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§ 4 DSG, ISOS

Regeste:

§ 4 DSG, ISOS, akzessorische Überprüfung des Zonenplanes im Baubewilligungsverfahren? - Kann eine Villa in einem Quartier, das im ISOS als erhaltenswert mit dem Erhaltungsziel A aufgeführt ist, abgebrochen werden?

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführenden werfen dem Gemeinderat vor, dass er auf den Vorschlag der kantonalen Denkmalpflege, die Schutzwürdigkeit der Liegenschaft (...) durch die Denkmalkommission überprüfen zu lassen, nicht eingetreten sei. Ausserdem habe der Gemeinderat dieses Begehren mit nicht nachvollziehbaren Argumenten abgelehnt. Indirekt verlangen die Beschwerdeführenden mit diesem Antrag sinngemäss, dass die Liegenschaft (...) in das Verzeichnis der geschützten Denkmäler aufzunehmen und damit unter Schutz zu stellen sei.

Die Aufnahme eines Objektes in das Inventar der schützenswerten Denkmäler sowie die Unterschutzstellung eines solchen Objektes läuft wie folgt ab: Die Denkmalkommission stellt Antrag an die Direktion des Innern für die Aufnahme von Objekten in das Inventar der schützenswerten Denkmäler (§ 13 Abs. 1 lit. c Gesetz über Denkmalpflege, Archäologie und Kulturgüterschutz, DSG; BGS 423.11). Des Weiteren beantragt sie der Direktion des Innern zuhanden des Regierungsrates die Einstufung und Eintragung von Denkmälern in das kantonale Denkmalverzeichnis, die Änderung oder Aufhebung des Schutzes sowie die Gewährung von Beiträgen an Restaurierungen (§ 13 Abs. 1 lit. b DSG). Die Direktion des Innern erlässt alle behördlichen Entscheide im Rahmen des DSG, soweit sie nicht dem Regierungsrat zustehen, und übt die unmittelbare Aufsicht über das Amt für Denkmalpflege und Archäologie aus (§ 11 Abs. 1 DSG).

Vor diesem Hintergrund hat die mit der Instruktion der Beschwerde befasste Baudirektion die Direktion des Innern am 15. Juni 2012 zur Beschwerdeschrift und insbesondere zur Frage der Schutzwürdigkeit der Liegenschaft (...) zur Stellungnahme eingeladen. Die Direktion des Innern hat ihrerseits die Frage der Schutzwürdigkeit der Liegenschaft am 2. Juli 2012 der kantonalen Denkmalkommission zur Beurteilung vorgelegt. Die Denkmalkommission stellte dabei fest, dass für das fragliche Wohnhaus an der (...) in (...) kein Antrag auf Unterschutzstellung formuliert werden könne. Dem Beschlussprotokoll der Sitzung kann ausserdem entnommen werden, dass die Denkmalkommission empfiehlt, auf den Abbruch des bestehenden Gebäudes und den geplanten Neubau trotzdem zu verzichten und stattdessen das Wohnhaus quartierverträglich an- und umzubauen. Die Direktion des Innern hat sich in ihrer Stellungnahme vom 16. Juli 2012 den Begehren der Denkmalkommission angeschlossen. Damit steht fest, dass das Wohnhaus (...) in (...) kein Objekt darstellt, an dessen Erhaltung ein sehr hohes öffentliches Interesse besteht (§ 4 DSG). Weil diese Liegenschaft die Qualitäten für eine Unterschutzstellung nicht zu erreichen vermag, hat die Denkmalkommission der Direktion des Innern zu Recht keinen entsprechenden Antrag zuhanden des Regierungs­rates gestellt. Die Direktion des Innern hat am 16. Juli 2012 dargelegt, dass sie deshalb auch kein Unterschutzstellungsverfahren einleiten werde. Damit steht fest, dass der sinngemässe Antrag der Beschwerdeführenden, die fragliche Liegenschaft unter Denkmalschutz zu stellen, unbegründet und deshalb die Beschwerde in diesem Umfang abzuweisen ist.

Trotzdem hat die Direktion des Innern in Übereinstimmung mit der Empfehlung der Denkmalkommission in ihrer Stellungnahme beantragt, dass auf den Abbruch und den Neubau der Liegenschaft (...) zu verzichten und stattdessen das zu erhaltende Gebäude quartierverträglich an- und umzubauen sei. Auf diese Argumentation wird nachfolgend einzugehen sein.

3. Die Beschwerdeführenden machen geltend, dass das Quartier im ISOS für den Kanton Zug als erhaltenswert mit dem Erhaltungsziel A aufgeführt sei. Die abzubrechende Villa sei Teil dieses Quartiers. Diese Villa sei zusammen mit anderen Gebäuden verantwortlich für diese Einstufung im ISOS gewesen. Das Gebäude sei quartierprägend und stehe seit seinem Bestehen in vielfältigen räumlichen Beziehungen zur näheren Umgebung. Es sei erstaunlich, mit welcher Begründung der Gemeinderat den Abbruch des Gebäudes bewilligt habe. Der Charakter des Quartiers sei in den letzten Jahren mit Neu-, An- und Umbauten nicht derart stark verunklärt worden, wie dies der Gemeinderat behaupte. Zumindest an der (...), aber auch an weiteren Strassenzügen, namentlich am (...)weg, sei der ursprüngliche Charakter noch weitgehend intakt. Das ISOS für den Kanton Zug stamme aus dem Jahre 2002. Seither habe es an der (...) lediglich drei grössere bauliche Veränderungen gegeben. Dabei hätten sich die Eigentümerschaften der Häuser (...) und (...) bemüht, bei der Sanierung ihrer Liegenschaften auf den Quartiercharakter Rücksicht zu nehmen. Einzig beim Neubau des Gebäudes (...) sei der Charakter des Quartiers mit dem Mehrfamilienhaus samt Garagengeschoss trotz Einsprachen nicht beachtet worden. Das ISOS sei beim Verdichten zu berücksichtigen. Es liefere wertvolle Hinweise zur vorhandenen Qualität der Ortsbilder. Dessen Empfehlungen würden die erste und wichtigste Grundlage bei der Ermittlung von Verdichtungspotenzialen bilden. Auf die Liegenschaft (...) bezogen bedeute dies, dass eine Verdichtung mit einem Annexbau unter Wahrung der Identität der Baute möglich sei. Mit etwas gutem Willen der Bauherrschaft hätte die Situation zugunsten des Quartiers und der Nachbarschaft verbessert werden können. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf Konsumation der maximal zulässigen Ausnützung.

a) Das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz vom 9. September 1981 (VISOS; SR 451.12) dient dem Schutz der Objekte, wenn diesen bei Erfüllung einer Bundesaufgabe Schaden droht. Die im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) enthaltenen Objekte verdienen gemäss Art. 6 Abs. 1 Natur- und Heimatschutz­gesetz vom 1. Juli 1966 (NHG; SR 451) in besonderem Mass ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder angemessenen Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung. Ein Abweichen von der ungeschmälerten Erhaltung eines Objekts darf nur in Erwägung gezogen werden, wenn dem Eingriff bestimmte gleich- oder höherwertige Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung zukommen (Art. 6 Abs. 2 NHG).

Lange war umstritten, ob die Aussagen der Inventare auch ausserhalb der Erfüllung einer Bundesaufgabe beachtet werden müssen. Mit dem Entscheid i.S. Rüti hat das Bundesgericht erkannt, dass für die Kantone und Gemeinden eine Pflicht zur Berücksichtigung von Bundesinventaren auch bei der Erfüllung von kantonalen und kommunalen Aufgaben besteht (BGE 135 II 209 E 2.1). Damit wurde festgelegt, dass Bundesinventare bei der Erfüllung von kantonalen und kommunalen Aufgaben in mittelbarer Weise, bei der Erfüllung von Bundesaufgaben in unmittelbarer Weise gelten. Bei der Erfüllung von kantonalen und kommunalen Aufgaben - wozu die Richt- und Nutzungsplanung zählt - muss der Schutz der Bundesinventar­objekte durch kantonales und kommunales Recht gewährleistet werden. Dies ergibt sich verfassungsrechtlich aus Art. 78 Abs. 1 Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV; SR 101), wonach die Kantone für den Natur- und Heimatschutz zuständig sind. Für die Kantone und Gemeinden bedeutet dies, dass sie die Bundesinventarobjekte auch ausserhalb der Erfüllung von Bundesaufgaben mit kantonalem und kommunalem Recht, d.h. im Rechtssetzungsverfahren berücksichtigen müssen. Aus diesem Grund haben die Inventare bei der Erfüllung von kantonalen und kommunalen Aufgaben keine direkt oder unmittelbare, sondern lediglich eine indirekte oder mittelbare Wirkung. Es handelt sich dabei lediglich um eine Anweisung bei der Rechtssetzung, nicht aber bei der Rechtsanwendung. Die Frage, ob ein bestimmtes im ISOS aufgeführtes Gebiet überbaut bzw. freigehalten werden soll, ist prinzipiell nicht im Baubewilligungs-, sondern im Zonenplanverfahren zu prüfen (BGE 1C_115/2011 vom 17. Mai 2011 E.4).

b) Das ISOS ordnet das Quartier dem Erhaltungsziel A «Erhalten der Substanz» zu. Für die konkrete Beurteilung der vorliegenden Streitsache ist einerseits vom kantonalen Richtplan, andererseits von der Bauordnung der Gemeinde X vom 21. Mai 2006 (BO ) samt Zonenplan auszugehen.

aa) Der kantonale Richtplan hält die Gemeinwesen an, die typischen Zuger Ortsbilder, die Denkmäler und Kulturgüter sowie die historischen Verkehrswege zu pflegen und zu erhalten (Richtplantext S 7.1.1). Die Gemeinden sollen ausserdem bei der Revision der Zonenpläne die genaue Abgrenzung der Ortsbildschutzgebiete bezeichnen und die notwendigen Schutzbestimmungen festlegen. Dazu sollen sie mit dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie zusammenarbeiten (Richtplantext S 7.2.2). Die Gemeinden und der Kanton ziehen das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) als Planungshilfe bei (Richtplantext S 7.2.3). Soweit der Richtplantext. Im Richtplan selbst sind die Zuger Ortsbilder als Ortsbildschutzgebiete planlich dargestellt und bezeichnet. Das Ortsbildschutzgebiet für die Gemeinde X wird im Süden von der SBB-Bahnlinie und im Westen entlang der (...) von der ersten Bautiefe des Quartiers (...) begrenzt. Sowohl das restliche Gebiet des Quartiers (...) als auch das weiter westlich daran anschliessende Quartier werden im kantonalen Richtplan trotz der Eintragung des Quartiers im ISOS nicht dem Ortsbildschutzgebiet zugewiesen. Mit diesem Inhalt ist der kantonale Richtplan vom Bund genehmigt worden.

bb) Der Zonenplan und die BO der Gemeinde X konkretisieren auf gemeindlicher Ebene die Anliegen des Natur- und Heimatschutzes und berücksichtigen damit die Schutzanliegen im Sinne des ISOS. Sie orientieren sich bei der Abgrenzung der kommunalen Ortsbildschutzzone insbesondere im südlichen und westlichen Bereich an den Vorgaben des kantonalen Richtplans. Der Zonenplan weist das Baugrundstück und dessen Umgebung der Wohnzone W3a samt Zonenattribut «archäologische Fundstätten» zu. Es steht damit fest, dass für das Quartier keine besonderen Schutzvorschriften gelten. Diese Grundnutzungsordnung ist für die Beurteilung des Baugesuchs massgebend. Der Zonenplan und die in engem Zusammenhang stehende planerische Festlegung sind grundsätzlich im Anschluss an deren Erlass anzufechten. Eine spätere akzessorische Überprüfung im Anwendungsfall ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Nachfolgend ist zu beurteilen, ob vorliegend ein solcher Ausnahmefall gegeben ist.

c) Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, bei der Bewilligung des Abbruchs einer im ISOS gelegenen Baute samt Neubau des Mehrfamilienhauses die Rechtmässigkeit des Zonenplans sowie der BO der Gemeinde X in Frage zu stellen und deren akzessorische Überprüfung zu fordern. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die akzessorische Überprüfung eines Nutzungsplans samt Bauvorschriften im Zusammenhang mit einem späteren Anwendungsakt, insbesondere im Baubewilligungsverfahren, jedoch nur möglich, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse seit Planerlass grundlegend verändert haben (BGE 123 II 337 E. 3a S. 342; 121 II 317 E. 12c S. 346; 120 Ia 227 E. 2c S. 232; 119 Ib 480 E. 5c S. 486; 116 Ia 207 E. 3b S. 211). Des Weiteren ist der Überprüfungsanspruch in jenen Fällen gegeben, in denen sich die Betroffenen bei Planerlass noch nicht über die Auswirkungen Rechenschaft geben konnten und sie im damaligen Zeitpunkt keine Möglichkeit hatten, ihre Interessen zu wahren. Dabei genügt es aber nicht, dass eine Grundeigentümerschaft ihre Parzelle erst nach dem Erlass des Plans erworben hat. In Betracht fallen einzig die objektiven Möglichkeiten zum Zeitpunkt des Erlasses, beispielsweise wenn die Plandarstellung zweideutig und daher nicht klar erkennbar war (Tanquerel, Kommentar zum RPG, 1999, Rz. 25 ff. zu Art. 21).

Die Bauordnung samt Zonenplan ist von der Gemeinde X am 21. Mai 2006 beschlos­sen worden. Nach dem anschliessenden Beschwerde- sowie dem kantonalen Genehmigungsverfahren konnte die Ortsplanungsrevision am 1. Mai 2007 in Kraft treten. Daraus erhellt, dass beim Erlass der Ortsplanungsrevision 2006 die Möglichkeit bestanden hat, sowohl die Aussagen des Zonenplans als auch die Vorschriften der BO der Gemeinde X anzufechten. Auch war zu diesem Zeitpunkt bereits klar ersichtlich, dass sich die Ortsbildschutzzone der Gemeinde X und deren Schutzvorschriften nicht auf das Quartier ausdehnen werden. Die Konsequenzen dieses Entscheids der Gemeinde waren für sämtliche benachbarten Grundeigen­tümerschaften klar und eindeutig. Sie hatten - objektiv betrachtet - die Möglichkeit gehabt, die Ortsplanungsrevision diesbezüglich anzufechten. Von dieser Möglichkeit haben sie jedoch keinen Gebrauch gemacht. Sowohl die Beschwerdeführenden 1 als auch die Beschwerdeführenden 2 können deshalb nichts daraus ableiten, dass sie erst nach der Ortsplanungsrevision am 28. November 2011 bzw. 1. Juni 2007 das Eigentum ihrer Liegenschaften erworben haben. Hinzu kommt, dass sich die Verhältnisse seit Inkrafttreten der Ortsplanungsrevision am 1. Mai 2007 nicht geändert haben. Das ISOS für den Kanton Zug datiert aus dem Jahr 2002 und der kantonale Richtplan von 2004. Diese Planungsgrundlagen lagen also im Zeitpunkt der Ortsplanungsrevision der Gemeinde X vor. Sie haben seither in Bezug auf das Quartier keine Änderungen erfahren. Damit steht fest, dass sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Verhältnisse im Quartier dieselben geblieben sind.

Daraus erhellt, dass die Voraussetzungen einer akzessorischen Überprüfung des Zonenplans der Gemeinde X nicht gegeben sind. Mangels dieser Überprüfungsmöglichkeit kommt dem ISOS-Inventarblatt G/5 (...) mit dem Erhaltungsziel A «Erhalten der Substanz» nur noch im Zusammenhang mit Abweichungen von der Grundnutzungsordnung Bedeutung zu. Soweit sich jedoch - wie vorliegend - ein Neubau an der Grundnutzungsordnung orientiert, sind die Aussagen des ISOS bedeutungslos. Dem Abbruch des bestehenden Wohnhauses steht somit nichts entgegen. Aus diesem Grund ist nachfolgend nur noch zu prüfen, ob der geplante Neubau des Mehrfamilienhauses den Einzelbauvorschriften der BO der Gemeinde X entspricht. Die Beschwerde ist in diesem Umfang unbegründet und deshalb abzuweisen.

Regierungsrat, 6. November 2012

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