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§ 72 PBG, § 9 Abs. 1 + 2 BO Walchwil

Regeste:

§ 72 PBG, § 9 Abs. 1 + 2 BO Walchwil – Wann liegt ein Neubau, wann ein Umbau vor, welcher unter die Bestandesgarantie gemäss § 72 PBG fällt? Wann gilt eine Dachkonstruktion als Dachaufbaute, wann liegt eine besondere Dachform vor?

Aus den Erwägungen:

3. Die Parteien sind sich nicht einig, ob das umstrittene Bauprojekt unter die Bestandesgarantie gemäss § 72 PBG fällt oder nicht. Der Gemeinderat Walchwil betrachtet das Bauprojekt als Neubau. Der Gemeinderat begründet seinen Standpunkt damit, dass das bestehende Dachgeschoss abgebrochen und durch ein neues Mansardendach ersetzt werde. Zudem seien noch Erweiterungen im Dachgeschoss vorgesehen. Das Dachgeschoss werde nicht umgebaut, sondern neu gebaut. Die Konsequenz daraus sei, dass mit den zwei neuen Giebellukarnen und der bestehenden Lukarne an der Südwestfassade § 9 BO Walchwil nicht eingehalten werde. Der Beschwerdeführer führt demgegenüber aus, dass § 72 PBG nicht zur Anwendung gelange, weil das bestehende Gebäude des Beschwerdeführers gar nicht den Bauvorschriften widerspreche. Die Dächer über den beiden Balkonen auf der Südwestseite des Gebäudes seien im Zeitpunkt der Bewilligung gar nicht als Dachaufbauten, sondern als Quergiebel qualifiziert worden. Für Quergiebel würden die Beschränkungen für Dachaufbauten nicht gelten. Hätte die Baubehörde die Quergiebel als Lukarnen qualifiziert, so hätten diese Bauteile gar nicht bewilligt werden können. Im Übrigen kämen die Veränderungen im Dachgeschoss keinem Neubau gleich, sämtliche Lukarnen und auch die Dachfirste blieben erhalten, ersetzt werde nur die Dachhaut.

a) Die Bestandesgarantie wird aus der Eigentumsgarantie abgeleitet. Sie bedeutet, dass rechtmässig erstellte Bauten und Anlagen in ihrem Bestand geschützt sind. Sie dürfen, auch wenn sie den geltenden Vorschriften nicht mehr entsprechen, weiter bestehen bleiben und unterhalten werden. Die Bestandesgarantie gemäss § 72 PBG geht weiter als jene gemäss der Eigentumsgarantie. Bei Bauten und Anlagen, die nicht mehr dem geltenden Recht entsprechen, unterscheidet sie zwischen den zonenfremd gewordenen Bauten und Anlagen und jenen, die nicht mehr den geltenden Bauvorschriften entsprechen. Für beide Fälle gelten unterschiedliche Regelungen. Im vorliegenden Fall stellt sich nur die Frage, ob das bestehende Gebäude des Beschwerdeführers den heute geltenden Bauvorschriften widerspricht. Für diesen Fall ist in § 72 Abs.2 PBG folgende Regelung vorgesehen: «Falls Bauten und Anlagen der Zone entsprechen, nicht aber den Bauvorschriften, dürfen sie unterhalten, erneuert und, soweit dadurch nicht stärker vom geltenden Recht abgewichen wird, auch umgebaut oder erweitert werden». Als nächster Schritt ist nun der Frage nachzugehen, ob das bestehende Gebäude den geltenden Bauvorschriften widerspricht.

b) Gemäss § 9 Abs. 1 und 2 BO Walchwil dürfen Giebellukarnen und andere Dachaufbauten zusammen 50 % der entsprechenden Fassadenlänge nicht überschreiten. Unter einer Dachaufbaute versteht man definitionsgemäss einen über die Grundform des Daches hinausragenden Bauteil. Dies kann eine Lukarne, eine Gaube, ein Ochsenauge usw. sein. Die Bestimmung von § 9 BO Walchwil ist eine spezielle Ästhetikvorschrift, die verhindern will, dass überdimensionierte Dachaufbauten erstellt werden können und das Dachgeschoss damit zu einem Vollgeschoss wird. Dachaufbauten durchstossen üblicherweise die Dachfläche, es ist aber auch denkbar, dass eine Dachaufbaute die Traufe durchbricht. Zu beachten ist schliesslich auch noch, dass es spezielle Dachkonstruktionen gibt wie den sogenannten Kreuzfirst, der eine besondere Dachform ist und nicht als Dachaufbaute gilt. Der Kreuzfirst setzt in der Regel auf der Höhe des Hauptfirstes an und verläuft horizontal im rechten Winkel zur Fassade. Der Kreuzfirst kann die ganze Breite des Gebäudes einnehmen oder nur einen Teil davon. Die Stirnfassade des Kreuzfirstes ist mindestens bündig mit der darunterliegenden Fassade des Hauptbaukörpers oder kragt vor (vgl. Fritzsche/Bösch/Wipf, Zürcher Planungs- und Baurecht, 5. Auflage, Zürich 2011, S. 941 f.).

c) Ein Blick in die aufgelegten Planunterlagen zeigt, dass auf der Südwestseite des Gebäudes von einer Fassadenlänge von 17 m auszugehen ist. Die Dachkonstruktion in der Mitte des Daches hat die Form eines Kreuzfirstes, weil die Fassade dort ohne Unterbruch bis zum Dachfirst hinaufgezogen ist. Diese Baukonstruktion fällt damit nicht unter die Längenbeschränkung für Dachaufbauten. Anders sieht die Situation dagegen bei den beiden Quergiebeln aus, welche sich am Dachende befinden. Diese Dachaufbauten haben die Form einer Giebellukarne und diese Dachaufbauten fallen damit unter die Längenbeschränkung für Dachaufbauten gemäss § 9 BO Walchwil. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind diese beiden «Quergiebel» nicht eine besondere Dachkonstruktion, auf die die Vorschriften über Dachaufbauten nicht anwendbar sind. Als Kreuzfirst können diese Dachaufbauten sowieso nicht angesehen werden, weil sich der Frist der beiden Giebellukarnen deutlich unterhalb vom Hauptfirst befindet. Diese beiden Dachaufbauten haben gesamthaft eine Länge von 9 m und das zulässige Mass von 50 % der Fassadenlänge wird bei einer Fassadenlänge von 17 m damit überschritten. Die Folge davon ist, dass das bestehende Gebäude des Beschwerdeführers damit nicht den geltenden Bauvorschriften entspricht. Bezüglich der Anwendbarkeit von § 72 PBG bedeutet dies, dass das umstrittene Bauprojekt unter die Bestimmung von § 72 PBG fällt und nach dieser zu beurteilen ist.

d) Die gegenteiligen Ausführungen des Beschwerdeführers und des Gemeinderates Walchwil sind unbegründet. So wurde bereits ausgeführt, weshalb die bestehenden Dachaufbauten auf der Südwestseite des Gebäudes zu lang sind und diese damit nicht den geltenden Vorschriften entsprechen. Unbegründet ist aber auch der Hinweis des Gemeinderates, dass das Bauvorhaben ein Neubau und nicht ein Umbau sei. Bei der Beurteilung dieser Frage muss das Vorhaben als Ganzes betrachtet werden und es kann nicht nur auf die baulichen Veränderungen im Dachgeschoss abgestellt werden, wie das der Gemeinderat Walchwil getan hat. Schaut man das Bauvorhaben als Ganzes an, so handelt es sich nicht um einen Neubau, sondern um einen Umbau, verbunden mit einer Erweiterung des Gebäudevolumens.

4. Fällt das Bauvorhaben des Beschwerdeführers unter die Bestandesgarantie gemäss § 72 Abs. 2 PBG, so ist nun der Frage nachzugehen, ob das umstrittene Bauprojekt der Bestimmung von § 72 Abs. 2 PBG entspricht.

a) Nach der Bestimmung von § 72 Abs. 2 PBG dürfen zonenkonforme, aber baurechtswidrige Bauten und Anlagen unterhalten, erneuert und soweit dadurch nicht stärker vom geltenden Recht abgewichen wird, auch umgebaut oder erweitert werden.

b) Das Baugesuch des Beschwerdeführers sieht umfassende Änderungen im Dachgeschoss vor, indem das Giebeldach durch ein Mansardendach ersetzt werden soll. Änderungen sind auch bei Dachaufbauten auf der Südwestseite des Gebäudes vorgesehen. Die zwei Giebellukarnen, die sich je am Ende des Daches befinden, sollen durch Lukarnen in der Form eines Mansardendaches ersetzt werden. Im Erdgeschoss wird das Geschoss auf der Südwestseite um einen Wintergarten erweitert.

c) Mit den zuvor erwähnten Änderungen im Dachgeschoss und im Erdgeschoss wird das Gebäude volumenmässig erweitert. Nach der erwähnten Regelung von § 72 Abs. 2 PBG ist eine Erweiterung zulässig, soweit dadurch nicht stärker vom geltenden Recht abgewichen wird. Da die beiden Dachaufbauten auf der Südwestseite des Gebäudes umgestaltet und verbreitert werden und neu auch die Dachkonstruktion in der Mitte des Gebäudes zu den Dachaufbauten zu zählen ist, weicht das Bauprojekt stärker vom geltenden Recht ab als bisher. Die Dachkonstruktion in der Mitte des Gebäudes ist nach der Erweiterung des Erdgeschosses kein Kreuzfrist mehr, sondern eine Dachaufbaute, weil die Stirnfassade des früheren Kreufirstes nach der Erweiterung des Wintergartens im Erdgeschoss nicht mehr mit der darunterliegenden Fassade bündig ist. Die drei Dachaufbauten des umstrittenen Bauprojektes haben gesamthaft eine Länge von rund 13 m und dies bei einer Fassadenlänge von 17 m. Damit steht fest, dass das Bauprojekt stärker vom geltenden Recht abweicht als bisher, und es ist damit nicht bewilligungsfähig. Der Gemeinderat Walchwil hat somit das Baugesuch zu Recht abgelehnt.

Regierungsrat, 2. April 2013

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