Navigieren auf Kanton Zug

Gerichtspraxis

Verwaltungspraxis

Grundlagen, Organisation, Gemeinden

Raumplanung, Bauwesen, Gewässer, Energie, Verkehr

Bau- und Planungsrecht

§ 4 Abs. 2 GSW
§§ 20 und 39 BO Cham, Art. 7 Abs. 7 USG und Art. 2 Abs. 1 LSV

§ 52 VRG, § 70 PBG, § 93 GOG und § 37 GG

Regeste:

§ 52 VRG, § 70 PBG, § 93 GOG und § 37 GG – Kann ein Anzeiger die Missachtung der  Anzeigepflicht durch den Gemeinderat im Rahmen einer Aufsichtsbeschwerde rügen, wenn diese gegen eine fehlbare Bauherrschaft keine Strafanzeige erhoben hat? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, dass der Gemeinderat gegen eine Bauherrschaft wegen Verletzung der Bauvorschriften eine Strafanzeige einreichen muss?

Aus dem Sachverhalt:

Zwei Bauherren führten ein Bauvorhaben in der Landwirtschaftszone nicht so aus, wie es bewilligt wurde. Anstelle eines Bewirtschaftungs-/Weidewegs mit Kies führten sie ohne Bewilligung einen befestigten Weg mit Asphaltgranulat und einer Deckschicht aus Asphalt aus. Ein Anzeiger rügte den Verstoss gegen die Baubewilligung zuerst in einer Eingabe an den zuständigen Gemeinderat und er gelangte später mit einer Aufsichtsbeschwerde an den Regierungsrat. Nach der Einreichung der Aufsichtsbeschwerde beim Regierungsrat kam der Gemeinderat der Forderung des Anzeigers nach der Durchführung eines nachträglichen Bewilligungsverfahrens nach. Der Gemeinderat reichte aber, nicht wie vom Anzeiger verlangt, gegen die Bauherrschaft keine Strafanzeige ein. Der Regierungsrat musste daher im Aufsichtsbeschwerdeverfahren prüfen, ob der Gemeinderat die Anzeigepflicht gemäss § 93 GOG missachtet hat.

Aus den Erwägungen:

1. Mit einer Aufsichtsbeschwerde kann nach § 52 Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen [Verwaltungsrechtspflegegesetz] vom 1. April 1976 (VRG; BGS 162.1) jedermann die Aufsichtsbehörde über Tatsachen in Kenntnis setzten, die ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde gegen eine untere Verwaltungsbehörde von Amtes wegen erfordern. Anders als einer Partei im ordentlichen Beschwerdeverfahren kommen dem Anzeigenden bei einer Aufsichtsbeschwerde keine Parteirechte zu (§ 52 Abs. 2 VRG). Die Art der Erledigung der Aufsichtsbeschwerde ist dem Anzeiger mitzuteilen, eine Begründungspflicht besteht jedoch nicht (§ 52 Abs. 3 und 4 VRG).

Es liegt im öffentlichen Interesse, dass die in der vorliegenden Aufsichtsbeschwerde vom Anzeiger gerügten Verstösse gegen die Bauvorschriften geklärt werden. (...)

3. Die Aufsichtsbeschwerde kann als gegenstandslos abgeschrieben werden, nachdem der Gemeinderat im Aufsichtsbeschwerdeverfahren dem Begehren des Anzeigers nach der Durchführung eines nachträglichen Bewilligungsverfahrens für den nicht gemäss den bewilligten Plänen erstellten Bewirtschaftungsweg nachgekommen ist. Offen ist nur noch die Frage, ob der Gemeinderat gegen die fehlbaren Bauherren eine Strafanzeige hätte einreichen müssen.

4. Gemäss der Anzeigepflicht von § 93 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation der Zivil- und Strafrechtspflege vom 26. August 2010 (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG; BGS 161.1) müssen alle kantonalen und gemeindlichen Behördenmitglieder und Angestellte strafbare Handlungen, die von Amtes wegen verfolgt werden und die in Ausübung ihrer behördlichen, amtlichen oder beruflichen Tätigkeit bekannt werden, der Polizei oder Staatsanwaltschaft mit allen sachdienlichen Angaben anzeigen. Nach § 70 Abs. 1 PBG wird mit Busse bis Fr. 100'000.– bestraft, wer gegen das PBG und seinen Ausführungsbestimmungen zuwider handelt, insbesondere wer Bauten und Anlagen ohne Bauanzeige oder ohne Bewilligung, bzw. unter Verletzung einer solchen erstellt. Der von den beiden Bauherren ausgeführte Bewirtschaftungsweg mit einem Asphaltbelag entspricht nicht den Auflagen der kantonalen Zustimmung und der gemeindlichen Baubewilligung. Denn das von den beiden Bauherren im Mai 2011 eingereichte Baugesuch sieht vor, dass ein Kiesweg erstellt wird. Das Baugesuch wurde unter dieser Auflage bewilligt und in der Folge jedoch von den beiden Bauherren anders ausgeführt. (...) Die Bauherrschaft gelangte nie mit einer Anfrage an die Gemeinde X. oder an das Amt für Raumplanung, ob der Weg anstatt mit Kies auch mit Recyclingmaterial wie Asphaltgranulat und einer Deckschicht aus Asphalt ausgeführt werden dürfe. Der Einsatz von Asphaltgranulat auf Feldwegen ist gemäss einem Merkblatt des Amts für Umweltschutz des Kantons Zug «Einsatz von Asphaltgranulat auf Wald, Feld- und Wanderwegen» grundsätzlich nicht zulässig. Nur unter Einhaltung strenger Auflagen ist dies ausnahmsweise möglich. (...) Es steht eindeutig fest, dass der ausgeführte Bewirtschaftungsweg mit einem Asphaltbelag nicht der kantonalen Zustimmung und der gemeindlichen Baubewilligung entspricht. Die Abweichung vom bewilligten Zustand ist in raumplanerischer Hinsicht erheblich und die beiden Bauherren haben gegen klare Auflagen in der kantonalen Zustimmung des Amts für Raumplanung und in der gemeindlichen Baubewilligung verstossen und damit liegt auch ein Verstoss gegen die Strafnorm von § 70 PBG vor.

5. Von einer Strafanzeige kann aufgrund des Opportunitätsprinzips abgesehen werden, wenn es sich einerseits um eine Übertretung handelt und anderseits im Falle einer Verurteilung von einer Strafe Umgang zu nehmen oder abzusehen wäre (§ 93 Abs. 2 GOG). Hierfür bedarf es jedoch der Zustimmung der vorgesetzten Stelle. Bei § 70 PBG wird als Strafe eine Busse angedroht, womit es sich bei Widerhandlungen gegen das PBG um Übertretungen gemäss Art. 103 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) handelt. Somit gilt es noch zu prüfen, ob im Falle einer Verurteilung von einer Strafe abgesehen würde. Die Organe der Strafrechtspflege können nach Art. 52 StGB von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung absehen, wenn sowohl die Schuld als auch die Tatfolgen geringfügig sind. Diese Voraussetzungen sind dann erfüllt, wenn im Sinne eines Bagatelldelikts kumulativ sowohl die Schuld wie auch die Tatfolgen gering sind. Die Schuld bemisst sich nach Art. 47 StGB und bei der Beurteilung der Geringfügigkeit sind die Gesamtumstände, verglichen mit dem Regelfall des Delikts zu berücksichtigen. Die Bauherrschaft hat in den letzten Jahren schon wiederholt, in vollem Wissen um die Unrechtmässigkeit und somit vorsätzlich gegen Bestimmungen des PBG verstossen. In Anbetracht der gesamten Umstände kann dabei nicht mehr von einem geringfügigen Verschulden, welches für eine Strafbefreiung notwendig ist, gesprochen werden. Abschliessend ist an dieser Stelle festzuhalten, dass unter den genannten Umständen von einer Strafanzeige nicht abgesehen werden darf. Da der Gemeinderat X., wie aus der Stellungnahme vom 3. Dezember 2013 zur Aufsichtsbeschwerde hervorgeht, gegen die beiden Bauherren keine Strafanzeige eingereicht hat, hat er die Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG missachtet.

6. Stellt die Aufsichtsbeschwerde einen Missstand in der Gemeindeverwaltung oder eine Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben fest, kann der Regierungsrat den Gemeinderat u.a. mahnen, Abhilfe zu schaffen (§ 37 und § 37a des Gesetzes über die Organisation und die Verwaltung der Gemeinden [Gemeindegesetz; GG; BGS 171.1] vom 4. September 1980). Nach gefestigter Praxis und herrschender Auffassung ist unter «Missstand» bzw. «Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben» i.S.v. § 37 GG die Verletzung von klarem materiellem Recht, die Missachtung wesentlicher Verfahrensgrundsätze oder die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen zu verstehen (vgl. RRB vom 20. Oktober 1998, in: GVP 97/98, S. 265 f.; RRB vom 8. September 1992, in: GVP 91/92, S. 260; RRB vom 5. November 1991, in: GVP 91/92, S. 275). Klares Recht wird erst dann verletzt, wenn eine Rechtsanwendung schlechterdings unhaltbar bzw. direkt unvertretbar ist. Umgekehrt wird klares Recht nicht verletzt, wenn eine Rechtsauffassung diskutabel ist, also dann, wenn eine Rechtsnorm eine Interessensabwägung verlangt oder ein weitgehendes Ermessen einräumt. Bezüglich der Voraussetzungen, die für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten gegen eine Gemeinde erfüllt sein müssen, gilt es zu beachten, dass gemäss Praxis des Regierungsrats des Kantons Zug ein «Missstand» oder «eine Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben» erst bei unhaltbaren Zuständen vorliegt. Das Gesetz sieht für die Anordnung aufsichtsrechtlicher Massnahmen strenge Voraussetzungen vor. Es will derartige Massnahmen bei jedwelchem Fehlverhalten ausschliessen und sieht diese nur bei qualifiziert fehlerhaftem Verhalten vor. Der Regierungsrat legt daher bei der Ergreifung eines aufsichtsrechtlichen Mittels praxisgemäss eine gewisse Zurückhaltung an den Tag.

7. Wie unter Ziffer 5 der Erwägungen ausgeführt, ist der Gemeinderat X. im konkreten Fall seiner Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG nicht nachgekommen. Der Regierungsrat hat schon bei der Beurteilung einer früheren Aufsichtsbeschwerde des Anzeigers gegen den Gemeinderat X. und die Bauherrschaft festgestellt, dass der Gemeinderat die Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG missachtet hat (...) Das Verhalten des Gemeinderats lässt darauf schliessen, dass dieser, aus welchen Gründen auch immer, der Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG gegen die beiden Bauherren nicht nachkommen will. So ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass die beiden Bauherren schon zum wiederholten Mal gegen die Bauvorschriften verstossen haben. Im Oktober 2014 hat die Baudirektion erneut davon Kenntnis erhalten, dass die beiden Bauherren schon wieder einen Bewirtschaftungsweg ohne Baubewilligung erstellt haben. Es ist an der Zeit, dass der Gemeinderat X. gegen die illegale Bautätigkeit der beiden Bauherren nun konsequent vorgeht und die Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG wahrnimmt. Da der Gemeinderat X. diese Anzeigepflicht schon mehrmals missachtet hat, sind die Voraussetzungen von § 37 Abs. 1 und § 37a GG erfüllt und der Gemeinderat ist förmlich zu ermahnen, dass er seiner Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG nachkommen muss, falls die beiden Bauherren weiterhin gegen die Bauvorschriften verstossen sollten. (...)

Regierungsrat, 9. Dezember 2014

Weitere Informationen

Fusszeile

Deutsch