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Keine analoge Anwendung von Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR auf den Subordinationsfranchisingvertrag

Regeste:

Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR ist auf Subordinationsfranchisingverträge nicht analog anwendbar. Ein nachvertragliches Konkurrenzverbot setzt daher nicht zwingend eine Karenzentschädigung voraus.

Aus dem Sachverhalt:

Die A. (nachfolgend: Klägerin) führt und verwaltet unter der Firma «H.» eine internationale Unternehmensgruppe im Bereich der Personal- und Unternehmensberatung. In der Schweiz verfügt sie über Niederlassungen in I., J., K., L., M., N., O., Zug und Zürich. In der Unternehmensgruppe sind rund 50 Partner und Mitarbeiter tätig. Die Klägerin hat ein Franchisesystem entwickelt, bei dem sie als Franchisegeberin ihr Geschäftskonzept unter der Marke «H.®» gegen Gebühr an ausgewählte Franchisenehmer weitergibt. Die Franchisenehmer werden in der Unternehmensgruppe als «Partner» bezeichnet.

C. (nachfolgend: Beklagter) war vom 1. Juni 2018 in Zürich als Partner in der Niederlassung H. AG Zürich tätig. Der Franchisevertrag, den er dazu mit der Klägerin abschloss, enthielt unter anderem folgende Konkurrenzverbotsklausel:

«24. Der Franchisenehmer verpflichtet sich, während der Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Vertrages jede konkurrenzierende Tätigkeit zu unterlassen. Insbesondere verpflichtet er sich, weder eine Firma, die ganz oder teilweise den gleichen Zweck wie die H.® verfolgt, zu gründen, noch sich an einer solchen zu beteiligen, noch eine Stellung in einer solchen anzunehmen, für eine solche Firma Leistungen irgendwelcher Art zu erbringen oder bestehende beziehungsweise potentielle Kundschaft der H.® abzuwerben.

25. Das Konkurrenzverbot erstreckt sich auf das Vertragsgebiet, d.h. im geographischen Bereich in und 80 km um Zürich. Bei Zuwiderhandlungen gegen das Konkurrenzverbot schuldet der Franchisenehmer eine Konventionalstrafe in der Höhe von CHF 150'000.– (Hundertfünfzigtausend). Durch die Bezahlung der Konventionalstrafe ist der Franchisenehmer vom Konkurrenzverbot befreit.»

Mit Schreiben vom 5. September 2019 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er vom Franchisevertrag zurücktrete. Die Klägerin erachtete dieses Schreiben als Kündigung und erklärte sich unpräjudiziell und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bereit, den Franchisevertrag mit dem Beklagten per Ende September 2019 als aufgehoben zu betrachten. In der Folge warf die Klägerin dem Beklagten vor, gegen das vereinbarte nachvertragliche Konkurrenzverbot verstossen zu haben und verlangte von ihm – unter anderem – die Bezahlung der Konventionalstrafe.

Das Kantonsgericht lehnte diese Forderung im erstinstanzlichen Verfahren ab. Es bejahte eine analoge Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 OR und erachtete das Konkurrenzverbot – mangels vereinbarter Karenzentschädigung – für ungültig (Entscheid A2 2020 46 vom 9. Januar 2023, in: GVP 2022 Ziff. 1.2.4.1). Dagegen reichte die Klägerin Berufung beim Obergericht des Kantons Zug ein.

Aus den Erwägungen:

5.4 Wie bereits die Vorinstanz zutreffend feststellte, handelt es sich beim vorliegenden Franchisevertrag um einen Innominatvertrag (act. 52 E. 3). Nachdem die Klägerin mit ihren Sachverhaltsrügen nicht durchgedrungen ist (vgl. vorne E. 3 und 4), steht zudem fest, dass der Beklagte in sehr hohem Grad in die Organisation der Klägerin eingebunden war, sich seiner Tätigkeit vollberuflich anzunehmen hatte und der Klägerin aufgrund zahlreicher Vertragsbestimmungen (Weisungs- und Kontrollrechte etc.) untergeordnet war, wodurch ein Abhängigkeitsverhältnis begründet wurde. Die Vorinstanz kam somit zu Recht zum Schluss, dass der Vertrag zwischen den Parteien als sogenanntes Subordinationsfranchising zu qualifizieren ist (vgl. act. 52 E. 5.3.3). Diesbezüglichen kann ohne Weiteres auf die Ausführungen der Vorinstanz sowie auf ihre allgemeinen Ausführungen zum Franchisevertrag in E. 3 des angefochtenen Entscheids verwiesen werden (zur Zulässigkeit eines solchen Verweises vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_88/2020 vom 11. Februar 2021 E. 3.4 m.w.H.).

5.5 Gemäss Art. 418d Abs. 2 OR sind auf ein vertragliches Konkurrenzverbot [in einem Agenturvertrag] die Bestimmungen über den Dienstvertrag entsprechend anwendbar. Ist ein Konkurrenzverbot vereinbart, so hat der Agent bei Auflösung des Vertrages einen unabdingbaren Anspruch auf ein angemessenes Entgelt (sog. Karenzentschädigung; vgl. Hugenin, Obliga­tionenrecht - Allgemeiner und Besonderer Teil, 3. A. 2019, Rz 3424). Die vorliegend umstrittene Frage, ob Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR analog auf Subordinationsfranchiseverträge anwendbar ist, wurde bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden. Auch auf kantonaler Ebene finden sich dazu nur wenige Urteile.

5.5.1 Das Obergericht Zürich verneinte eine analoge Anwendbarkeit in einem Entscheid aus dem Jahr 1978, der jedoch einen Alleinvertriebsvertrag betraf (Urteil des Obergerichts Zürich vom 26. April 1978, in: ZR 78/1979 S. 148 ff.). In dem ausführlich begründeten Entscheid argumentierte das Obergericht zusammengefasst, die Vertragsfreiheit sei nicht ohne Not zu beschränken, weshalb es darauf ankomme, ob es sich mit Rücksicht auf eine gleiche Interessenlage gebieterisch aufdränge, dem Alleinvertreter einen unabdingbaren Anspruch auf eine Karenzentschädigung zuzugestehen (E. 5b). Wesentlich sei, dass die neu mit Art. 418d Abs. 2 OR eingeführte zwingende Karenzentschädigung singulären Charakter habe; bei keiner anderen Vertragsart finde sich eine entsprechende Vorschrift. Obwohl bei dem in einem Dienst- oder Arbeitsvertragsverhältnis stehenden Handelsreisenden die wirtschaftliche Abhängigkeit und das soziale Schutzbedürfnis in der Regel noch grösser sein dürften als beim Agenten, habe das jüngere Arbeitsvertragsrecht die agenturvertragsrechtliche zwingende Karenzentschädigung nicht übernommen – weder zugunsten der Handelsreisenden noch zugunsten aller Kategorien von Arbeitnehmern. In der Botschaft zum neuen Arbeitsvertragsrecht sei ausdrücklich erklärt worden, es ginge zu weit, den Arbeitgeber in jedem Falle zur Ausrichtung des Lohnes für die Dauer des Konkurrenzverbots verpflichten zu wollen (E. 5c). Soweit argumentiert werde, ein besonderes Bedürfnis nach einer Karenzentschädigung bestehe beim Agenturvertrag wie beim Alleinvertretungsvertrag gerade deshalb, weil Agent und Alleinvertreter nicht Arbeitnehmer, sondern Selbständigerwerbende seien und als solche unter Übernahme eines persönlichen Risikos geschäftliche Investitionen zu tätigen hätten, sei dem entgegenzuhalten, dass es noch bei anderen Vertragsarten (namentlich Gesellschaftsverträgen, beispielsweise aber auch Mietverträgen) nachvertragliche Konkurrenzverbote gebe, bei denen sich die Partner durchaus selbständig gegenüberstünden und bei denen die mit dem Konkurrenzverbot belastete Partei häufig namhafte geschäftliche Investitionen getätigt habe, die mit dem Ende des Vertragsverhältnisses ganz oder teilweise untergingen bzw. bei der Wiederaufnahme der Tätigkeit an einem anderen Ort wieder neu anfielen. Zweifellos ginge es jedoch nicht an, hier ohne gesetzliche Grundlage und unter alleiniger Berufung auf die gleiche oder ähnliche Interessenlage eine nicht abdingbare Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung aus Art. 418d OR durch Analogieschluss zu übernehmen. Für die gesetzlich nicht geregelten Alleinvertretungsverträge könne nichts anderes gelten (E. 5d).

5.5.2 Das Handelsgericht Zürich hat sich demgegenüber in einem Urteil vom 14. Juni 2001 für eine analoge Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR auf den Franchisevertrag ausgesprochen (Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 14. Juni 2001, in: ZR 102/2003 S. 48 ff.). Allerdings ist die kurze Begründung dazu, weshalb das Recht des Agenturvertrags in dieser Frage am besten zum Franchisevertrag passe (a.a.O. S. 49) wörtlich – und soweit ersichtlich unkritisch – einer Publikation von Baudenbacher entnommen (Baudenbacher, Die Behandlung des Franchisevertrages im schweizerischen und im europäischen Recht, in: Kramer [Hrsg.], Neue Vertragsformen der Wirtschaft: Leasing, Factoring, Franchising, 2. A. 1992, S. 380). Eigene Überlegungen des Handelsgerichts sind dem Urteil hingegen nicht zu entnehmen und auch mit den anderslautenden Lehrmeinungen oder dem vorerwähnten Urteil des Obergerichts Zürich befasste sich das Handelsgericht nicht. Das Urteil trägt daher in argumentativer Hinsicht nichts zur Klärung der Rechtslage bei.

5.6 In der Lehre gibt es unterschiedliche Auffassungen.

5.6.1 Eine deutliche Mehrheit der Autoren befürwortet eine analoge Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR auf den Franchisevertrag. Die allermeisten von ihnen begründen dies damit, dass das Machtgefälle zwischen Franchisenehmer und Franchisegeber sowie die daraus resultierende Schutzbedürftigkeit des Franchisenehmers die analoge Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 OR auf Franchiseverträge rechtfertige (Schulthess, Der Franchise-Vertrag nach schweizerischem Recht, 1975, S. 192; Schwabe, Arbeitnehmerähnliche Personen: Erscheinungsformen und Rechtsprobleme, 1983, S. 145 f. i.V.m. S. 22 ff.; Gürzumar, Der Franchisevertrag unter besonderer Berücksichtigung der immaterialgüterrechtlichen Schutzprobleme, 1991, S. 329 f.; Stein-Wigger, Die Beendigung des Franchisevertrages, 1999, S. 341 ff.; Giger, Systematische Darstellung der Franchisevertragsproblematik, 2016, S. 137; Amstutz, Basler Kommentar, 7. A. 2020, Einl. vor Art. 184 ff. N 160; Lang, Rechtsschutz im Franchising durch vorvertragliche Information, 2014, S. 107 f.; so auch Baudenbacher, a.a.O., S. 380, der die «besondere Schutzbedürftigkeit» des Franchisenehmers allerdings nicht näher begründet). Andere argumentieren, der Franchisevertrag sei dem Agenturvertrag aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit des Franchisenehmers ähnlicher als dem Arbeitsvertrag (Cotti, Das vertragliche Konkurrenzverbot / Voraussetzungen, Wirkungen, Schranken, 2001, S. 336 N 860; Kull, Die Verbindlichkeit des nachvertraglichen Konkurrenzverbots und des Anspruchs auf Karenzentschädigung nach Art. 418d Abs. 2 OR, in: Bäni/Obrist [Hrsg.], Festschrift zur Emeritierung von Jean-Fritz Stöckli, 2014, S. 370). Wieder andere befürworten die analoge Anwendbarkeit zwar, liefern aber keine Begründung dazu (de Haller, Le contrat de franchise en droit suisse, 1978, S. 142; Huguenin, a.a.O., Rz 3903).

Fisch (Die Anwendbarkeit zwingenden Privatrechts auf Franchiseverträge, AJP 2016 S. 820 ff., 830 f.) argumentiert mit einer Mischung der beiden vorerwähnten Argumente (Schutzbedürftig­keit und Ähnlichkeit der Verträge). Er weist zunächst darauf hin, dass Ausnahmevorschriften zur Schliessung einer Gesetzeslücke dann analog anzuwenden seien, wenn ein nicht geregelter Sachverhalt dem durch die Ausnahmevorschrift geregelten ähnlich sei. Nicht der singuläre Charakter einer Norm entscheide über deren Analogiefähigkeit, sondern die allfällige wertungs­mässige Kongruenz der verglichenen Sachverhalte. Dieser methodische Einwand entkräfte die Argumentation des Obergerichts Zürich [in seinem Urteil aus dem Jahr 1978]. Folgende Punkte liessen sich zugunsten einer analogen Anwendung von Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR vorbringen: (1) Der Franchisevertrag und der Agenturvertrag seien enger miteinander verwandt als der Franchisevertrag und der Arbeitsvertrag, denn sowohl der Agent als auch der Franchisenehmer seien rechtlich selbständige Absatzmittler. Der Arbeitnehmer hingegen sei ein unselbständig Erwerbender, und seine Tätigkeit liege nicht notwendig im Bereich der Absatzmittlung. (2) Als selbständig Erwerbende würden der Agent und der Franchisenehmer von einem Konkurrenzverbot tendenziell stärker getroffen als ein Arbeitnehmer. Für einen selbständig Erwerbenden bedeute ein Konkurrenzverbot oftmals die Aufgabe der beruflichen Selbständigkeit, wohingegen der Arbeitnehmer als solcher die Branche wechseln könne. (3) Dem Franchiseverhältnis sei i.d.R. ein Machtgefälle inhärent. Der Franchisegeber verwende zumeist einen Formularvertrag, dessen Bestimmungen nicht einzeln ausgehandelt würden. Der Franchisenehmer sei bei Vertragsabschluss oftmals in einer «take it or leave it-Position». Eine freiwillige Karenzentschädigung dürfte demzufolge kaum je vereinbart werden. Vor diesem Hintergrund erscheine es gerechtfertigt, Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR analog auf den Franchisevertrag anzuwenden.

Keine eigene Haltung eingenommen hat Marsch (Franchising im internationalen Rechts­verkehr […], 1999, S. 30), obwohl sie teilweise als Befürworterin einer analogen Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR auf Franchiseverträge zitiert wird. Sie gibt lediglich in indirekter Rede die Meinung von Schulthess und Baudenbacher wieder, ohne sie sich zu eigen zu machen.

5.6.2 Auf der Seite derjenigen Autoren, die eine analoge Anwendbarkeit verneinen, sind die Argumente heterogener. Gemäss Wang (Die Funktionsweise des Franchising im Gastgewerbe und in der Hotellerie, in: Kramer [Hrsg.], Neue Vertragsformen der Wirtschaft: Leasing, Factoring, Franchising, 2. A. 1992, S. 361 ff.) wäre eine solche Lösung [analoge Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 OR] praxisfern. Seiner Meinung nach könne einem unverhältnismässigen nachvertraglichen Konkurrenzverbot einfacher dadurch begegnet werden, dass ihm aufgrund einer Berufung auf Art. 27 ZGB oder Art. 20 OR der Schutz verweigert werde. Der Franchisenehmer sei nämlich nicht an einer Karenzentschädigung interessiert, sondern daran, dass einem gegen den Gerechtigkeitsgedanken verstossenden nachvertraglichen Konkurrenzverbot die rechtliche Sanktion versagt werde. Ebneter (Der Franchise-Vertrag, 1997, S. 173) vertritt die Ansicht, ein angemessenes nachvertragliches Konkurrenzverbot sei beim Franchising «vertragstypisch» und bestehe daher auch ohne ausdrückliche Vereinbarung. Eine Analogie zum Arbeits- und Agenturvertragsrecht sei «aufgrund unterschiedlicher Angemessenheitskriterien» nicht gegeben. Kramer (Aktuelle Judikatur zum Vertragsrecht der Absatz- und Geschäftsvermittler, AJP 1997 S. 165 ff.) befürwortete in einem Kommentar das Urteil des Obergerichts Zürich vom 26. April 1978 (vgl. vorne E. 5.5.1). Da die Regelung im Arbeitsvertragsrecht lex posterior gegenüber dem Agenturrecht sei, liege ein Unterschied zu BGE 118 II 157 [wo die analoge Anwendbarkeit von Art. 336a OR auf Franchiseverträge befürwortet wurde] vor. Ein weiterer Unterschied liege darin, dass die Zuerkennung eines unabdingbaren Karenzentschädigungsanspruchs auch inhaltlich nicht gerechtfertigt erscheine. Analogieschlüsse aus inhaltlich unvernünftigen Regelungen seien möglichst zu vermeiden. Wildhaber (in: Müller-Chen/Huguenin [Hrsg.], Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. A. 2016, Vorb. OR 184 ff. / Franchisevertrag N 44) hält schliesslich fest, die Situation des Franchisenehmers, dem es aufgrund eines Konkurrenzverbotes verwehrt sei, in seiner angestammten Branche tätig zu sein, unterscheide sich nicht von derjenigen des Arbeitnehmers, der am stärksten in das Organisationskonzept seiner Vertragsgegenpartei integriert sei. Die arbeitsvertragliche Regelung sei lex posterior zum Agenturrecht. Der Wertungsentscheid gegen eine nachvertragliche Karenzentschädigung müsse deshalb bewusst getroffen worden sein. Art. 418d Abs. 2 OR habe damit singulären Charakter, was gegen eine analoge Anwen­dung spreche. Wenn die Schutzbedürftigkeit und die Integration in das Organisationskonzept der Vertragsgegenseite massgeblich sein sollten, dann sei – wenn überhaupt – von einer «Wertungskonkurrenz» zum Arbeitsvertragsrecht und nicht von einer solchen zum Agenturrecht auszugehen.

5.7 Die Vorinstanz hat sich der herrschenden Lehre angeschlossen und sich insbesondere die Argumentation von Fisch zu eigen gemacht (vgl. act. 52 E. 5.3.2). Der Umstand, dass die überwiegende Mehrheit der Autoren eine analoge Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 OR befürwortet, ist letztlich aber nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, wie eingehend sich diese Autoren mit der Materie befasst haben und wie überzeugend die Begründung ihres Standpunkts ist. Unter diesem Aspekt zeigt sich, dass die vorgebrachten Argumente einer kritischen Betrachtung nicht standhalten.

5.7.1 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich das Bundesgericht – wie erwähnt – zwar noch nicht explizit zur vorliegend umstrittenen Frage geäussert hat, welches Recht auf ein in einem (Subordinations-)Franchisingvertrag enthaltenes Konkurrenzverbot analog anzuwenden ist. In seinem wegweisenden Urteil vom 26. März 1992 (BGE 118 II 157) hat es sich jedoch bereits einmal allgemein für die sinngemässe Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften auf das Subordinationsfranchising ausgesprochen. Im konkreten Fall hatte sich die Franchiseneh­merin ihren Aufgaben vollberuflich anzunehmen, sie durfte daneben keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgehen und stand in einem ausgesprochenen Unterordnungsverhältnis zur Franchisege­berin. Ihr Entscheidungsspielraum war durch die Weisungsbefugnisse und Kontrollrechte der Franchisegeberin eng eingegrenzt und sie übte die Geschäftstätigkeit mit den von der Franchisegeberin zur Verfügung gestellten Betriebsmitteln aus. Damit entsprach die Situation ziemlich präzise der Definition eines Subordinationsfranchisings. Gemäss Bundesgericht rückt all das den Vertrag in seiner Bedeutung für die Franchisenehmerin in die Nähe eines Arbeitsverhältnisses, bestand doch – obschon die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit formell selbständig ausübte – faktisch eine Abhängigkeit von der Franchisegeberin, die derjenigen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber zumindest sehr nahekommt. Damit rechtfertigt sich – so das Bundesgericht – die sinngemässe Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften (BGE 118 II 157 E. 4a.bb).

Auch in der Lehre wird das sog. Subordinationsfranchising in die Nähe des Arbeitsvertragsverhältnisses gerückt bzw. der Franchisenehmer im Subordinationsfranchising als arbeitnehmerähnliche Person bezeichnet (Schwabe, a.a.O., S. 22 f.; Cotti, a.a.O., Rz 852; Wild­haber, Franchising im internationalen Privatrecht, 1991, S. 99 ff.).

5.7.2 Weshalb nun gerade – und ausschliesslich – mit Blick auf die Frage der Karenzentschädigung etwas anderes gelten und das Subordinationsfranchising dem Agenturvertrag ähnlicher sein soll als dem Arbeitsvertrag, wie einige Autoren meinen, ist nicht einzusehen. Zur Begründung wird das Argument vorgebracht, der Franchisenehmer sei wie der Agent selbständig erwerbend. Dieses Argument überzeugt aber bereits deshalb nicht, weil die rechtliche Selbständigkeit des Franchisenehmers beim Subordinationsfranchising – wie bereits das Bundesgericht im eben erwähnten BGE 118 II 157 feststellte – meist eben nur formell besteht. Faktisch ist die Abhängigkeit zwischen Franchisenehmer und Franchisegeber in diesen Fällen regelmässig mit derjenigen in einem Arbeitsverhältnis vergleichbar. Ausgerechnet dieses Kriterium als Begründung für den Beizug von zwingendem Agenturvertragsrecht beizuziehen, erscheint daher nicht adäquat.

5.7.3 Hinzu kommt aber auch, dass die analoge Anwendbarkeit zwingenden Rechts nie allein aufgrund einer schematischen Beurteilung zu erfolgen hat. Es ist stets auch danach zu fragen, ob der Schutzzweck einer Norm im fraglichen Fall deren Anwendung verlangt (Huguenin/Putschert, in: Müller-Chen/Huguenin [Hrsg.], Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. A. 2016, vor OR 184 / Innominatkontrakte AT N 4; vgl. auch vorne E. 5.3.2). Dabei ist keine isolierte Betrachtung vorzunehmen, sondern der konkrete Vertrag ist in das Wertegefüge des Gesetzes in seiner Gesamtheit einzuordnen. Zu suchen ist deshalb stets die­jenige Lösung, die sich kohärent in das bestehende Wertesystem einfügt (vgl. BGE 123 III 292 E. 2e.aa). Das bedeutet auch, dass die gewählte Lösung im Quervergleich mit anderen Vertragstypen keine sachlich nicht gerechtfertigte – und somit unbillige – Ungleichbehandlungen erzeugen darf.

5.7.4 Weil somit die Wertungsentscheide des Gesetzgebers den Rahmen für die gerichtliche Rechtsfindung bilden, ist an dieser Stelle kurz auf die Entstehungsgeschichte der in Frage stehenden agentur- und arbeitsvertragsrechtlichen Normen einzugehen.

5.7.4.1 Die Bestimmung von Art. 418d Abs. 2 OR wurde im Rahmen einer Gesetzesnovelle zum Agenturvertragsrecht eingeführt und trat am 1. Januar 1950 in Kraft. Ziel dieser Novelle war es, den Agenten in rechtlicher Hinsicht einen ähnlichen Schutz zu gewähren, wie er damals bereits für die Handelsreisenden bestand (BBl 1947 661, 661 ff.; Amtl. Bull. NR 1948 I 1 f. und Amtl. Bull. SR 1948 II 49). Der Bundesrat sah im Entwurf zunächst eine Bestimmung vor, wonach das Konkurrenzverbot automatisch dahinfallen sollte, wenn der Auftraggeber dem Agenten dafür nicht eine angemessene Entschädigung geleistet hat (BBl 1947 III 661, 689). Der Nationalrat strich diese Bestimmung in der ersten Lesung zunächst vollständig (Amtl. Bull. NR 1948 I 5, 6). Im Ständerat herrschte hingegen die Ansicht vor, eine Entschädigung stehe dem Agenten für das Konkurrenzverbot billigerweise zu. Er setzte sich für den noch heute geltenden Kompromiss ein, dass der Agent zwar Anspruch auf ein angemessenes besonderes Entgelt für das Konkurrenzverbot haben solle. Dieses sollte aber entgegen dem Vorschlag des Bundesrats keine Gültigkeitsvoraussetzung für das Konkurrenzverbot sein (vgl. Amtl. Bull. NR 1948 II 51, 58). Der Nationalrat war mit diesem Vorschlag einverstanden («scheint zweckmässig zu sein»; Amtl. Bull. NR 1948 IV 769, 770).

5.7.4.2 Als es rund 20 Jahre später um die Einführung einer analogen Regelung im Bereich des Arbeitsvertragsrechts ging, teilte das Parlament diese Einschätzung aber nicht mehr. Bereits der bundesrätliche Entwurf sah hier keine zwingende Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Konkurrenzverbot vor, obwohl dies die Arbeitnehmervereinigungen gefordert hatten (vgl. BBl 1967 II 241, 398 f.). Aufgrund eines Ergänzungsantrags wurde die Frage im Nationalrat erneut aufgeworfen und diskutiert. In der diesbezüglichen Debatte wurden die Argumente der Befürworter einer zwingenden Karenzentschädigung noch einmal einlässlich vorgetragen und namentlich auf die Gefahr hingewiesen, dass ein Konkurrenzverbot zur Arbeitslosigkeit führen könne und daher Ungerechtigkeiten hervorrufen könne, wenn dafür keine Entschädigung geleistet werde. Die Mehrheit der Parlamentarier folgte dieser Auffassung allerdings nicht und lehnte die vorgeschlagene Ergänzung ab, wobei nebst dem Argument, dass eine generelle Entschädigungspflicht zu weit gehe, auch praktische Bedenken vorgebracht wurden (Amtl. Bull. NR 1969 IV 837, 849 ff.). Der Ständerat folgte diesem Entscheid (Amtl. Bull. SR 1970 III 358, 363). Hinweise darauf, dass dabei bewusst eine vom Agenturvertrag abweichende Regelung getroffen worden wäre, etwa weil der Arbeitnehmer vom Konkurrenzverbot weniger stark in seinem wirtschaftlichen Fortkommen betroffen wäre, bestehen keine. Vielmehr wurde eine solche Lösung offenbar schlicht nicht (mehr) als angemessen erachtet.

5.7.4.3 Obwohl dieser gesetzgeberische Entscheid in der Lehre von Anfang an vehement kritisiert wurde (vgl. Stein-Wigger, a.a.O., S. 344 m.w.H.), ist es bis heute dabei geblieben. Das Arbeitsvertragsrecht sieht keine zwingende Karenzentschädigung im Fall eines nachvertrag­lichen Konkurrenzverbots vor.

5.7.5 Da somit dem Arbeitnehmer ein zwingender Anspruch auf eine Karenzentschädigung vom Gesetzgeber versagt geblieben ist, bedarf es einer plausiblen Begründung, wenn der – einem Arbeitnehmer sonst sehr nahestehende – Franchisenehmer im Subordinationsfran­chising mittels analoger Anwendung des zwingenden Agenturvertragsrechts in den Genuss eines solchen Schutzes kommen und dadurch gegenüber dem Arbeitnehmer bessergestellt werden soll. Andernfalls wäre die Besserstellung sachlich nicht gerechtfertigt und damit unbillig, sodass sich die analoge Anwendung von Agenturvertragsrecht verbietet. Eine solche Begründung zu finden ist naturgemäss schwierig, weil der Arbeitnehmer angesichts des besonders ausgeprägten Unterordnungs- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wohl allgemein als die schutzbedürftigste Vertragspartei im Bereich der Arbeitsleistungsverträge einzustufen ist (vgl. Schmid/Stöckli/Krauskopf, a.a.O., Rz 1388). Von denjenigen Autoren, die die analoge Anwendbarkeit von Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR ausschliesslich aus der besonderen Schutzbedürftigkeit der Franchisenehmer ableiten, wird dieser Vergleich denn auch gemieden. Lediglich Stein-Wigger räumt ein, dass die Gleichstellung des Franchisenehmers mit dem Agenten bzw. die Besserstellung gegenüber dem Arbeitnehmer einer sachlichen Rechtfertigung bedürfte. Allerdings bringt auch er keine überzeugenden Gründe für diese Ungleichbehandlung vor. Stattdessen kritisiert er lediglich die Gesetzgebung zum Arbeitsvertragsrecht als «rechtsethisch anstössig» und folgert daraus, dass es im Ergebnis «sachgerechter» sei, Art. 418d Abs. 2 OR analog auf den Franchisevertrag anzuwenden (Stein-Wigger, a.a.O., S. 345).

5.7.6 Teilweise wird – unter Hinweis auf die Botschaft zum Agenturvertragsrecht – auch beim Subordinationsfranchising argumentiert, gerade die im Vergleich zum Arbeitnehmer selbständigere Stellung des Agenten verlange eine weitergehende Beschränkung des Konkurrenzverbots, was gleichermassen für den Franchisenehmer gelte (vgl. Fisch, a.a.O. Fn 79). In der Botschaft zum Agenturvertragsrecht findet sich zwar tatsächlich eine entsprechende Bemerkung (BBl 1947 III 661, 675). Eine Begründung dazu fehlt jedoch, sodass sich die zugrunde liegende Überlegung nicht nachvollziehen lässt. Zudem ist auch nicht erkennbar, inwieweit sie für den Entscheid des Gesetzgebers überhaupt relevant war: Soweit ersichtlich, wurde diese Begründung in der Folge vom Parlament nämlich nicht mehr aufgegriffen (vgl. vorne E. 5.7.4.1). Abgesehen davon erscheint dieses Argument aber auch sonst nicht stichhaltig. Es leuchtet nicht ein, weshalb es einem unselbständigen Arbeitnehmer generell einfacher oder mit geringeren finanziellen Einbussen möglich sein soll, die Branche zu wechseln, als einem (formell) selbständigen Franchisenehmer oder Agenten. Die Hürden für einen Branchenwechsel – mit Blick etwa auf den Weiterbildungsbedarf und die drohende Lohneinbusse – dürften in beiden Fällen vergleichbar sein, sodass nicht gesagt werden kann, Franchisenehmer wären in dieser Hinsicht aufgrund ihrer Stellung als selbständig Erwerbende schutzbedürftiger als Arbeitnehmer.

5.7.7 Insgesamt ist die Tatsache, dass die überwiegende Lehre eine analoge Anwendung von Art. 418d Abs. 2 OR auf Franchiseverträge befürwortet, wohl im Lichte der in der Lehre weitverbreiteten Ablehnung des gesetzgeberischen Entscheids gegen eine zwingende Karenzentschädigung im Arbeitsvertragsrecht zu verstehen. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Befürworter einer analogen Anwendung von Art. 418d Abs. 2 OR auf Franchiseverträge primär vom Gedanken leiten liessen, dass es gerecht wäre, dem Franchisenehmer, der in einem Subordinationsfranchising dem Franchisegeber stark ausgeliefert ist, den bestmöglichen Schutz zukommen zu lassen. Wegen des «rechtsethisch anstössigen» Entscheids des Gesetzgebers zum Arbeitsvertragsrecht besteht ihrer Ansicht nach in dieser Frage der bestmögliche Schutz indessen nicht in der analogen Anwendung von Arbeitsvertragsrecht, sondern im Beizug von Agenturvertragsrecht. Dafür spricht auch, dass – soweit ersichtlich – niemand dafür plädiert, die für den Franchisenehmer weniger günstigen Bestimmungen des Agenturvertragsrechts, wie etwa Art. 418q OR, auf den Franchisevertrag analog anzuwenden (in der Lehre herrscht die Meinung vor, dass die Kündigungsordnung des Agenturvertrages nach Art. 418q OR wegen der kurzen Fristen dieser Bestimmung «für die Interessen des Franchisenehmers nicht geeignet» sei [Gürzumar, a.a.O., S. 321 f., und Fisch, a.a.O., S. 822, je m.w.H.]). Nun mag es zwar aus sozialpolitischen Gründen wünschenswert erscheinen, wenn dem Franchisenehmer ein weitergehender Schutz vor ausufernden Konkurrenzverboten in Form einer zwingenden Karenzentschädigung zugestanden würde. Von solchen Überlegungen darf sich das Gericht aber nicht leiten lassen, wenn – wie vorliegend – bereits ein Wertesystem vorgegeben ist.

5.7.8 Würde ausgerechnet bei der Frage der zwingenden Karenzentschädigung punktuell das Agenturvertragsrecht anstelle der Schutzbestimmungen des Arbeitsvertragsrechts angewendet, würde dem Franchisenehmer auf dem Weg richterlicher Rechtsfindung ein Schutz gewährt, um den sich die Arbeitnehmerorganisationen im Gesetzgebungsprozess erfolglos bemüht hatten. Diese Besserstellung würde zudem ohne sachlichen Grund erfolgen, nur weil es sich um einen Innominatvertrag handelt, was die selektive Anwendung unterschiedlichen Typenvertragsrechts überhaupt erst ermöglicht. Der Franchisenehmer würde folglich mit solch einer Regelung in unbilliger Weise gegenüber dem Arbeitnehmer bevorzugt und es würde mithin eine Lösung gewählt, die zum bestehenden Wertesystem im Widerspruch stünde.

5.8 Richtiger- und konsequenterweise sind daher auch in Bezug auf die Regelung des nachvertraglichen Konkurrenzverbots die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften gemäss Art. 340-340c OR analog anzuwenden, wenn ein Franchisevertrag so ausgestaltet ist, dass die Beziehung zwischen den Vertragsparteien in die Nähe eines Arbeitsverhältnisses rückt und gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften greifen (Subordinationsfranchising). Folglich ist beim Subordinationsfranchising eine Karenzentschädigung im Sinne von Art. 418d Abs. 2 Satz 2 OR entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht geschuldet.

Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, I. Zivilabteilung, vom 7. November 2023 (Z1 2023 6)
Das Urteil ist rechtskräftig.

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