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Art. 28 Abs. 2 ATSG, Art. 32 ATSG, Art. 33 ATSG

Regeste:

Art. 28 Abs. 2 ATSG, Art. 32 ATSG, Art. 33 ATSG – Der Beizug eines Abklärungsberichts Haushalt aus dem IV-Dossier der Ehefrau im IV-Verfahren des Ehemannes ist zulässig, soweit darin allenfalls enthaltene, besonders schützenswerte Gesundheitsdaten über die Ehefrau unkenntlich gemacht werden. Was die häuslichen Verhältnisse angeht, sind Hausgenossen keine Dritten, sondern Personen, denen die Einschränkungen im Haushalt zwangsläufig bereits bekannt sind, weshalb die in Art. 33 ATSG statuierte Schweigepflicht nicht greift. Ein Beizug rechtfertigt sich umso mehr, als den Leistungsansprecher nach Art. 28 Abs. 2 ATSG eine Auskunftspflicht trifft und Art. 32 ATSG eine gegenseitige Datenübermittlung selbst zwischen den Organen verschiedener Sozialversicherungen erlaubt. Erst recht muss es demnach der IV-Stelle gestattet sein, bereits bei ihr vorhandene und bekannte Unterlagen zu berücksichtigen (E. 3.2.3).

Aus dem Sachverhalt:

Der 1972 geborene A., zuletzt als Apparatemonteur tätig, meldete sich im April 2018 unter Verweis auf Beschwerden nach einer Knieoperation links bei der Invalidenversicherung zur Früherfassung an. Im Erstgespräch stellte sich heraus, dass sich der Versicherte zudem in psychiatrischer Behandlung befand und sein Arbeitsplatz per 30. November 2018 gekündigt war. Im Juli 2018 meldete er sich zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Zug traf daraufhin erwerbliche und medizinische Abklärungen, sie konsultierte insbesondere den RAD und holte ein psychiatrisches Gutachten ein. Mit Verfügung vom 29. September 2020 wies die IV-Stelle das Leistungsersuchen ab. Hiergegen erhob A. Beschwerde. Er beantragte die Aufhebung der Verfügung der IV-Stelle vom 29. September 2020 und die Zusprache einer Rente, eventualiter die Einholung eines unabhängigen Gerichtsgutachtens in den Fachbereichen Psychiatrie und Orthopädie. Die IV-Stelle beantragte mit Vernehmlassung vom 8. Januar 2021 die Abweisung der Beschwerde und reichte einen Abklärungsbericht Haushalt vom 19. Februar 2019 bezüglich der Ehefrau des Versicherten zu den Akten. Mit Replik vom 21. Januar 2021 verlangte der Beschwerdeführer, es sei eine Datenschutzverletzung festzustellen und der Abklärungsbericht Haushalt vom 19. Februar 2019 aus dem Recht zu weisen. Die IV-Stelle hielt duplicando an ihrem Antrag auf Abweisung fest.

Aus den Erwägungen:

(…)

 3.

3.1 Strittig ist, ob die IV-Stelle zu Recht den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente verneint hat. Vorab ist dabei zu prüfen, ob der von der IV-Stelle eingelegte Abklärungsbericht Haushalt vom 19. Februar 2019 bezüglich der Ehefrau des Beschwerdeführers im vorliegenden Verfahren berücksichtigt werden darf.

3.2

3.2.1 Mit Replik vom 21. Januar 2021 stellt der Beschwerdeführer den Verfahrensantrag, es sei der Abklärungsbericht Haushalt vom 19. Februar 2019 bezüglich seiner Ehefrau aus den Prozessakten sowie den Akten der IV-Stelle zu entfernen. Er macht geltend, dieser Bericht enthalte besonders schützenswerte Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. c des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG; SR 235.1), gebe Einblick in die funktionellen Einschränkungen seiner Ehefrau und das Familienleben, lege die Daten der Töchter offen und gebe auch weltanschauliche Ansichten preis. Ein Rechtfertigungsgrund nach Art. 13 DSG sei nicht erkennbar; Art. 66a IVG bilde zur Offenlegung keine Grundlage und es liege somit ein Verstoss gegen die Schweigepflicht nach Art. 33 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; 830.1) vor.

3.2.2 Dem setzt die IV-Stelle mit Duplik vom 8. März 2021 entgegen, Art. 32 ATSG erlaube unter den verschiedenen Versicherungsträgern den raschen Austausch der Daten, die im Einzelfall erforderlich sind für die Festsetzung von Leistungen. Der Beschwerdeführer habe sowohl gegenüber den behandelnden Ärzten als auch gegenüber dem psychiatrischen Gutachter den Rentenbezug seiner Ehefrau erwähnt. Der sie betreffende Abklärungsbericht Haushalt beinhalte Daten, die auch für die Prüfung seines Leistungsanspruchs erforderlich seien. Entsprechend habe er – auch ohne Zustimmung der Ehefrau – beigezogen werden dürfen (Art. 50a Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVG; SR 831.10] i.V.m. Art. 66a Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [IVG; SR 831.20]). Im Übrigen seien dem Bericht keine besonders schützenswerten Personendaten zu entnehmen, die der Versicherte nicht bereits selbst im eigenen Rentenverfahren preisgegeben hätte. Eine Verletzung des Datenschutzes oder ein Verstoss gegen die Schweigepflicht nach Art. 33 ATSG lägen nicht vor; der Bericht sei nicht aus dem Recht zu weisen.

3.2.3    Die in Art. 33 ATSG statuierte Schweigepflicht schützt die Versicherten gegen eine Bekanntgabe ihrer sensiblen (Gesundheits-)Daten an Dritte. Mit Blick auf Akteneinsichtsrechte der versicherten Person in ihr eigenes Dossier (Art. 47 Abs. 1 lit. a ATSG) erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Schweigepflicht auch innerhalb ein und desselben Versicherungsträgers gelten soll (vgl. Ueli Kieser, Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ATSG, 4. Aufl. 2020, Art. 33 ATSG N 25 ff.). Hier geht es indes nicht etwa um einen Beizug psychiatrischer Berichte oder Gutachten betreffend die Ehefrau im Verfahren betreffend den Ehemann, sondern um den Beizug eines Abklärungsberichts Haushalt. Was die häuslichen Verhältnisse angeht, sind die Hausgenossen einer versicherten Person keine Dritten, sondern Personen, denen die Einschränkungen im Haushalt zwangsläufig bereits bekannt sind. Insofern besteht zum vornherein kein schützenswertes Interesse der Ehefrau daran, dass der Abklärungsbericht Haushalt vom 19. Februar 2019 im Abklärungsdossier ihres Ehemannes nicht beigezogen werde, zumal das mit Blick auf den Persönlichkeits- und Datenschutz sensible Kapitel dieses Berichts «1. Gesundheitszustand / Beginn, Verlauf und Ausmass der Beschwerden» von der IV-Stelle korrekt abgedeckt und mithin dem Ehemann gerade nicht zur Kenntnis gebracht wurde.

Der Beizug des bereits bei der IV-Stelle vorhandenen Abklärungsberichts Haushalt vom 19. Februar 2019 im Dossier des Beschwerdeführers rechtfertigte sich umso mehr, als dieser grundsätzlich als Leistungsansprecher alle Auskünfte zu erteilen hatte, die zur Abklärung seines Anspruchs notwendig waren (Art. 28 Abs. 2 ATSG). Der IV-Stelle durfte es dabei ihrerseits nicht verwehrt sein, bereits vorhandene Unterlagen beizuziehen, mithilfe derer sich die Auskünfte des Beschwerdeführers verifizieren liessen. Dies erschliesst sich zumindest implizit aus Art. 32 ATSG, der eine gegenseitige Datenübermittlung im Sinne der Verwaltungshilfe selbst unter Organen verschiedener Sozialversicherungen erlaubt (seit dem 1. Januar 2022 gemäss Art. 32 Abs. 2bis ATSG auch spontan, was vorliegend nicht von Bedeutung ist). Umso mehr muss der Beizug innerhalb ein und derselben Sozialversicherung zulässig sein, soweit dem nicht Schweigepflichten gegenüber anderen versicherten Personen entgegenstehen, was hier nicht der Fall ist (vgl. soeben). Gerade in Konstellationen, in denen beide Ehegatten Renten der Invalidenversicherung beantragen, lässt sich auf diese Weise vermeiden, dass inkonsistente Angaben von der Invalidenversicherung gleichsam unbesehen und wider eigentlich besseres Wissen hingenommen werden müssen, was stossend wäre. Demnach geht die Rüge fehl und besteht kein Anlass, den Abklärungsbericht Haushalt vom 19. Februar 2019 aus den Akten zu weisen.

(…)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2022, S 2020 144
Das Urteil ist rechtskräftig.

Bestätigt durch BGer 9C_393/2022.

Vollständiges Urteil auf der Entscheiddatenbank www.verwaltungsgericht.zg.ch

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