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Gerichtspraxis

Staats- und Verwaltungsrecht

Verfahrensrecht

§ 14 f. VRG, Art. 183 ff. ZPO, § 63 VRG
§ 47 VRG

§ 62 Abs. 1 lit. c, § 65 Abs. 1, § 66 Abs. 1 VRG, Art. 16d SVG und Art. 30 VZV

Regeste:

§ 62 Abs. 1 lit. c, § 65 Abs. 1, § 66 Abs. 1 VRG, Art. 16d SVG und Art. 30 VZV - Voraussetzungen für den Verzicht auf das Erfordernis eines aktuellen Rechtsschutzinteresses. Die aufschiebende Wirkung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde fällt erst im Zeitpunkt der formellen Rechtskraft des instanzabschliessenden Entscheids dahin. Bei der Anordnung einer verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchung handelt es sich nicht um eine peremptorische Frist, sondern es geht lediglich um eine ab dem 70. Lebensjahr systematisch durchzuführende Routineuntersuchung. Nur offensichtliche, ernsthafte Bedenken über die Fahreignung können einen sofort zu vollziehenden vorsorglichen Entzug im Sinne von Art. 16d SVG und Art. 30 VZV rechtfertigen.

Aus dem Sachverhalt:

Mit Schreiben vom 1. Juni 2011 forderte das Strassenverkehrsamt des Kantons Zug X. auf, sich im Sinne von Art. 27 der Verkehrszulassungsverordnung innert drei Monaten der vorgeschriebenen periodischen verkehrsmedizinischen Untersuchung zu unterziehen und sich zu diesem Zweck mit dem beigelegten amtlichen Formular an einen praktizierenden Arzt oder einen auf einer Liste des Strassenverkehrsamtes aufgeführten Vertrauensarzt im Kanton Zug zu wenden. Dagegen reichte X. am 28. Juni 2011 beim Strassenverkehrsamt Beschwerde ein, worauf ihm das Amt die Rechtslage mit Schreiben vom 6. Juli 2011 erläuterte. Am 17. Juli 2011 reichte X. gegen den «Brief» des Strassenverkehrsamtes vom 6. Juli 2011 beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein. Mit Verfügung vom 9. September 2011 wies der Vorsitzende der verwaltungsrechtlichen Kammer das Gesuch von X. um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit ab und setzte ihm eine Frist bis 23. September 2011 für die Leistung des Kostenvorschusses von Fr. 800.- an, ansonsten das Beschwerdeverfahren als gegenstandslos abgeschrieben werde (vgl. dazu schon GVP 2011, S. 211 ff.).

Am 12. September 2011 verlangte das Strassenverkehrsamt von X. unter Bezugnahme auf die Aufforderung vom 1. Juni 2011, bis spätestens 23. September 2011 ein ärztliches Zeugnis einzureichen. Sonst würde der vorsorgliche und kostenpflichtige Entzug seines Führerausweises verfügt. Mit Verfügung vom 27. September 2011 entzog das Strassenverkehrsamt X. den Führerausweis aller Kategorien vorsorglich für unbestimmte Zeit und machte die allfällige Wiedererteilung des Führerausweises vom Einreichen eines die Fahreignung befürwortenden ärztlichen Zeugnisses abhängig. Es wurden X. die Verfahrenskosten von Fr. 300.- auferlegt und einer allfälligen Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Mit Beschwerde an das Strassenverkehrsamt vom 6. Oktober 2011 beantragte X. die Aufhebung von dessen Verfügung vom 27. September 2011. Er verlangte, es sei festzustellen, dass beim Verwaltungsgericht seit dem 15. Juli 2011, d.h. seit über zwei Monaten eine Beschwerde wegen der Verweigerung der freien Arztwahl hängig sei und dass dieser bis zum Endentscheid zwingend aufschiebende Wirkung zukomme, weshalb nicht am 12. September 2011 eine letzte Mahnung hätte erlassen werden dürfen. Am 11. Oktober 2011 überwies das Strassenverkehrsamt die Eingabe von X. vom 6. Oktober 2011 gestützt auf § 7 VRG an das Verwaltungsgericht. Nachdem X. zwischenzeitlich dem Strassenverkehrsamt das vom Arzt Y. ausgefüllte Begutachtungsformular mit der Bestätigung seiner Fahreignung eingereicht hatte, verfügte das Strassenverkehrsamt am 13. Oktober 2011 die Wiedererteilung des Führerausweises an X. ohne Auflagen, unter Auferlegung der Verfahrenskosten von Fr. 200.-.

Aus den Erwägungen:

1. Während über die Beschwerden gegen das Schreiben des Strassenverkehrsamtes vom 6. Juli 2011 und den Entscheid des Kammervorsitzenden vom 9. September 2011 über die Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege vor Verwaltungsgericht bereits rechtskräftig entschieden ist, ist noch über die vom Strassenverkehrsamt erlassene Verfügung betreffend den vorsorglichen Führerausweisentzug vom 27. September 2011 und die Verfügung betreffend Wiedererteilung vom 13. Oktober 2011 zu entscheiden. Das Beschwerdeverfahren gegen diese beiden später ergangenen Verfügungen wurde im Urteil vom 25. November 2011 in ein eigenes Verfahren verwiesen, wobei die Erfüllung der formellen Voraussetzungen für das Eintreten bereits bejaht worden ist. (...)

2. a) Wie das Gericht im Urteil vom 25. November 2011 bereits feststellte, hat das Strassenverkehrsamt die während der Rechtshängigkeit und damit ungeachtet des Devolutiveffekts der Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 27. September 2011 verfügte Anordnung des vorsorglichen Führerausweisentzugs am 13. Oktober 2011 durch die Wiedererteilung des Führerausweises materiell bereits wieder aufgehoben. Es stellt sich deshalb die Frage nach dem allfälligen Wegfall des Streitobjektes bzw. als weitere Eintretensvoraussetzung die Frage nach dem Bestehen eines noch aktuellen Interesses an einer Beurteilung der Beschwerde. (...)

b) Gemäss § 62 Abs. 1 lit. c VRG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter anderem berechtigt, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Die Beschwerdelegitimation setzt also grundsätzlich ein aktuelles Rechtsschutzinteresse voraus, und gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann von diesem Erfordernis nur unter einschränkenden Voraussetzungen abgesehen werden (vgl. BGE 135 I 79 E. 1.1 S. 81; 131 II 670 E. 1.2 S. 673 f.). Fehlt es an einem aktuellen Interesse, bzw. ist tatsächlich nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die gesetzlichen Legitimationsvoraussetzungen erfüllt sind, ergibt sich aus der in § 65 Abs. 1 VRG statuierten Begründungspflicht, dass es an der beschwerdeführenden Partei liegt, spezifisch darzulegen, warum bzw. inwiefern ein schutzwürdiges Interesse an der Behandlung der Beschwerde fortbesteht (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.1 S. 251, 353 E. 1 S. 356). Gemäss der Rechtsprechung kann auf das Erfordernis eines aktuellen Rechtsschutzinteresses dann verzichtet werden, wenn sich die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage jederzeit und unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige gerichtliche, jedenfalls höchstrichterliche Prüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (so die bundesgerichtliche Rechtsprechung, vgl. BGE 131 II 670 E. 1.2). Diesfalls bestimmt sich der Klärungsbedarf aufgrund der individuellen, potentiell wiederholbaren Situation des Beschwerdeführers (BGE 127 I 164 E. 1a und E. 6a S. 183).

Vorliegend ist der Beschwerdeführer durch das Gericht am 13. Oktober 2011 aufgefordert worden, sein weiterbestehendes Rechtsschutzinteresse bis zum 27. Oktober 2011 zu begründen. Dies hat er u.a. insofern getan, als er in seiner Eingabe vom 26. Oktober 2011 beantragte, es sei die Verfügung des Strassenverkehrsamtes vom 13. Oktober 2011 bzw. die darin enthaltene Auferlegung der Verfügungskosten in Höhe von Fr. 200.- und ebenso die Verfügung vom 27. September 2011 unter Einschluss der Auferlegung der Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 300.- aufzuheben. Tatsächlich muss schon aufgrund der dem Beschwerdeführer in den beiden Verfügungen des Strassenverkehrsamtes auferlegten und von ihm bestrittenen Verfahrenskosten von Fr. 300.- (Verfügung vom 27. September 2011) und Fr. 200.- (Verfügung vom 13. Oktober 2011) seine Rechtsmittelbeschwer und damit seine Legitimation bejaht werden, womit sich weitere Ausführungen erübrigen.

3. a) In materieller Hinsicht ist festzustellen, dass das Strassenverkehrsamt formell unzulässigerweise am 27. September 2011, d.h. während des anhängigen Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgericht, den Führerausweis des Beschwerdeführers entzogen hat. Bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde handelt es sich nämlich um ein ordentliches Rechtsmittel, das von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hat (§ 66 Abs. 1 VRG), d.h. die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hindert die Vollstreckbarkeit der Verfügung und schiebt deren Wirksamkeit insgesamt hinaus. Die betroffene Person soll gerade die Möglichkeit haben, vor der zwangsweisen Durchsetzung einer Verfügung deren Rechtmässigkeit überprüfen zu lassen (vgl. Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 242 ff.). Die aufschiebende Wirkung fällt erst im Zeitpunkt der formellen Rechtskraft des instanzabschliessenden Entscheids dahin (vgl. Kölz/ Bosshart/ Röhl, Komm. zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, § 25 N 43). So tritt die aufschiebende Wirkung - unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs - beispielsweise auch ein, wenn eine Beschwerde wegen verpasster Beschwerdefrist oder Legitimation unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (vgl. Hansjörg Seiler, in: Waldmann/Weissenberger, Praxiskommentar VwVG, Art. 55 N 54). Nur schon in Berücksichtigung der Tatsache, dass die Erhebung
eines Kostenvorschusses im Ermessen des Kammervorsitzenden liegt und ein solcher zudem jederzeit während des Verfahrens auferlegt oder aufgehoben werden kann, ist es auch ausgeschlossen, dass die aufschiebende Wirkung eines ordentlichen Rechtsmittels bzw. der Zeitpunkt ihres Beginns von der Bezahlung eines Kostenvorschusses abhängig wäre bzw. ihr Eintritt solange in der Schwebe bliebe. Dies auch deshalb, weil über die rechtzeitige Leistung eines Vorschusses oder über die an seine Stelle tretende Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege allenfalls wiederum - wie im Falle des Beschwerdeführers - mit anfechtbarer Verfügung und auch noch in einem Rechtsmittelverfahren zu entscheiden sein kann.

Somit trat vorliegend mit der Beschwerdeerhebung die aufschiebende Wirkung kraft § 66 Abs. 1 VRG ein, sofern sie nicht von der Beschwerdegegnerin in der angefochtenen Verfügung oder später vom Gericht entzogen worden ist. Der Entzug der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde erfolgte vorliegend zwar in der am 27. September 2011 ergangenen Verfügung über den vorsorglichen Führerausweisentzug, nicht aber im angefochtenen, als Verfügung zu qualifizierenden Schreiben des Strassenverkehrsamtes vom 6. Juli 2011. Das Strassenverkehrsamt hatte Kenntnis von der vom Beschwerdeführer erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde und von den Verfügungen über den Kostenvorschuss vom 19. Juli 2011 wie auch über die unentgeltliche Rechtspflege vom 9. September 2011. Im Zeitpunkt des verfügten vorsorglichen Ausweisentzugs war das Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren noch hängig. Tatsächlich erhob der Beschwerdeführer auch rechtzeitig Beschwerde gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege.

b) Weiter ist in der Sache zu beachten, dass unabhängig von diesem Verfahren jeder Ausweisinhaber das Recht haben muss, bei Bedarf eine zeitlich zwar beschränkte, aber jedenfalls angemessene Erstreckung der vom Strassenverkehrsamt angesetzten Frist für die Einreichung der verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchung verlangen zu können, z.B. wegen Erkrankung oder längerer Auslandsabwesenheit. Es handelt sich bezüglich der Anordnung der verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchung nicht um eine gesetzliche,
peremptorische Frist, die wie ein Damoklesschwert drohend über dem Betroffenen schweben würde. So wird denn auch die Fahrfähigkeit nicht vom Gesetz automatisch ab dem Erreichen des 70. Lebensjahres abgesprochen, sondern es geht lediglich um eine ab dem 70. Lebensjahr systematisch durchzuführende Routineuntersuchung, ohne dass es exakt auf den Tag ihrer Durchführung ankommen könnte. Beim Beschwerdeführer fehlten im Zeitpunkt der Verfügung vom 27. September 2011 unbestrittenermassen offensichtliche, ernsthafte Bedenken betreffend seine Fahreignung, die einen sofort zu vollziehenden vorsorglichen Entzug im Sinne von Art. 16d SVG und Art. 30 VZV hätten rechtfertigen können. Mag es zum Beispiel gerechtfertigt sein, den Führerausweis eines Ausweisinhabers vorsorglich ohne aufschiebende Wirkung zu entziehen, wenn sich dieser auf die behördlichen Aufforderungen hin gar nicht melden würde, so ist es gesetzwidrig und unverhältnismässig, dies gegenüber einem Ausweisinhaber zu tun, der sich gegenüber der Behörde bezüglich der Modalitäten wehrt und den Rechtsweg beschreitet. Offensichtlich hängt davon für die Verkehrssicherheit nichts ab. Nicht durchkreuzt werden darf vom Strassenverkehrsamt insbesondere während eines vor der Rechtsmittelinstanz hängigen Verfahrens der vom Ausweisinhaber bereits nachgesuchte Rechtsschutz. Nachdem der Streitgegenstand der Durchführung der verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchung kraft des Devolutiveffektes beim Verwaltungsgericht lag, wäre es dem Strassenverkehrsamt offen gestanden, dem Gericht allenfalls die Entziehung der aufschiebenden Wirkung im Sinne von § 66 Abs. 2 VRG zu beantragen, wenn es Gründe dafür hätte namhaft machen können, was offensichtlich nicht der Fall war.

c) Gestützt darauf ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die vom Strassenverkehrsamt ausgesprochene Verfügung vom 27. September 2011 in Verletzung des Devolutiveffekts ergangen und damit nichtig ist (vgl. BGE 130 V 144). Insbesondere ist dies hinsichtlich des vorliegend noch bestrittenen Kostenpunktes festzustellen. Dasselbe gilt auch bezüglich der Verfügung vom 13. Oktober 2011 betreffend die Wiedererteilung des Führerausweises. Demgemäss muss der Beschwerdeführer weder für die in der Verfügung vom 27. September 2011 verlegten Verfahrenskosten von Fr. 300.- noch für die ihm in der Verfügung vom 13. Oktober 2011 auferlegten Kosten von Fr. 200.- aufkommen. Dies führt insofern zur Gutheissung der Beschwerde.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 2012 V 2011 149

Das Bundesgericht ist auf die von X. gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil vom 31. August 2012 nicht eingetreten.

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