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Art. 315 Abs. 1 ZGB und Art. 314 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 442 Abs. 5 ZGB

Art. 360 ff. ZGB

Regeste:

Art. 360 ff. ZGB – Gültigkeit eines Vorsorgeauftrags. Ist der Vorsorgeauftraggeber volljährig und umfasst der  Vorsorgeauftrag einen Bereich, in welchem die Handlungsfähigkeit nicht durch eine behördliche Massnahme beschränkt wird, ist beim Vorsorgeauftrag letztlich die Frage nach der  Urteilsfähigkeit von zentraler Bedeutung.

Aus dem Sachverhalt:

A beauftragte seine Ehefrau B mit öffentlich beurkundetem Vorsorgeauftrag vom 26. April 2013, ihn im Falle amtlich festgestellter Urteilsunfähigkeit in verschiedenen Angelegenheiten zu vertreten. Nachdem Sohn C aus erster Ehe von A wegen Zweifeln an der Gültigkeit des Vorsorgeauftrags im Sommer 2013 an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Kantons Zug (KESB) gelangt war, führte die KESB verschiedene Abklärungen, darunter auch medizinische, durch und stellte mit Entscheid vom 27. Mai 2014 die Ungültigkeit des Vorsorgeauftrags fest, da A im massgebenden Zeitpunkt, d.h. im April 2013, nicht mehr in rechtsgenüglichem Masse urteilsfähig gewesen sei. Gegen diesen Entscheid beschwerten sich A und B mit Eingabe vom 27. Juni 2014 beim Verwaltungsgericht und beantragten im Wesentlichen die Feststellung der Gültigkeit des Vorsorsorgeauftrags.

Aus den Erwägungen:

(...)

2. Ein zentrales Revisionsanliegen des per 1. Januar 2013 in Kraft getretenen neuen Erwachsenenschutzrechts ist die Förderung des Selbstbestimmungsrechts in der Form der eigenen Vorsorge (Daniel Rosch, Kurzkommentar ZGB, Vorbemerkungen zu Art. 360-456 N 9), beispielsweise in der Form eines Vorsorgeauftrags. Nach Art. 360 Abs. 1 ZGB kann eine handlungsfähige Person eine natürliche oder juristische Person beauftragen, im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die Vermögenssorge zu übernehmen oder sie im Rechtsverkehr zu vertreten. Sie muss die Aufgaben, die sie der beauftragten Person übertragen will, umschreiben und kann Weisungen für die Erfüllung der Aufgaben erteilen (Abs. 2). Sie kann für den Fall, dass die beauftragte Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen (Abs. 3). Durch den Vorsorgeauftrag gemäss Art. 360 ff. ZGB wird ein Instrument ins Gesetz aufgenommen, welches es einer Person erlaubt, mit Blick auf den Fall schwindender Urteilsfähigkeit selber eine natürliche oder juristische Person zu bestimmen, welche die Personen- oder Vermögenssorge oder die Rechtsvertretung übernehmen soll. Damit wird die Selbstbestimmung pro futuro der jetzt noch handlungsfähigen Person gestärkt, was einem Ziel des neuen Erwachsenenschutzrechts entspricht. Das Selbstbestimmungsrecht kann durch den Vorsorgeauftrag über die Zeit der Urteilsunfähigkeit hinaus gewahrt werden (Alexandra Rumo-Jungo, Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 360 N 9). Der Vorsorgeauftrag enthält Dispositionen des Auftraggebers für den Fall seiner Urteilsunfähigkeit. Die Wirksamkeit des Vorsorgeauftrags setzt demnach den Eintritt der Urteilsunfähigkeit des Auftraggebers voraus. Es handelt sich hierbei um eine suspensive Bedingung (Rumo-Jungo, Basler Kommentar, a.a.O., Art. 360 N 30). Der (gültige) Vorsorgeauftrag wird gemäss Art. 360 Abs. 1 ZGB von einer handlungsfähigen Person errichtet. Diese Person muss folglich im Zeitpunkt der Errichtung volljährig und urteilsfähig (Art. 13, 14 und 16 ZGB) sein und darf nicht unter umfassender Beistandschaft stehen (Art. 17 und Art. 398 Abs. 3 ZGB; vgl. auch Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 28. Juni 2006, Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht, BBl 2006 7025). Ist auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, so kann ein Vorsorgeauftrag nicht gültig errichtet werden (Rumo-Jungo, Basler Kommentar, a.a.O., Art. 360 N 20). In formeller Hinsicht ist zu beachten, dass der Vorsorgeauftrag gemäss Art. 361 Abs. 1 ZGB eigenhändig zu errichten oder öffentlich zu beurkunden ist. Der eigenhändige Vorsorgeauftrag ist von der auftraggebenden Person von Anfang bis Ende von Hand niederzuschreiben, zu datieren und zu unterzeichnen (Art. 361 Abs. 2 ZGB). Das Zivilstandsamt trägt auf Antrag die Tatsache, dass eine Person einen Vorsorgeauftrag errichtet hat, und den Hinterlegungsort in die zentrale Datenbank ein. Der Bundesrat erlässt die nötigen Bestimmungen, namentlich über den Zugang zu den Daten (Art. 361 Abs. 3 ZGB).

Erfährt die Erwachsenenschutzbehörde, dass eine Person urteilsunfähig geworden ist, und ist ihr nicht bekannt, ob ein Vorsorgeauftrag vorliegt, so erkundigt sie sich beim Zivilstandsamt (Art. 363 Abs. 1 ZGB). Liegt ein Vorsorgeauftrag vor, so prüft die Erwachsenenschutzbehörde, ob dieser gültig errichtet worden ist (Art. 363 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB); die Voraussetzungen für seine Wirksamkeit eingetreten sind (Ziff. 2); die beauftragte Person für ihre Aufgaben geeignet ist; und (Ziff. 3) weitere Massnahmen des Erwachsenenschutzes erforderlich sind (Ziff. 4). Nimmt die beauftragte Person den Vorsorgeauftrag an, so weist die Behörde sie auf ihre Pflichten nach den Bestimmungen des Obligationenrechts über den Auftrag hin und händigt ihr eine Urkunde aus, die ihre Befugnisse wiedergibt (Art. 363 Abs. 3 ZGB). Die Gültigkeitsprüfung nach Art. 363 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB ist insofern konstitutiv, als die Gültigkeits- und Wirksamkeitsvoraussetzungen zu prüfen und festzustellen sind, was nur durch die Beschwerdegegnerin rechtsverbindlich erfolgen kann. Das Prüfungsprogramm mündet in eine Feststellungsverfügung. Das ändert nichts daran, dass die Wirksamkeit des gültigen Vorsorgeauftrags als einseitiges Rechtsgeschäft nicht von der behördlichen Feststellung abhängt, sondern ex lege eintritt, sobald die erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind (namentlich die Suspensivbedingung der Urteilsunfähigkeit des Auftraggebers eingetreten ist). Stehen Gültigkeit, Wirksamkeit und Geeignetheit des Beauftragten fest und nimmt dieser den Auftrag an, erlässt die Beschwerdegegnerin einen Validierungsentscheid (Rumo-Jungo, Basler Kommentar, a.a.O., Art. 363 N 1a f. und Art. 360 N 31). Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdegegnerin den im Vorsorgeauftrag geäusserten Willen und damit den Selbstbestimmungsanspruch der betroffenen Person möglichst umfassend zu respektieren hat und dem Vorsorgeauftrag die Wirksamkeit nicht ohne triftige Gründe verweigern und stattdessen eine behördliche Massnahmen anordnen darf (Rosch, a.a.O., Art. 360 N 3).

3. Ist der Vorsorgeauftraggeber volljährig und umfasst der Vorsorgeauftrag einen Bereich, in welchem die Handlungsfähigkeit nicht durch eine behördliche Massnahme beschränkt wird, ist beim Vorsorgeauftrag letztlich die Frage nach der Urteilsfähigkeit von zentraler Bedeutung (Carmen Ladina Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, Vertretung und Selbstbestimmung – insbesondere: Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag, Luzern 2010, S. 274).

3.1 Gemäss Art. 16 ZGB ist jede Person im Sinne dieses Gesetzes urteilsfähig, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. Die Urteilsfähigkeit ist die Fähigkeit einer Person, sich ein akkurates Urteil über die Zustände und Geschehnisse um sich herum zu bilden und entsprechend zu handeln. Nach der massgeblichen bundesgerichtlichen Rechtsprechung umfasst der Begriff der Urteilsfähigkeit zwei Elemente. Zum einen enthält er eine verstandesmässige, intellektuelle Komponente, d.h. die Fähigkeit, einen eigenen Willen zu bilden, und somit die Fähigkeit, Sinn, Zweckmässigkeit und Wirkung einer bestimmten Handlung zu erkennen. Zum anderen verlangt das Bundesgericht ein Willens- bzw. Charakterelement, nämlich die Fähigkeit, gemäss der vernünftigen Erkenntnis nach seinem freien Willen zu handeln und allfälliger fremder Willensbeeinflussung in normaler Weise Widerstand zu leisten (Urteil des Bundesgerichts vom 30. Juni 2006, 5C.257/2003 Erw. 4.2; BGE 124 III 5 Erw. 1a; BGE 127 I 6 Erw. 7b/aa; vgl. auch Sandra Hotz, Kurzkommentar ZGB, Art. 16 N 1).

3.2 Die Urteilsfähigkeit ist relativ. Ihr Vorliegen ist jeweils im Einzelfall und mit Bezug auf die in Frage stehende Handlung zu beurteilen (BGE 134 II 235 Erw. 4.3.2). Für die konkrete Rechtshandlung kann die Urteilsfähigkeit aber nur gegeben oder nicht gegeben sein; auf keinen Fall kann sie teilweise gegeben sein (Frank Petermann, Urteilsfähigkeit, Zürich/St. Gallen, 2008, N 140; Widmer Blum, a.a.O., S. 38). Die Urteilsfähigkeit muss mithin im Zeitpunkt der Auftragserteilung vorliegen. Der Umstand, dass die Urteilsfähigkeit womöglich vorher oder nachher eingeschränkt oder aufgehoben war, ist nicht relevant (Rumo-Jungo, Basler Kommentar, a.a.O., Art. 360 N 22). Weil es nur auf die Urteilsfähigkeit im Moment der Vornahme der Rechtshandlung ankommt, ist diese auch dann gültig, wenn sie eine grundsätzlich urteilsunfähige Person in einem luziden Augenblick vorgenommen hat (Stephan Wolf und Anna Lea Setz, Handlungsfähigkeit, insbesondere Urteilsfähigkeit, sowie ihre Prüfung durch den Notar, in: Das neue Erwachsenenschutzrecht – insbesondere Urteilsfähigkeit und ihre Prüfung durch die Urkundsperson, herausgegeben von Stephan Wolf, Bern 2012, S. 43). Vorliegend ist nach der Tragweite des Vorsorgeauftrags, die von den allgemeinen Lebensumständen der Person abhängt, und der Komplexität der delegierten Aufgabe zu differenzieren. Der Auftraggeber muss in jedem Fall im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Einsicht in die Komplexität der möglichen Rechtsgeschäfte und deren Tragweite haben (Ernst Langenegger, Kurzkommentar ZGB, Art. 360 N 14; Rumo-Jungo, Basler Kommentar, a.a.O., Art. 360 N 22). Die verfügende Person muss somit im Moment des Erstellens fähig sein, die Tragweite des Geschäfts zu erkennen und seine inhaltliche Bedeutung, seine Wirkungen sowie seine Zeitverhältnisse zu erfassen (Widmer Blum, a.a.O., S. 274).

4. (...) Umstritten und zu prüfen ist im vorliegenden Verfahren einzig die Gültigkeit des Vorsorgeauftrags i.S. von Art. 363 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB.

Nach Langenegger umfasst die Gültigkeitsprüfung nach Art. 363 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB folgende Punkte: 1. Liegt ein Originaldokument vor und sind die Formvorschriften nach Art. 361 ZGB eingehalten? 2. War die auftraggebende Person im Zeitpunkt der Errichtung des Vorsorgeauftrags handlungsfähig, d.h. volljährig, nicht einer umfassenden Beistandschaft unterstellt und urteilsfähig? 3. Sind die inhaltlichen Minimalanforderungen an einen Vorsorgeauftrag erfüllt und steht dieser als Ganzes in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung? Wenn alle diese Fragen bejaht werden können, liegt ein gültiger Vorsorgeauftrag vor (Langenegger, a.a.O., Art. 363 N 6). Der Vorsorgeauftrag liegt dem Gericht im Original vor und die Formvorschriften nach Art. 361 Abs. 1 ZGB sind angesichts der am 26. April 2013 erfolgten öffentlichen Beurkundung als erfüllt zu betrachten (BG-act. 1.37). Das Gleiche gilt für die Kriterien betreffend Erfüllung inhaltlicher Minimalanforderungen und Übereinstimmung mit der Rechtsordnung. Der Beschwerdeführer beauftragte nämlich im Vorsorgeauftrag seine – vorliegend auch als Beschwerdeführerin auftretende – Ehefrau B, ihn im Falle amtlich festgestellter Urteilsunfähigkeit in allen nachfolgend aufgelisteten Angelegenheiten zu vertreten. Dieser Vorsorgeauftrag ersetze allfällige frühere Aufträge und bezwecke insbesondere die Vermeidung einer rechtlich angeordneten Betreuung. (...) Mit dieser detaillierten Aufzählung der konkreten Aufgaben sind die inhaltlichen Minimalanforderungen nach Art. 360 Abs. 2 ZGB an einen Vorsorgeauftrag erfüllt. Schliesslich ist nicht ersichtlich und wird von der Beschwerdegegnerin auch nicht geltend gemacht, inwiefern der Vorsorgeauftrag einen Verstoss gegen die Rechtsordnung beinhalten sollte. Zum Zeitpunkt der Errichtung des Vorsorgeauftrags war der Beschwerdeführer volljährig und stand nicht unter einer umfassenden Beistandschaft. Umstritten und zu prüfen bleibt somit im vorliegenden Verfahren einzig die Handlungsfähigkeit bzw. insbesondere die Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers im erwähnten Zeitpunkt. (...)

(...)

7. Abschliessend bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Errichtung des Vorsorgeauftrags, d.h. am 26. April 2013, sowohl betreffend die Person der Vorsorgebeauftragten bzw. der beiden Ersatzvorsorgebeauftragten als auch betreffend die Komplexität der zu delegierenden Aufgaben urteilsfähig gewesen ist und sich somit der Tragweite des Geschäfts, seiner inhaltlichen Bedeutung, seiner Wirkungen und seiner Zeitverhältnisse bewusst gewesen ist. Der Vorsorgeauftrag wurde mithin i.S. von Art. 363 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB gültig errichtet. Des Weiteren sind die Voraussetzungen für seine Wirksamkeit i.S. von Art. 363 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB eingetreten und aus den Akten ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Vorsorgebeauftragte bzw. die beiden Ersatzvorsorgebeauftragten nicht i.S. von Art. 363 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB als für ihre Aufgaben geeignet zu betrachten wären; auch die KESB selber machte diesbezüglich keine konkreten Vorbehalte. In Bezug auf diese Thematik begnügte sie sich nämlich auf Ausführungen allgemeiner Natur. Nachdem aber seit Beginn des bei ihr hängigen Verfahrens weniger die inhaltlichen Bestimmungen des Vorsorgeauftrags als die damit betrauten Personen Gegenstand der Kritik waren, hätte erwartet werde dürfen, dass sich die KESB zur Eignung der beauftragten Personen materiell geäussert hätte. Ein weiteres Indiz für die Gültigkeit des Vorsorgeauftrags ist schliesslich der Umstand, dass dieser vom 26. April 2013 datiert und somit als zeitnah zu qualifizieren ist. Die Beschwerde ist daher insofern gutzuheissen, als die Gültigkeit und Wirksamkeit des Vorsorgeauftrags festzustellen und auch die Geeignetheit der Vorsorgebeauftragten bzw. der beiden Ersatzvorsorgebeauftragten für ihre Aufgaben zu bejahen ist. Die KESB hat abzuklären, ob die Vorsorgebeauftragte bzw. allenfalls die Ersatzvorsorgebeauftragten den Auftrag annehmen. Ausserdem hat die KESB zu prüfen, ob der Vorsorgeauftrag zur Interessenwahrung des Beschwerdeführers genügt oder ob ergänzend (nach wie vor) erwachsenenschutzrechtliche Massnahmen notwendig sind. Angesichts des Ausgangs des Verfahrens erübrigt sich die Durchführung der von den Beschwerdeführern beantragten Zeugenbefragung.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 13. November 2014 F 2014 30

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