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Art. 43 StGB

Regeste:

Voraussetzungen für eine teilbedingte Freiheitsstrafe von über zwei Jahren

Aus den Erwägungen:

[…]

5.1 Für  Freiheitsstrafen von über zwei Jahren bis zu drei Jahren, die mithin über der Grenze für bedingte Strafen liegen, sieht Art. 43 StGB einen eigenständigen Anwendungsbereich vor. An die Stelle des vollbedingten Strafvollzugs, der hier ausgeschlossen ist (Art. 42 Abs. 1 StGB), tritt der teilbedingte Vollzug, wenn die subjektiven Voraussetzungen dafür gegeben sind. Grundvoraussetzung für die teilbedingte Strafe ist somit eine begründete Aussicht auf Bewährung bzw. der Ausschluss einer ungünstigen Prognose, wobei die Kriterien denjenigen von
Art. 42 StGB entsprechen (BGE 134 IV 1 E. 5.3.1).

Der unbedingt vollziehbare Teil der Freiheitsstrafe muss mindestens sechs Monate betragen, darf aber die Hälfte der Strafe nicht übersteigen (Art. 43 Abs. 2 und 3 StGB). Innerhalb des gesetzlichen Rahmens liegt die Festsetzung im pflichtgemässen Ermessen des Gerichts. Der unbedingte Strafteil darf dabei das unter Verschuldensgesichtspunkten (Art. 47 StGB) gebotene Mass nicht unterschreiten (BGE 134 IV 1 E. 5.6).

Schiebt das Gericht den Vollzug einer Strafe ganz oder teilweise auf, so bestimmt es dem Verurteilten eine Probezeit von zwei bis fünf Jahren (Art. 44 Abs. 1 StGB).

5.2 Die Vorinstanz führte aus, gemäss Gutachten bestehe beim Beschuldigten eine Wahrscheinlichkeit bezüglich einer sexuell motivierten Straftat von 26% nach fünf Jahren und von 31% nach zehn Jahren; dies entspreche einem durchschnittlichen bis hohen Rückfallrisiko. Zufolge dieser Rückfallgefahr müsse dem Beschuldigten eine schlechte Prognose für künftiges Verhalten gestellt bzw. könne diesem der teilbedingte Vollzug für die Freiheitsstrafe nicht gewährt werden.

5.3 In seinem Ergänzungsgutachten vom […] 2017 räumte Dr.med. X. ein, er müsse zu seinem Gutachten vom […] 2014 bemerken, dass zum Zeitpunkt seiner Begutachtung die inkriminierten Straftaten schon vier Jahre zurückgelegen seien, ohne dass es zu erneuten Straftaten gekommen sei. Dementsprechend hätte das Rückfallrisiko schon damals nur noch 8 % nach fünf bzw. 13.7 % nach zehn Jahren betragen. Die entsprechenden Zahlen für eine «Time at Risk» nach acht Jahren wären 7.6 % bzw. 13.1 % [nach zehn Jahren]. Damit wäre der Beschuldigte in der Gruppe niedriges bis durchschnittliches Rückfallrisiko bei keiner «Time at Risk» einzustufen.

5.4 Dem Anhang zum Gutachten vom […] 2014 ist zu entnehmen, dass Dr.med. X. bei der Analyse anhand des aktuarischen Prognoseinstruments «Static-99» in «Item Nr. 2» davon ausging, der Beschuldigte lebe nicht in einer mindestens zwei Jahre andauernden partnerschaftlichen Beziehung. Dies führte dazu, dass dem Beschuldigten ein entsprechender Risikopunkt vergeben wurde, sodass er gesamthaft vier statt drei Risikopunkte erzielte. Dabei ist dem Prognoseinstrument «Static-99» zu entnehmen, dass die Rückfallgefahr eines Täters mit der Anzahl der Risikopunkte steigt.

Der Beschuldigte macht hierzu geltend, er pflege «seit mehreren Jahren eine Beziehung mit Y.» und lebe mit dieser zusammen. Dies wird insoweit von den Eltern von Y. bestätigt, als sie in einer Eingabe vom […] 2017 sinngemäss ausführten, ihre Tochter führe seit mindestens Ende 2013 eine Beziehung zum Beschuldigten. Dass diese Beziehung nach wie vor Bestand hat, geht sodann aus einem (undatierten) Schreiben von Y. an die amtliche Verteidigung und insbesondere aus dem Familienausweis des Beschuldigten hervor, gemäss welchem er und Y. am […] 2018 geheiratet haben und sie am […] Eltern einer gemeinsamen Tochter geworden sind. Dies führt dazu, dass dem Beschuldigten ein Risikopunkt abzuziehen ist, sodass er gesamthaft drei statt vier Risikopunkte erzielt.

Vor diesem Hintergrund ist das Rückfallrisiko als eher «niedrig» im Sinne des Gutachtens einzustufen. Zudem ist davon auszugehen, dass dem Beschuldigten das lange Strafverfahren und die Untersuchungshaft die volle Tragweite seines Handelns aufgezeigt haben. Eine klar ungünstige Prognose kann daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz, die sich – wie sich mittlerweile ergeben hat – unbewusst auf ein fehlerhaftes Gutachten abstützte, nicht mehr angenommen werden.

5.5 Obwohl keine ungünstige Prognose besteht, wäre eine Begrenzung des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe auf das gesetzliche Minimum von sechs Monaten unter Verschuldensgesichtspunkten (namentlich bei den Delikten zum Nachteil von Z.) nicht zu rechtfertigen. Andererseits erscheint es angesichts der Tatsache, dass der Beschuldigte erwerbstätig ist und er vor kurzem geheiratet hat sowie Vater einer Tochter geworden ist, für welche er finanziell zu sorgen hat, gerechtfertigt, den vollziehbaren Teil so zu bemessen, dass ein Vollzug der Strafe in Halbgefangenschaft (Art. 77b StGB) möglich ist. Demnach ist der unbedingt vollziehbare Teil der Freiheitsstrafe auf 12 Monate und der aufgeschobene Teil auf 16 Monate festzusetzen. Um der nach wie vor bestehenden – wenn auch nur niedrigen – Rückfallgefahr Rechnung zu tragen, ist die Probezeit auf drei Jahre festzulegen.

Das bedeutet, dass der Beschuldigte die Freiheitsstrafe im Umfang von 16 Monaten vorerst nicht verbüssen muss; bewährt er sich bis zum Ablauf der dreijährigen Probezeit, wird dieser Teil der Strafe definitiv nicht mehr vollzogen (Art. 45 StGB). Im Sinne von Art. 44 Abs. 3 StGB wird der Beschuldigte aber ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass der aufgeschobene Teil der Freiheitsstrafe widerrufen werden kann, d.h. nachträglich zu verbüssen ist, wenn er während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen begeht (Folgen der Nichtbewährung gemäss Art. 46 StGB).

[…]

Obergericht, Strafabteilung, Urteil vom 2. März 2018 (S 2017 9)

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