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Art. 301a Abs. 2 lit. a ZGB

Art. 173 und Art. 176 ZGB – Zeitpunkt der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts bzw. des Getrenntlebens

Regeste:

Ein Unterhaltsbeitrag gemäss Art. 176 ZGB, der auch eine Überschussbeteiligung umfasst, wird regelmässig erst dann zugesprochen, wenn ein Ehegatte aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist. Ausnahmefälle liegen dann vor, wenn die wirtschaftliche Entflechtung trotz gemeinsamer Wohnung bereits derart fortgeschritten ist, dass tatsächlich von zwei Haushalten im Sinne von zwei separaten wirtschaftlichen Einheiten innerhalb derselben Wohnung gesprochen werden muss. Bis dahin wird der Unterhaltsbeitrag nach den Grundsätzen von Art. 173 ZGB bemessen. Keine Rolle spielt dabei, wann die Ehegatten als Paar emotional miteinander gebrochen haben (E. 5.4.1-5.4.8). Vorliegend gingen beide Ehegatten von einer definitiven Trennung aus. Sie lebten zwar noch gemeinsam mit den beiden Söhnen in derselben Wohnung, gingen sich aber nach Möglichkeit aus dem Weg. Sie bezahlten jedoch die regelmässigen Fixkosten ab einem gemeinsamen Konto und verstanden sich nach wie vor als wirtschaftliche Gemeinschaft. Der Ehegattenunterhalt war daher bis zum Auszug des Ehemannes nach Art. 173 ZGB zu bemessen (E. 5.4.9-5.5).

Aus den Erwägungen:

5.4 Demgegenüber rügt der Gesuchsgegner, die ihm zugesprochenen Unterhaltsbeiträge für die Dauer bis zu seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung seien zu tief. Zur Begründung macht er zusammengefasst geltend, die Vorinstanz habe verkannt, dass Art. 173 ZGB nur dann anwendbar sei, wenn die Eheleute zusammenlebten, d.h. in einer umfassenden Lebensgemeinschaft verbunden seien. Vorliegend sei jedoch Art. 176 ZGB anzuwenden, da die Parteien in der ehelichen Wohnung faktisch getrennt gelebt hätten, was die Gesuchstellerin an der Parteibefragung ebenfalls bestätigt habe. Entsprechend habe er entgegen der Ansicht der Vorinstanz Anspruch auf einen hälftigen Anteil am Überschuss der Gesuchstellerin. Auf diese Weise resultiere ein Unterhaltsbeitrag von CHF 5'454.00. Auch die Gesuchstellerin hält dafür, dass vorliegend Art. 176 ZGB anwendbar sei.

5.4.1 Auf Begehren eines Ehegatten setzt das Gericht die Geldbeiträge an den Unterhalt der Familie fest (Art. 173 Abs. 1 ZGB). Heben die Ehegatten ihren gemeinsamen Haushalt auf und ist die Aufhebung begründet, so muss das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Unterhaltsbeiträge an die Kinder und den Unterhaltsbeitrag an den Ehegatten festlegen (Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Der Unterschied zwischen Geldbeiträgen im Sinne von Art. 173 ZGB und ehelichen Unterhaltsbeiträgen im Sinne von Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB liegt im Wesentlichen in den unterschiedlichen Berechnungsmethoden, die angewandt werden. Zwar richtet sich der finanzielle Unterhaltsanspruch grundsätzlich in beiden Fällen nach Art. 163 ZGB (Fankhauser, in: Büchler/Jakob [Hrsg.], Kurzkommentar Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 2. A. 2018, Art. 163 ZGB N 2; Brunner, in: Hausheer/Spycher [Hrsg.], Handbuch des Unterhaltsrechts, 2. A. 2010, N 04.03). Indessen haben sich in der Lehre und Praxis für die beiden verschiedenen Arten des Unterhalts verschiedene Berechnungsmethoden herausgebildet. Während der Geldbeitrag, zu dem ein Ehegatte gestützt auf Art. 173 ZGB verpflichtet werden kann, maximal 100 % der tatsächlichen Lebenshaltungskosten entspricht (allenfalls zuzüglich eines Freibetrags zugunsten des haushaltsführenden Ehegatten bei ungleicher Aufgabenverteilung), wird gestützt auf Art. 176 Abs. 1 ZGB eine zweistufige Unterhaltsberechnung mit Überschussverteilung durchgeführt (Isenring/Kessler, Basler Kommentar, 6. A. 2018, Art. 173 ZGB N 7; Bräm, Zürcher Kommentar, 1998, Art. 173 ZGB N 21 und N 25 ff.; BGE 140 III 337 E. 4.2.2, vgl. auch Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 9. März 2021). Dies hat zur Folge, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte im letzteren Fall auch an einem allfälligen Überschuss des unterhaltspflichtigen Ehegatten partizipiert. Um zu beurteilen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Art. 176 Abs. 1 ZGB auch auf Ehepaare anwendbar ist, die trotz Trennung – verstanden als Auflösung der Paarbeziehung – noch dieselbe Wohnung bewohnen, ist primär Art. 176 ZGB auszulegen. Dass Art. 173 Abs. 1 ZGB anwendbar wäre, wenn kein «Getrenntleben» im Sinne von Art. 176 ZGB vorliegt, ist unstreitig.

5.4.2 Massgebend für jede Auslegung ist in erster Linie der Wortlaut der fraglichen Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck der Norm, auf die ihr zugrunde liegenden Wertungen und auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erkennen. Die Auslegung darf vom klaren Wortlaut eines Rechtssatzes nur dann abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche triftigen Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben. Entscheidend ist danach nicht der vordergründig klare Wortlaut einer Norm, sondern der wahre Rechtssinn, welcher durch die anerkannten Regeln der Auslegung zu ermitteln ist (BGE 140 III 289 E. 2.1 m.H.).

5.4.3 Art. 176 Abs. 1 ZGB lautet wörtlich wie folgt: «Ist die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes begründet, so muss das Gericht auf Begehren eines Ehegatten: 1. die Unterhaltsbeiträge an die Kinder und den Unterhaltsbeitrag an den Ehegatten festlegen; […]». Wörtlich ist in dieser Bestimmung die «Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes» das entscheidende Kriterium für die Zusprache von Unterhaltsbeiträgen und nicht etwa bereits die (subjektiv entschiedene) Trennung.

«Haushalt» bezeichnet gemäss Duden die Wirtschaftsführung mehrerer zusammenlebender Personen (bzw. einer einzelnen Person); alternativ die zu einem Haushalt gehörende Personengruppe oder – für den vorliegenden Fall nicht relevant – die Einnahmen und Ausgaben einer Stadt, eines Staates etc. Als Synonyme bezeichnet der Duden Etat, Finanzen, Finanzplan und Staatshaushalt (<https://www.duden.de/rechtschreibung/Haushalt>). Die Bezeichnung hat mithin eine stark wirtschaftlich geprägte Bedeutung. Der Fokus liegt auf der wirtschaftlichen Einheit, die die Hausgemeinschaft im Regelfall bildet. Daraus folgt, dass bei einer grammatikalischen Auslegung von Art. 176 ZGB zu verlangen ist, dass die Ehegatten ihren gemeinsamen Haushalt, d.h. ihre gemeinsame Wirtschaftsführung, aufgehoben haben, damit der eheliche Unterhalt gestützt auf Art. 176 ZGB zugesprochen werden kann. Sie müssen also ihre gemeinsame Wirtschaftsführung bereits vollständig oder zumindest weitestgehend entflochten haben. Dies ist nicht zwingend davon abhängig, dass die Ehegatten verschiedene Wohnungen beziehen. Indessen ist im Sinne einer natürlichen Vermutung davon auszugehen, dass Ehegatten, die (vorübergehend) nach einer Trennung noch gemeinsam in derselben Wohnung leben, in der Regel weiterhin eine gemeinsame Rechnung führen. Dies einerseits, weil sie in den meisten Fällen bereits über eine gut eingespielte interne Regelung, wie die Kosten des täglichen Bedarfs beglichen werden, verfügen; andererseits aber auch, weil sie einen Grossteil der Fixkosten (insbes. Mietzins, Lebensmittel, Verbrauchsmaterial im Haushalt, Telefon/Internet, Serafe-Gebühr, etc.) faktisch weiterhin teilen und eine trennscharfe Entflechtung gar nicht von einem Tag auf den anderen vollzogen werden kann. Dies ist umso mehr der Fall, wenn die Ehegatten Kinder haben, weil sich gerade die Kinderkosten bei einer von allen Familienmitgliedern gemeinsam bewohnten Wohnung oftmals nicht klar einem Ehegatten zuordnen lassen. Ob die Ehegatten sich noch als Paar verstehen oder nicht und ob sie für ihre Beziehung noch eine Zukunft sehen oder bereits auf eine Scheidung hinwirken, ist nach grammatikalischer Auslegung hingegen nicht von Belang für die Frage, ob der Unterhalt nach Art. 173 Abs. 1 oder nach Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB festzusetzen ist.

Die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes müsste zudem «begründet» sein. Diese Formulierung bezieht sich auf die Bestimmung in Art. 175 ZGB, worin die Gründe aufgeführt sind, die einen Ehegatten zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts berechtigen. Diese Bestimmung hat jedoch nach geltendem Recht kein Gewicht mehr, da heute – anders als noch in den 1970er- und 1980er-Jahren (vgl. nachfolgend E. 5.4.5) – nicht mehr umstritten ist, dass ein Ehepaar den gemeinsamen Haushalt jederzeit in gegenseitigem Einvernehmen oder auch auf einseitigen Entschluss hin aufheben kann, ohne deswegen irgendwelche rechtlichen Nachteile befürchten zu müssen (vgl. Fankhauser, a.a.O., Art. 176 ZGB N 2; Schwander, Basler Kommentar, 6. A. 2018, Art. 175 ZGB N 3; Six, a.a.O., N 2.01 m.H.; Urteil des Bundesgerichts 5P.47/2005 vom 23. März 2005 E. 2.2).

5.4.4 Die systematische Auslegung von Art. 176 Abs. 1 ZGB bringt für die vorliegend interessierende Frage keinen Erkenntnisgewinn. Sowohl Art. 173 als auch Art. 176 ZGB stehen unter dem fünften Titel (Die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen) und darin im Abschnitt K (Schutz der ehelichen Gemeinschaft). Dieser Abschnitt enthält wiederum in den Marginalien zwei Titel: I. Beratungsstellen – unter dem nur der hier nicht interessierende Art. 171 ZGB steht – und II. Gerichtliche Massnahmen, wo sowohl Art. 173 als auch Art. 176 ZGB zu finden sind. Art. 173 ZGB (Marginalie: a. Geldleistungen) steht innerhalb dieses Titels unter «2. Während des Zusammenlebens». Der ihm vorangehende Art. 172 ZGB befasst sich mit den Grundsätzen des gerichtlichen Eingreifens in die eheliche Gemeinschaft (Marginalie: 1. Im allgemeinen). Der unmittelbar auf Art. 173 ZGB folgende Art. 174 ZGB steht ebenfalls unter «2. Während des Zusammenlebens» und trägt die Marginalie «b. Entzug der Vertretungsbefugnis». Art. 176 ZGB (Marginalie: b. Regelung des Getrenntlebens) steht unter «3. Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes». Der unmittelbar davor unter demselben Titel stehende Art. 175 ZGB trägt die Marginalie «a. Gründe». Aus dieser Systematik ergibt sich, dass Art. 173 ZGB die gerichtlichen Massnahmen während des Zusammenlebens regeln soll, während Art. 176 ZGB die gesetzliche Grundlage für die (gerichtliche) Regelung des Getrenntlebens bildet, wenn der gemeinsame Haushalt aufgehoben worden ist. Darüber, wann von einem «Zusammenleben» und wann von einer «Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes» bzw. von einem «Getrenntleben» auszugehen ist, gibt sie hingegen keinen Aufschluss.

5.4.5 Für die historische Auslegung ist die Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Wirkungen der Ehe im allgemeinen, Ehegüterrecht und Erbrecht) vom 11. Juli 1979 beizuziehen. Diese enthält jedoch ebenfalls keine Hinweise, unter welchen Voraussetzungen ein Haushalt nach Auffassung des Gesetzgebers als aufgehoben gelten sollte. Zur Frage des gemeinsamen Haushalts (bzw. zur Aufhebung desselben) wurde lediglich festgehalten, dass die Ehegatten verpflichtet seien, einen gemeinsamen Haushalt zu führen, wobei es ihnen freistehe, wie sie dies täten. Weigere sich ein Ehegatte ohne triftigen Grund, so verletze er seine Ehepflicht, könne aber in Zukunft so wenig wie zuvor daran gehindert werden, eine getrennte Wohnung zu haben. Nur werde in Zukunft im Gegensatz zu früher auch die Frau selbständig Wohnsitz begründen können, selbst wenn sie zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts nicht berechtigt sei. Bevor der Richter jedoch Massnahmen zur Regelung des Getrenntlebens treffe (Art. 176 Abs. 1 und 2), müsse der gesuchstellende Ehegatte nachweisen, dass er zum Getrenntleben berechtigt sei (BBl 1979 II 1191 S. 1276).

Daraus ergibt sich lediglich, dass nach Auffassung des Gesetzgebers das Führen eines gemeinsamen Haushalts zwar nicht zwingend mit dem Bewohnen einer gemeinsamen Wohnung einhergehen musste. Dies bildete für ihn aber gleichwohl den Regelfall. Ausserdem sah der Gesetzgeber vor, dass der Richter zunächst die Berechtigung zum Getrenntleben zu prüfen hatte, bevor er gestützt auf Art. 176 Abs. 1 ZGB Unterhaltsbeiträge zusprechen konnte. Wie schon erwähnt, hat sich die Rechtsprechung diesbezüglich in der Zwischenzeit aber gewandelt, sodass eine eigentliche Prüfung zur Berechtigung zum Getrenntleben faktisch nicht mehr stattfindet. Vielmehr ist das Getrenntleben bereits dann zu «bewilligen», wenn ein Ehegatte seinen unverrückbaren Trennungswillen bekundet (vgl. vorne E. 5.4.3).

5.4.6 In teleologischer Hinsicht ist zunächst festzuhalten, dass sowohl Art. 173 Abs. 1 als auch Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB grundsätzlich dasselbe Ziel verfolgen: So sollen die Finanzen der Ehegatten – ausgehend von den bisherigen ausdrücklich oder stillschweigend getroffenen Vereinbarungen der Ehegatten über Aufgabenteilung und Geldleistungen – so geregelt werden, dass nach Möglichkeit beide den bisher gelebten ehelichen Lebensstandard weiterführen können. Dieser Standard bildet gleichzeitig die obere Limite eines allfälligen Unterhaltsanspruchs (zu Art. 176 ZGB: BGE 147 III 293 E. 4.4, 140 III 337 E. 4.2.1; Urteile des Bundesgerichts 5A_493/2017 vom 7. Februar 2018 E. 3.1 und 5A_681/2018 vom 1. Mai 2019, je m.H.; vgl. auch (implizit) Fountoulakis, Basler Kommentar, 6. A. 2018, Art. 176 ZGB N 2 f. – zu Art. 173 ZGB: Fankhauser, a.a.O., Art. 163 ZGB N 4 und N 13; Bräm, a.a.O., Art. 173 ZGB N 27).

Bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann, erweist sich aber wiederum das Kriterium der getrennten oder gemeinsamen Wohnung als wesentlich. Der eheliche Lebensstandard kann in verschiedenen Bereichen des Lebens zum Ausdruck kommen. Der Wohnstandard (inklusive Hausrat) ist dabei von zentraler Bedeutung. Weitere Elemente können beispielsweise aber auch die Anzahl und die Preiskategorie der benützten Fahrzeuge, die Qualität der Lebensmittel, Frequenz und Destination von Ferienreisen, der Beizug von Haushaltshilfen, Anzahl und Art der ausgeübten Hobbys etc. sein. Eine nicht unwesentliche Anzahl dieser Elemente hängt dabei wiederum mehr oder weniger direkt von der (gemeinsam) bewohnten Wohnung ab. Beispielsweise dürfte eine einmal beschäftigte Haushaltshilfe weiterhin die gesamte Wohnung reinigen, die eingekauften Lebensmittel dürften weiterhin von allen anwesenden Familienmitgliedern konsumiert werden und die vorhandenen Fahrzeuge stehen a priori allen Familienmitgliedern im selben Umfang wie zuvor zur Verfügung. Auch Versicherungen werden regelmässig pro Haushalt (im Sinne einer familiären Hausgemeinschaft) abgeschlossen und laufen ohne Weiteres weiter, solange der gemeinsame Wohnsitz beibehalten wird.

 Leben die Ehegatten trotz Trennung weiterhin in einer Hausgemeinschaft, wird deshalb in vielen der erwähnten Bereiche der eheliche Lebensstandard automatisch für beide beibehalten. Zwar mag es aufgrund der Trennung neue Streitigkeiten über die Beteiligung an den einzelnen Budgetpunkten geben. Nennenswerte Mehrausgaben gegenüber der Zeit vor der Trennung entstehen jedoch nicht (in diesem Sinne auch Isenring/Kessler, a.a.O., Art. 173 ZGB N 1, die darauf hinweisen, dass es bei Art. 173 ZGB um die Finanzierung nur eines Haushaltes gehe, wogegen beim sog. Getrenntleben nach Art. 176 ZGB die verfügbaren Geldmittel auf zwei Haushalte aufgeteilt werden müssen). Bei dieser Ausgangslage – grundsätzlich gleichbleibende Kosten wie vor der Trennung – erscheint es weder erforderlich noch gerechtfertigt, eine zweistufige Unterhaltsberechnung mit Überschussverteilung vorzunehmen. Im Fokus steht bei diesem Szenario vielmehr die Frage, wer die bekannten (und schon zuvor angefallenen) Kosten zu bezahlen hat, und es soll sichergestellt werden, dass diese auch tatsächlich bezahlt werden können. Dieser Problematik wird mit der Festsetzung von Geldbeiträgen an den Unterhalt der Familie angemessen begegnet. Würde stattdessen bei gleichbleibendem Bedarf gegenüber der vorherigen Aufteilung der Kosten zwischen den Ehegatten neu eine Überschussverteilung eingeführt, würde dies zwangsläufig zu einer nicht gewollten Vermögensverschiebung führen. Wie schon die Vorinstanz zutreffend ausführte, besteht kein Anspruch auf Aufteilung sämtlicher Einkünfte zwischen den Ehegatten (s. auch Göksu/Heberlein, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. A. 2016, Art. 173 ZGB N 5). Sollte ein Ehegatte aufgrund der ehelichen Aufgabenteilung für seinen persönlichen Bedarf (Freizeit, Kleider etc.) nicht ausreichend Geld zur Verfügung haben, so kann ihm auch im Anwendungsbereich von Art. 173 ZGB gestützt auf Art. 173 Abs. 2 ZGB ein entsprechender Freibetrag zugesprochen werden.

5.4.7 Im Übrigen scheint auch das Bundesgericht davon auszugehen, dass das Getrenntleben regelmässig mit dem Bezug separater Wohnungen einhergeht. So hielt es bereits mehrfach fest, das Eheschutzgericht habe bei der Festsetzung der Unterhaltsbeiträge gemäss Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB zu berücksichtigen, dass der Zweck von Art. 163 ZGB, für den gebührenden Unterhalt der Familie zu sorgen, im Falle der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes (Art. 175 f. ZGB) einen jeden Ehegatten verpflichte, nach seinen Kräften an die Bestreitung der Mehrkosten beizutragen, die das Getrenntleben bzw. die Führung zweier separater Haushalte verursache (BGE 138 III 97 E. 2.2; Urteile des Bundesgerichts 5A_681/2018 vom 1. Mai 2019 E. 5.1 und 5A_493/2017 vom 7. Februar 2018 E. 3.1). Wie bereits dargelegt, entstehen Mehrkosten regelmässig überhaupt erst dann, wenn die Ehegatten separate Wohnungen bezogen haben. Ab dann wird in aller Regel die «ökonomische Gemeinschaft» (vgl. BGE 147 III 249 E. 3.5.1), welche die Ehegatten bildeten, aufgegeben.

5.4.8 Zusammengefasst ergibt sich als Auslegungsergebnis, dass ein Unterhaltsbeitrag gestützt auf Art. 176 Abs. 1 ZGB nur dann zuzusprechen ist, wenn die Ehegatten ihre gemeinsame Wirtschaftsführung («ökonomische Gemeinschaft») aufgehoben haben. Dies ist regelmässig erst dann der Fall, wenn ein Ehegatte eine eigene, getrennte Wohnung bezieht (so auch: Six, a.a.O., N 2.59). Zur Festsetzung des ehelichen Unterhaltsbeitrags für die Zeit vor dem Auszug eines Ehegatten in eine andere Wohnung ist deshalb grundsätzlich Art. 173 ZGB anwendbar. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen kann der Ehegattenunterhalt trotz Beibehaltens einer gemeinsamen Wohnung nach den Grundsätzen von Art. 176 Abs. 1 ZGB festgesetzt werden. Dies dürfte namentlich dann der Fall sein, wenn trotz gemeinsamer Wohnung die wirtschaftliche Entflechtung zwischen den Parteien bereits derart fortgeschritten ist, dass tatsächlich von zwei Haushalten (im Sinne von zwei separaten wirtschaftlichen Einheiten) innerhalb derselben Wohnung gesprochen werden muss. Dass der persönlich-emotionale Bruch zwischen den Ehegatten als definitiv erscheint und das Zusammenleben bloss noch auf Zusehen hin beibehalten wird, ändert am Gesagten hingegen nichts.

5.4.9 Dass vorliegend ein solcher Ausnahmefall gegeben ist, wurde nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Zwar trifft es zu, dass die Parteien bereits im erstinstanzlichen Verfahren von einer (endgültigen) Trennung ausgegangen sind, obwohl sie noch im selben Haushalt lebten, und sich gemäss übereinstimmenden Angaben nach Möglichkeit aus dem Weg gingen. Dennoch verstanden sie sich offensichtlich nach wie vor als wirtschaftliche Gemeinschaft und zahlten unbestrittenermassen auch die regelmässigen Fixkosten ab einem ihrer gemeinsamen Konten. Von einer Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes im Sinne einer vollständigen wirtschaftlichen Entflechtung kann nicht die Rede sein. Der Auffassung des Gesuchsgegners kann deshalb nicht gefolgt werden. Der Gesuchsgegner zog am 31. August 2021 aus der Familienwohnung aus. Ab diesem Zeitpunkt ist der Ehegattenunterhalt nach Art. 176 Abs. 1 ZGB festzulegen.

5.4.10 An diesem Ergebnis ändert auch die vom Gesuchsgegner zitierte (vermeintliche) Lehrmeinung von Bräm nichts. Diese lautet im vollständigen Zitat wie folgt (Bräm, a.a.O., Art. 173 ZGB N 3):

«Art. 173 ZGB ist nur anwendbar, wenn die Eheleute zusammenleben, d.h. in einer umfassenden Lebensgemeinschaft verbunden sind. Bei Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes kommt Art. 176 ZGB zum Zuge. Ehefrau und Ehemann sind auch unter dem neuen Recht grundsätzlich zum Zusammenleben verpflichtet. Sie entscheiden gemeinsam, wie sie ihr Zusammenleben gestalten wollen; ihr Freiraum ist grösser als früher. Das Zusammenleben kann zeitlich oder räumlich mehr oder weniger intensiv sein. Es kann sich beispielsweise in getrennten Wohnungen abspielen. Entscheidend ist, ob die Eheleute in einer umfassenden, d.h. körperlichen, geistig-seelischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft verbunden sind. Solange dies der Fall ist, leben sie im Sinne des Eherechts zusammen.»

Der Gesuchsgegner hat diesen Absatz sinngemäss so interpretiert, als reiche bereits der Wegfall der «geistig-seelischen Gemeinschaft» (als eines der drei Elemente, die zu einer «umfassenden Lebensgemeinschaft» führen) aus, um den gemeinsamen Haushalt aufzuheben. In der zitierten Passage geht es aber nicht um die Aufhebung des ehelichen Haushalts, sondern vielmehr um dessen Begründung. Sie enthält die Aussage, dass (nach dem «neuen» Eherecht, das 1988 in Kraft getreten ist) auch bei getrennten Wohnungen ein eheliches Zusammenleben möglich ist, sofern die Eheleute in einer umfassenden, d.h. körperlichen, geistig-seelischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft verbunden sind. In dieselbe Richtung geht im Übrigen auch BGE 121 II 49, wo festgehalten wurde, dass der fehlende gemeinsame Wohnsitz nicht zum Dahinfallen der ehelichen Gemeinschaft führt, wenn aufgrund eines gemeinsamen Willens der Ehegatten die Stabilität der Ehe offensichtlich intakt ist. Daraus folgt, dass der Wille zur Fortführung der Ehe (der wohl mit der «geistig-seelischen Gemeinschaft» in etwa gleichgesetzt werden kann) zwar einen fehlenden gemeinsamen Wohnsitz im Hinblick auf die Bildung einer ehelichen Gemeinschaft kompensieren kann. Dass umgekehrt aber bereits der Wegfall dieses Willens zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes führt, ergibt sich daraus gerade nicht.

5.5    Wie die Vorinstanz zu Recht festhielt, schuldet die Gesuchstellerin dem Gesuchsgegner daher während des Zusammenlebens bloss denjenigen Betrag als ehelichen Unterhalt, der ihrem (gemessen am Einkommen) proportionalen Anteil an den Gesamtausgaben der Familie entspricht. Eine Überschussverteilung erfolgt demgegenüber nicht. Die Gesamtausgaben der Familie hat der Gesuchsgegner mit monatlich CHF 6'904.– beziffert. Diese Summe hat die Vorinstanz ihrem Entscheid zugrunde gelegt. Wie noch zu zeigen sein wird (vgl. hinten E. 6.4.1), lag der Bedarf der Familie während des Zusammenlebens (insbesondere unter Einbezug der Kosten für S.) tatsächlich höher. Der Gesuchsgegner hat den vorinstanzlichen Entscheid diesbezüglich jedoch zu Recht nicht beanstandet, zumal es seine eigenen Zahlen waren, auf welche die Vorinstanz abgestellt hat. Daher kann vorliegend offenbleiben, ob die Vorinstanz im Zusammenhang mit der Festsetzung der Geldbeiträge während des Zusammenlebens von Amtes wegen eine Bedarfsberechnung hätte anstellen müssen.

Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, II. Zivilabteilung, vom 27. Juli 2022 (Z2 2021 30)

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