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Legitimation Dritter

Regeste:

Art. 419, 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB – Legitimation nahestehender Personen zur Anrufung der KESB bzw. zur Beschwerde im Interesse der verbeiständeten Person.

Nahestehend im Sinne der genannten Bestimmungen sind Personen, die in einem Näheverhältnis zur verbeiständeten Person stehen, das so beschaffen ist, dass es als wahrscheinlich erscheint, dass sie deren Interessen kennen und wahrnehmen. Daran gebricht es, wenn grundsätzliche Interessenkonflikte bestehen über Fragen, die unter die angefochtenen Massnahmen fallen. Eigene, persönliche Interessen können in jedem Fall – auch durch grundsätzlich nahestehende Personen – nur geltend gemacht werden, wenn sie rechtlich geschützt sind (E. 3.1).

In concreto: Interessenkonflikt zwischen Nachkomme und betagten Eltern bejaht; Näheverhältnis offen gelassen (E. 3.2).

Aus dem Sachverhalt:

A. Mit Schreiben vom 26. November 2020 wandte sich A. an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Kantons Zug (KESB) und beantragte gestützt auf Art. 419 ZGB im Wesentlichen, dass alle Handlungen der Beiständin ihrer Eltern (C. und D.; im Folgenden auch «Ehepaar CD.» genannt) im Zusammenhang mit dem Verkauf der elterlichen Liegenschaft F. sofort gestoppt würden. Dem gab die KESB mit den Entscheiden Nr. 2021/1437 (betr. C.) und Nr. 2021/1459 (betr. D.), beide datierend vom 29. September 2021, keine Folge.

B. Dagegen erhob A. am 28. Oktober 2021 Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Aus den Erwägungen:

3. Zu prüfen ist als weitere Eintretensvoraussetzung vorab die Beschwerdelegitimation von A.. Diese macht geltend, sie sei als Tochter des verbeiständeten Ehepaars ohne Weiteres zur Beschwerde legitimiert und überdies auch Partei im Vorverfahren gewesen.

3.1 Art. 419 ZGB sieht vor, dass gegen Handlungen oder Unterlassungen des Beistands oder der Beiständin sowie einer Drittperson oder Stelle, der die Erwachsenenschutzbehörde einen Auftrag erteilt hat, die betroffene Person sowie ihr nahestehende Personen und jede Person, die ein rechtlich geschütztes Interesse hat, die Erwachsenenschutzbehörde anrufen kann. Rechtsprechungsgemäss sind nahestehende Personen grundsätzlich beschwerdeberechtigt, soweit sie Interessen der verbeiständeten Person geltend machen. Soweit sie indes eigene, persönliche Interessen geltend machen, ist die Beschwerde nur zulässig, wenn diese rechtlich geschützt sind (vgl. etwa Daniel Rosch, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl. 2018, Art. 419 N 6, mit Hinweisen). Gleich verhält es sich gemäss Art. 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB im anschliessenden Beschwerdeverfahren (vgl. etwa BGer 5A_721/2019 vom 8. Mai 2020 E. 2.3.1). Rechtsprechungsgemäss gilt als «nahestehend» im Sinne der genannten Bestimmungen nicht ohne Weiteres jede nahe verwandte Person. Gemeint sind vielmehr Personen, die in einem Näheverhältnis zu den Verbeiständeten stehen, das so beschaffen ist, dass es als wahrscheinlich erscheint, dass sie die Interessen der betroffenen Person(en) kennen und diese wahrnehmen. An dieser Eignung fehlt es explizit, wenn zwischen der betroffenen und der ihr allenfalls nahestehenden Person grundsätzliche Interessenkonflikte bestehen über Fragen, die unter die angefochtenen Massnahmen fallen (BGer 5A_322/2019 vom 8. Juli 2020 E. 2.3.3; 5A_112/2015 vom 7. Dezember 2015 E. 2.5.2.2; Droese/Steck, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, a.a.O., Art. 450 N 35). Diesfalls besteht eine Beschwerdelegitimation nur, wenn eigene, rechtlich geschützte Interessen geltend gemacht werden, die mit der angefochtenen Massnahme direkt zusammenhängen bzw. geschützt werden sollen (etwa: BGer 5A_721/2019, a.a.O., E. 2.3.2; 5A_422/2020 vom 25. November 2020 E. 1.4.4).

3.2        

3.2.1 Festzustellen ist zunächst, dass die – jedenfalls im Vorverfahren sowie bei der Beschwerdenerhebung anwaltlich vertretene – Beschwerdeführerin nicht näher ausführt, inwiefern sie überhaupt nahestehende Person im soeben dargelegten Sinne ist, was glaubhaft zu machen wäre (vgl. etwa BGer 5A_663/2013 vom 5. November 2013 E. 3.2). Dass sie die Tochter der Verbeiständeten ist, reicht für sich allein nicht aus. Weder den Akten noch den eigenen Ausführungen der Beschwerdeführerin lassen sich Hinweise auf deren fortgesetzten Kontakt mit ihren betagten Eltern entnehmen. Wie es sich damit verhält, kann indes angesichts dessen offen bleiben, dass zwischen ihr und ihren Eltern offensichtlich ein Interessenkonflikt besteht:

3.2.2 Die Beschwerdeführerin macht primär eigene Interessen daran geltend, dass das Mehrfamilienhaus ihrer Eltern im Familienbesitz verbleiben soll. Insbesondere befürchtet sie, im Verkaufsfall die bis anhin von ihr gratis genutzte Wohnung verlassen sowie eine Schmälerung ihrer Erbschaft in Kauf nehmen zu müssen. Hierbei handelt es sich offensichtlich nicht um rechtlich geschützte Interessen, so dass darauf nicht weiter einzugehen ist. Soweit sie sodann geltend macht, ein Verkauf der Immobilie widerspreche dem Interesse ihrer Eltern, legt sie weder dar noch ist ersichtlich, inwiefern dies der Fall sein soll. Hinzuweisen ist diesbezüglich darauf, dass ihre Eltern gegen die vorliegend angefochtenen, sie betreffenden, Entscheide der KESB vom 29. September 2021 offenbar keine Einwände angebracht haben. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich denn auch im Wesentlichen auf die – nicht weiter substanziierte – Behauptung, es sei der Wunsch ihrer Eltern gewesen, dass die Liegenschaft an sie übergehe. Weiter wirft sie der Beiständin etwa vor, sie hätte «die Ausgaben des Ehepaars CD. tief» halten müssen um dies zu ermöglichen, statt einen Verkauf der Liegenschaft anzustreben. Daraus erhellt in aller wünschenswerten Klarheit, dass ein Interessenkonflikt zu ihren betagten Eltern besteht und die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorgehen letztlich einzig ihre eigenen Interessen durchzusetzen trachtet. Dies findet nach dem in E. 3.1 vorstehend Ausgeführten keinen Rechtsschutz und verschafft insbesondere keine Aktivlegitimation im Sinne der Art. 419 oder 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB.

3.2.3 Zu keinem anderen Ergebnis führen die Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Beiständin ihrer Eltern einen Verkauf der Liegenschaft ohne Not eingeleitet haben soll, obwohl das Besitzstandsinventar einen Aktivenüberschuss gezeigt habe. Auch damit macht sie nicht ein Interesse ihrer Eltern am Erhalt der Liegenschaft in deren Vermögen geltend. Im Gegenteil tritt hier erneut der bereits angesprochene Interessenkonflikt zutage: Es ist grundsätzlich von keiner Seite bestritten, dass das Vermögen des Ehepaars CD. einen Aktivenüberschuss aufweist. Die Notwendigkeit des Verkaufs der strittigen Liegenschaft begründete die Beiständin jedoch seit jeher mit dem akuten Liquiditätsmangel, der aktenkundig bereits vor Errichtung der Beistandschaften für das Ehepaar CD. bestand, bestehen doch Schulden in Höhe von insgesamt ca. Fr. 100'000.– bei Familienangehörigen des Ehemannes, die zwischenzeitlich in Betreibung gesetzt wurden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin besteht bei dieser Ausgangslage gerade angesichts des vorhandenen (aber nicht liquiden) Aktivums die Aufgabe der Beiständin nicht darin, die Verbeiständeten zum Schutz des Erbes ihrer Tochter bzw. deren kostenloser Wohngelegenheit finanziell «an der möglichst kurzen Leine» zu halten oder sich auf Geschäfte einzulassen, die den Liquiditätsengpass höchstens kurzfristig zu beheben vermöchten (so etwa: Verkauf einer Wohneinheit im Stockwerkeigentum, wobei aktenkundig innert absehbarer Zeit grössere Sanierungskosten zu tragen wären).

3.2.4 Angesichts des Ausgeführten war bzw. ist die Beschwerdeführerin weder zur Anrufung der Erwachsenenschutzbehörde gestützt auf Art. 419 ZGB noch zur Beschwerde gemäss Art. 450 Abs. 2 ZGB befugt. Mangels Aktivlegitimation zur Anrufung der KESB nach Art. 419 ZGB war ihre entsprechende Eingabe von der Vorinstanz als allgemeine Aufsichtsbeschwerde zu werten, und kam der Beschwerdeführerin demnach im vorin­stanzlichen Verfahren nicht die Stellung einer Verfahrensbeteiligten zu (Art. 450 Abs. 2 Ziff. 1). Wie vorstehend ausgeführt, kommt ihr sodann im Beschwerdeverfahren weder als nahestehender Person (Art. 450 Abs. 2 Ziff. 2) noch aus eigenem, rechtlich geschütztem Interesse (Art. 450 Abs. 2 Ziff. 3) Beschwerdelegitimation zu.

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. April 2022 F 2021 46

Das Urteil ist rechtskräftig.

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