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Art. 28 Abs. 2 ATSG, Art. 32 ATSG, Art. 33 ATSG

Art. 34 ATSG, Art. 52 ATSG, Art. 59 ATSG

Regeste:

Art. 34 ATSG, Art. 52 ATSG, Art. 59 ATSG – Der Arbeitgeber einer versicherten Person ist zur Anfechtung eines Entscheids des Unfallversicherers insofern legitimiert, als sich dessen zur Diskussion stehende Leistung typischerweise auf die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht auswirkt, was beim UVG-Taggeld, nicht aber bei der UVG-Rente zutrifft (E. 4.3.2). Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Rechtsmittellegitimation des Arbeitgebers somit zu bejahen (E. 4.4.1). Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, die Zustellung der Verfügung des Unfallversicherers zu verlangen und Einsicht in die Akten zu nehmen (E. 4.5).

Aus dem Sachverhalt:

Die Versicherte, D., Jahrgang 1973, war als Dentalassistentin bei ihrem (zum damaligen Zeitpunkt Noch-)Ehemann A. angestellt und in dieser Eigenschaft obligatorisch bei der Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend: Vaudoise) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 31. Januar 2020 beim Yoga stürzte und sich das rechte Handgelenk verletzte. Mit Verfügung vom 9. Juni 2020 teilte die Vaudoise der Versicherten mit, dass, gestützt auf die Beurteilung ihres beratenden Arztes, infolge Erreichens des Status quo sine vel ante nach dem 24. April 2020 keine weiteren Leistungen erbracht würden. Der Anspruch auf Taggelder für die ab dem 20. März 2020 attestierte 100%ige Arbeitsunfähigkeit wurde ebenso verneint. Die von der Versicherten dagegen erhobene Einsprache wies die Vaudoise mit Einspracheentscheid vom 13. August 2020 ab. Dagegen wurde innert Rechtsmittelfrist keine Beschwerde eingereicht. Mittels E-Mail vom 24. September 2020 teilte RA B. der Vaudoise mit, dass ihn der Ex-Ehemann der Versicherten mandatiert habe. Er beantragte Akteneinsicht und die Ausrichtung der gesetzlichen Leistungen, insbesondere der Taggelder ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit bis auf weiteres. Dabei wies er darauf hin, dass sein Klient als Prämienzahler und Arbeitgeber rechtsmittellegitimiert sei, weshalb er eine anfechtbare Verfügung verlange. Daraufhin antwortete der Unfallversicherer, dass es sich um eine medizinische Angelegenheit handle, weshalb es aufgrund des Datenschutzes – ohne diesbezügliches Einverständnis der Versicherten – nicht möglich sei, Akteneinsicht zu gewähren. Mit Verfügung vom 6. Oktober 2020 bestätigte die Vaudoise, dass die Verfügung vom 9. Juni 2020 einzig auf medizinischen – und somit rein persönlichen – Grundlagen basiert und die Frage betroffen habe, ob die Beschwerden der Versicherten als Unfall oder Krankheit zu betrachten seien. Folglich sei A. als Arbeitgeber von diesem Entscheid nicht berührt und somit auch nicht zur Einsprache legitimiert. Aus diesem Grund sei er nicht Adressat der Verfügung vom 9. Juni 2020 gewesen und es sei nicht möglich, ihm eine Kopie davon sowie der gesamten Akten zu übermitteln. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Vaudoise mit Einspracheentscheid vom 6. November 2020 ab. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 23. November 2020 liess A. beantragen, der Einspracheentscheid vom 6. November 2020 sei aufzuheben, seine Aktivlegitimation sei anzuerkennen und die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, ihm Akteneinsicht zu gewähren und ihm sämtliche Akten seiner Arbeitnehmerin zuzustellen. Des Weiteren sei der Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 31. Januar 2020 und der über den 24. April 2020 gemeldeten Beschwerden zu bejahen und die Beschwerdegegnerin habe dem Beschwerdeführer [recte: der Versicherten] die gesetzlichen Leistungen (insbesondere Taggelder) über den 24. April 2020 hinaus zzgl. 5 % Zins auszurichten; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (inkl. MWST) zu Lasten der Beschwerdegegnerin. Mit Vernehmlassung vom 15. Dezember 2020 beantragte die Vaudoise die Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

(…)

3. Vorliegend ist aktenkundig, dass die Unfallversicherung ihre Leistungen mit Verfügung vom 9. Juni 2020 per 24. April 2020 infolge Erreichens des Status quo sine vel ante eingestellt und den Anspruch auf Taggelder für die ab dem 20. März 2020 attestierte 100%ige Arbeitsunfähigkeit verneint hat. Als erstellt gilt sodann, dass die genannte Verfügung der Versicherten eröffnet wurde und eine Kopie davon die Krankenkasse und der behandelnde Arzt erhielten. Unbestritten ist im Übrigen, dass gegen die genannte Verfügung zwar Einsprache erhoben, der daraufhin ergangene Einspracheentscheid innert Rechtsmittelfrist beim zuständigen kantonalen Versicherungsgericht – in casu dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug – hingegen nicht angefochten wurde. Der Beschwerdeführer stellt sich nun auf den Standpunkt, der Entscheid könne ihm gegenüber keine Rechtskraft entfalten, da ihm die Verfügung – obwohl rechtsmittellegitimiert – nicht zugestellt worden sei.

4.          

4.1 Die Frage, wem eine Verfügung zu eröffnen ist, regelt Art. 49 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) – von der Zustellung an andere Versicherungsträger abgesehen (vgl. Abs. 4) – nicht. Aus der subsidiär anwendbaren (vgl. Art. 55 Abs. 1 ATSG) Bestimmung von Art. 34 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021) – Eröffnung an die Parteien – i.V.m. Art. 34 ATSG, der wiederum die Parteistellung regelt, ergibt sich, dass die Verfügung auch allen Dritten, die beschwerdebefugt sind, zu eröffnen ist (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 4. Aufl. 2020, Art. 49 N 59). Ob ein Dritter Partei i.S.v. Art. 34 ATSG ist, steht im Zeitpunkt der Verfügungseröffnung allerdings häufig noch nicht fest (Susanne Genner, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, 2020, Art. 49 N 17). Der Verwaltung kann es daher nicht zugemutet werden, bei Erlass einer Verfügung genau abzuklären, wer alles zu einer Beschwerde legitimiert wäre (Peter Saladin, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, 1979, S. 144). Demzufolge erscheint es als richtig, dass die Verfügungszustellung an Dritte, die aufgrund einer beachtenswerten Beziehung drittbeschwerdebefugt sind, nicht von Amtes wegen ohne entsprechendes Ersuchen erfolgt. Vielmehr ist es den Dritten zuzumuten, die Zustellung der Verfügung an sich zu verlangen (Ueli Kieser, in: René Schaffhauser/Franz Schlauri, Sozialversicherungsrechtstagung 2006, S. 88). Daraus folgt, dass die Verwaltung zunächst bloss verpflichtet ist, den unmittelbar Beteiligten von der Verfügung Kenntnis zu geben. Legt in der Folge aber ein Dritter dar, dass er begründete Aussicht hat, ebenfalls als Partei anerkannt zu werden, so ist auch ihm die Verfügung zu eröffnen (Saladin, a.a.O., S. 144). In der Folge ist dementsprechend zunächst die Frage zu klären, ob A. im unfallversicherungsrechtlichen Verfahren betreffend Leistungsanspruch von D. Partei i.S.v. Art. 34 ATSG ist, was sich danach richtet, ob er berechtigt gewesen wäre, gegen die Verfügung vom 9. Juni 2020 Einsprache zu erheben.

4.2 Die Legitimation zur Einsprache gemäss Art. 52 ATSG richtet sich analog zur Beschwerdelegitimation nach Art. 59 ATSG (Susanne Genner, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, 2020, Art. 52 N 25). Nach Art. 59 ATSG ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Schutzwürdig ist jedes eigene praktische oder rechtliche Interesse, welches der von einer Verfügung oder einem Einspracheentscheid Betroffene an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen kann. Bloss mittelbare, faktische oder auch ideelle Interessen reichen nicht. Schutzwürdig ist ein Interesse folglich nur, wenn die Gutheissung der Beschwerde für den Beschwerdeführer einen spürbaren, praktischen und unmittelbaren Nutzen bewirken bzw. einen Nachteil wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur vermeiden würde, den die angefochtene Verfügung mit sich brächte. Bei Geldleistungen bedeutet dies, dass ein positiver Beschwerdeentscheid das Vermögen vergrössern oder einen Verlust vermindern würde. Das blosse Interesse an einer anderen Begründung des Einspracheentscheids bedeutet keinen praktischen Nutzen und vermag demnach keine Beschwerdelegitimation zu begründen (Susanne Bollinger, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, 2020, Art. 59 N 9).

4.3         

4.3.1 Der Beschwerdeführer als zum damaligen Zeitpunkt Arbeitgeber der Versicherten ist weder im formellen noch im materiellen Sinn Adressat der Verfügung vom 9. Juni 2020. Seine Legitimation ist daher nach den für eine Drittbeschwerde geltenden Regeln zu beurteilen. Zu prüfen ist deshalb, ob eine besondere, beachtenswerte und nahe Beziehung zur Streitsache besteht; konkretisiert wird dies nach der Rechtsprechung dadurch, dass in der konkreten Konstellation eine hinreichende Beziehungsnähe respektive eine Betroffenheit von genügender Intensität vorliegt (BGE 130 V 560 E. 3.4).

4.3.2 Mit Bezug auf die obligatorische Unfallversicherung erkannte die Rechtsprechung, der Arbeitgeber, welcher einen Teil der Versicherungsprämien bezahlt und nach einem Unfall den Lohn vorgeschossen habe, sei durch eine Verfügung, welche dem verunfallten Arbeitnehmer die Versicherteneigenschaft abspreche oder einen Taggeld-Leistungsanspruch verneine, offensichtlich betroffen und habe ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung (BGE 106 V 219 E. 1; RKUV 1989 Nr. U 73 S. 239 E. 1b). Demgegenüber wurde bei einer rentenverweigernden Verfügung der IV-Stelle (BGE 130 V 560 E. 4) oder einer rentenzusprechenden Verfügung der Unfallversicherung (BGE 131 V 298 E. 5 und 6) die Rechtsmittellegitimation des Arbeitgebers abgesprochen. Entscheidend ins Gewicht fällt somit grundsätzlich der Zusammenhang der konkreten Leistung mit der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht nach Art. 324a und 324b OR. Daneben ist aber auch datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen (BGE 134 V 153 E. 5.3.2.1). Als Zwischenfazit kann dementsprechend festgehalten werden, dass der Arbeitgeber insoweit zur Anfechtung eines Entscheids des Unfallversicherers legitimiert ist, als sich dessen zur Diskussion stehende Leistung typischerweise auf die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht auswirkt, was beim UVG-Taggeld, nicht aber bei der UVG-Rente zutrifft (BGer 8C_13/2007 vom 28. Januar 2008 E. 5.5 mit Hinweis auf BGE 131 V 298 E. 5.3.2 und 5.3.3).

4.4

4.4.1 Im vorliegenden Fall verneinte die Vaudoise einen Taggeld-Leistungsanspruch der Versicherten. Da sich der hier zur Diskussion stehende Unfall vom 31. Januar 2020 zu einem Zeitpunkt zugetragen hatte, als die Versicherte noch bei A. angestellt war, hat dieser Entscheid direkte Auswirkungen auf die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers (welcher im Übrigen die Prämien für die obligatorische Unfallversicherung der Berufsunfälle und Berufskrankheiten vollumfänglich zu bezahlen hat [Art. 91 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung, UVG; SR 832.20]). Dementsprechend hat der Arbeitgeber ein konkretes und eigenes Interesse bezüglich der Leistungen der Unfallversicherung. Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung ist die Rechtsmittellegitimation des Beschwerdeführers somit zu bejahen. Nichts anderes ergibt sich aus BGE 131 V 298. Es trifft zwar zu, dass das Bundesgericht in diesem Urteil die Rechtsmittellegitimation des Arbeitgebers mangels Vorliegens einer hinreichenden Beziehungsnähe zur Streitsache respektive Betroffenheit von genügender Intensität verneint hat. Nicht unberücksichtigt bleiben darf jedoch, dass das Bundesgericht im genannten Urteil explizit leistungsbezogen differenziert hat. Daraus ergibt sich Folgendes: Im Hinblick auf die Lohnzahlungspflicht wird ein direktes Interesse des Arbeitgebers bejaht, wenn es um ein Taggeld der Unfallversicherung geht (E. 5.3.2). Dreht sich der Streit hingegen um eine Rente, wird die Legitimation des Arbeitgebers namentlich unter Hinweis darauf, dass zwischen dem Unfall und dem Übergang zur Berentung gemäss Statistik meist mehrere Jahre vergehen, in jenem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis in vielen Fällen schon beendet sei und demzufolge die Rente der Unfallversicherung, ebenso wie die Rente der Invalidenversicherung, nicht mehr in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehe, verneint (E. 5.3.3). Ob deshalb die bisherige Rechtsprechung im Bereich der Unfallversicherung geprüft und geändert werden muss, wurde vom Bundesgericht explizit offengelassen (E. 6.2). Im daraufhin ergangenen Urteil U 519/06 vom 28. September 2007 hat das Bundesgericht wiederum unter Hinweis auf BGE 131 V 298 erwähnt, dass die Legitimation des Arbeitgebers bisher bejaht worden sei, wenn der Streit das Taggeld betroffen habe (E. 5), ohne in der Folge von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Dementsprechend kann die Vaudoise aus dem Entscheid BGE 131 V 298 nichts zu ihren Gunsten ableiten.

4.4.2 Wie das Nachfolgende zeigt, erscheint die Bejahung der Rechtsmittellegitimation des Arbeitgebers im vorliegenden Fall auch mit Blick auf die damit verbundenen Parteirechte, etwa bezüglich Akteneinsicht, nicht als problematisch. Das Akteneinsichtsrecht, welches in Art. 47 ATSG geregelt ist, steht neben der versicherten Person (Abs. 1 lit. a) unter anderem auch den Parteien zu (Abs. 1 lit. b). Massgebend ist dabei der in Art. 34 ATSG umschriebene Parteibegriff. Von der Einsicht erfasst sind nicht nur Personendaten, sondern alle Akten, die zur Wahrung des Anspruchs bzw. der Verpflichtung oder zur Einreichung eines Rechtsmittels (bzw. zum Entscheid, ob ein solches einzureichen ist) erforderlich sind. Angesichts dessen, dass der Parteibegriff in Art. 34 ATSG weit gefasst ist und alle Personen einschliesst, denen ein Rechtsmittel zusteht, und der Arbeitgeber in Fällen, in welchen der Unfallversicherer den Anspruch auf Taggelder abgelehnt hat, beschwerdelegitimiert ist (vgl. E. 4.4.1 vorstehend), ist nicht ersichtlich, weshalb dem Arbeitgeber das Akteneinsichtsrecht zu verwehren wäre für Daten, welche er benötigt, um gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. b ATSG ein Rechtsmittel geltend zu machen. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts wird dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz unter anderem mit Art. 97 Abs. 1 und 7 UVG Rechnung getragen, wonach die Organe, die mit der Durchführung sowie der Kontrolle oder der Beaufsichtigung der Durchführung des UVG betraut sind, nur Daten bekannt geben dürfen, welche für den in Frage stehenden Zweck erforderlich sind (BGer U 519/06 vom 28. September 2007 E. 6.1). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der rechtserhebliche Sachverhalt im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung – jedenfalls solange die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers andauert –, vergleichsweise klar begrenzt ist, während z.B. die Invalidenversicherung den Gesundheitszustand einer Person in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen hat. Die Akten im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung weisen deshalb ein geringeres Mass an persönlichkeitsrechtlicher Sensibilität und Relevanz auf als in der Invalidenversicherung (vgl. BGE 130 V 560 E. 4.4; Susanne Bollinger, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, 2020, Art. 59 N 19).

4.4.3 Wie das Bundesgericht im Entscheid U 519/06 vom 28. September 2007 darauf hingewiesen hat, kann in Konstellationen wie vorliegend entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin gerade offenbleiben, ob datenschutzrechtliche Aspekte eine Einschränkung der Beschwerdelegitimation des Arbeitgebers mit sich bringen (E. 6.1). Zur Begründung verweist das Bundesgericht auf Art. 97 Abs. 6 lit. b UVG, wonach Personendaten in Abweichung von Art. 33 ATSG an Dritte bekannt gegeben werden dürfen, sofern die betroffene Person im Einzelfall schriftlich eingewilligt hat oder, wenn das Einholen der Einwilligung nicht möglich ist, diese nach den Umständen als im Interesse der versicherten Person vorausgesetzt werden darf (E. 6.2). In casu lag zum Verfügungszeitpunkt eine E-Mail der Versicherten vom 29. September 2020 vor, in der sie A. und seinem Rechtsvertreter die Ermächtigung erteilte, Einsicht in die Akten zu nehmen. Wie die Beschwerdegegnerin diesbezüglich zutreffend darauf hingewiesen hat, war das Einverständnis weder in schriftlicher Form abgefasst noch eigenhändig unterzeichnet. Angesichts dessen waren die Zweifel ihrerseits an der Rechtsgültigkeit der genannten Einwilligung verständlich. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Vaudoise unter diesen Umständen die Angelegenheit nicht weiter hätte abklären und bei der Versicherten nachfragen müssen. Dies kann vorliegend jedoch dahingestellt bleiben. Zu berücksichtigen ist, dass im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens eine schriftliche und eigenhändig unterzeichnete Einwilligung der Versicherten eingereicht wurde. Darin erteilt sie A. ausdrücklich die Ermächtigung, Einsicht in alle UVG-Akten zu nehmen, wodurch die Unfallversicherung von der gesetzlichen Schweigepflicht befreit wurde. Sogar wenn also mit der Vaudoise angenommen würde, datenschutzrechtliche Motive ständen der Beschwerdelegitimation von A. entgegen, könnte dies unter den vorliegenden Umständen nicht zur Verneinung der Rechtsmittellegitimation des Arbeitgebers führen, da dieser ja gerade durch die Versicherte selbst zur Akteneinsicht ermächtigt wurde (vgl. zum Ganzen BGer U 519/06 vom 28. September 2007 E. 6.2).

Nichts anderes ergibt sich aus Art. 328b OR, wonach der Arbeitgeber nur Daten über den Arbeitnehmer bearbeiten darf, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind. Gestützt auf Art. 362 Abs. 1 OR handelt es sich bei Art. 328b OR um eine relativ zwingende Norm, das heisst, sie kann nur zugunsten der Arbeitnehmer abgeändert werden. Daraus folgt, dass eine Datenbearbeitung, die Art. 328b OR widerspricht, nur zulässig ist, wenn sie sich zugunsten des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin auswirkt. Demzufolge kann ein Arbeitnehmer nur dann gültig in eine Bearbeitung von Daten, die weder seine Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen noch zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind, einwilligen, wenn dies zu seinen Gunsten erfolgt (Portmann/Rudolph, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 1–529 OR, 7. Aufl. 2020, Art. 328b N 26), was vorliegend klarerweise der Fall ist, erfolgte das Gesuch um Akteneinsicht doch mit dem Ziel, den unfallversicherungsrechtlichen Anspruch der Versicherten auf Taggeldleistungen durchzusetzen (sog. «Beschwerde pro Adressat»).

4.4.4 Nach dem Gesagten hat die Vaudoise die Einsprachelegitimation von A. zu Unrecht verneint.

4.5 Die Bejahung der Beschwerdelegitimation hat zur Folge, dass A. als Arbeitgeber berechtigt war, die Zustellung der Verfügung vom 9. Juni 2020 zu verlangen und Einsicht in die Akten zu nehmen. Insofern erweist sich der angefochtene Einspracheentscheid vom 6. November 2020 als nicht rechtmässig, was zur Folge hat, dass dieser aufzuheben und die Rechtsmittellegitimation von A. anzuerkennen ist. Die Beschwerdegegnerin ist somit verpflichtet, ihm Akteneinsicht zu gewähren (Rechtsbegehren Ziff. 1–3).

Das soeben Dargelegte hat schliesslich auch Auswirkungen auf die Rechtskraft der Verfügung vom 9. Juni 2020 bzw. der diese bestätigenden Einspracheentscheid vom 13. August 2020. Nachdem A. die Verfügung vom 9. Juni 2020 innert vernünftiger Frist infrage gestellt – am 24. September 2020 beantragte er Akteneinsicht und die Ausrichtung der gesetzlichen Leistungen, insbesondere der Taggelder ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit bis auf weiteres – und damit sinngemäss um Zustellung der genannten Verfügung ersucht hat, wäre die Vaudoise gehalten gewesen, auch ihm die Verfügung zu eröffnen. Tat sie dies in der Folge nicht, muss sich A. die Rechtskraft der Verfügung vom 9. Juni 2020 bzw. des Einspracheentscheids vom 13. August 2020 nicht entgegenhalten lassen. Daraus folgt, dass die Angelegenheit an die Vaudoise zurückzuweisen ist, damit diese die Verfügung vom 9. Juni 2020 A. ordnungsgemäss eröffne und anschliessend über den Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 31. Januar 2020 und den über den 24. April 2020 hinaus geltend gemachten Beschwerden der Versicherten neu entscheide. Die nachträgliche Eröffnung an den Arbeitgeber rechtfertigt sich auch deshalb, weil der Einbezug des Arbeitgebers zu Gunsten der Versicherten erfolgt, geht es A. doch darum, den unfallversicherungsrechtlichen Anspruch auf Taggeldleistungen der Versicherten durchzusetzen (sog. "Beschwerde pro Adressat"). Im Übrigen steht diesem Vorgehen auch das Gebot der Rechtssicherheit nicht entgegen, erfolgt die Neubeurteilung innert vernünftiger Frist. Das soeben Ausgeführte führt aber dazu, dass auf die Rechtsbegehren Ziff. 4 und 5 nicht eingetreten werden kann, wird dies doch gerade Gegenstand der Neubeurteilung durch die Vorinstanz im Zuge der Rückweisung sein.

5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerde insoweit gutzuheissen ist, als der angefochtene Einspracheentscheid vom 6. November 2020 aufzuheben und die Angelegenheit an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen ist, damit diese A. die Verfügung vom 9. Juni 2020 ordnungsgemäss eröffne und anschliessend über den Leistungsanspruch der Versicherten über den 24. April 2020 hinaus neu entscheide. Im Übrigen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

(…)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. Januar 2022, S 2020 157
Das Urteil ist rechtskräftig.

Bestätigt durch BGer 8C_98/2022.
Vollständiges Urteil auf der Entscheiddatenbank www.verwaltungsgericht.zg.ch

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