Navigieren auf Kanton Zug

Gerichtspraxis

Staats- und Verwaltungsrecht

Verfahrensrecht

Bau- und Planungsrecht

§ 19 V PBG

Regeste:

§ 19 V PBG – Ausnützungsübertragung – Zulässigkeit eines Transitverfahrens. Die Verordnungsbestimmung von § 19 Abs. 1 V PBG schliesst nicht aus, dass Ausnützungsreserven von einem bestimmten Grundstück auf ein zweites, benachbartes Grundstück übetragen werden, und von diesem weiter auf ein drittes Grundstück, welches zwar nicht an das erste, aber an das zweite Grundstück grenzt (Erw. 8). Ist der Ausnützungstransfer in zweiten Schritten zulässig, so ist aus verfahrensökonomischen Überlegungen nicht einzusehen, warum nicht auch das abgekürzte Transitverfahren zulässig sein soll, da ja beim mittleren Grundstück im Ergebnis die Ausnützung weder erhöht noch verkleinert wird (Erw. 9).

Aus dem Sachverhalt:

A. A. und B.C., Eigentümer der Parzelle GS 204, in der Gemeinde D., planen auf ihrem bislang unbebauten in der Wohnzone W1 gelegenen Grundstück den Neubau eines Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung. Gegen das am 2. Juni 2010 eingereichte Baugesuch erhoben unter anderem I.K. und L.M. Einsprachen. Am 18. Oktober 2010 erteilte der Gemeinderat D. die Baubewilligung für das Einfamilienhaus und die Einliegerwohnung und wies die dagegen gerichteten Einsprachen ab. Dagegen erhoben I.K. und L.M. je am 17. November 2010 Verwaltungsbeschwerde beim Regierungsrat. Beide Beschwerdeführer beantragten dabei die Aufhebung der Baubewilligung vom 18. Oktober 2010. Mit Entscheid vom 28. Juni 2011 wies der Regierungsrat beide Verwaltungsbeschwerden ab, soweit darauf eingetreten wurde.

B. Gegen den Entscheid des Regierungsrats liessen I.K. (fortan: Beschwerdeführer 1) und L.M. (fortan: Beschwerdeführerin 2) am 15. Juli 2011 Verwaltungsgerichtsbeschwerde einreichen und unter anderem beantragen, es sei die Baubewilligung des Gemeinderates D. vom 18. Oktober 2010 für das Baugesuch, GS 204, Neubau Einfamilienhaus, aufzuheben. Zur Begründung liessen sie unter anderem vortragen, der geplante Bau könne nur mit Hilfe einer Ausnützungsübertragung gestützt auf § 19 V PBG realisiert werden. Im konkreten Fall seien die Voraussetzungen dafür allerdings nicht gegeben. Die Ausnützungsübertragung solle nämlich ab dem GS 92 erfolgen. Bei diesem Grundstück handle es sich um eine privatrechtliche Zufahrtsstrasse, auf die sich gar keine Ausnützung berechnen lasse. Ausserdem sei im vorliegenden Fall die Ausnützungsübertragung nicht zugunsten des Nachbargrundstücks erfolgt. Die Parteien des Ausnützungstransfervertrags hätten die Ausnützung zuerst auf eine Parzelle übertragen, welche zwischen ihren Grundstücken liegen würde und von dort aus weiter übertragen. Ein Transit der Ausnützung über ein benachbartes Grundstück auf ein anderes stelle eine klare Umgehung von § 19 V PBG dar.

C. Mit Schreiben vom 22. Juli 2011 stellt der Regierungsrat den Antrag auf kostenfällige Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit Vernehmlassung vom 22. August 2011 lassen A. und B.C. (fortan: Beschwerdegegner 1) ebenfalls auf die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. In der Vernehmlassung vom 22. August 2011 beantragt der Gemeinderat D. (fortan: Beschwerdegegner 2), die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei unter Kostenfolgen vollumfänglich abzuweisen.

Aus den Erwägungen:

8. Da das von der Ausnützungsübertragung profitierende GS 204 der Beschwerdegegner 1 und das auf Ausnützung verzichtende GS 92 nicht aneinandergrenzen, soll vorliegend die Ausnützung zuerst vom GS 92 auf das benachbarte GS 205 übertragen werden. Sodann soll von dort aus die hinzugewonnene Ausnützung an das benachbarte GS 204 weiter übertragen werden. Zuerst ist der Frage nachzugehen, ob eine derartige Übertragung grundsätzlich erlaubt ist. Bejahendenfalls ist in einem weiteren Schritt zu klären, ob der vom Beschwerdegegner 2 in der Baubewilligung gutgeheissene abgekürzte Vorgang statthaft ist.

a) Für die Beschwerdeführenden stellt die zuvor beschriebene Art der Ausnützungsübertragung eine Umgehung der Bestimmung von § 19 V PBG dar. Von der Umgehung eines Gesetzes kann dann gesprochen werden, wenn zwar der Wortlaut einer Norm beachtet, ihr Sinn dagegen missachtet wird (vgl. BGE 114 Ib 11 E 3a). Ob eine Umgehung vorliegt, hängt daher davon ab, wie die Norm nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen ist (BGE 104 II 204 S. 206). Die in § 19 V PBG geregelte Ausnützungsübertragung erlaubt einem Grundstückseigentümer ein bestimmtes Projekt trotz fehlender Grundfläche zu verwirklichen, indem er Nutzungsreserven anderer Grundstücke beanspruchen kann. Andererseits kann der sich einschränkende Eigentümer seine Parzelle nachträglich wenigstens wirtschaftlich voll nutzen, falls er diese baulich nicht voll ausgenützt hat beziehungsweise ausnützen will (Fritzsche / Bösch / Wipf, Zürcher Planungs- und Baurecht, 5. Aufl., Zürich 2011, S. 732). Die Ausnützung des zur Verfügung stehenden Baulandes wird verbessert, ohne dass die maximal mögliche Baudichte in einer bestimmten Nutzungszone überschritten wird. Ausnützungsübertragungen dürfen die vom kommunalen Gesetzgeber festgelegten Nutzungsordnungen und Zonenstrukturen indessen nicht in erheblichem Ausmass beeinträchtigen (Haller / Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, 3 A., Bd. 1, Zürich 1999, N 634). Das Verwaltungsgericht hat sich schon verschiedentlich zu bestimmten strittigen Punkten im Zusammenhang mit der Ausnützungsübertragung geäussert, indessen war die Frage eines Transports von Ausnützungsreserven über ein weiteres Zwischengrundstück, wobei alle Grundstücke der gleichen Nutzungszone angehörten, vor Gericht bisher noch nie ein Thema. Im von den Beschwerdeführenden zitierten Entscheid aus dem Jahre 1999 befand es zwar, dass die Übertragung über eine im Eigentum der Gemeinde stehende öffentliche Strasse mit beidseitigem Trottoir hinweg nicht möglich sei. Dieser Entscheid ist aber für das vorliegende Verfahren nicht einschlägig, da in der damals massgeblichen Gesetzesbestimmung (§ 15 VV BauG) geregelt war, dass im Bereich der Grenze liegende «Fusswege» und «kleinere Gewässer» die Ausnützungsübertragung nicht hindern würden. Heute ist die entsprechende Bestimmung in § 19 Abs. 2 V PBG entgegen der Ansicht der Beschwerdeführenden grosszügiger gefasst; denn sie erlaubt auch Übertragungen über an der Grundstücksgrenze liegende «Wege», «Erschliessungsstrassen» und «Fliessgewässer» hinweg. In den Fällen von § 19 Abs. 2 V PBG ist im Übrigen der Eigentümer des dazwischen liegenden Weges, Gewässers oder der Erschliessungsstrasse nicht an der Übertragung beteiligt, wie die Beschwerdegegner 1 richtig festgestellt haben. Das hier zu klärende Problem ist somit anders gelagert; denn bei der etappenweisen Übertragung der Ausnützung von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück und von dort aus weiter auf ein Drittes, ist auch der Eigentümer des mittleren Grundstücks involviert. Er muss in den Vertrag einbezogen werden, d.h. er hat sich insbesondere mit der Weiterübertragung der Ausnützung einverstanden zu erklären, und bei ihm müssen die Voraussetzungen von § 19 Abs. 1 lit. a-c V PBG ebenso erfüllt sein wie beim schlussendlich profitierenden Grundstückeigentümer, worauf noch zurückzukommen sein wird.

b) Stellt man lediglich auf den Wortlaut der Bestimmung in § 19 Abs. 1 V PBG ab, so müsste man zunächst zum Schluss kommen, dass nur Grundeigentümer von benachbarten Grundstücken miteinander einen Ausnützungsvertrag schliessen dürften. Dass der Verordnungsgeber die Regelung indessen selbst nicht so eng verstanden haben konnte, geht bereits aus § 19 Abs. 2 V PBG hervor. Denn die Anwendung dieser Bestimmung setzt begriffsnotwendig voraus, dass eine Situation gegeben ist, bei der zwei Grundstücke nicht aneinander grenzen, also nicht benachbart sind. Überdies schliesst § 19 Abs. 1 V PBG nicht aus, dass in einem ersten Schritt nicht ausgeschöpfte Ausnützungsreserven von einem bestimmten Grundstück auf ein zweites, benachbartes, Grundstück übertragen werden, und dass in einem weiteren Schritt von diesem Grundstück aus die erhaltene Ausnützung auf ein drittes benachbartes Grundstück übertragen wird, welches zwar an das zweite Grundstück angrenzt, jedoch nicht an das erste. Es ist nicht ersichtlich, dass die so beschriebene Übertragung in mehreren Etappen Sinn und Zweck der Ausnützungsübertragung widersprechen würde. Auch in diesem Fall kann nämlich ein Grundstückeigentümer sein Projekt trotz fehlender eigener Ausnützungsreserven verwirklichen und der seine Ausnützung übertragende Grundstückeigentümer kann aus seinem Grundstück einen entsprechenden wirtschaftlichen Nutzen ziehen. Solange solche schrittweisen Übertragungen innerhalb derselben Nutzungszone erfolgen, wird die Ausnützung des Baulandes verbessert, ohne dass dabei die potentiell maximal mögliche Baudichte innerhalb der Nutzungszone vergrössert wird. Gleichzeitig sorgt die Schranke in § 19 Abs. 1 lit. a V PBG dafür, dass etappenweise vorgenommene Übertragungen nicht dazu führen können, dass sich auf einem einzigen Grundstück Ausnützung «ansammelt» und dort im Vergleich zur Umgebung übermässig dicht gebaut werden kann. Die Befürchtung der Beschwerdeführenden, wonach auf diese Weise überdimensionierte Bauten entstehen könnten, ist somit unbegründet und eine Umgehung der Bestimmung von § 19 Abs. 1 V PBG, wie von ihnen moniert, ist erst recht nicht zu sehen. Die Beschwerdeführenden lehnen die etappenweise Übertragung von Ausnützungsreserven ebenfalls mit dem Argument ab, die Ausnützungsübertragung sei ein einmaliger Vorgang. Es könne vorliegend die Ausnützung vom mittleren Grundstück GS 2050 nicht ein zweites Mal erhöht werden. Diese Begründung überzeugt nicht. Die Beschwerdeführer übersehen mit dieser Argumentation, dass das mittlere am Ausnützungstransport beteiligte Grundstück GS 2050 zunächst Ausnützung erhalten und diese Ausnützung sodann vollständig weitergeben würde. Das mittlere Grundstück hätte am Schluss also weder Ausnützung gewonnen noch verloren. Somit lässt sich durch das beschriebene Vorgehen die potentiell mögliche Baudichte in der betreffenden Nutzungszone entgegen der Auffassung der Beschwerdeführenden gar nicht erhöhen. Von einer Aushöhlung des Zonencharakters, wie von den Beschwerdeführenden vorgebracht, kann jedenfalls nicht gesprochen werden. Die Beschwerdeführenden lassen in diesem Zusammenhang weiter vortragen, dass durch die Erhöhung des Bauvolumens der Bau von Einliegerwohnungen möglich werde. Auch dieses Argument verfängt nicht. Die Frage, ob Einliegerwohnungen im betreffenden Quartier erlaubt sind oder nicht, hat mit dem Thema des Ausnützungstransfers nichts zu tun. Wie bereits der Beschwerdegegner 2 in der Baubewilligung vom 18. Oktober 2010 in Ziffer 20.3 zutreffend festgehalten hat, gibt es in den einschlägigen Bauvorschriften keine Bestimmung, die den Einbau von Einliegerwohnungen in der Zone W1 verbieten würde. Das einzige massgebliche Kriterium ist – nebst der übrigen für die betreffende Zone geltenden Bestimmungen – die Einhaltung der gesetzlichen Ausnützungsziffer. Die Ausnützungsziffer sei indessen beim vorliegenden Bauprojekt eingehalten, so der Beschwerdegegner 2 weiter. Auf diese Argumente sind die Beschwerdeführenden im Verfahren vor der Vorinstanz nicht eingegangen und auch vor Verwaltungsgericht haben sie sich bei der Frage der Einliegerwohnungen nicht mit den Begründungen in der angefochtenen Baubewilligung auseinandergesetzt. Damit erübrigt sich an dieser Stelle eine weitere Auseinandersetzung zu diesem Thema. Alle weiteren von den Beschwerdeführenden ins Feld geführten Gründe, welche ihrer Ansicht nach gegen eine etappenweise Übertragung von vorhandener Ausnützung auf ein nicht benachbartes Grundstück sprechen würden, fussen nicht im öffentlichen Recht, sondern betreffen von den Beschwerdeführenden behauptete Verletzungen von zivilrechtlichen Verträgen aus den Jahren 1994 und 2001. Diese strittigen Fragen sind indessen vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Baubewilligungsverfahren nicht zu beurteilen, sondern wenn schon, wären dafür die Zivilgerichte zuständig (§ 29 V PBG). Die Beschwerdeführenden behalten sich in ihrer Replik ausdrücklich vor, die Beschwerdegegner 1 zivilrechtlich auf die Vertragseinhaltung zu verpflichten. Aufgrund dieser Passagen kann das Gericht annehmen, dass auch den Beschwerdeführenden die unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeiten bekannt sein dürften.

c) Damit haben die Beschwerdeführenden insgesamt keine stichhaltigen Argumente vorgebracht, welche gegen eine etappenweise Übertragung von Ausnützungsreserven über ein Zwischengrundstück an ein nicht angrenzendes Grundstück sprechen würden. Für das Gericht sind weitere Gründe, welche dagegen sprechen würden, § 19 Abs. 1 V PBG anders als die Vorinstanz auszulegen, ebenfalls nicht erkennbar. Damit hat der Beschwerdegegner 3 kein Recht verletzt, indem er in seinem Entscheid vom 28. Juni 2011 die Verwaltungsbeschwerde in diesem Umfang für unbegründet hielt und sie abwies.

9. Die Beschwerdeführenden kritisieren das vom Beschwerdegegner 2 in der Baubewilligung gutgeheissene abgekürzte Transferverfahren (…). Bei Auslassung des Zwischenschritts im abgekürzten Verfahren könne das Bauvolumen beim begünstigten Grundstück erhöht werden, ohne dass auf der anderen Seite eine Reduktion eintreten würde.

a) Diese Argumentation kann das Gericht nicht nachvollziehen. Genau wie bei einem Vorgehen in zwei einzelnen Schritten wird auch beim vom Beschwerdegegner 2 favorisierten abgekürzten Verfahren beim mittleren Grundstück am Schluss die Ausnützung weder erhöht noch verkleinert. Beim ersten Grundstück, vorliegend also beim GS 92, würde die Ausnützung indessen auch beim abgekürzten Verfahren um die übertragenen 36.56 m2 anzurechnender Geschossfläche reduziert und beim am Schluss profitierenden Grundstück GS 204 um 36.56 m2 erhöht. Die Beschwerdeführenden irren somit in diesem Punkt. Wie die Beschwerdegegner 1 demgegenüber einleuchtend festgehalten haben, rechtfertigt sich das abgekürzte Vorgehen vor allem aus verfahrensökonomischen Gründen.

b) Der Beschwerdegegner 3 hat in seinem Entscheid vom 28. Juni 2011 das abgekürzte Verfahren gutgeheissen, woran nach dem Gesagten nichts auszusetzen ist, und dabei – zutreffend – festgehalten, dass es nur zulässig sei, wenn auch die Voraussetzungen von § 19 Abs. 1 lit. a–c V PBG jeweils sowohl beim mittleren als auch beim begünstigten Grundstück eingehalten seien. In der Folge hat der Beschwerdegegner 3 detailliert und gut nachvollziehbar geprüft, ob die beiden nacheinander folgenden Ausnützungsübertragungen für sich selbst betrachtet die erwähnten Voraussetzungen erfüllen. Dabei ist er zu einem positiven Ergebnis gekommen. Schliesslich hat der Beschwerdegegner 3 – ebenfalls zutreffend – festgestellt, dass der Vertrag auf Übertragung von Ausnützung von den Eigentümerschaften der Strassenparzelle GS 92, des mittleren GS 205 und der Bauparzelle GS 204 vorliegen würden und von allen Parteien unterzeichnet worden seien. Somit ist dem Beschwerdegegner insgesamt keine Rechtsverletzung vorzuwerfen, indem er das so genannte abgekürzte Transferverfahren, wie schon die Baubewilligungsbehörde vor ihm, ganz allgemein gutgeheissen hat und dabei zudem feststellte, dass ungeachtet dieses Vorgehens im konkreten Fall die übrigen Voraussetzungen von § 19 V PBG jederzeit erfüllt gewesen seien.

(…)

Urteil vom 31. Mai 2012 V 2011 / 100

Eine gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 12. Februar 2013 abgewiesen.

Weitere Informationen

Fusszeile

Deutsch