Gerichtspraxis
Staats- und Verwaltungspraxis
Steuerrecht
Kindes- und Erwachsenenschutzrecht
Zwangsmassnahmen im Gesundheitswesen (Zwangsernährung)
Regeste:
Art. 7, 10 Abs. 2 sowie 36 Abs. 3 und 4 BV, Art. 434 ZGB – Eine Zwangsernährung stellt einen schweren Grundrechtseingriff dar, kann aber gleichzeitig unter bestimmten Umständen zum Schutz der Menschenwürde einer psychisch schwer kranken Person geboten sein. Wo die Grenze zwischen Selbstbestimmung und staatlicher Fürsorge verläuft, kann nicht allgemeingültig festgelegt werden, sondern muss im Einzelfall im Sinne einer umfassenden, subjektbezogenen Interessen- und Güterabwägung ausgelotet werden. Die Massnahme ist zulässig, wenn der künftig erwartete Nutzen im Sinne eines Gewinns an Lebensqualität und Autonomie den aktuell als Gewaltanwendung empfundenen Eingriff in der Gesamtwürdigung überwiegt. Kritisch zu hinterfragen ist sie hingegen, wo das Hinwegsetzen über den erklärten Willen der betroffenen, urteilsunfähigen Person zu einem Dauerzustand ohne absehbares, kuratives Ende wird (E. 2).
Im konkreten Fall Eignung und Zumutbarkeit der Zwangsernährung verneint: Bei der seit Jahren wahnhaft essgestörten Patientin vermöchte eine Zwangsernährung – anders nota bene als bei rein anorektischen Personen – höchstens im Zusammenspiel mit einer massiven medikamentösen Zwangsbehandlung kurativ zu wirken, wobei auch diesbezüglich die Erfolgsaussichten als zweifelhaft beurteilt werden. Die Patientin erkennt zudem, dass ihr Verhalten innert weniger Monate zum Tod führen wird und zieht diese Folge einer Verlängerung ihres Lebens zwecks Zeitgewinns für weitere Behandlungsversuche im Sinne eines dauerhaften, konstanten, klar kommunizierten Wunsches vor. Auch nach Einschätzung der behandelnden Ärzte entspricht es ihrem mutmasslichen Willen, nicht zwangsernährt zu werden (E. 4).
Aus dem Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin leidet an einer Grunderkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis sowie einer Essstörung. Im Zusammenhang damit wurde sie zahlreiche Male fürsorgerisch in psychiatrischen Kliniken und Pflegeheimen untergebracht. Aktuell ist sie behördlich fürsorgerisch in der Klinik Zugersee untergebracht. Dort verringerte sich ihr Gewicht bis zu einem BMI von noch knapp über 13. Vor diesem Hintergrund ordnete ein stellvertretender Chefarzt gestützt auf einen von der zuständigen Oberärztin erstellten Behandlungsplan für eine Dauer von 28 Tagen die Ernährung mittels bereits eingelegter PEG-Sonde (direkt durch die Bauchwand in den Magen) an. Dabei führte er aus, die Patientin ernähre sich seit längerer Zeit nicht mehr ausreichend und verliere an Gewicht, da sie wahnhaft überzeugt sei, ihr Gewebe versteife und erlahme, sie könne nicht mehr atmen und alle Organe würden versagen. Nach ihrer subjektiven Wahrnehmung könne ihr Magen die Nahrung nicht mehr aufnehmen. Infolgedessen hätten mildere Mittel (Gespräche mit zahlreichen Therapeutinnen, Angebot von Wunschkost, Trinknahrung und Zwischenmahlzeiten) nicht zu einer Verbesserung des Zustands geführt. Dieser sei aktuell lebensbedrohlich. Gegen diese Verfügung erhob die Patientin Beschwerde beim Verwaltungsgericht.
(…)
Aus den Erwägungen:
(…)
2.
2.1 Die Zwangsernährung stellt einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit im Sinne der körperlichen und geistigen Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 Ziffer 1 EMRK) dar und betrifft auch die Menschenwürde gemäss Art. 7 BV zentral (BGE 130 I 16 E. 3). Konkret wird der betroffenen Person damit für eine gewisse Zeit das Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper entzogen.
2.2 In formaler Hinsicht hat der Gesetzgeber Mechanismen vorgesehen, um den Entscheidfindungsprozess einzurahmen und einen rechtsstaatlich einwandfreien Behandlungsablauf zu garantieren. Wird eine Person zur Behandlung einer psychischen Störung in einer Einrichtung untergebracht (Art. 426 Abs. 1 ZGB), erstellt die behandelnde Arztperson unter Beizug der betroffenen Person und gegebenenfalls deren Vertrauensperson einen schriftlichen Behandlungsplan (Art. 433 Abs. 1 ZGB). Darin muss die betroffene Person über alle Umstände informiert werden, die im Hinblick auf die in Aussicht genommenen medizinischen Massnahmen wesentlich sind, insbesondere über Gründe, Zweck, Art, Modalitäten, Risiken und Nebenwirkungen, über Folgen eines Unterlassens der Behandlung sowie über allfällige alternative Behandlungsmöglichkeiten (Art. 433 Abs. 2 ZGB). Der Behandlungsplan ist unabdingbare Voraussetzung für eine Behandlung ohne Zustimmung gemäss Art. 434 Abs. 1 ZGB, die von einem Kaderarzt bzw. einer Kaderärztin einer Abteilung (siehe dazu BGE 143 III 337 E. 2.4.2) alsdann auf seiner Grundlage anzuordnen ist, wenn die in Art. 434 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 ZGB erwähnten weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Kumulativ muss der betroffenen Person ohne Behandlung ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden drohen oder muss das Leben oder die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet sein (Ziff. 1); sie muss bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig sein (Ziff. 2) und es darf keine angemessene Massnahme zur Verfügung steht, die weniger einschneidend ist (Ziff. 3; vgl. zum Ganzen BGer 5A_1021/2021 vom 17. Dezember 2021 E. 5.3.2). Die Behandlung ohne Zustimmung ist von Bundesrechts wegen nur im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung vorgesehen, die zum Zweck der Behandlung einer psychischen Störung angeordnet wurde (Thomas Geiser/Mario Etzensberger, Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, 7. Aufl. 2022, N. 13 zu Art. 434/435 ZGB).
2.3 Materiell sind die Vor- und Nachteile, welche die Massnahme der Patientin bringt, einander im Sinne einer umfassenden Interessen- und Güterabwägung gegenüberzustellen. Es ist dabei jeweils im Einzelfall auszuloten, wo die Grenze zwischen Selbstbestimmung und staatlicher Fürsorge verläuft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Achtung und Schutz der Menschenwürde (Art. 7 BV; vgl. grundlegend zur Menschenwürde als Leitsatz jeglicher staatlichen Tätigkeit sowie als innerster Kern und Grundlage der Freiheitsrechte BGE 127 I 6 E. 5b mit Hinweisen; ausserdem BGE 143 IV 77 E. 4.1) nicht nur jeder Person eine gewisse minimale Autonomie garantieren, sondern es dem Gemeinwesen im Sinne einer minimalen Sorgfaltspflicht auch gebieten können, einer erkrankten Person gegen ihren erklärten, aber krankheitsbedingt verzerrten, Willen die notwendige Pflege, Fürsorge und Behandlung zukommen zu lassen, dank der sie überhaupt (wieder) befähigt wird, künftig ihre Persönlichkeit zu entfalten und ihre persönliche Freiheit auszuüben (vgl. in diesem Sinne etwa BGE 130 I 16 E. 5 sowie [ausführlicher] BGE 127 I 6 E. 5). Die elementare persönliche Fürsorge umfasst dabei unter anderem die Befriedigung der für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Bedürfnisse wie Essen, Körperpflege, Kleidung und ein Mindestmass an persönlicher Beschäftigung (vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., vor Art. 426-439 ZGB N 6 sowie Art. 426 ZGB N 8 ff.).
2.3.1 In der grundrechtlichen Betrachtung ist zunächst die Frage angesprochen, inwiefern die betroffene Person im Beurteilungszeitpunkt fähig ist, ihre Erkrankung sowie die Folgen von Behandlung oder Nichtbehandlung derselben wahrzunehmen, dazu eine realitätsbezogene eigene Wertung vorzunehmen und danach auch zu handeln. Ist sie hierzu fähig, ist ihr Selbstbestimmungsrecht höher zu gewichten als ein Bedürfnis der Allgemeinheit oder der Umgebung, ihr eine nach allgemeiner Anschauung vernünftigerweise gebotene Fürsorge angedeihen zu lassen. Ist hingegen die Urteilsfähigkeit bezüglich Erkrankung und Behandlungsnotwendigkeit zu verneinen, tritt der Fürsorgegedanke in den Vordergrund. In beiden Fällen darf dabei aus juristischer Sicht nicht ausschlaggebend oder bestimmend sein, welche Entscheidung final «vernünftig» erscheint (im Sinne eines nach aktuellem Erkenntnisstand und herrschender Meinung vernünftigen Ergebnisses), sondern ist vielmehr nach der Entscheidung zu fragen, welche die konkrete, betroffene Person bei eigenbestimmter Entscheidfindung für sich trifft oder treffen würde (vgl. in diesem Sinne etwa Geiser/Etzensberger, a.a.O., Art. 426 ZGB N 15; weitergehend Anne Kühler, Würde, Autonomie und Selbstzweckhaftigkeit. Zur Kontroverse um ein kantisches Verständnis der Menschenwürde als Verfassungsbegriff, ZSR 2022 I S. 77 ff. mit Hinweisen; zum Paradox der verfassungsrechtlich nicht näher definierbaren Menschenwürde zwischen kollektiver Anschauung und Anerkennung des Einzelnen in seiner individuellen Einzig- und allfälligen Andersartigkeit weiter BGE 143 IV 77 E. 4.1; Kiener/Kälin/Wyttenbach, Grundrechte, 3. Aufl. 2018, § 10 N 8 ff.).
Die fehlende Urteilsfähigkeit einer Person allein führt demnach dazu, dass ihr die Fähigkeit abgesprochen wird, selbst verbindlich über ihre medizinische Behandlung zu bestimmen. Sie entbindet aber die alsdann an ihrer statt substituierten Entscheidungsträger – Behörden, Ärzte oder Gerichte – nicht davon, bei ihrem Entscheid für die betroffene Person in deren Sinne zu entscheiden, d.h. ihren (mutmasslichen) Willen soweit irgend möglich zu ermitteln und zu berücksichtigen (vgl. etwa Kühler, a.a.O., S. 94 f.: während Urteilsfähigkeit an der Vernunftfähigkeit des Subjekts anknüpft, beruft sich das Konzept der Menschenwürde auf die Idee der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen unbesehen hiervon). Auch bei urteilsunfähigen Menschen verbietet der absolute Schutz der Menschenwürde (vgl. zur Qualifikation des gesamten Gehalts von Art. 7 BV als unantastbarer Kerngehalt im Sinne von Art. 36 Abs. 4 BV etwa Matthias Mahlmann, Die Garantie der Menschenwürde in der Schweizerischen Bundesverfassung, AJP 2013 S. 1307 ff., 1311) einen Entscheid rein entsprechend einer objektivierten Vernunft, der sich die konkrete Person in konstantem Leidensdruck widersetzt (vgl. Kühler, a.a.O., S. 96); gerade nicht vorgeschrieben werden kann bzw. darf der einzelnen Person nämlich hoheitlich, was ihr Menschsein auszumachen hat (vgl. Mahlmann, a.a.O., S. 1314 mit Hinweisen).
2.3.2 Im Einklang mit dieser verfassungsrechtlich gestützten grundsätzlichen Wertung ist Urteilsunfähigkeit bezüglich der Behandlungsbedürftigkeit gemäss dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch notwendige, aber allein nicht ausreichende Voraussetzung für die Behandlung einer Person ohne ihre Zustimmung. Ziel der Behandlung muss weiter die Abwendung eines ernsthaften gesundheitlichen Schadens durch eine Massnahme sein, die mit Blick auf den konkreten Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Patientin verhältnismässig erscheint (vgl. nur implizit Art. 434 Abs. 1 ZGB sowie explizit die Bundesverfassung in Art. 36 Abs. 3 BV). Dementsprechend spricht fehlende Urteilsfähigkeit in der Regel für eine vorübergehende Fürsorge gegen den aktuellen, aber im Einklang mit einem mutmasslichen künftigen, Willen der betroffenen Person, mit dem Ziel, die Urteilsfähigkeit möglichst wieder herzustellen.
Als problematisch erweist sich hingegen, wenn einer Person die Einsicht in Krankheit und Behandlungsnotwendigkeit dauerhaft fehlt, d.h. auch unter adäquater Behandlung mit einer Wiederherstellung der diesbezüglichen Urteilsfähigkeit nicht ernsthaft zu rechnen ist. Die Fürsorge gegen den erklärten – zwar beeinträchtigten, aber dennoch deutlich empfundenen und geäusserten – Willen einer Person wird dann zu einem Dauerzustand, der bei konstantem Widerstand auch auf Dauer nur unter Anwendung von Zwang durchgesetzt werden könnte. In einer solchen Konstellation kann bereits die Eignung der Massnahme (zur Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Person, die befähigt werden soll, ihr Leben wieder nach eigenen Vorstellungen, Neigungen und Fähigkeiten selbst zu gestalten und zu organisieren, vgl. hierzu BGer 5A_567/2020 vom 18. September 2020 E. 2.3; Geiser/Etzensberger, a.a.O., vor Art. 426–439 ZGB N 14) fraglich erscheinen. Jedenfalls ist aber ihre Verhältnismässigkeit besonders sorgfältig abzuwägen, d.h. eine subjektbezogene Gegenüberstellung vorzunehmen zwischen den aktuellen, subjektiv oft als Gewalt empfundenen, Eingriffen in die Autonomie und dem dadurch künftig erwarteten Nutzen im Sinne eines Zugewinns an Autonomie und Lebensqualität (vgl. dazu aus medizinethischer Sicht eingehend etwa Trachsel/Krones/Wild, Zwangsernährung oder Palliative Care bei chronischer Anorexia nervosa? Behandlungsstrategien aus medizinethischer Sicht, in: Moos/Rehmann-Sutter/Schües [Hrsg.], Randzonen des Willens – Anthropologische und ethische Probleme von Entscheidungen in Grenzsituationen, 2016, S. 173 ff.).
3.
3.1 Vorliegend ist eine geplante Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 434 ZGB zu beurteilen. Die formellen Voraussetzungen einer medizinischen Massnahme ohne Zustimmung sind erfüllt: Die Beschwerdeführerin wurde mittels behördlicher fürsorgerischer Unterbringung zur Behandlung ihrer Grunderkrankung sowie zur Betreuung im Zusammenhang mit den daraus folgenden körperlichen Beschwerden in der Klinik Zugersee untergebracht (Verfügung der KESB vom 22. Februar 2024, bestätigt durch das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz am 4. März 2024). Es liegt ein von der zuständigen Oberärztin unterzeichneter Behandlungsplan vom 24. Juni 2024 vor, der sich zu Hintergründen, Zweck, Art und Modalitäten, Risiken und Nebenwirkungen, Unterlassungsfolgen sowie Alternativen der Zwangsernährung äussert. Gestützt darauf wurde durch den stellvertretenden Chefarzt am 27. Juni 2024 die Zwangsernährung für eine Dauer von 28 Tagen hoheitlich (vgl. dazu BGE 143 III 337 E. 2.6) angeordnet. Bezüglich der konkret angeordneten Massnahme ist damit das Vieraugenprinzip gewahrt (vgl. hierzu mit weiteren Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien Geiser/Etzensberger, Art. 434/435 ZGB N 32 ff.).
3.2
3.2.1 Materiell wird die Anordnung der Zwangsernährung durch die Klinik im Wesentlichen begründet mit der Urteilsunfähigkeit der Patientin aufgrund einer wahnhaften Störung, wobei bezüglich der psychiatrischen Erkrankung(en) weder Krankheits- noch Behandlungseinsicht vorhanden seien. Die Patientin habe deutlich an Gewicht verloren aufgrund starker subjektiver Schluckbeschwerden und einem Gefühl von Versteifung und Lähmung der Organe. Um Schäden oder Symptome von Mangelernährung zu vermeiden, müssten wichtige Vitamine und Spurenelemente zugeführt werden. Das subjektive Gefühl der Patientin, auch die Sondennahrung über die PEG-Sonde nicht zu vertragen, stehe einer freiwilligen Behandlung entgegen. Die Patientin erkenne zwar, dass es ihr körperlich nicht mehr gut gehe, schreibe dies jedoch einer bislang unbestätigten somatischen Erkrankung zu und könne sich auf eine adäquate Ernährung und medikamentöse Behandlung nicht einlassen, da dies aus ihrer Sicht keinen Unterschied machen würde. Mithin sei die Wertungsfähigkeit der Patientin durch die wahnhafte Verzerrung beeinträchtigt. Sie könne jedoch klar den Wunsch äussern, palliativ gepflegt und nicht mehr gegen ihren Willen ernährt zu werden. Gescheitert seien bereits zahlreiche therapeutische Gespräche und Ernährungsberatung, das Angebot von Wunschkost und Trinknahrung wie auch eine freiwillige Ernährung über die eingelegte PEG-Sonde.
3.2.2 Demgegenüber wünscht die Beschwerdeführerin, dass sämtliche Versuche zum «künstlichen» Erhalt ihres Lebens eingestellt werden, damit sie in Würde aus dem Leben scheiden könne. Die Versuche zu ihrer künstlichen Ernährung empfinde sie als Gewalt, wogegen sie sich unter Berufung auf ihre Menschenwürde wehre.
4.
4.1 Bei der Beschwerdeführerin bestehen offensichtlich eine wahnhafte Grunderkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis sowie eine Essstörung als Co-Pathologie. Hierüber besteht grundsätzlich Einigkeit zwischen den behandelnden Ärzten und dem psychiatrischen Gutachter. Die Patientin bezieht denn auch seit 2021 eine ganze IV-Rente aufgrund einer schweren Somatisierungsstörung. Sie ist indes – wie sie anlässlich ihrer gerichtlichen Anhörung darlegte – nicht gewillt, sich mit ihren psychiatrischen Diagnosen zu befassen. Sowohl aus den Akten als auch aus ihren eigenen Ausführungen geht hervor, dass sie seit mindestens fünf Jahren wahnhaft fixiert ist auf das Vorliegen einer schweren körperlichen Erkrankung. Seit spätestens 2021 äussert sie wiederholt den Wunsch, dass auf lebenserhaltende Massnahmen verzichtet werde und sie in eine palliative Pflegeeinrichtung übertreten könne, wobei sich bis anhin keine geeignete Einrichtung finden liess (zumal nach einhelliger ärztlicher Einschätzung keine unausweichlich zum Tod führende somatische Erkrankung besteht, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufnahme in einem Hospiz wäre). Insgesamt besteht – auch angesichts der umfangreichen Aktenlage mit zahlreichen Hospitalisationen und umfassenden somatischen Abklärungen – bei der Beschwerdeführerin ohne Zweifel eine schwere psychische Störung und ist sie hinsichtlich dieser psychischen Erkrankung und der im Zusammenhang damit notwendigen Behandlung nicht in der Lage, ihre Situation korrekt zu erfassen und gestützt darauf eine realitätsbezogene Wertung der ihr zur Verfügung stehenden Optionen vorzunehmen. Sie ist mithin diesbezüglich urteilsunfähig (Art. 434 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB). Insbesondere ist sie nicht in der Lage, Nutzen und Gefahren der angebotenen Sondenernährung für sich selbst abzuwägen, sondern lehnt diese deshalb ab, weil sie subjektiv davon ausgeht, ihr Magen könne grundsätzlich keine Nahrung mehr verarbeiten, was unumkehrbar sei. Daraus erhellt, dass sie ihren Entscheid auf eine wahnhafte Eingebung, und nicht auf den realen Sachverhalt, stützt (gemäss ärztlicher Anordnung liegt kein unumkehrbarer Prozess vor, sondern können lediglich – vorübergehend – als Nebenwirkung der Sondenernährung ein gefährliches «Refeeding-Syndrom», Übelkeit oder Erbrechen auftreten). Vor diesem Hintergrund hat die Klinik während mehreren Monaten versucht, primär die wahnhafte Überzeugung der Patientin zu durchbrechen, zumal der mangelhafte Ernährungszustand als sekundär zur wahnhaften Grunderkrankung erscheint (was auch der gerichtliche Gutachter bestätigt). Dieses Vorgehen führte leider nicht zum Erfolg, so dass schliesslich – angesichts nun akut lebensbedrohlichen Ernährungszustandes der Patientin – deren Zwangsernährung angeordnet wurde. Wie die Klinikvertreter in der Anhörung vom 5. Juli 2024 ausführten, erfolgte dies in der Hoffnung, Zeit zu gewinnen zwecks weiterer Behandlung und Aufgleisen einer den Wünschen der Beschwerdeführerin entsprechenden Anschlusslösung. Mit dem Vorliegen von Urteilsunfähigkeit bezüglich der Behandlungsbedürftigkeit sowie der Gefahr eines ernsthaften gesundheitlichen Schadens (konkret: dem absehbaren Tod) sind die ersten beiden Voraussetzungen zur Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung gemäss Art. 434 ZGB erfüllt. Ebenso ist offensichtlich, dass keine mildere Massnahme zur Verfügung steht, um den kritischen Ernährungszustand der Beschwerdeführerin zu verbessern, nachdem sämtliche in Frage kommenden Alternativen bereits erfolglos zur Anwendung gebracht wurden.
4.2 Zu prüfen bleibt jedoch die Verhältnismässigkeit der angeordneten Massnahme. Es ist danach zu fragen, ob diese geeignet, erforderlich und zumutbar ist mit Blick auf die damit zu erreichende Verbesserung der Lebensqualität der Beschwerdeführerin (Art. 36 Abs. 3 BV; vgl. auch oben E. 2.3).
4.2.1 Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten was folgt: Die nun angeordnete Massnahme greift einzig das Thema der Ernährung auf, mit dem klaren – und aus objektiver, rationaler Warte absolut verständlichen – Ziel, den mittlerweile lebensbedrohlichen Ernährungszustand der Patientin zu verbessern. Es ist jedoch grundsätzlich allseitig unbestritten, dass sich dadurch wohl das Leben der Patientin wird verlängern lassen, von der Massnahme aber nicht zu erwarten ist, dass sich dadurch eine Krankheits- und Behandlungseinsicht einstellt oder sich das Leiden der Patientin verringern und ihre Lebensqualität wird verbessern lassen. Wie der psychiatrische Gutachter betonte, leidet die Beschwerdeführerin seit Jahren an einer sehr komplexen, chronifizierten Erkrankung. Deren Auswirkungen muten für Aussenstehende bizarr an. Wie der Gutachter erläuterte, besteht vorliegend – anders als bei rein anorektischen Patientinnen – kaum Aussicht, allein über den Ansatzpunkt der Ernährung mittel- bis langfristig eine Akzeptanz der Behandlungsnotwendigkeit und Verbesserung des lebensbedrohlichen Ernährungszustands zu erreichen, sondern verstärken sich die primäre wahnhafte Störung und die Anorexie auf äusserst ungünstige Weise gegenseitig. Dies bedeutet im Endeffekt, dass es sich bei der angeordneten Zwangsernährung um reine Symptombekämpfung handelt. Für sich allein erscheint diese deshalb nicht als geeignetes Mittel, um das Leiden der Patientin zu verringern oder ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.
Als in der Theorie taugliches Mittel käme – so der Sachverständige – eigentlich nur in Frage, die Patientin über einen längeren Zeitraum zwangsweise zu ernähren und sie gleichzeitig mit einem hochpotenten Neuroleptikum zwangsweise zu medizieren. Damit würde jedoch ein erheblich höherer Grad an Zwang angewandt, als dies mit der Anordnung vom 27. Juni 2024 vorgesehen wurde. Offensichtlich würde aber bereits durch die blosse Zwangsernährung die bestehende, offensichtlich sehr gute Beziehung zwischen der Patientin und ihrem Behandlungsteam gefährdet, und damit wiederum jede weitere kurative Behandlung und Betreuung – die ja grundsätzlich nach einer ersten, unter Zwang durchgeführten Behandlungsphase folgen müsste (vgl. E. 2.3.2 hiervor) – mit höchster Wahrscheinlichkeit verunmöglicht. Auf dieses Dilemma verwiesen denn auch die Klinikvertreter anlässlich der gerichtlichen Verhandlung vom 5. Juli 2024 und begründeten damit nachvollziehbar ihren Entscheid, gegenüber der Patientin keine körperliche Gewaltanwendung oder Sedierung anwenden zu wollen.
4.2.2 Mit Blick auf die Zumutbarkeit der angeordneten Behandlung (Verhältnismässigkeit im engeren Sinn) ist der erwartete Nutzen der Behandlung gegen die damit verbundene Belastung abzuwägen. Vorliegend ist der Nutzen der Behandlung offenkundig: Damit wird der Beschwerdeführerin – wie dies denn auch die Behandler erläutern – überhaupt erst ermöglicht, körperlich wieder zu Kräften zu kommen und Zeit zu gewinnen, die ihr ansonsten aufgrund ihres lebensbedrohlichen Ernährungszustandes davonläuft. Allseits anerkannt ist denn auch, dass die Beschwerdeführerin bei Fortsetzung ihrer aktuellen Ernährungsgewohnheiten ohne zusätzliche, zwangsweise Ernährung, im Zeitraum von einigen Monaten sterben wird. Der erwartete Nutzen der Zwangsernährung ist mithin nichts weniger als der Erhalt des Lebens der Beschwerdeführerin.
Es stellt sich indes die Frage, ob bei ihr noch damit gerechnet werden kann, dass ihr Wahn solchermassen behandelt werden kann, dass sie künftig eine Krankheits- und Behandlungseinsicht erlangen wird bezüglich ihrer psychischen Erkrankungen, mithin die aktuelle und künftige Behandlung ihr die Aussicht eröffnet, über kurz oder lang in ein selbstbestimmtes Leben zurückzufinden (vgl. Art. 388 Abs. 2 ZGB; Geiser/Etzensberger, a.a.O., Art. 434/435 ZGB N 21 mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien). Hierzu lässt sich den Akten entnehmen und bekräftigten auch die behandelnden Ärzte sowie der Sachverständige, dass von einem behandlungsresistenten Leiden auszugehen sei, wenn die schizophrene Grunderkrankung rund drei bis sechs Monate mit einem geeigneten Medikament in geeigneter Dosierung behandelt worden sei, ohne dass damit eine Verbesserung hätte erzielt werden können. Dass dies bei der Beschwerdeführerin der Fall ist, liess sich in der gerichtlichen Anhörung im Rahmen der Anhörung und Befragung von Klinikvertretern und Sachverständigem erstellen. Daraus ergab sich insbesondere, dass die Beschwerdeführerin zuletzt in der Klinik Zugersee mit einer Dosis von 325 mg Quetiapin täglich über rund vier Monate behandelt wurde, wobei es sich angesichts ihres Gewichts und Alters um ein geeignetes Medikament in geeigneter Dosierung handle. Gemäss der Beschwerdeführerin hätten bereits zuvor Behandlungsversuche mit anderen Medikamenten stattgefunden, so etwa im Jahr 2022 mit täglich 6 mg Risperidon. Gemäss den behandelnden Ärzten (sowie auch gemäss einem Gutachten der Psychiaterin Dr. med. X. zuhanden der KESB Y. vom 9. Februar 2024) könnte – nachdem die Medikation mit zwei geeigneten Präparaten während eines adäquaten Behandlungszeitraums gescheitert sei – höchstens noch eine Behandlung mit dem hochpotenten Neuroleptikum Clozapin erfolgen. Dessen Eignung im konkreten Fall sei indes fraglich, da die Patientin nicht nur das entsprechende Medikament nicht wolle, sondern auch die im Zusammenhang damit notwendige, sehr engmaschige somatische Begleitung (mit Blutentnahmen etc.) nicht dulden wolle, mithin für eine solche Behandlung erheblicher Zwang notwendig wäre. Dies, ohne dass absehbar Aussicht auf Erfolg bestehe, zumal die behandelnden Ärzte davon ausgehen, es würde auch die optimalste Medikation bei der Patientin nur einen kleinen Anteil zu einer Genesung beitragen können. Auch der psychiatrische Gutachter erachtet das Clozapin als für eine Zwangsmedikation grundsätzlich nicht geeignet.
Hinzu kommt, dass die Patientin selber deutlich betont, dass sie über die letzten fünf Jahre mit ihrem Leben und ihren Lebensinhalten abgeschlossen habe, ihr Körper nicht mehr möge und ihre Seele leer sei, so dass für sie unvorstellbar sei, dass sie sich irgendwann einmal künftig an einem Punkt wiederfinde, in dem sie froh sein werde, im aktuellen Zeitpunkt zwangsweise ernährt und damit am Leben erhalten worden zu sein. Nach übereinstimmender Einschätzung der Ärzte besteht die langfristige Perspektive der Patientin auch bei erfolgreicher Behandlung darin, dass diese in ein Pflegeheim übertreten könnte, ohne dass Aussicht bestünde, dass sie jemals wieder eigenständig wird leben können. Eine solche Perspektive lehnt die Beschwerdeführerin indes – gemäss Lage der Akten seit Jahren – klar ab. Spürbar ist zudem ihr Leidensdruck angesichts der Gefangenschaft im sich selbst verstärkenden Teufelskreis aus wahnhaftem Erleben und Anorexie, ohne dass – nebst den theoretisch offenbar möglichen (soeben E. 4.2.1 i.f.) – auch praktisch gangbare Behandlungsoptionen bestünden, um ihr Leiden zu lindern.
4.3 Zusammenfassend leidet die Beschwerdeführerin seit mindestens fünf Jahren an einem Wahn, der sich bisher trotz verschiedentlicher Behandlungsversuche (medikamentös sowie mit therapeutischer Begleitung) als therapieresistent erwiesen hat. Wie sie in der gerichtlichen Anhörung eindrücklich dargelegt hat und auch die behandelnden Ärzte bestätigen, versteht sie durchaus, dass sie schwer krank ist und ohne die von den Ärzten vorgeschlagene Behandlung sterben wird. Lediglich Konstrukt und Funktionieren der Krankheit vermag sie nicht zu erfassen bzw. zu akzeptieren. Wie in der Anhörung und Verhandlung vom 5. Juli 2024 deutlich zutage trat, steht für die Beschwerdeführerin und die behandelnden Ärzte grundsätzlich übereinstimmend fest, dass eine Behandlung und Ernährung unter Zwang keinen kurativen Effekt haben wird. Vielmehr geht es – aus Sicht des Behandlungsteams – primär darum, Zeit zu gewinnen, in welcher vielleicht ein Setting aufgegleist werden kann, in dem sich die Beschwerdeführerin geborgener fühle und intensiver begleitet werden könne, als dies in einer Akutpsychiatrie möglich sei. Dies vor dem Hintergrund eines kleinen Rests an Hoffnung, dass sie in einem solchen Setting dann doch noch imstande wäre, ihre Ernährungsgewohnheiten aus eigener Kraft umzustellen. Ob ein solches Setting überhaupt existiert, erscheint jedoch mehr als fraglich. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin explizit lieber in der Klinik Zugersee sterben möchte, als sich durch künstliche Ernährung Zeit zu verschaffen, damit im Verlauf vielleicht ein Platz in einem Hospiz gefunden werden könne (was angesichts deren Aufnahmebedingungen aber als illusorisch erscheint). Gemäss Einschätzung der Klinikvertreter – gestützt auf langjährige Erfahrung mit der Patientin durch verschiedene Hospitalisationen (aktuell handle es sich um die siebte Hospitalisation innert zehn Jahren) – ist die Patientin in den geäusserten Wünschen konstant. Es sei davon auszugehen, dass es ihrem mutmasslichen Willen entspreche, nicht ernährt zu werden; dieser Wunsch sei andauernd und permanent; die Patientin verwies diesbezüglich auch auf – dem Gericht allerdings nicht vorliegende – frühere Patientenverfügungen.
Damit erweist sich in der Gesamtabwägung die Anordnung einer Zwangsernährung gegen den erklärten, konstanten und offensichtlich tief empfundenen Wunsch der Beschwerdeführerin, lieber sterben zu wollen als sich (erneut, nach erstmaligem Versuch während acht Tagen mit einer Nasensonde in Luzern) einer Zwangsernährung zu unterziehen, als nicht mehr verhältnismässig angesichts des – wenn überhaupt – marginalen Gewinns an Lebensqualität, welcher ihr hierdurch verschafft werden könnte. Im Ergebnis ist damit hier der Konflikt zwischen Schutz der Patientenautonomie und objektivem Wohlergehen der Patientin zugunsten der ersteren aufzulösen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Beschwerdeführerin zwar die Natur ihrer Erkrankung nicht erfassen kann, jedoch ein realistisches Verständnis davon hat, welches die Konsequenzen der weiterhin unterbleibenden, genügenden Nahrungsaufnahme sind, nämlich letztlich ihr Tod. Trotz dieser Erkenntnis äussert sie den stabilen, dauerhaften, offensichtlich lange gereiften und tief verankertem Wunsch, dass auf (weitere) lebenserhaltende Massnahmen gegen ihren Willen verzichtet und stattdessen der Fokus gelegt werde auf die Begleitung ihres Sterbeprozesses. Dieser Wunsch darf bei grundsätzlich schlechter Prognose bezüglich einer erfolgreichen Behandlung der Grunderkrankung sowie einer nachhaltigen positiven Wirkung der angeordneten Behandlung nicht übergangen werden. Diese Erkenntnis hat denn offenbar auch – zu Recht – den anordnenden Arzt veranlasst, die Anwendung von Zwang nur sehr zurückhaltend überhaupt in Erwägung zu ziehen, woraus aber auch erhellt, dass es sich dabei wohl um einen letzten mehr oder weniger hilflosen Versuch gehandelt hat, die Patientin entgegen jeder Wahrscheinlichkeit doch noch zu vernunftgemässer Einsicht in die lebensbedrohliche Natur ihrer aktuellen Ernährungsgewohnheiten sowie zu einer minimalen Behandlungseinsicht zu bewegen, was indes bei der aktuellen Ausgangslage nicht mehr als geeignet und zumutbar erscheint und deshalb aus rechtlicher Sicht nicht erzwungen werden kann. Vielmehr muss nun, mit Aufhebung der angeordneten Zwangsernährung, die weitere Ernährung der Patientin in deren Hände zurückgegeben werden. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen.
(…)
Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 2024 F 2024 26
Dieses Urteil ist rechtskräftig.