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Art. 8 Abs. 1 lit. b BGFA, Art. 9 BGFA
Art. 12 lit. i BGFA

Art. 12 lit. a BGFA

Regeste:

Der Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten darf das Recht auf freien Kontakt nicht dazu missbrauchen, unerlaubte Gegenstände oder sog. Kassiber an der Postkontrolle vorbeizuschmuggeln. Der Anwalt, der sein Sekretariat mit der Zustellung eines Pakets mit einem nicht unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses stehenden Inhalt an einen inhaftierten Mandanten beauftragt, hat dafür besorgt zu sein, dass das Paket nicht unerlaubterweise als Anwaltspost versandt wird. Andernfalls verstösst er gegen Art. 12 lit. a BGFA.

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss Art. 12 lit. a BGFA haben Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Diese Berufsregel beschlägt nicht nur die Beziehung zwischen Anwalt und Klient, sondern insbesondere auch das Verhalten des Anwalts gegenüber den staatlichen Behörden (vgl. BGE 130 II 270 E. 3.2; Urteil des Bundesgerichts 2C_620/2016 vom 30. November 2016 E. 2.1).

2. Der Verzeigte ist amtlicher Verteidiger von G.G., der sich Ende August 2017 in der Strafanstalt Zug im vorzeitigen Strafvollzug befand und mittlerweile nach Thorberg versetzt wurde (vgl. act. 4 S. 2).

2.1 Die Verteidigung ist in den Schranken des Gesetzes und der Standesregeln allein den Interessen der beschuldigten Person verpflichtet (Art. 128 StPO). Sie kann mit der inhaftierten Person frei und ohne inhaltliche Kontrolle verkehren (Art. 235 Abs. 4 StPO). Dieses Recht ergibt sich ebenso aus Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. b und c EMRK. Das Verbot der inhaltlichen Kontrolle gewährleistet den unbeaufsichtigten Kontakt zwischen der Verteidigung und der beschuldigten Person; Gespräche, Korrespondenz und Telefonate dürfen somit inhaltlich nicht überwacht werden (vgl. Härri, Basler Kommentar, 2. A. 2014, Art. 235 StPO N 52 und 54 m.H.). Auf der anderen Seite darf die Verteidigung das Recht auf freien Kontakt nicht dazu missbrauchen, unerlaubte Gegenstände oder sog. Kassiber, d.h. Nachrichten des Beschuldigten an Dritte (Komplizen oder Angehörige) oder von Dritten an den Beschuldigten, an der Postkontrolle vorbeizuschmuggeln (vgl. Thommen, Basler Kommentar, 2. A. 2014, Art. 3 StPO N 85; Thormann/Brechbühl, Basler Kommentar, 2. A. 2014, Art. 248 StPO N 52). Mit einem solchen Verhalten verstossen Rechtsanwälte gegen das gesetzliche Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 3 Abs. 2 lit. b StPO) und verletzen zugleich ihre berufliche Sorgfaltspflicht. Sie gefährden dadurch mitunter den Untersuchungszweck und setzen sich dem Vorwurf der Begünstigung (Art. 305 StGB) aus; sie nutzen die Vertrauensstellung, die sie innerhalb der Rechtspflege geniessen, aus und riskieren, dass der freie Verkehr zwischen Verteidiger und Mandanten eingeschränkt werden könnte (vgl. Brunner/Henn/Kriesi, Anwaltsrecht, 2015, S. 113 m.H.).

2.2 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Verzeigte ein Paket mit Waren, die sein Mandat G.G. beim Versandhaus […] bestellt hatte und der Kanzlei X. zugestellt worden waren, zu Handen von G.G. an die Strafanstalt Zug weiterleitete. Ebenso unbestritten ist, dass das Paket u.a. unerlaubte Speicherkarten enthielt und die Adresse mit dem Vermerk «Anwaltspost» gekennzeichnet war (act. 1/1). Gleichzeitig steht aber auch fest, dass sich der Verzeigte vor dem Versand des Pakets bei der Strafanstalt telefonisch über die Zustellung von Waren an seinen Mandanten erkundigt hatte, worauf ihm mitgeteilt wurde, dass dies ausschliesslich auf postalischem Weg erfolgen könne (vgl. act. 2 und act. 4 S. 3 f.). Demnach war das Handeln des Verzeigten, der offenbar nichts falsch machen wollte, durchaus transparent. Im Weiteren ist nach der übereinstimmenden Darstellung des Anzeigeerstatters und des Verzeigten davon auszugehen, dass Y., eine Sekretärin der Kanzlei X., für die der Verzeigte tätig ist, das Paket adressierte und bei der Post aufgab (vgl. act. 1 S. 1 und act. 4 S. 4). Unter diesen Umständen ist ohne Weiteres anzunehmen, dass der Verzeigte nicht die Absicht hatte, seine Vertrauensstellung als Verteidiger von G.G. zu missbrauchen und diesem unter Umgehung der Postkontrolle unerlaubte Gegenstände zukommen lassen. Insofern ist eine Verletzung von Berufungspflichten zu verneinen.

2.3 In der Stellungnahme vom 27. September 2017 bringt der Verzeigte sodann vor, er habe das geöffnete Paket des Versandhauses in der Kanzlei an Y. übergeben und ihr mitgeteilt, dass das Paket an G.G. in die Strafanstalt weitergeleitet werden müsse. Eine weitergehende Kontrolle des Postversandes habe er nicht vorgenommen, da kein Begleitbrief an G.G. angefertigt worden sei und Y. eine äusserst pflichtbewusste Anwaltssekretärin mit langjähriger Erfahrung sei. Ausserdem habe es sich bei der «mit ihr abgesprochenen Versandhaus-Lieferung» offensichtlich nicht um «Anwaltspost» gehandelt. Wie nun der Verzeigung zu entnehmen sei, habe Y. bei der Adressierung des Pakets handschriftlich den Vermerk «Anwaltspost» angebracht. Zweifellos wäre es «optimal"» gewesen, wenn er (der Verzeigte) das Paket nach dem erneuten Verschliessen und der Adressierung durch Y. nochmals kontrolliert und sodann den Vermerk «Anwaltspost» gestrichen hätte. Unter den gegebenen Umständen könne die «Unterlassung der Adresskontrolle vor dem Paketversand» indessen nicht als Sorgfaltspflichtverletzung qualifiziert werden (act. 4 S. 4 und 6).

Dieser Auffassung des Verzeigten kann nicht gefolgt werden. Wenn er über die Art der Zustellung des Paktes schon selber unsicher war und er sich daher eigens bei der Strafanstalt danach erkundigte, durfte er nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass seine Sekretärin das Paket in jedem Fall richtig – d.h. ohne den Vermerk «Anwaltspost» – adressieren würde. Vielmehr hätte er sie entsprechend instruieren oder die Adresse des Pakets vor dem Versand noch kontrollieren müssen; offenkundig vermögen auch pflichtbewusste und erfahrene Sekretärinnen und Sekretäre Anwältinnen und Anwälte nicht davon zu entbinden, die diesen obliegenden beruflichen Sorgfaltspflichten zu beachten. Der Verzeigte muss sich daher anrechnen lassen, dass das Paket unzulässigerweise mit dem Vermerk «Anwaltspost» an die Strafanstalt verschickt wurde.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, 5. Dezember 2017 (AK 2017 9)

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