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Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 17 Abs. 1 und 43 Abs. 1 ATSG, Art. 87 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 IVV

Regeste:

Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 17 Abs. 1 und 43 Abs. 1 ATSG, Art. 87 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 IVV – Die Geburt von Kindern rechtfertigt die Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil damit zumindest möglicherweise ein Statuswechsel von Voll- zu Teilerwerbstätigkeit verbunden ist, was näherer Abklärung bedarf (E. 2.3 und 4). In welchem Ausmass die versicherte Person im hypothetischen Gesundheitsfall nach der Geburt von Kindern erwerbstätig wäre, ist möglichst individuell-konkret zu bestimmen, wobei es der IV-Stelle in Nachachtung des Untersuchungsgrundsatzes obliegt, den Sachverhalt abzuklären. Erst nach sorgfältiger Sachverhaltsabklärung darf im Falle eines Beweisnotstands auf natürliche Vermutungen zurückgegriffen werden (E. 2.4). Eine natürliche Vermutung, wonach eine 50 % übersteigende Erwerbstätigkeit bei jungen Müttern mit zwei Kleinkindern jeglicher Wahrscheinlichkeit entbehre und unrealistisch sei, findet in der heutigen Lebenswirklichkeit sowie den entsprechenden statischen Daten keine Stütze und erweist sich als geschlechterdiskriminierend (E. 5.1). Vorliegend hat die IV-Stelle zu Unrecht primär gestützt auf eine entsprechende Vermutung die Versicherte nach Geburt ihrer beiden Kinder neu als Teilerwerbstätige qualifiziert, ohne den massgeblichen Sachverhalt weiter abzuklären, und insbesondere auch ohne die von der Versicherten offerierten Beweise abzunehmen (E. 5.2). Damit hat sie den Untersuchungsgrundsatz verletzt und die zugrunde gelegte Vermutung faktisch zur unumkehrbaren Fiktion erhoben (E. 6.1).

Aus dem Sachverhalt:

Die 1985 geborene A., gelernte Detailhandelsangestellte mit Handelsdiplom, meldete sich im Juni 2015 unter Verweis auf Unterleibsbeschwerden sowie eine psychische Erkrankung bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Diese sprach ihr, gestützt auf ein medizinisches Gutachten sowie die Einschätzung ihres RAD, ab 1. April 2017 eine halbe Rente zu.

Ausgelöst durch eine Anfrage der Versicherten nach beruflichen Integrationsmassnahmen, überprüfte die IV-Stelle ab November 2018 den Rentenanspruch revisionsweise und gewährte Arbeitsvermittlung sowie Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten. Die Arbeitsvermittlung wurde indes in der Folge zweimalig aufgeschoben aufgrund von Schwangerschaften der Versicherten. Im Verlauf holte die Verwaltung einen Abklärungsbericht Haushalt ein. Gestützt darauf stellte sie mit Verfügung vom 26. April 2022 die bisherige halbe Rente ein. Sie wandte dabei – unter Annahme eines unveränderten Gesundheitszustands – neu die gemischte Methode der Invaliditätsbemessung an, da die Versicherte zwischenzeitlich Mutter von zwei Töchtern (geboren 2019 und 2021) geworden war. Gegen diese Verfügung erhob A. Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragte ihre Aufhebung sowie die weitere Ausrichtung der halben Invalidenrente samt zweier Invaliden-Kinderrenten. Die IV-Stelle schloss mit Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Im weiteren Schriftenwechsel hielten die Parteien an ihren Anträgen fest.

Aus den Erwägungen:

(…)

2.        

2.1 Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung haben gemäss Art. 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) Versicherte, die – kumulativ – ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wiederherstellen, erhalten oder verbessern können (lit. a), während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; 830.1]) gewesen (lit. b) und nach dessen Ablauf zu mindestens 40 % invalid (Art. 8 ATSG) sind (lit. c). Nach Art. 6 ATSG ist bei langer Dauer der Arbeitsunfähigkeit auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich zu berücksichtigen. Damit ist aber nicht gemeint, dass die versicherte Person ggf. gezwungen werden könnte, nach Eintritt der Invalidität im Sinne einer Schadenminderungspflicht von einer beruflichen Tätigkeit neu in einen Aufgabenbereich zu wechseln, weil sie dort eine geringere Einschränkung aufweist (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 4. Aufl. 2020, Art. 6 N 105 f.).

2.2 Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen seit Zusprache der Rente, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist die Rente bei einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes revidierbar. Weiter sind, auch bei an sich gleich gebliebenem Gesundheitszustand, veränderte Auswirkungen auf den Erwerbs- oder Aufgabenbereich von Bedeutung (etwa: Verbesserung der Arbeitsfähigkeit aufgrund einer Angewöhnung oder Anpassung an die Behinderung). Hingegen ist die lediglich unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts im revisionsrechtlichen Kontext unbeachtlich. Liegt ein Revisionsgrund vor, ist der Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend («allseitig») zu prüfen, ohne Bindung an frühere Beurteilungen (etwa: BGE 141 V 9 E. 2.3 mit Hinweisen).

2.3 Einen Revisionsgrund kann – selbst Jahre nach dem Eintritt des Gesundheitsschadens – etwa eine hypothetische Änderung des Erwerbspensums im Gesundheitsfall zufolge der Geburt eines Kindes setzen (BGE 147 V 124 E. 7; Kieser, a.a.O., Art. 17 N 50). Dies liegt darin begründet, dass es nicht Aufgabe der Invalidenversicherung ist, einen Einkommensverlust auszugleichen, den die versicherte Person im Gesundheitsfall als Konsequenz einer privaten Entscheidung bezüglich ihrer Lebensgestaltung in Kauf nehmen würde, und der mithin invaliditätsfremd ist. Auch das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter verlangt nicht danach, der Invaliditätsbemessung unbesehen eine Fiktion der andauernden Vollerwerbstätigkeit zugrunde zu legen (BGE 147 V 124 E. 5.2, 6.1). Ob eine versicherte Person als ganz oder zeitweilig erwerbstätig (oder als nichterwerbstätig) einzustufen ist, beurteilt sich auch im Rahmen einer Revision danach, was sie bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist deshalb nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit ihr im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie als Gesunde hypothetisch tatsächlich erwerbstätig wäre (vgl. etwa BGer 9C_332/2019 vom 12. September 2019 E. 4.1). Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen (vgl. Art. 27 der Verordnung über die Invalidenversicherung [IVV; SR 831.201]) sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen statt vieler etwa BGer 8C_42/2021 vom 5. März 2021 E. 3.2).

2.4      

2.4.1 Invaliditätsgrad und erwerblicher Status einer versicherten Person sind möglichst wirklichkeitsgerecht und konkret zu bestimmen (BGE 133 V 477 E. 6.3). Demgegenüber haben die allgemeine Lebenserfahrung und gesellschaftliche Normen wo immer möglich hinter die individuellkonkreten Gegebenheiten zurückzutreten, die soweit möglich festzustellen und zu würdigen sind (vgl. BGer 9C_157/2020 vom 18. Juni 2020 E. 4.1.1; 9C_671/2017 vom 12. Juli 2018 E. 3.3.2). Von vornherein unzulässig, da geschlechterdiskriminierend im Sinne von Art. 14 i.V.m. Art. 6 Ziff. 1 EMRK (und Art. 8 Abs. 2 f. BV), wäre es jedenfalls, wenn eine Versicherte, die vor Eintritt der Invalidität erwerbstätig gewesen ist, nach der Geburt eines ersten oder weiteren Kindes neu als Hausfrau qualifiziert würde mit der einzigen Begründung, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung zahlreiche Ehefrauen die Erwerbstätigkeit unterbrechen, solange die Kinder der vollständigen Pflege und Erziehung bedürfen (statt vieler: BGer 8C_42/2021 vom 5. März 2021 E. 4.4, mit Hinweis auf EVG I 635/02 vom 20. Juni 2003 E. 3.3 sowie EGMR Schuler-Zgraggen gegen die Schweiz vom 24. Juni 1993, Nr. 14518/89 Ziff. 67).

2.4.2     Die möglichst konkret vorzunehmende, auf die individuelle versicherte Person bezogene Beantwortung der Statusfrage erfordert eine hypothetische Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen des Individuums zu berücksichtigen hat. Derlei ist einer direkten Beweisführung wesensgemäss nicht zugänglich und muss in aller Regel aus äusseren Indizien erschlossen werden. Die Beurteilung hypothetischer Geschehensabläufe stellt eine Tatfrage dar, soweit sie auf Beweiswürdigung beruht, selbst wenn darin auch Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung mitberücksichtigt werden. Ebenso sind Feststellungen über innere oder psychische Tatsachen Tatfragen, wie z.B. was jemand wollte oder wusste (BGer 8C_42/2021 vom 5. März 2021 E. 3.3; 9C_515/2021 vom 15. Dezember 2021 E. 3.2.2). Eine Rechtsfrage liegt hingegen vor, wenn nur gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung gefolgert wird, in welchem Ausmass die versicherte Person im Gesundheitsfall erwerbstätig wäre (BGE 133 V 477 E. 6.1).

2.4.3 Bei der Würdigung von Tatfragen, über die sich – wie hier beim erwerblichen Status nach der Geburt eines oder mehrerer Kinder – gemäss der Natur der Dinge nur Hypothesen aufstellen lassen, kommen im Sozialversicherungsrecht dieselben Beweiswürdigungsregeln zum Zuge wie im Zivilprozessrecht (was letztlich auf die Anwendung von Art. 8 ZGB als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im öffentlichen Recht zurückzuführen ist, vgl. hierzu etwa BGer 1C_688/2020 vom 6. Januar 2022 E. 5.4). Das bedeutet, dass aus der allgemeinen Lebenserfahrung gewonnene Erfahrungssätze der Beweiswürdigung unterlegt werden dürfen. Es gibt Tatsachen, mit deren Vorhandensein nach den Erfahrungen des Lebens so sehr zu rechnen ist, dass ihr Vorhandensein so lange vorausgesetzt werden darf, als nicht Umstände nachgewiesen sind, die es unwahrscheinlich machen, dass sie sich verwirklicht haben. Es sind dies die Tatsachen, für welche die natürliche Vermutung streitet. Sie dürfen dem Urteil zugrunde gelegt werden, auch wenn sie nicht durch ein Beweismittel nachgewiesen sind (BGE 117 V 194 E. 3 i.f.).

Wollen die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender indes ihre Würdigung solchermassen auf eine natürliche Vermutung abstützen, haben sie umso sorgfältiger zu prüfen (und zu begründen), weshalb mit einer bestimmten Tatsache nach der allgemeinen Lebenserfahrung so sehr zu rechnen sei, dass ihr Vorhandensein bis zum Nachweis des Gegenteils vorausgesetzt werden darf. Sie haben dabei insbesondere auch einem allfälligen Wandel der gesellschaftlichen Realität gebührend Rechnung zu tragen und stehen in der Verantwortung, die mit einer solchen Vermutung gegebenenfalls verbundene Umverteilung der materiellen Beweislast zum Nachteil der Rechtssuchenden nicht unreflektiert etwa aufgrund überholter Rollenbilder zuzulassen. Was die allgemeine Lebenserfahrung besagt, bleibt dabei eine Rechtsfrage und ist mithin begründungs- und auslegungspflichtig. Die Auslegung hat nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Garantien – etwa zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – zu erfolgen.

2.4.4 Die tatsächlichen Grundlagen, die einer konkreten Würdigung der Umstände zugrunde gelegt werden, sind durch die Verwaltung von Amtes wegen abzuklären. Die erforderlichen Auskünfte sind einzuholen und allenfalls mündlich erteilte Auskünfte schriftlich festzuhalten (Art. 43 Abs. 1 ATSG). Die Untersuchungspflicht dauert dabei so lange, bis über die für die Beurteilung des strittigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht, d.h. der rechtserhebliche Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststeht. Solange hingegen erhebliche Zweifel an Vollständigkeit und/oder Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. etwa BGer 9C_484/2022 vom 11. Januar 2023 E. 4.2).

3. Strittig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle zu Recht davon ausging, die Beschwerdeführerin wäre nach der Geburt ihrer zweiten Tochter auch im Gesundheitsfall überwiegend wahrscheinlich nur noch in einem Pensum von maximal 50 % erwerbstätig gewesen.

3.1 Die IV-Stelle begründete ihren Schluss auf einen Status als Teilerwerbstätige unter Verweis auf den Abklärungsbericht vom 12. April 2021. Darin sei die Abklärungsperson aufgrund der aktuellen persönlichen und familiären Situation der Versicherten davon ausgegangen, dass diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem 50 %-Pensum erwerbstätig wäre. Dies habe sie damit begründet, dass in den Akten seit 2017 keine Angaben dazu vorhanden gewesen seien, dass die Versicherte 100 % habe arbeiten wollen. Lediglich ein 50 %-Job sei für sie ein Thema gewesen, was aber nicht habe realisiert werden können. Im Abklärungszeitpunkt sei sie mit ihrem zweiten Kind schwanger gewesen. Angesichts der Tatsache, dass der Kindsvater und Lebenspartner mit der Familie zusammenlebe, 100 % arbeite und ein Einkommen von Fr. 6'590.– pro Monat erziele, sei nicht nachvollziehbar, dass die Versicherte mehr als 50 % arbeiten würde, zumal dazu aus finanzieller Sicht keine Notwendigkeit bestehe.

Wörtlich schreibt die Verwaltung in ihrer Verfügung vom 26. April 2022: «Es ist eine Tatsache, dass die Versicherte seit der letzten materiellen Prüfung des Rentenanspruchs, anlässlich welcher sie noch keine Kinder hatte und in der Ausgangsbasis als Vollerwerbstätige eingestuft worden war, inzwischen Mutter von zwei Kleinkindern geworden ist. Die Angaben der Versicherten und im Einwand, dass in der Lebensplanung trotz der Kinder weiterhin vor allem die berufliche Karriere im Vordergrund stehe, wird durch die Geburt eines zweiten Kindes doch erheblich relativiert. Angesichts des Umstandes, dass es sich bei der Versicherten um eine intelligente und gebildete Frau handelt, ist die Aussage, beim zweiten Kind habe es sich um eine 'medizinisch unverhoffte' Schwangerschaft gehandelt, kaum nachvollziehbar. Gerade auch im Hinblick auf die unbestritten vorhandenen gesundheitlichen Probleme der Versicherten kann davon ausgegangen werden, dass eine zweite Schwangerschaft bzw. Geburt gewollt gewesen sein muss. Daraus wiederum ist der Schluss zu ziehen, dass die Versicherte in Kauf genommen hat, für eine gewisse Zeit beruflich zurückzustecken und sich zu einem Teil ihrer Zeit der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder zu widmen». Weiter führt die IV-Stelle aus, der Kindsvater sei auch nach einer allfälligen Aufhebung des gemeinsamen Haushalts verpflichtet, für seine Kinder angemessene Unterhaltsbeiträge (Bar- und Betreuungsunterhalt) zu bezahlen. Dadurch werde die Versicherte den Lebensunterhalt für sich und die Kinder auch mit einer Erwerbstätigkeit von 50 % finanzieren können. Aus dem Umstand, dass die Versicherte früher zu 100 % erwerbstätig gewesen sei, lasse sich nicht auf den Anteil der Erwerbstätigkeit nach der Geburt von zwei Kindern schliessen, «zumal sich eben durch die Geburt dieser Kinder die Ausgangslage erheblich verändert hat und sich naheliegenderweise, aber auch zwangsläufig die Lebensabläufe – zumindest für eine gewisse Zeit – verändern». Im Ergebnis sei hinsichtlich des hypothetischen Erwerbsumfangs nicht auf die Angaben der Versicherten (Pensum von 80 bis 100 %) abzustellen, sondern auf die Angaben der Abklärungsperson «im Gesamtkontext der Situation». Zur Stellungnahme der Pro Infirmis namens der Beschwerdeführerin vom 22. Juli 2021 schreibt die IV-Stelle, diese sei «zur Kenntnis genommen» worden, und sie teile «die in dieser Stellungnahme zu Ihrem Status geltend gemachte Auffassung nicht». Daran hält sie mit Stellungnahme vom 10. August 2022 im Wesentlichen fest. Gemäss der Verwaltung «entbehrt die Angabe, ohne Behinderung trotz der beiden Kleinkinder in einem Pensum von 80–100 % erwerbstätig zu sein, jeglicher Wahrscheinlichkeit» und sei «die Annahme eines Arbeitspensums von mehr als 50 % (…) unter den aktuell gegebenen Umständen unrealistisch und unwahrscheinlich».

3.2 Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber im Wesentlichen geltend, nach Zusprache der halben IV-Rente (ab April 2017) habe sie konsequent 50 %-Stellen gesucht und sich bei der Invalidenversicherung vor und nach der Geburt ihrer ersten Tochter nachweislich um berufliche Eingliederungsmassnahmen bemüht. Insbesondere habe sie immer klar kommuniziert, es sei ihr ein Anliegen, dass die gegen ihren Willen aufgrund der Geburten und des Mutterschutzes gestoppten Eingliederungsmassnahmen nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben würden. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, weshalb die IV nach der Geburt ihrer ersten Tochter umgehend die Rentenrevision eingeleitet und eine Haushaltsabklärung durchgeführt habe. Die Abklärungsperson habe dabei die Frage nach der massgeblichen hypothetischen Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall völlig verkannt und mit der Frage nach der mit Gesundheitsschaden noch zumutbaren Erwerbstätigkeit vermischt. Sie habe weiter ein «vorzementiertes Rollenbild» zugrunde gelegt, demzufolge eine Mutter zweier kleiner Kinder von vornherein nicht zu mehr als 50 % erwerbstätig wäre und ihr ungefragt die Betreuung der Kinder unterstellt. Im Rahmen ihrer Eingliederung treffe auch den Kindsvater die Pflicht, gegebenenfalls Betreuungsaufgaben, respektive Organisation und Übergaben in der Kindertagesstätte, zu übernehmen. Die aktuelle, finanziell notwendige volle Arbeitstätigkeit des Kindsvaters spreche nicht gegen ihr volles Erwerbspensum im Gesundheitsfall. Im Zusammenhang mit der hypothetischen Organisation der Familie im Gesundheitsfall habe sie der Abklärungsperson am Gespräch vom 25. März 2021 u.a. auch den schwierigen Umgang mit dem Kindsvater darlegen wollen, was ihr jedoch verwehrt worden sei. Das Einkommen des Lebenspartners werde im Kanton Zug kaum für zwei Haushalte ausreichen; des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass sie im Umfang der invaliditätsbedingten Erwerbseinschränkung keinen Anspruch auf Betreuungsunterhalt für die Betreuung der Kinder haben werde (sie verweist auf BGer 5A_503/2020 vom 16. Dezember 2020, vgl. dort E. 6). Bereits früher habe sie zuletzt für ein 80 %-Pensum bei der Firma D. Fr. 6'716.– pro Monat verdienen können (recte: Bruttolohn für ein 100 %-Pensum, inkl. 13. Monatslohn). Nach geplanter Weiterbildung zur Betriebswirtin hätte sie erst recht ein dem Partner vergleichbares Einkommen erzielen können. Im Falle der erfolgreichen Eingliederung würde sie die Fremdbetreuungstage der Kinder umgehend aufstocken; auch verfüge sie über weitere Betreuungspersonen. All dies sei im angefochtenen Entscheid nicht berücksichtigt worden. Dieser bediene vielmehr in diskriminierender Weise ein überholtes Rollenbild, wonach eine zweifache, gesunde Mutter von vornherein nicht mehr voll erwerbstätig wäre, was stossend sei und einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalte.

4. Ein Statuswechsel von Voll- zu Teilerwerbstätigkeit aufgrund der Übernahme von Aufgaben in Haushalt und Kinderbetreuung stellt einen Revisionsgrund dar (E. 2.3 hiervor). Dass ein solcher Wechsel nach der Geburt von Kindern möglich ist, rechtfertigt eine revisionsweise Überprüfung des Rentenanspruchs. Damit kann nicht zuletzt die Gleichbehandlung zwischen Personen, die bereits vor Zusprache einer Invalidenrente nur teilweise erwerbstätig waren und sich im Übrigen z.B. der Kinderbetreuung gewidmet haben, und solchen, die einen solchen Wechsel im Gesundheitsfall überwiegend wahrscheinlich ebenfalls vollzogen hätten, aber bereits vorher ganz oder teilweise invalid wurden, gewährleistet werden.

Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin seit der ursprünglichen Rentenzusprache mit Verfügung vom 18. September 2017 zweifache Mutter geworden ist. Entgegen ihrem geäusserten Unverständnis rechtfertigte diese erhebliche Veränderung der persönlichen Verhältnisse die Einleitung einer revisionsweisen Überprüfung der Invalidenrente durch die Verwaltung. Hierfür ist es ausreichend, dass eine Tatsache glaubhaft gemacht wird, die eine erhebliche Änderung des Invaliditätsgrades als bloss möglich erscheinen lässt (Art. 17 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 IVV). Dies ist in Bezug auf die Geburt von Kindern zu bejahen: Gemäss Erhebungen des Bundesamtes für Statistik zum Jahr 2022 waren rund 80 Prozent der Mütter und ungefähr 20 Prozent der Väter mit Kindern unter drei Jahren nicht (mehr) voll erwerbstätig (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/gleichstellung-frau -mann/vereinbarkeit-beruf-familie/erwerbsbeteiligung-muettern-vaetern.html). Mit Blick darauf drängt sich das Tätigen weiterer Abklärungen bei Bezügerinnen und Bezügern einer Invalidenrente, die erst nach der Rentenzusprache Eltern von (weiteren) Kindern werden und bei denen entsprechend ein Statuswechsel zumindest potenziell in Betracht kommt, nachgerade auf.

5.

5.1 Zur Begründung des hier angenommenen Statuswechsels formuliert die IV-Stelle bezüglich der Erwerbstätigkeit von jungen Müttern zweier Kleinkinder als Erfahrungssatz, und mithin natürliche Vermutung, dass bei dieser Personengruppe eine Erwerbstätigkeit von mehr als 50 % jeglicher Wahrscheinlichkeit entbehre und unrealistisch sei (oben E. 3.1 i.f.). Diese Annahme ist zumindest kritisch auf ihre Begründetheit zu hinterfragen (vgl. E. 2.4.3). Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass bereits im Jahr 1991, mithin vor über 30 Jahren, das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht festhielt, es seien Mann und Frau nach (damals noch) neuem Eherecht frei, ihre Partnerschaft nach eigenen Wünschen auszugestalten. Mit Blick darauf sei es unzulässig, im Rahmen der Invaliditätsbemessung einer traditionellen Rollenverteilung den Vorrang einzuräumen, bei welcher der Frau die Besorgung des Haushalts (inkl. Kinderbetreuung) zugewiesen werde, und bei der demnach ihre beruflich-erwerblichen Interessen von vornherein als geringer eingestuft würden als diejenigen des Mannes (BGE 117 V 194 E. 4). Ein differenziertes Bild zeigt auch der Blick auf die statistischen Erhebungen aus dem Jahr 2022: Von den Müttern mit Partner und Kindern unter drei Jahren im Haushalt waren 16.7 % voll erwerbstätig; weitere 30.6 % waren im Umfang von 50–89 % erwerbstätig und 4.7 % waren unfreiwillig erwerbslos (vgl. BFS, zitiert soeben in E. 4). Angesichts dieser statistischen Daten (mit einem Anteil von ca. 50 % der Mütter mit kleinen Kindern und Partner die zwischen 50–100 % erwerbstätig sind) kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass mit einer Reduktion des Erwerbspensums der Beschwerdeführerin auf maximal 50 % im Gesundheitsfall nach der allgemeinen Lebenserfahrung so sehr zu rechnen wäre, dass sie als natürliche Vermutung ohne Weiteres vorausgesetzt werden dürfte, bis die Versicherte ihrerseits das Gegenteil als überwiegend wahrscheinlich nachweise. Die IV-Stelle hat demnach das in Art. 8 Abs. 3 BV verankerte Gebot der Gleichstellung der Geschlechter verletzt, indem sie allein aufgrund des Geschlechts der Versicherten eine natürliche Vermutung zur Anwendung brachte, wonach diese nach der Geburt zweier Töchter nicht mehr voll erwerbstätig wäre. Vielmehr hätte sie die Statusfrage individuell-konkret abzuklären und darzulegen gehabt, aus welchen Gründen bei der konkreten Versicherten ein Statuswechsel als überwiegend wahrscheinlich erschien.

5.2 Selbst wenn jedoch von einer entsprechenden natürlichen Vermutung auszugehen wäre, erlaubte dies der Verwaltung nicht, die Statusfrage bereits allein unter Berufung darauf als mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit geklärt zu betrachten (vgl. BGer 8C_735/2020 vom 26. Januar 2021 E. 5.3; vgl. ausserdem E. 2.4 hiervor). Vielmehr hätte sie auch diesfalls den individuell-konkreten Sachverhalt in Nachachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 ATSG; vgl. oben E. 2.4.4) sorgfältig zu erheben und gestützt auf die gewonnenen Erkenntnisse eine konkrete Würdigung vorzunehmen, der sie lediglich aufgrund des geschilderten Beweisnotstands (E. 2.4.3 hiervor) den gewonnenen Erfahrungssatz zugrunde legen dürfte. Sie stünde mithin selbst bei Geltung einer natürlichen Vermutung zugunsten der Erwerbstätigkeit junger Mütter von Kleinkindern im Umfang von maximal 50 % insbesondere in der Pflicht, von der individuellen Versicherten geltend gemachte Indizien abzuklären, die für deren weitere volle Erwerbstätigkeit sprächen und mithin die zugrunde gelegte Vermutung zu entkräften vermöchten. 

5.2.1 Die hier am Recht stehende Versicherte äusserte von allem Anfang an konstant, sie würde im Gesundheitsfall voll erwerbstätig sein wollen, bzw. wenigstens im Umfang von 80 % einer Erwerbsarbeit nachgehen (wobei sich aus den Akten die Erkenntnis aufdrängt, dass sie eine allfällige Reduktion auf ein Pensum von 80 % wohl primär vor dem Hintergrund einer Weiterbildung ins Auge fasste, nicht mit Blick auf die Kinderbetreuung). Die Beschwerdeführerin hat weiter aktiv, auch ohne Aufforderung der Verwaltung, zahlreiche äussere Indizien zugunsten einer im Gesundheitsfall auch nach Geburt ihrer Kinder unvermindert fortgeführten Erwerbstätigkeit ins Feld geführt. So hat sie dargelegt, sie sei bisher wiederholt durch überdurchschnittlichen beruflichen Einsatz aufgefallen (etwa: Absolvieren der Handelsschule berufsbegleitend neben einem 100 % Pensum im Verkauf, Freiwilligenarbeit während der unfreiwilligen Erwerbslosigkeit). Ebenfalls ist dokumentiert, dass sie sich in der Tat konstant und hartnäckig immer wieder für ihre berufliche Eingliederung eingesetzt und vorausschauend für externe Kinderbetreuung gesorgt hat. Diesbezüglich ist – mit der Beschwerdeführerin – festzuhalten, dass die Mutmassung der Abklärungsperson, es seien die Eingliederungsmassnahmen im Dezember 2020 wegen der erneuten Schwangerschaft «und dem Kleinkind, das Betreuung braucht» beendet worden, in den Akten tatsächlich keinerlei Stütze findet. Aktenkundig ist vielmehr, dass wiederholt von der Invalidenversicherung die Initiative ausging, eine einmal begonnene Arbeitsvermittlung, für welche sich die Versicherte zuvor eingesetzt hatte, wegen deren Schwangerschaften abzubrechen. Weshalb sie die zugesicherte Arbeitsvermittlung ohne ersichtliche Notwendigkeit allein aufgrund von Schwangerschaften jeweils umgehend einstellte, anstatt gemeinsam mit der Versicherten die Eingliederung nach Ende des üblichen Mutterschaftsurlaubs zu planen, erschliesst sich in der Tat nicht. Das Vorgehen irritiert umso mehr, als gemäss Vereinbarung über die Arbeitsvermittlung die Versicherte primär beim Zusammenstellen der Bewerbungsunterlagen, beim Erstellen oder Aktualisieren des Lebenslaufs, beim Verfassen von Bewerbungsschreiben sowie dem Festlegen einer Strategie für die Suche einer angepassten Arbeitsstelle unterstützt werden sollte. Weshalb diese Vorbereitungsarbeiten nicht auch während einer Schwangerschaft hätten möglich sein sollen im Hinblick auf einen Stellenantritt nach Ende des üblichen Mutterschaftsurlaubs, ist nicht nachvollziehbar. Ihr Unverständnis und ihren Frust darüber brachte die Beschwerdeführerin denn auch – zu Recht – im Rahmen der Haushaltsabklärung zum Ausdruck. Der erneute Abschluss der beruflichen Eingliederung wegen Schwangerschaft ergibt umso weniger Sinn im Zuge der zweiten Schwangerschaft der Versicherten, hatte diese doch bereits nach Geburt ihrer ersten Tochter unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie weiterhin das ihr gesundheitlich mögliche Arbeitspensum von 50 % ausschöpfen und dazu möglichst bald berufliche Massnahmen einleiten wolle (Kontaktaufnahme mit der IV-Stelle bereits im April 2020, nach Geburt der Tochter im Dezember 2019). Auch während der Schwangerschaft mit der zweiten Tochter hatte sie zudem erneut eine Vereinbarung für die Arbeitsvermittlung unterzeichnet und sich darin bereit erklärt, mit Unterstützung der Eingliederungsberatung Bewerbungen zu erarbeiten und zu tätigen. Angesichts des Verhaltens der IV-Stelle (mit zweimaligem Entzug der Eingliederungsunterstützung nach Mitteilung der Schwangerschaft) ist es im Übrigen auch konsistent mit einem hohen Eingliederungswillen der Versicherten, dass sie ihre erneute Schwangerschaft der IV-Stelle nicht umgehend mitteilte, sondern diese zunächst verschwieg.

5.2.2 Zu ihrem familiären und sozialen Umfeld machte die Versicherte bereits im vorinstanzlichen Verfahren geltend, sie könne im familiären und dörflichen Umfeld auf ein Netzwerk von Kinderbetreuung zurückgreifen, wobei sie u.a. mit Blick auf ihre eigene Berufstätigkeit an ihrem Wohnort eigens ein Elternnetzwerk gegründet habe. Sie sei gewillt, ihre Töchter bei Antritt einer Arbeitsstelle auch in einer Kindertagesstätte betreuen zu lassen; eine solche Betreuung finde bereits an einem Tag pro Woche statt. Es sei weiter zu würdigen, dass es ihr dank grossem persönlichem Einsatz zugunsten einer erwerblichen Eingliederung gelungen sei, selbst während des Sozialhilfebezugs den «Zuschlag für eigene berufliche Integration» erhältlich zu machen. Schliesslich müsse auch berücksichtigt werden, dass eine finanzielle Absicherung durch den Kindsvater gerade nicht bestehe, wozu aber die Abklärungsperson ihr zu Unrecht jede weitere Beweisabnahme verweigert habe. Finanziell erschliesst sich sodann aus den beigezogenen Akten, dass bei der Versicherten und dem Kindsvater grundsätzlich von ungefähr vergleichbaren Lohnhöhen auszugehen ist von zwischen (brutto) Fr. 6'500.– bis Fr. 6'700.– pro Monat.

5.2.3     Erst recht mit Blick auf die zahlreich zutage getretenen äusseren Indizien für den Willen der Beschwerdeführerin, weiterhin als Invalide ihre Restarbeitsfähigkeit von 50 % trotz Mutterschaft auszuschöpfen, stand die Verwaltung in der Pflicht, den Sachverhalt – insbesondere die konkreten familiären Verhältnisse – abzuklären, um belastbare Schlüsse auf das Verhalten der Versicherten im Gesundheitsfall ziehen zu können. Entgegen der Ansicht der IV-Stelle war es nicht Aufgabe der Abklärungsperson, der Versicherten ihre eigene Wertung zu unterstellen, was für eine zweifache Mutter ein realistisches Erwerbspensum sei, mithin dieser eine vorgefasste Vorstellung der Lebensgestaltung als Familie mit Kindern überzustülpen. Zielvorgabe wäre vielmehr eine möglichst konkrete Abklärung dazu gewesen, wie sich die Versicherte im Gesundheitsfall eingerichtet hätte. Vorliegend ist die Darstellung der Beschwerdeführerin zum hieran klar desinteressierten Verhalten der Abklärungsperson umso glaubhafter, als sie nach offensichtlich irritierend verlaufenem Abklärungsgespräch umgehend den Abklärungsbericht verlangte und gegen den Eindruck einer vorgefassten Meinung protestierte, mit Unterstützung einer Mitarbeiterin der Pro Infirmis als neutraler Drittperson, die am Abklärungsgespräch teilgenommen hatte. Insbesondere machte sie nicht erst nach Kenntnis des Verfahrensausgangs im Beschwerdeverfahren erstmals eine Befangenheit der Abklärungsperson geltend (was mutmasslich als verspätet zu qualifizieren gewesen wäre, vgl. BGer 9C_515/2021 vom 15. Dezember 2021 E. 4.2.1). Insgesamt kann der IV-Stelle deshalb der Vorwurf einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nicht erspart werden:

5.2.3.1  Abklärungsperson und Verwaltung erkannten zwar zutreffend, dass unter anderem in den bisherigen selbständigen Arbeitsbemühungen der Versicherten ein äusseres Indiz dafür zu sehen wäre, ob sie weiterhin ihre erwerbliche Kapazität auszuschöpfen gedachte (vgl. in diese Richtung etwa auch BGer 8C_42/2021 vom 5. März 2021 E. 4.2.3). Dabei lässt sich aber offensichtlich nichts zulasten der Versicherten daraus ableiten, dass sie sich ab 2017 darauf beschränkte, eine 50 %-Stelle zu suchen, befand sie sich doch zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr im Gesundheitsfall, sondern litt bereits an erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Sie hat sodann wiederholt vorgetragen, sich seit 2017 immer wieder um Stellen bemüht zu haben, so etwa auch in der Haushaltsabklärung («immer wieder versucht habe über die Eingliederung und eben Profil Arbeit Stellen zu finden»). Der Abklärungsperson bot sie hierzu auch Beweise an, welche diese aber offensichtlich nicht abnahm, so dass sich tatsächlich in den Akten aktuell nichts zu den Arbeitsbemühungen ab 2017 findet. Der Verwaltung hätte es oblegen, im Minimum die angebotenen Beweise abzunehmen und gegebenenfalls auch Nachfragen zu tätigen sowie weitere Akten – etwa des RAV oder der Organisation «Profil Arbeit» beizuziehen. Mit Blick darauf, dass bereits zwischen April 2016 (Eintritt der Invalidität und Beginn des Wartejahres) und der Geburt der ersten Tochter im Dezember 2019 die Verwertung der Restarbeitsfähigkeit nicht realisiert werden konnte, durfte sie die unterbliebene Eingliederung offensichtlich nicht ohne Weiteres auf die Ankunft der beiden Töchter zurückführen, wusste doch die Versicherte erst ab August 2019 überhaupt, dass sie ein erstes Kind erwartete.

5.2.3.2 Zutreffen mag sodann, dass notorisch die Geburt von eigenen Kindern lebensverändernd ist und von den Eltern verlangt, eigene Bedürfnisse und Interessen zurückzustellen. Die IV-Stelle setzt sich indes dem Vorwurf einer unzulässigen direkten Diskriminierung allein aufgrund des Geschlechts aus, wenn sie ohne weitere Abklärung sowie ohne Abnahme bzw. Würdigung der offerierten (Indizien-) Beweise von der Vermutung ausgeht, dies bedeute, dass im Regelfall die junge Mutter ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren habe (vgl. oben E. 2.4.1). Wie bereits dargelegt wurde, kommt eine solche Familienorganisation zwar nach wie vor (sehr) häufig vor (oben E. 4). Sie kann aber keinesfalls als dermassen zwingend angesehen werden, dass jeder Frau ungeachtet ihrer konkreten familiären und sozialen Umstände sowie ihrer bisherigen Lebensplanung entgegengehalten werden darf, sie würde vermutungsweise im Falle einer Mutterschaft ihr Erwerbspensum auf maximal 50 % reduzieren. Angesichts dessen kann auch nicht entscheidend sein, ob die zweite Tochter geplant war oder nicht, da sich allein aus der Tatsache einer bewusst gewählten Elternschaft noch nichts dazu ableiten lässt, wie sich die konkrete Familie zu organisieren gedenkt, bzw. im Gesundheitsfall organisieren würde. Wie bereits ausgeführt, ist dies gerade konkret abzuklären (E. 4 hiervor). In diesem Zusammenhang frappiert, dass sich die Abklärungsperson in keiner Weise für den Kindsvater und/oder dessen familiäres und soziales Umfeld interessierte (etwa: dafür, ob dessen Eltern für Kinderbetreuung zur Verfügung stünden, oder dafür, ob er selber allenfalls als Servicetechniker selbst bei einem Pensum von 100 % aufgrund von Wochenendarbeit unter der Woche Aufgaben in der Kinderbetreuung übernehmen könnte). Vielmehr betrachtete sie diesen offenbar als reinen «Zahlvater» ohne Betreuungsaufgaben. Dieser Auffassung schliesst sich die IV-Stelle unreflektiert an, wenn sie mutmasst, der Kindsvater hätte jedenfalls nach einer Trennung Bar- und Betreuungsunterhalt zu leisten (oben E. 3.1). Einer rechtlichen Betrachtung hält eine solch pauschale Aussage nicht stand (vgl. zur grundsätzlich gemeinsamen Unterhaltspflicht der Eltern Art. 276 ff. ZGB).

Vorliegend ist es den Kindseltern bereits während der Zeit des Zusammenlebens offenbar nicht gelungen, eine Vereinbarung über Betreuung und Unterhalt ihrer Töchter zu treffen (vgl. Schreiben der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Kantons Zug vom 14. Dezember 2021). Inwieweit deshalb im Trennungsfall überhaupt an eine gelebte Aufgabenteilung angeknüpft werden kann, erscheint bereits fraglich. Ohnehin könnte aber eine im gemeinsamen Haushalt praktizierte Aufgabenteilung jedenfalls nicht in alle Ewigkeit fortgesetzt werden, ansonsten über die Tatsache hinweggesehen würde, dass mit der Trennung neue Lebensverhältnisse einhergehen (BGE 144 III 481 E. 4.6). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung geht dabei mit dem «Schulstufenmodell» im Übrigen betreffend die anzunehmende bzw. zumutbare Erwerbstätigkeit der Eltern keineswegs von unumstösslichen Regeln aus, sondern schreibt explizit eine Berücksichtigung der Umgebungsfaktoren und des bisherigen Verhaltens der Eltern vor (etwa: freiwillige ausserschulische Drittbetreuung, bisherige erwerbliche Absichten, etc., vgl. BGE 144 III 481 E. 4.5, 4.7.8). Mit Blick auf die auch aktuell offenbar noch offene Frage nach der Aufteilung von Betreuung und Obhut der Töchter zwischen den Eltern sowie dem von der Kindsmutter konstant geäusserten Willen, ihre erwerbliche Kapazität auch nach deren Geburt weiterhin auszuschöpfen – dem sie auch durch Inanspruchnahme von Fremdbetreuung Ausdruck verlieh – lässt sich die Aussage, der Kindsvater werde jedenfalls einen Bar- und Betreuungsunterhalt zu leisten haben, welcher der Beschwerdeführerin auch im Gesundheitsfall ermöglichen würde, vom Lohn einer 50%igen Erwerbstätigkeit plus den Unterhaltszahlungen sich und ihre Kinder zu versorgen, nicht halten. Vielmehr liegt aktuell völlig im Dunkeln in welchem Umfang der Kindsvater während des Zusammenlebens sowie nach der Trennung an Kinderbetreuung und Kinderunterhalt partizipiert hat bzw. zu partizipieren haben wird. Ein gerichtliches Verfahren zur Regelung der Kinderbelange wurde eingeleitet, wobei die Anträge der Beschwerdeführerin hinsichtlich Betreuungs-, Obhuts- und Unterhaltsregelung nicht bekannt sind. Wie sie zu Recht geltend macht, geht es nicht an, bezüglich der gemeinsamen Kinder von vornherein die Annahme zugrunde zu legen, dass diese jedenfalls von ihr als Mutter persönlich zu betreuen seien, wobei der Vater seinen Beitrag primär in Geld zu leisten habe, zumal sich zwischen den Eltern diesbezüglich offenbar noch keine stabile Abmachung herauskristallisiert hat.

6.        

6.1 Zusammenfassend hat die IV-Stelle in unzulässiger Weise eine natürliche Vermutung zu Ungunsten einer vollen Erwerbstätigkeit junger Mütter zur Anwendung gebracht und den massgeblichen individuell-konkreten Sachverhalt in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes unzureichend abgeklärt. Damit hat sie letztlich die unzulässige natürliche Vermutung gar zur unumkehrbaren Fiktion erhoben.

6.2 Da hier eine Rentenrevision zu beurteilen ist, kann das hiesige Gericht die versäumten umfassenden Abklärungen nicht anstelle der Verwaltung vornehmen. Eine Herabsetzung oder Aufhebung der Rente kann nämlich – abgesehen vom hier nicht angesprochenen Fall einer zu Unrecht erwirkten Leistung oder einer Verletzung von Meldepflichten im Sinne von Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV – nur für die Zukunft erfolgen (Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV). Der Sachverhalt muss zwingend vor Erlass der rentenaufhebenden Verfügung abgeklärt und der Revisionsgrund in diesem Zeitpunkt ausgewiesen sein, wobei die Rechtsmittelinstanz höchstens ergänzende Abklärungen vornehmen kann. Ist eine entsprechende Veränderung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgewiesen, ist auf die revisionsweise Änderung (vorerst) zu verzichten (vgl. Kieser, a.a.O., Art. 17 N 73 mit Hinweisen). Das Sozialversicherungsgericht als Rechtsmittelinstanz hat deshalb im Zuge der Überprüfung einer revisionsweisen Rentenaufhebung bei ungenügender tatsächlicher Entscheidgrundlage nicht selber die fehlenden Sachverhaltsabklärungen vorzunehmen. Vielmehr hat es den angefochtenen Entscheid aufzuheben, mit der Folge, dass die vormals zugesprochene Rente weiter auszurichten ist, bis – allenfalls – zu einem späteren Zeitpunkt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Veränderung nachgewiesen werden kann. Die vorliegende Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die angefochtene Verfügung der IV-Stelle vom 26. April 2022 aufzuheben.

6.3 Der IV-Stelle steht es selbstredend frei, im Verlauf eine weitere ordentliche Revision einzuleiten.

6.3.1 Dabei ist ihr nahezulegen, auch den Gesundheitszustand der Versicherten mittels neuerlicher Begutachtung überprüfen zu lassen, zumal mit Blick auf die Akten eine Gewöhnung an die Beschwerden, bzw. allenfalls auch deren Abschwächung, naheliegend scheint (vgl. oben E. 2.2; aktenkundig ist, dass die Versicherte zwischenzeitlich mit ihren Beschwerden einen «modus vivendi» gefunden habe, wobei mangels neuerlicher medizinischer Begutachtung nicht einschätzbar ist, was dies mit Bezug auf ihre Arbeitsfähigkeit bedeutet). Allenfalls wird auch ins Gewicht fallen, dass im Zuge der Corona-Pandemie hinsichtlich der Arbeit im Home Office allgemeinnotorisch ein Umdenken stattgefunden hat, so dass heute besser an das Leiden der Beschwerdeführerin angepasste Bürotätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt angeboten werden, nämlich solche, die vermehrt ganz oder teilweise zeitlich flexibel im Home Office möglich sind (BGer 9C_15/2020 vom 10. Dezember 2020 E. 6.2.3, 7.1). Dies kommt der Beschwerdeführerin entgegen, deren Belastbarkeitsprofil nach einer Tätigkeit mit Rückzugsmöglichkeiten für jederzeitige Toilettengänge und flexiblen Arbeitszeiten verlangt. Inwiefern aus diesen veränderten externen Faktoren auf dem Arbeitsmarkt allenfalls eine höhere Arbeitsfähigkeit resultiert, bliebe indes abzuklären.

6.3.2 Revisionsweise wird die Verwaltung auch die individuell-konkrete Erörterung der Statusfrage nachzuholen haben, wobei sich die Versicherte u.a. ihr Verhalten sowie ihre Aussagen etwa im zivilrechtlichen Verfahren gegen den Kindsvater sowie im Rahmen der Beantragung von Ergänzungsleistungen wird entgegenhalten lassen müssen. Soweit aus den vorzunehmenden Abklärungen ein gemischter Status mit Tätigkeit auch im Aufgabenbereich resultiert, wird die IV-Stelle sodann jedenfalls eine erneute Haushaltsabklärung zu veranlassen haben: Der aktenkundigen Haushaltsabklärung vom 25. März 2021 (Bericht vom 12. April 2021) kann für die Zukunft keinerlei Beweiswert zukommen. Die Abklärungsperson verfügte einerseits offensichtlich nicht über genügende Dossierkenntnis (übersah sie doch die bereits seit April 2016 bestehende, gesundheitsbedingte Erwerbseinschränkung der Versicherten). Anderseits wird im besagten Bericht eine Momentaufnahme abgebildet, in der die Versicherte hochschwanger war, was naturgemäss einen vorübergehenden Zustand darstellt, der geeignet ist, passager eine grössere Ermüdbarkeit sowie auch stärkere Limitationen insbesondere bezüglich der im Haushalt nötigen Fähigkeit zum Heben und Tragen mit sich zu bringen. Zudem war im Zeitpunkt der Abklärung im Haushalt erst ein Kind zu betreuen und lebte der Kindsvater noch mit der Familie zusammen, was der aktuellen Realität (mit zwei Kindern und getrennten Eltern) nicht mehr entspricht. Der Abklärungsbericht stellte bereits im Verfügungszeitpunkt, am 26. April 2022, zufolge gewandelter Verhältnisse (insbesondere nach Ende der Schwangerschaft mit der Geburt der zweiten Tochter im Mai 2021) keine tragfähige Grundlage mehr dar zur Beurteilung der Einschränkungen der Versicherten im Haushalt. Erst recht lässt sich ihm zur aktuellen und künftigen Situation nichts entnehmen.

6.4 Mit der Aufhebung der angefochtenen Verfügung obsiegt die Beschwerdeführerin vollumfänglich. Weitere Ausführung zu den beruflichen Massnahmen erübrigen sich, zumal darauf unabhängig vom Rentenanspruch der Versicherten unbestritten Anspruch besteht (Mitteilung vom 28. Mai 2019). Die Versicherte beantragt denn auch nicht dem Verwaltungsgericht die Zusprache beruflicher Massnahmen, sondern fordert die Verwaltung dazu auf, die bereits am 18. Dezember 2020 in Aussicht gestellten beruflichen Eingliederungsmassnahmen wieder aufzunehmen. Dabei ist sie immerhin darauf hinzuweisen, dass die IV-Stelle ihr lediglich bei der Eingliederung in eine geeignete, leidensangepasste Tätigkeit Unterstützung zu bieten hat. Hingegen ist es nicht Aufgabe der Invalidenversicherung, ihr eine berufliche Weiterentwicklung zu ermöglichen (etwa: ein BWL-Studium oder Englischkurse zu finanzieren), nachdem ihr die angestammte kaufmännische Tätigkeit weiterhin zumutbar ist. Es wird demnach bei der Eingliederung im Wesentlichen darum gehen, Hilfestellung in der individuellen Arbeitssuche zu bieten, unter anderem indem eine Eingliederungsfachperson der IV als Ansprechperson zur Verfügung steht für einen potenziellen Arbeitgeber und diesen beraten kann bezüglich der Unterstützungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der konkreten Arbeitsstelle (vgl. so bereits Vereinbarung Arbeitsvermittlung vom 27. November 2020).

(…)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2023, S 2022 68
Das Urteil ist rechtskräftig.
Vollständiges Urteil auf der Entscheiddatenbank www.verwaltungsgericht.zg.ch

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