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Vorbemerkungen

Kann das Auskunftsrecht durch einen bevollmächtigten Dritten ausgeübt werden?

Bei Beendigung einer Leistungsvereinbarung: Was geschieht mit den Daten?

Datenerhebung für eine umfassende Analyse der Vergabepraxis der Bootsplätze in Zuger Gewässern

Datenerhebungen durch die Spitex

Ausgangslage

Eine Person, die wegen einer Querschnittlähmung auf den Rollstuhl angewiesen ist, wird durch die Spitex dreimal wöchentlich beim Duschen unterstützt. Alles Übrige erledigt die betroffene Person selber.

Fragestellung

Anlässlich der Bedarfsabklärung für die Pflegedienste, welche die Spitex erbringt, musste die betroffene Person zahlreiche und sehr detaillierte Auskünfte zu ihren persönlichen Verhältnissen geben (Fragebogen RAI-HC Schweiz/MDS-HC). Sie erkundigte sich beim Datenschutzbeauftragten über die Zulässigkeit dieser Datenerhebung.

Aus der Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten

1. Zuständigkeit

Für Datenbearbeitungen durch Private ist grundsätzlich der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte zuständig. Der Zuger Datenschutzbeauftragte ist für Datenbearbeitungen durch die kantonale und die gemeindlichen Verwaltungen im Kanton Zug zuständig.

Bei der Spitex Kanton Zug handelt es sich um eine private Organisation, ist sie doch als Verein konstituiert. Allerdings nimmt sie im Bereich der ambulanten Langzeitpflege Aufgaben im Auftrag des Kantons bzw. der Gemeinden wahr. Folgende Rechtsgrundlagen sind für diese Aufgabenübertragung vorhanden: Art. 112c Abs. 1 Bundesverfassung (BV, SR 101), § 4 Abs. 2 des Spitalgesetzes des Kantons Zug (Spitalgesetz, BGS 826.11) und § 12 der Verordnung über die stationäre und ambulante Langzeitpflege (BGS 826.113). Darauf gestützt haben die Zuger Einwohnergemeinden mit der Spitex Kanton Zug eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen (vom 30. November 2010, in Kraft seit 1. Januar 2012 [nachfolgend «Leistungsvereinbarung»]).

Soweit die Spitex Kanton Zug im Rahmen von Leistungsvereinbarungen mit Zuger Gemeinden Pflegedienstleistungen erbringt, ist sie als Organ im Sinne des kantonalen Datenschutzgesetzes zu betrachten (vgl. § 2 Bst. i DSG, BGS 157.1). Auf die Bearbeitung von Personendaten durch die Spitex Kanton Zug im Rahmen von Leistungsvereinbarungen ist somit das kantonale Datenschutzgesetz anwendbar. Die Datenschutzstelle übt im Rahmen der Leistungsvereinbarungen die Datenschutzaufsicht über die Spitex Kanton Zug aus (vgl. auch Leistungsvereinbarung Ziff. 3).

Zu diesem Schluss gelangte übrigens auch das vom Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) in Auftrag gegebene Gutachten 051124 des Bundesamtes für Justiz vom 24. November 2005 (VPB 70.54). Der EDÖB bestätigte in seinem 13. Tätigkeitsbericht 2005/2006 denn auch: «(...) Wir gehen mit dem BJ einig, dass die Datenschutzaufsicht über die Spitexdienste grundsätzlich den Kantonen obliegt. Das Qualitätssicherungssystem «RAI-Home Care Schweiz» ist somit an die jeweiligen kantonalen Datenschutznormen anzupassen.»

2. Grundsätze der Datenbearbeitung

Bei der Abklärung des Pflegebedarfs werden neben den eigentlichen Gesundheitsdaten der pflegebedürftigen Patientinnen und Patienten auch Daten über deren persönlichen, wohnlichen und familiären Umstände bearbeitet. Gesundheitsdaten und Persönlichkeitsprofile, wie sie bei der Bedarfsabklärung entstehen, sind besonders schützenswerte Personendaten im Sinn von § 2 Bst. b. DSG.

Organe dürfen besonders schützenswerte Personendaten nur bearbeiten, wenn ein formelles Gesetz dies ausdrücklich vorsieht, wenn es für eine in einem formellen Gesetz umschriebene Aufgabe offensichtlich unentbehrlich ist, oder wenn die betroffene Person im Einzelfall ausdrücklich eingewilligt oder ihre Daten allgemein zugänglich gemacht hat (§ 5 Abs. 2 DSG).

Betreffend Einwilligung zur Bearbeitung von besonders schützenswerten Personendaten bei fehlender gesetzlicher Grundlage sei angemerkt, dass eine solche nur dann vorliegt, wenn die betroffene Person über die Datenbearbeitung angemessen informiert wird, wenn die Willenserklärung ausdrücklich erfolgt, und wenn die Einwilligung freiwillig ist, d.h. Ergebnis des freien Willens der betroffenen Person ist.

Bei der Bearbeitung der Personendaten im Rahmen der Bedarfsabklärung muss die Spitex Kanton Zug ausserdem die allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsätze gemäss § 4 DSG beachten.

3. Grundlagen im Krankenpflegeversicherungsrecht

Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10), die Verordnung über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102) sowie die Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31) enthalten die gesetzlichen Grundlagen zur Bearbeitung von Daten im Rahmen der kassenpflichtigen Krankenpflege. Art. 8 KLV regelt die ärztliche Anordnung und die Bedarfsabklärung. Aus letzterer Bestimmung geht zusammengefasst Folgendes hervor:

  • Die ärztliche Anordnung muss sich auf die Bedarfsabklärung stützen (Abs. 1).
  • Die Bedarfsabklärung umfasst die Beurteilung der Gesamtsituation der Patientin, die Abklärung des Umfeldes und des individuellen Pflege- und Hilfsbedarfs (Abs. 2).
  • Die Bedarfsabklärung erfolgt aufgrund einheitlicher Kriterien. Ihr Ergebnis wird auf einem Formular festgehalten. Dort ist insbesondere der voraussichtliche Zeitbedarf anzugeben (Abs. 3).
  • Der Versicherer kann verlangen, dass ihm diejenigen Elemente der Bedarfsabklärung mitgeteilt werden, welche die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gedeckten Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 KVL betreffen.
  • Der Arzt kann die Anordnung bei Langzeitpatientinnen für maximal sechs Monate erteilen (Abs. 5 Bst. b).
  • Bei Personen, die eine Hilflosenentschädigung der AHV, der IV oder der Unfallversicherung wegen mittlerer oder schwerer Hilflosigkeit erhalten, gilt die ärztliche Anordnung bezogen auf Leistungen infolge des die Hilflosigkeit verursachenden Gesundheitszustandes unbefristet (Abs. 6bis).

4. Zu den Fragebogen «RAI-HC Schweiz/MDS-HC»

RAI-HC steht für «Resident Assessment Instrument-Home Care», ein Bedarfsabklärungsinstrument, das ursprünglich aus den USA stammt. Das System besteht aus mehreren, thematischen Frageformularen.

Der Spitex Verband Schweiz hat seinen Mitgliedern empfohlen, für die Bedarfsabklärung flächendeckend das System RAI-HC-Schweiz einzuführen. Gemäss Ziff. 4.2 der Leistungsvereinbarung wurde denn auch zwischen den Einwohnergemeinden des Kantons Zug und der Spitex Kanton Zug vereinbart, dass das Bedarfsabklärungsinstrument RAI-HC-Schweiz für pflegerische Leistungen angewendet wird.

Gemäss den Vorgaben im Krankenpflegeversicherungsrecht müssen die Leistungserbringer für die Bedarfsabklärung einheitliche Kriterien anwenden. Gegen die Verwendung von standardisierten Formularen zur Bedarfsabklärung ist vor diesem Hintergrund an sich nichts einzuwenden. Allerdings muss auch bei diesem Vorgehen der Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Datenbearbeitung eingehalten werden.

Damit die Datenbearbeitung verhältnismässig ist, muss sie geeignet, erforderlich und für den Betroffenen zumutbar sein. Das System RAI-HC ist an sich ein taugliches Mittel, um den Pflegebedarf eines Patienten abzuklären. Die Datenerhebung mittels Formularen erscheint für den angestrebten Bedarfsabklärungszweck geeignet. Um jedoch auch erforderlich zu sein, muss sie in jedem Einzelfall das mildeste mögliche Mittel darstellen. Konkret bedeutet dies, dass in jedem Einzelfall mittels RAI-HC nur diejenigen Daten erhoben werden, die tatsächlich für die Abklärung des spezifischen Bedarfs einer betroffenen Patientin benötigt werden.

Das beanstandete Formular MDS-HC («Minimum Data Set-Home Care») ist ein Teilformular von RAI-HC Schweiz. Es enthält ca. 130 Fragen/Teilfragen bzw. Angaben des Pflegepersonals zu 19 verschiedenen Bereichen. Die Fragen/Angaben spiegeln im Wesentlichen den Leistungskatalog von Art. 7 Abs. 2 KLV. Nicht alle Patientinnen beanspruchen den gesamten Pflegeleistungskatalog. Auch das Formular MDS-HC muss deshalb sowohl in Papierform wie auch elektronisch grundsätzlich so ausgefüllt werden können, dass jede Patientin und jeder Patient nur diejenigen Fragen beantworten muss, die für die spezifischen Pflegebedürfnisse massgebend sind.

Aus dem Formular MDS-HC geht hervor, dass für einen Teil der Fragen der Zahlencode «9 = Klient gibt keine Antwort» als mögliche Antwort gewählt werden kann. Die Beantwortung dieser Fragen ist offensichtlich freiwillig und die Information ist für die Bedarfsabklärung nicht zwingend notwendig. Wir stellen ausserdem fest, dass gewisse Teilfragen, je nach Beantwortung der Hauptfrage, übersprungen werden können.

Fazit

Die Arbeitsgruppe AGX der Vereinigung der schweizerischen Datenschutzbeauftragten («privatim») hat im August 2002 einen Bericht mitsamt Empfehlungen zum System RAI/RUG für Pflegeheime, dem Schwestersystem zu RAI-HC für die ambulanten Pflegedienste, erstellt. Die Empfehlungen gelten grundsätzlich analog für das System RAI-HC Schweiz. Aus datenschutzrechtlicher Sicht muss die Spitex Kanton Zug bei der Verwendung des Systems RAI-HC Schweiz bzw. bei der Verwendung des Formulars MDS-HC damit insbesondere folgende Punkte beachten:

  • Die Fragen im System RAI-HC Schweiz müssen generell auf ein verhältnismässiges Mass reduziert werden.
  • Sämtliche Fragen/Angaben die in einem konkreten Einzelfall für die Bedarfsabklärung einer Patientin oder eines Patienten nicht zwingend erforderlich sind, müssen bei der systematischen Verwendung von Formularen im Rahmen von RAI-HC übersprungen werden können. Daten dürfen nicht «auf Vorrat» erhoben werden.
  • Fragen/Angaben, die nicht absolut notwendig sind, müssen auf allen Formularen von RAI-HC klar als freiwillig erkennbar sein. Die Patientinnen und Patienten sind zudem ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dass die Beantwortung dieser Fragen freiwillig ist.
  • Die Datenerhebung muss für die Patientinnen und Patienten nachvollziehbar und transparent sein. Die Patientinnen und Patienten sind deshalb schriftlich über sämtliche Aspekte der Datenbearbeitung zu informieren, insbesondere über deren Zweck und Umfang, allfällige Datenbekanntgaben an weitere Empfänger, die getroffenen Massnahmen betreffend Datensicherheit sowie Aufbewahrungsdauer/Archivierung bzw. Vernichtung der Daten.
  • Die Spitex Kanton Zug muss ihre Mitarbeitenden betreffend die Erhebung der Daten ausreichend schulen und instruieren. Die Leistungsvereinbarung mit den Einwohnergemeinden hält denn auch fest, dass die Bedarfsabklärungen nur von dafür qualifizierten Spitex-Fachpersonen vorgenommen werden (Ziff. 4.2).
  • Den Krankenversicherern sind nur obligatorische Fragen bzw. nur diejenigen Daten bekanntzugeben, die sie im konkreten Einzelfall für die Erfüllung ihrer Aufgaben zwingend benötigen.
  • Zu Zwecken der Qualitätskontrolle durch die Spitex selbst oder durch die Krankenkassen dürfen nur anonymisierte Daten bearbeitet werden.
  • Die Spitex Kanton Zug muss ein Datenschutzkonzept erarbeiten, das die Umsetzung der Grundsätze des Datenschutzes beschreibt. Dieses Konzept ist den Patientinnen und Patienten auf Verlangen ebenfalls schriftlich abzugeben.

Ergänzend: Beantwortung der konkreten Fragen

a) «Muss ich der Spitex, beziehungsweise der Krankenkasse persönliche Fragen beantworten, die nichts mit der erbrachten Leistung der Spitex, den von mir benötigten Materialien und mit der ärztlichen Verordnung zu tun haben?»

Nein. Persönliche, gar intime Fragen, die nicht unmittelbar mit den Pflegebedürfnissen, der Bedarfsabklärung oder der Kostenübernahme durch die Krankenkasse im Zusammenhang stehen, müssen nicht beantwortet werden.

b) «Wenn ich mit der Daten-Sammelwut der Spitex nicht einverstanden bin – welche Rechte habe ich aufgrund des Datenschutzgesetzes?»

Vorerst ist die Angelegenheit mit der Spitex, der vorgesetzten Stelle oder allenfalls mit der für die Leistungsvereinbarung zuständigen Stelle der Gemeinde zu besprechen. Sind Vorgaben des Datenschutzgesetzes verletzt – etwa § 4 DSG betr. Verhältnismässigkeit oder Zweckbindung – kann nach § 15 f. DSG vorgegangen werden.

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