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§ 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Ausrichtung kantonaler Mutterschaftsbeiträge (BGS 826.25)
Regeste:
§ 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Ausrichtung kantonaler Mutterschaftsbeiträge – Mutterschaftsbeiträge sind Bedarfsleitungen, die nur erbracht werden dürfen, wenn gewissen Einkommens- und Vermögensgrenzen nicht überschritten werden und die Höhe des Lebensbedarfs ausgewiesen ist (Erw. 9). Wer für die Ausrichtung kantonaler Mutterschaftsbeiträge einverlangte und anspruchsrelevante Unterlagen trotz mehrmaliger Aufforderung und Androhung der Säumnisfolgen nicht einreicht und auch keine unverschuldeten, unüberwindbaren Gründe für die Wiederherstellung der Frist (Verwirkungsfrist) geltend macht, verwirkt den Anspruch auf Mutterschaftsbeiträge (Erw. 10).
Aus dem Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin brachte am 15. Oktober 2022 ihren Sohn Z. zur Welt. Mit Schreiben vom 17. Februar 2023 reichte die Abteilung Soziale Dienste Asyl bei der Arbeitslosenkasse des Kantons Zug für die Beschwerdeführerin ein Gesuch um Ausrichtung von Mutterschaftsbeiträgen ein. Mit Verfügung vom 18. April 2023 lehnte die Arbeitslosenkasse das Gesuch ab, weil die mit Schreiben vom 21. Februar 2023 und E-Mail vom 13. April 2023 verlangten Unterlagen nicht fristgemäss bis am 17. April 2023 eingereicht wurden.
Gegen diesen Entscheid erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 26. April 2023 Beschwerde beim Regierungsrat. Zur Beschwerdebegründung macht sie geltend, dass die Arbeitslosenkasse darüber informiert worden sei, dass die Beschaffung der Geburtsurkunde mehr Zeit benötige, was von der Einwohnergemeinde Baar bestätigt werde, und dass die Lohnabrechnungen für Januar und Februar 2023 unterdessen eingereicht worden seien. Der Unterhaltsvertrag könne erst abgeschlossen werden, wenn die Vaterschaftsanerkennung vorliege, was wiederum das Vorliegen diverser Unterlagen des Kindsvaters voraussetze. Die Kontoauszüge für das Jahr 2022 habe sie am Dienstag, 18. April 2023, in den Briefkasten der Sozialen Dienste Asyl zur Weiterleitung an die Kasse eingeworfen. Sie habe sich um alle Unterlagen bemüht und sie sofort, einen Tag nach Fristablauf, eingereicht.
C. In ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2023 beantragt die Arbeitslosenkasse unter Bestreitung des Vorbringens der Beschwerdeführerin die Abweisung der Beschwerde.
D. (…)
Aus den Erwägungen:
(…)
2. Gemäss § 1 des Gesetzes über die Ausrichtung kantonaler Mutterschaftsbeiträge vom 1. September 1988 (BGS 826.25) gewährt der Kanton Zug Frauen bei Mutterschaft während einer gewissen Zeit Beiträge, sofern sie einer solchen Hilfe bedürfen. Wer Mutterschaftsbeiträge beansprucht, hat ein Antragsformular wahrheitsgetreu auszufüllen, die notwendigen Auskünfte zu erteilen und der Volkswirtschaftsdirektion die verlangten Unterlagen bis spätestens sechs Monate nach der Geburt einzureichen (§ 9 Abs. 1 Gesetz über die Ausrichtung kantonaler Mutterschaftsbeiträge).
3. Die Beschwerdeführerin brachte am 15. Oktober 2022 ihren Sohn Z. zur Welt. Die Frist von sechs Monaten zur Einreichung der erforderlichen Unterlagen begann am 16. Oktober 2022 und endete am 15. bzw. 17. April 2023 (nächstfolgender Werktag; § 10 Abs. 3 VRG).
4. Die Beschwerdeführerin ist im Jahr 2015 zusammen mit ihren Geschwistern von Syrien in die Schweiz geflüchtet. Mit Asylentscheid vom 16. April 2018 wurde sie im Kanton Zug vorläufig aufgenommen. Seit 1. Januar 2019 erhält die Beschwerdeführerin Sozialhilfe. Am 2. August 2021 hatte sie eine Lehre als Coiffeuse EBA angetreten, die sie nach dem Mutterschaftsurlaub im August 2023 fortsetzen wird. Somit erfüllt sie das einjährige Wohnsitzerfordernis von § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Ausrichtung kantonaler Mutterschaftsbeiträge.
5. Mit Schreiben vom 21. Februar 2023 teilte die Arbeitslosenkasse der Fallverantwortlichen der Abteilung Soziale Dienste Asyl mit, dass zur Berechnung und Auszahlung des Mutterschaftsbeitrages folgende, noch fehlende Unterlagen benötigt würden:
- Geburtsurkunde von Z.
- Lohnabrechnungen der Beschwerdeführerin für die Monate Januar und Februar 2023
- Sämtliche Post- und Bankkontoauszüge der Beschwerdeführerin vom 1. Mai 2022 bis heute
- Kopie des Unterhaltsvertrages für Z.
Das Schreiben enthält auf Seite 3 den Hinweis, dass bei Nichteinhalten der Frist der Anspruch auf Mutterschaftsbeiträge erlischt und das Gesuch wegen Nichteinreichens von verlangten Unterlagen abgelehnt werden müsse.
6. Mit E-Mail vom 13. April 2023 teilte die Arbeitslosenkasse mit, dass immer noch verschiedene Unterlagen fehlten. Gleichzeitig wies sie daraufhin, dass mindestens die Bankkontoauszüge bis spätestens am 17. April 2023 (Datum Poststempel) eingereicht werden müssen, ansonsten das Gesuch abgelehnt werde. Die restlichen Unterlagen (Lohnabrechnung für den Monat Januar 2023 sowie den Unterhaltsvertrag) könnten auch nach dem 17. April 2023 nachgereicht werden.
7. Mit E-Mail vom 17. April 2023 teilte die Fallverantwortliche der Abteilung Soziale Dienste Asyl der Arbeitslosenkasse mit, dass die Beschwerdeführerin nicht zu dem vereinbarten Termin erschienen sei und somit die Kontoauszüge nicht mitgebracht habe. Ausserdem erkundigte sie sich nach der Möglichkeit der Nachreichung im Laufe der Woche. In der Folge lehnte die Arbeitslosenkasse das Gesuch der Beschwerdeführerin mit Entscheid vom 18. April 2023 ab.
8. Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die verlangten Bankkontoauszüge nicht innert Frist, sondern am 18. April 2023 und damit einen Tag nach Fristablauf eingereicht hat. Beim Ablauf der sechsmonatigen Frist für das Einreichen der Unterlagen am 17. April 2023 fehlten zahlreiche Dokumente, insbesondere die Bankkontoauszüge vom 1. Mai bis 31. Oktober 2022. Die Arbeitslosenkasse wies mit E-Mail vom 13. April 2023 ausdrücklich darauf hin, dass mindestens die Bankkontoauszüge für den genannten Zeitraum bis am 17. April 2023 eingereicht werden müssen, ansonsten die Ablehnung des Gesuchs erfolge.
Diese Unterlagen wären für die Anspruchsprüfung notwendig gewesen und hätten es der Arbeitslosenkasse erlaubt, die Höhe der Mutterschaftsbeiträge zu berechnen. Bei den Mutterschaftsbeiträgen handelt es sich um Bedarfsleistungen, die nur erbracht werden dürfen, wenn gewisse Einkommens- und Vermögensgrenzen nicht überschritten werden und die Höhe des Lebensbedarfs ausgewiesen ist. Da die Beschwerdeführerin der Arbeitslosenkasse die verlangten Unterlagen nicht rechtzeitig einreichte, war letztere nicht in der Lage, den Lebensbedarf und die Differenz zwischen Lebensbedarf und anrechenbarem Einkommen zu berechnen (§ 4 bis 7 Gesetz über die Ausrichtung kantonaler Mutterschaftsbeiträge). Indem die Beschwerdeführerin die Einreichung dieser von ihr mehrfach und mit Androhung der Säumnisfolge verlangten Unterlagen innert Frist unterlassen hat, hat sie ihre Mitwirkungspflicht verletzt.
9. Bei der sechsmonatigen Frist für das Einreichen der Unterlagen handelt es sich um eine Verwirkungsfrist. Verwirkungsfristen können grundsätzlich weder gehemmt oder unterbrochen noch erstreckt werden und sind stets von Amtes wegen zu berücksichtigen (Gadola Attilio R., Verjährung und Verwirkung im öffentlichen Recht, AJP 4 [1995], S. 56). Eine Wiederherstellung der Frist trotz Verwirkung kann nur ausnahmsweise zugelassen werden, wenn die oder der Berechtigte aus unverschuldeten, unüberwindbaren Gründen verhindert war, ihren bzw. seinen Anspruch rechtzeitig geltend zu machen (Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auflage, Zürich 2020, Rz. 782). Dafür ist ein strenger Massstab anzuwenden. Als Wiederherstellungsgründe gelten beispielsweise eine Naturkatastrophe, ein Unfall oder eine plötzliche schwere Krankheit, Militärdienst oder Katastropheneinsatz (BGE 136 II 187, E. 6).
Die Beschwerdeführerin nennt keinen Grund, weshalb sie zum Termin vom 17. April 2023 mit der Fallverantwortlichen der Abteilung Soziale Dienste Asyl nicht erschienen ist und es ihr nicht möglich gewesen sein soll, die Kontoauszüge fristgerecht einzureichen. Die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Frist sind vorliegend nicht erfüllt. Unter diesen Umständen konnte und durfte die Arbeitslosenkasse die gesetzliche Frist von sechs Monaten nicht erstrecken.
10. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin die einverlangten anspruchsrelevanten Unterlagen trotz mehrmaliger Aufforderung und Androhung der Säumnisfolge nicht eingereicht hat und auch keine unverschuldeten, unüberwindbaren Gründe für die Wiederherstellung der Frist geltend macht. Der Anspruch auf Mutterschaftsbeiträge ist daher verwirkt. Der Entscheid der Arbeitslosenkasse vom 18. April 2023 ist nicht zu beanstanden. Die dagegen eingereichte Beschwerde erweist sich als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.
(…)
Beschluss des Regierungsrats vom 14. August 2023