Navigieren auf Kantonsschule Zug KSZ

Inhaltsnavigation auf dieser Seite

Navigation
24.11.2020

Der Alte in der Backstube

24.11.2020
Beitrag im «Klub der jungen Dichter» der Zuger Zeitung vom 24. November 2020

Die Nacht war kalt und stürmisch, als das Abenteuer begann. Der Winter hatte begonnen. Ich hasste ihn. In meiner dünnen Jacke fror ich erbärmlich, meine Füsse waren in den viel zu kleinen Turnschuhen fast taub. Wie schön es doch in der Kneipe gewesen war. Schöner als unter der Brücke. Viel schöner. Und warm. Nach einigen Gläsern Alkohol fühlte ich mich immer so leicht.

Ein Ast, der neben mir auf die Strasse krachte, riss mich aus meinen Gedanken. Der Wind war stark heute Nacht, ein richtiger Sturm. Überall lagen Blätter von den nahe liegenden Bäumen auf der Strasse. Jetzt waren sie dann bald ganz kahl. Kahl und trostlos. Ich taumelte erschöpft weiter. Fern am Horizont wurde es schon langsam hell. Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel ein schwaches Licht wahr.

Das konnte doch nicht sein! Aus der Bäckerei vom alten Hans drang ein schwacher Lichtschimmer. Seltsam. Der alte Hans war vor zwei Tagen verstorben. Herzversagen. Schade für den alten Mann. Ich mochte ihn. Manchmal, an ganz schlimmen Tagen, hat er mir ein paar Reste altes Brot gegeben. Misstrauisch ging ich auf den Laden zu. Jetzt sah ich, dass das Licht aus der Backstube kam. Ich konnte meine Neugierde nicht zügeln und ging ums Haus herum zum Eingang. Die Tür war nur angelehnt. Sollte ich reingehen?

Nach kurzem Überlegen schob ich langsam die Tür auf. Mir stockte der Atem. Das konnte nicht wahr sein! Die Person vor dem Ofen drehte sich um. Der alte Hans. Mir gefror das Blut in den Adern. «Hallo Benjamin», sagt der Alte ganz gelassen. Ich brachte kein Wort heraus. Der Mann war tot! Hatte ich so viel getrunken, dass ich mir Tote einbildete? «Ich backe einen Kuchen, willst du mir helfen?», riss mich seine Stimme aus meinen Überlegungen. Noch immer war ich stumm. Schockiert schaute ich zu, wie der Mann eine ganze Packung Mehl in eine Schüssel schüttete. Er holte aus einem kleinen Schränkchen den Glasbehälter mit Salz, schöpfte eine Kaffeetasse voll und schüttete es in die Teigschüssel. «Hans, du hast Salz statt Zucker genommen», rief ich. Der alte Mann schüttelte den Kopf: «Mir geht es gut, Benjamin. Ich denke, das wird ein besonders guter Kuchen», sagte er monoton. Entsetzt schaute ich zu, wie er ein Ei nach dem anderen mitsamt Schale in die Schüssel warf und alles mit einem Kochlöffel umrührte. Dieser Mann konnte unmöglich tot sein! Mir wurde das Ganze zu unheimlich, und ich drehte mich zur Tür, um zu gehen. Da hörte ich hinter meinem Rücken ein lautes Klirren. Der Mann hatte die Teigschüssel zu Boden fallen lassen und starrte mich aus leeren Augen an. «Ich bin noch nicht fertig.» Mir liefen eiskalte Schauer über den Rücken. Ich rannte los, über die Strasse. Bloss weg von hier.

Als ich im Morgengrauen bei der Polizei die Geschichte erzählen wollte, schauten mich die Beamten nur mitleidig an. «Ach Benjamin, du hast wohl mal wieder etwas zu tief ins Glas geblickt!» Ich wollte mich wehren, aber war zu müde. Sollten sie in mir doch den verwahrlosten, betrunkenen Obdachlosen sehen. Und doch war ich mir sicher, was ich in dieser Nacht gesehen hatte. Oder war doch der Alkohol schuld?

Am nächsten Morgen bereitete der Bestatter den alten Hans für die Beerdigung vor. Dabei fiel ihm der feine Mehlstaub an den Händen der Leiche auf. Achselzuckend griff er nach einem feuchten Lappen und wischte ihn fort.

Weitere Informationen

hidden placeholder

hidden placeholder

Fusszeile

Deutsch