können als unentgeltliche Rechtsvertreterinnen und -vertreter nur patentierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eingesetzt und entschädigt werden. Nur sie bieten durch die ihnen erteilte polizeiliche Bewilligung und Aufsicht – zumindest bis zum Nachweis des Gegenteils – Gewähr für eine gehörige Interessenwahrnehmung. Im Interesse und zum Schutze der juristisch i.d.R. unbedarften Klientschaft besteht deshalb nach ständiger Lehre und höchstrichterlicher Rechtsprechung auch ausserhalb der Bereiche, in denen den patentierten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ein Vertretungsmonopol zukommt, für die unentgeltliche Rechtsvertretung ein Anwaltsmonopol (vgl. dazu eingehend und mit zahlreichen Hinweisen etwa BGer 9C_315/2018 vom 5. März 2019 E. 9.3.2; 9C_803/2019 vom 5. Mai 2020 E. 5.2.3).

Auch aus diesem zusätzlichen Grund kann Rechtsanwältin C. jedenfalls für die Prozessbegleitung durch die juristisch unbedarfte D. – die denn auch erklärtermassen über keinerlei juristische Qualifikationen verfügt – keinen Entschädigungsanspruch erheben. Dies gilt umso mehr, wenn es sich bei der Hilfsperson um eine Freiwillige handelt, die ihrerseits für ihren Einsatz keine Entschädigung erhält (was indes mit Bezug auf die hier konkret Substituierte vorliegend offen gelassen werden kann).

6.2.3     Schliesslich bestand vorliegend mit Blick auf das oben in E. 6.2 Gesagte kein Anlass für das Gericht, dem Antragsgegner anstelle der von ihm ausgewählten eine andere Rechtsvertretung zur Seite zu stellen, war doch die Vertretung hier objektiv nicht notwendig, sondern wurde lediglich auf expliziten Wunsch des Antragsgegners in der Person von Rechtsanwältin C. bestellt. 

Verfügung der Haftrichterin beim Verwaltungsgericht vom 9. Oktober 2023 V 2023 87

Weitere Informationen

Fusszeile

Deutsch