Navigieren auf Kanton Zug

Inhaltsnavigation auf dieser Seite

Navigation

Gerichtspraxis

Staats- und Verwaltungsrecht

Zivilrecht

Obligationenrecht

Urheberrecht

Verfahrensrecht

Aktienrecht

Art. 697h aOR

Art. 731b OR

Regeste:

Art. 731b OR – Das Gericht hat bei der Behebung von Organisationsmängeln gemäss Art. 731b OR im Rahmen des Verhältnismässigkeitsprinzips einen grossen Handlungsspielraum. So kann es unter anderem die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation anordnen. Auch in der darauf folgenden Phase der Liquidation ist das Gericht befugt, dem Liquidator Weisungen zu erteilen, wenn dieser seine gesetzlichen Pflichten verletzt, d.h. die Liquidation nicht ordentlich durchgeführt wird und deshalb Aktionärs- und Gesellschaftsinteressen gefährdet oder verletzt werden könnten.

Aus dem Sachverhalt:

Der Einzelrichter am Kantonsgericht Zug ordnete gestützt auf Art. 731b OR über die X. AG die ordentliche Liquidation an und setzte eine Liquidatorin ein. Zu deren Kompetenzen hielt der Einzelrichter Folgendes fest: «Vorliegend ist die Liquidatorin anzuweisen, die Liquidation der Gesuchsgegnerin (X. AG) und alle dafür notwendigen Handlungen auszuführen und in diesem Zusammenhang insbesondere auch allfällige Ersatzansprüche der Gesuchsgegnerin der Tochtergesellschaft gegenüber bzw. von dieser Dritten gegenüber abzuklären und allenfalls einzufordern sowie den Verkauf der Tochtergesellschaft sowie weiterer Vermögenswerte der Gesuchsgegnerin vorzunehmen. Es werden der Liquidatorin dafür alle nötigen Kompetenzen eingeräumt. Die Art und Weise, wie die Liquidatorin im Einzelnen vorzugehen hat, ist indessen nicht festzulegen, sondern bleibt in deren Ermessen.» Die Aktien der X. AG in Liquidation stehen je zur Hälfte im Eigentum von A. und H. Das einzige wesentliche Aktivum der X. AG ist ihre Beteiligung an der Tochtergesellschaft Y. Ltd. Hauptsächlicher Vermögenswert der Tochtergesellschaft ist ein streitiger Anspruch gegenüber der Z. S.A. Die Liquidatorin ordnete die Auktion der Aktien der Tochtergesellschaft an. Zu dieser Auktion lud sie A. und H. sowie die Z. S.A. als Bieter ein. Auf Gesuch von A. hin verbot der Einzelrichter der Liquidatorin, eine Auktion der Aktien der Tochtergesellschaft durchzuführen. Dagegen reichte H. als Nebenintervenient Berufung ein.

Aus den Erwägungen:

2.3 Gemäss Art. 731b OR kann ein Aktionär, ein Gläubiger oder der Handelsregisterführer dem Richter beantragen, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, falls der Gesellschaft eines der vorgeschriebenen Organe fehlt oder eines dieser Organe nicht rechtmässig zusammengesetzt ist (Abs. 1 Ingress). Der Richter kann insbesondere der Gesellschaft unter Androhung ihrer Auflösung eine Frist ansetzen, binnen derer der rechtmässige Zustand wieder herzustellen ist (Abs. 1 Ziff. 1), das fehlende Organ oder einen Sachwalter ernennen (Abs. 1 Ziff. 2) oder die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anordnen (Abs. 1 Ziff. 3). Das Bundesgericht hat sich in BGE 138 III 294 (bestätigt in BGE 138 III 407) eingehend mit dieser Norm auseinandergesetzt und dazu u.a. Folgendes festgehalten:

2.3.1 Mit den Bestimmungen von Art. 731b OR hat der Gesetzgeber eine einheitliche Ordnung für die Behebung und Sanktionierung organisatorischer Mängel innerhalb einer Gesellschaft geschaffen. Die Bestimmung erfasst diejenigen Fälle, in denen eine zwingende gesetzliche Vorgabe hinsichtlich der Organisation der Gesellschaft nicht oder nicht mehr eingehalten wird. Sie bezieht sich sowohl auf das Fehlen als auch die nicht rechtsgenügende Zusammensetzung obligatorischer Gesellschaftsorgane. Die Behebung von Organisationsmängeln steht im Interesse eines funktionierenden Rechtsverkehrs und kann die Interessen von Anspruchsgruppen («Stakeholder») berühren, die sich am Verfahren nach Art. 731b OR nicht beteiligen (Arbeitnehmer, Gläubiger, Aktionäre). Aufgrund der Interessen Dritter sowie der Öffentlichkeit ist der Richter an spezifizierte Anträge der Parteien nicht gebunden. Das im Summarium durchzuführende Organisationsmängelverfahren ist mithin vom Offizialgrundsatz beherrscht (Art. 58 Abs. 2 ZPO): Die Parteien haben keine Verfügungsbefugnis über den Streitgegenstand und können sich namentlich auch nicht vergleichen (BGE 138 III 294 E. 3.1.2 und 3.1.3, S. 297 f., mit weiteren Hinweisen).

2.3.2 Bei den in den Ziffern 1-3 von Art. 731b Abs. 1 OR genannten Massnahmen zur Behebung des Organisationsmangels handelt es sich um einen exemplifikativen, nicht abschliessenden Katalog. Mit Art. 731b Abs. 1 OR wollte der Gesetzgeber dem Richter ähnlich wie bei der Auflösungsklage gemäss Art. 736 Ziff. 4 OR einen hinreichenden Handlungsspielraum gewähren, um eine mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalles angemessene Massnahme treffen zu können. Der Richter ist bei der Ausübung dieses Handlungsspielraums freilich nicht ungebunden: Es gilt wie im Verfahren nach Art. 736 Ziff. 4 OR das Verhältnismässigkeitsprinzip. Die Auflösung nach Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR stellt eine ultima ratio dar, also das letztmögliche Mittel, das erst zur Anwendung gelangt, wenn sich mildere Mittel nicht als sachgerecht bzw. zielführend erweisen (BGE 138 III 294 E. 3.1.4, S. 298 f., mit weiteren Hinweisen).

2.3.3 Besteht im Aktionariat einer Gesellschaft eine Pattsituation bzw. Blockade (sog. «Deadlock»), kann dies dazu führen, dass obligatorische Gesellschaftsorgane nicht (mehr) bestellt werden können. Zur Behebung eines solchen Organisationsmangels, der auf einer Pattsituation im Aktionariat zurückgeht, stellt die Ernennung des fehlenden Organs gemäss Art. 731b Abs. 1 Ziff. 2 OR die grundsätzlich angemessene Massnahme dar. Dies gilt selbst dann, wenn anzunehmen ist, dass sich die Aktionäre auch in der Zukunft nicht zu gemeinsamem Handeln durchringen können und die Pattsituation die Gesellschaft auf Dauer funktionsunfähig macht. Auch unter solchen Umständen ist die Auflösung der Gesellschaft nicht die einzige Lösung, um den «Deadlock» zu beheben. Gestützt auf Art. 731b OR bzw. Art. 736 Ziff. 4 OR kann das Gericht nämlich Massnahmen anordnen, die für die Gesellschaft und die weiteren Anspruchsgruppen des Unternehmens weniger einschneidend sind als eine Auflösung und anschliessende Liquidation. Bei einer blockierten Zweimanngesellschaft ist etwa an eine Übernahme der Aktien des einen Aktionärs durch den anderen im Rahmen einer richterlich angeordneten Versteigerung zu denken. Mit einer solchen oder ähnlichen Massnahme kann der Beibehaltung des Fortführungswerts der Gesellschaft («going concern value») im richterlichen Urteilsdispositiv selbst Rechnung getragen werden (BGE 138 III 294 E. 3.1.5, S. 299, und E.3.3.3, S. 303 f., je mit weiteren Hinweisen).

2.4 Aufgrund dieser Erwägungen des Bundesgerichts steht – entgegen der Auffassung des Nebenintervenienten – fest, dass das Gericht bei der Behebung von Organisationsmängeln gemäss Art. 731b OR im Rahmen des Verhältnismässigkeitsprinzips einen grossen Handlungsspielraum hat und es namentlich auch eine Versteigerung von Aktien anordnen kann. Dies muss offenkundig auch dann gelten, wenn das Gericht – wie vorliegend – in einem Verfahren gemäss Art. 731b OR die ordentliche Liquidation der Gesellschaft anordnet.

Im vorliegenden Fall geht es im Kern allerdings nicht (mehr) um einen Organisationsmangel (der bereits mit der Anordnung der Liquidation und der Einsetzung einer Liquidatorin behoben wurde), sondern um die Liquidation an sich, d.h. die Verwertung der Aktiven und die Verteilung des durch die Verwertung erzielten Vermögens der Gesuchsgegnerin (Art. 743 und 745 OR). Es ist indessen nicht einzusehen, weshalb dem Gericht nicht auch in dieser Phase die Kompetenz zukommen sollte, dem Liquidator Weisungen zu erteilen. Eine solche Kompetenz scheint zwar insofern als problematisch, als sie zu Eingriffen in die Geschäftstätigkeit des Liquidators führen kann. Dessen Aktionsfreiheit wird aber dann nicht beschränkt, solange die an den Liquidator gerichteten Weisungen nicht über das hinausgehen, was er nach Gesetz und Rechtsprechung ohnehin zu tun hat (vgl. BGE 112 II 1 E. 7.b, S. 12 f.). Ferner ist zu beachten, dass gemäss Art. 741 Abs. 2 OR der Richter (auf Antrag eines Aktionärs) auch Liquidatoren abberufen und andere ernennen kann, sofern wichtige Gründe vorliegen. Diese Bestimmung bezweckt zwar in erster Linie den Schutz der Minderheitsinteressen. Als wichtiger Grund ist aber allgemein jeder Umstand zu betrachten, der nach objektiver Wertung darauf schliessen lässt, dass die Liquidation nicht ordentlich durchgeführt wird und deshalb Aktionärs- und Gesellschaftsinteressen gefährdet oder verletzt werden könnten (Pra 96/2007 Nr. 80 [BGE 132 III 758] E. 3.3, mit weiteren Hinweisen; Stäubli, Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 4. A., Basel 2012, N 9 zu Art. 740/741 OR). Wenn aber das Gericht befugt ist, Liquidatoren abzuberufen, und es dabei zu prüfen hat, ob die Liquidation mit Rücksicht auf die Aktionärs- und Gesellschaftsinteressen ordentlich durchgeführt wird, muss es (a maiore ad minus) auch im Verfahren gemäss Art. 731b OR die weniger weitgehende Kompetenz haben, dem Liquidator Weisungen zu erteilen, wenn dieser seine gesetzlichen Pflichten verletzt, d.h. die Liquidation nicht ordentlich durchgeführt wird und deshalb Aktionärs- und Gesellschaftsinteressen gefährdet oder verletzt werden könnten. Dies muss vorliegend umso mehr gelten, als auch die Generalversammlung in die Tätigkeit der Liquidatoren eingreifen und ihnen namentlich die freihändige Verwertung von Aktiven verbieten kann (Art. 743 Abs. 4 OR und hinten E. 4).

Obergericht, II. Zivilabteilung, 4. Februar 2013

Weitere Informationen

Fusszeile

Deutsch