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Art. 12 lit. a und c BGFA – Interessenkonflikt

Regeste:

Die Aufsichtskommission über die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte hat im Disziplinarverfahren nicht die Befugnis, nebst den Disziplinarmassnahmen gemäss Art. 17 BGFA weitere Anordnungen zu treffen (E. 2).
Vertritt ein Rechtsanwalt bei einem Streit zwischen Aktionären und Verwaltungsräten die Mehrheitsaktionäre und die Aktiengesellschaft, liegt deswegen noch kein Interessenkonflikt vor (E. 3 f.).

Aus den Erwägungen:

2. Soweit der Anzeigeerstatter verlangt, der Verzeigte sei zu verpflichten, das Mandat der Gesellschaft mit sofortiger Wirkung niederzulegen, kann darauf von vornherein nicht eingetreten werden. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sieht das BGFA, welches das Disziplinarrecht abschliessend regelt, einzig die in Art. 17 genannten Sanktionen vor. Damit kann die Aufsichtsbehörde das Verhalten des Anwalts nur indirekt lenken, indem sie ihn für begangene Disziplinarverstösse nachträglich gemäss Art. 17 BGFA sanktioniert (BGE 132 II 250 E. 4.3 f.). Kann die Aufsichtsbehörde aber dem Anwalt im Disziplinarverfahren keine Weisungen für die Tätigkeit im laufenden Mandat erteilen, bleibt auch kein Raum für entsprechende vorsorgliche Massnahmen. Besteht eine Interessenkollision in einem laufenden (Gerichts-)Verfahren, so liegt es in der Zuständigkeit der Verfahrensleitung, entsprechende Weisungen bis hin zu einem Vertretungsverbot auszusprechen (vgl. Fellmann/ Burger, Das Verbot von Interessenkollisionen und seine Durchsetzung im Prozess, Anwaltsrevue 1/2020 S. 14 ff.).

3. Gemäss Art. 12 lit. c BGFA haben die Rechtsanwälte jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen, zu vermeiden. Die entsprechende Treuepflicht gegenüber dem Klienten ist umfassender Natur und erstreckt sich auf alle Aspekte des Mandatsverhältnisses. Sie steht im Zusammenhang mit der Generalklausel von Art. 12 lit. a BGFA, gemäss welcher die Rechtsanwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben haben, wie auch mit Art. 12 lit. b BGFA, der sie zur Unabhängigkeit verpflichtet (vgl. BGE 145 IV 218 E. 2.1 [= Pra 2019 Nr. 123] m.w.H.). Aus dieser umfassenden Treue- und Unabhängigkeitspflicht ergibt sich insbesondere auch ein Verbot von Doppelvertretungen: Der Anwalt darf nicht in ein und derselben Streitsache Parteien mit gegenläufigen Interessen vertreten, weil er sich diesfalls weder für den einen noch für den anderen Klienten voll einsetzen könnte. Eine unzulässige Doppelvertretung muss nicht zwingend das gleiche formelle Verfahren oder allfällige mit diesem direkt zusammenhängende Nebenverfahren betreffen. Besteht zwischen zwei Verfahren ein Sachzusammenhang, so verstösst der Rechtsanwalt dann gegen Art. 12 lit. c BGFA, wenn er in diesen Klienten vertritt, deren Interessen nicht gleich gerichtet sind. Eine unzulässige Interessenkollision liegt indes nur vor, wenn ein konkreter Interessenkonflikt besteht. Die blosse abstrakte Möglichkeit, dass zwischen verschiedenen Klienten Differenzen auftreten könnten, genügt nicht (BGE 145 IV 218 E. 2.1 [= Pra 2019 Nr. 123]; 134 II 108 E. 3 u. 4.2.2).

4. Der Anzeigeerstatter stellt sich auf den Standpunkt, der Verzeigte befinde sich in einem Interessenkonflikt, weil er einerseits A. und B. und anderseits die Gesellschaft vertrete. Dem kann nicht beigepflichtet werden.

4.1 A. und B. halten zusammen 2/3 der Aktien der Gesellschaft und sind somit deren Mehrheitsaktionäre. Zudem bildeten sie zusammen seit Januar 2017 auch die Mehrheit im Verwaltungsrat (vgl. HR-Auszug der Gesellschaft). Mit dieser Mehrheit wählten sie im September 2021 A. anstelle des Anzeigeerstatters zur neuen Verwaltungsratspräsidentin und kündigten namens der Gesellschaft das Arbeitsverhältnis mit dem Anzeigeerstatter ordentlich. Ebenfalls noch im September 2021 entzogen sie dem Anzeigeerstatter das Stimmrecht als Verwaltungsrat und im Oktober 2021 beauftragten sie den Verzeigten, das Arbeitsverhältnis mit dem Anzeigeerstatter fristlos zu kündigen. Im November 2021 schliesslich wählten sie den Anzeigeerstatter als Verwaltungsrat ganz ab (vgl. HR-Auszug der Gesellschaft).

4.2     Wenn der Verzeigte die Mehrheitsaktionäre und – nunmehr einzigen – Verwaltungsräte einerseits und die Gesellschaft anderseits vertritt, befindet er sich damit nicht, jedenfalls nicht in einem konkreten, Interessenkonflikt. Vielmehr ist anzunehmen, dass die vertretenen Interessen gleich gelagert sind. Der Interessengegensatz besteht vielmehr zwischen den Mehrheitsaktionären und der Gesellschaft einerseits und dem Anzeigeerstatter anderseits. Dass die Mehrheitsaktionäre mit der Entlassung des Anzeigeerstatters den Interessen der Gesellschaft geschadet habe, indem deren zukünftiges Umsatz- und Gewinnpotential erheblich gefährdet worden sei, ist eine unbelegte Behauptung des Anzeigeerstatters. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse wären die gegen den Anzeigeerstatter gerichteten Handlungen (namentlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die Abwahl aus dem Verwaltungsrat) auch dann und in gleicher Weise erfolgt, wenn die Gesellschaft von einem anderen Anwalt vertreten worden wäre.

4.3     Dass der Verzeigte am 21. Oktober 2021 «vertiefte Abklärungen betr. Interessenkonflikte» tätigte und eine «Besprechung mit C.» führte und diese Tätigkeiten der Gesellschaft später in Rechnung stellte, lässt entgegen der Auffassung des Anzeigeerstatters selbstredend nicht den Schluss zu, es liege tatsächlich eine problematische Interessenkollision vor. Vielmehr kann daraus einzig geschlossen werden, dass der Verzeigte den vom Anzeigeerstatter erhobenen Vorwurf ernst genommen und die notwendigen Abklärungen zu dieser Frage getroffen hat.

4.4     Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der Verzeigte bis dato nicht in einem konkreten Interessenkonflikt befindet, wenn er die Mehrheitsaktionäre A. und B. einerseits und die Gesellschaft anderseits vertrat bzw. vertritt. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass in der vorliegenden Auseinandersetzung dereinst eine konkrete Interessenkollision entstehen könnte, bei welcher der Verzeigte gehalten wäre, dieser Kollision ein Ende zu setzen.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, 23. Mai 2022 (AK 2021 16), bestätigt mit Urteil der II. Beschwerdeabteilung des Obergerichts BZ 2022 69 vom 14. September 2022 und mit Urteil des Bundesgerichts 2C_865/2022 vom 12. Dezember 2023

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