Navigieren auf Kanton Zug

Gerichtspraxis

Rechtspflege

Anwaltsrecht

Strafrechtspflege

Zivilrechtspflege

Art. 38 ff. LugÜ; Art. 319-327 ZPO
Art. 38 ff. LugÜ, Art. 327a Abs. 1 ZPO

Art. 99 Abs. 1 ZPO

Regeste:

Art. 99 Abs. 1 ZPO – Eine im Prozess als Klägerin auftretende Konkursmasse kann nur dann der  Kautionspflicht unterworfen werden, wenn sie nicht glaubhaft machen kann, dass sie die mutmassliche Parteientschädigung der beklagten Partei zu decken vermag (E. 4). Nur «die klagende Partei» ist kautionspflichtig. Diesbezüglich ist – auch im Rechtsmittelverfahren – ausschliesslich auf die prozessuale Stellung als klagende Partei und nicht auf die materiell-rechtliche Rolle als einen Rechtsanspruch geltend machende Partei abzustellen (E. 5).

Aus den Erwägungen:

3. Gemäss Art. 99 Abs. 1 ZPO hat die klagende Partei auf Antrag der beklagten Partei für deren Parteientschädiugung u.a. dann Sicherheit zu leisten, wenn sie zahlungsunfähig erscheint, namentlich wenn gegen sie der Konkurs eröffnet oder ein Nachlassverfahren im Gang ist oder Verlustscheine bestehen (lit. b) oder wenn andere Gründe für eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung bestehen (lit. d).

4. Die Klägerin [und Berufungsbeklagte] stützt ihr Sicherstellungsbegehren auf Art.  99 Abs. 1 lit. b ZPO. In der Botschaft zur ZPO (S. 7294) sei zu dieser Bestimmung ausdrücklich festgehalten worden, dass die Konkursmasse in einem Aktivprozess Sicherheit zu leisten habe. Über die Beklagte, die vorliegend als Berufungsklägerin auftrete, sei am (...) der Konkurs eröffnet worden, weshalb der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten als Konkursmasse unwiderlegbar erbracht sei. Die Kautionspflicht der Konkursmasse ergebe sich daraus, dass die materielle Berechtigung und damit auch die Aktivlegitimation beim insolventen Schuldner bleibe und die klagende Masse für diesen Schuldner stehe.

Die Beklagte [und Berufungsklägerin] stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, klagende Partei sei die Konkursmasse. Diese gelte aufgrund der konkursrechtlichen Regeln der Vorweg-Bezahlung von Massaschulden grundsätzlich als solvent. Als prozessführende Partei könne sie daher nicht für kautionspflichtig erklärt werden, wenn sie glaubhaft mache, dass sie die mutmassliche Parteientschädigung zu decken vermöge. Im vorliegenden Fall stünden der Konkursmasse liquide Mittel von mindestens CHF 11 982 262.42 zur Verfügung. Eine Gefährdung einer allfälligen Parteientschädigung, die für das Rechtsmittelverfahren auf rund CHF 147 500.– zu veranschlagen sei, liege nicht vor.

4.1 Die Bestimmung von Art. 99 ZPO bezweckt, die beklagte Partei, die von der klagenden Partei in den Prozess gezwungen wird, gegen das Risiko abzusichern, dass die ihr zulasten der unterliegenden Partei zugesprochene Parteientschädigung nicht einbringlich ist, sofern Gründe vorliegen, die das spätere Eintreiben schwierig erscheinen lassen (BGE 141 III 155 E. 4.3 m.H.). Dies ist gemäss Art. 99 Abs. 1 lit. b ZPO dann der Fall, wenn die klagende Partei zahlungsunfähig erscheint, namentlich wenn gegen sie der Konkurs eröffnet oder ein Nachlassverfahren im Gang ist oder Verlustscheine bestehen. Der Wortlaut dieser Bestimmung erscheint auf den ersten Blick nicht als auslegungsbedürftig, zumal in der Botschaft zur ZPO erläuternd (und ohne Einschränkungen) festgehalten wird, dass die Konkursmasse in einem Aktivprozess Sicherheit zu leisten hat (S. 7294; s. dazu auch Rüegg, Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, Art. 99 ZPO N 13 a.E.). In der Lehre ist die Frage, ob die klagende inländische Konkursmasse im Sinne von Art. 99 Abs. 1 lit. b ZPO kautionspflichtig sein kann, allerdings umstritten (vgl. Suter/von Holzen, in: Kommentar zur schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], Art. 99 ZPO N 31 mit zahlreichen Hinweisen, insbesondere auch auf die Praxis zum bisherigen [kantonalen] Recht). Das Bundesgericht hat sich – soweit ersichtlich – dazu noch nicht geäussert.

4.1.1 Diejenigen Autoren, die eine Kautionspflicht der Konkursmasse bejahen, stützen sich in erster Linie auf den (anscheinend) klaren Gesetzeswortlaut und die Ausführungen in der Botschaft bzw. die entsprechende kantonale Praxis zum bisherigen Recht (vgl. Urwyler, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Brunner und andere [Hrsg.], Art. 99 ZPO N 11; Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2014, Art. 99 ZPO N 1; Leuenberger/Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, N 10.9; in diesem Sinne wohl auch Rüegg, a.a.O., Art. 99 ZPO N 13). Im Weiteren befürwortet auch Schmid (in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014) eine Kautionspflicht der Konkurs- oder Nachlassmasse, wobei er einräumt, dass eine solche Pflicht zwar nicht im Gesetz stehe. Sie ergebe sich aber daraus, dass die materielle Berechtigung und damit die Aktivlegitimation beim insolventen Schuldner verbleibe und die klagende Masse für diesen Schuldner stehe (a.a.O., Art. 99 ZPO N 5 m.H.).

4.1.2 Die eben zitierten Lehrmeinungen vermögen nicht zu überzeugen. So weist Sterchi zu Recht darauf hin, dass in der Botschaft zur ZPO (S. 7294) verkannt wird, dass der Konkurs nicht über die Konkursmasse selbst, sondern (nur) über den Gemeinschuldner eröffnet wird und Prozesskosten Masseschulden sind, für die grundsätzlich Deckung bestehen muss, ansonsten nur die Einstellung des Konkurses (Art. 230 SchkG; Art. 29 KOV) oder Abtretung des Prozessführungsrechts (Art. 260 SchKG) in Frage kommt (Berner Kommentar zur ZPO, Band I, 2012, Art. 99 ZPO N 20). Im Weiteren kritisieren Suter/von Holzen zu Recht, dass in der Botschaft von einer Kautionspflicht der Konkursmasse ausgegangen wird, obwohl sich dies nicht aus dem Gesetz ergibt. Sie verneinen mangels expliziter Gesetzesgrundlage eine Kautionspflicht und weisen (wie schon Sterchi) richtigerweise darauf hin, dass die Masse aufgrund der konkursrechtlichen Regeln der (privilegierten) Bezahlung der Masseschulden als grundsätzlich solvent zu gelten hat. Sie postulieren denn auch zu Recht, dass die Konkursmasse nur dann der Kautionspflicht unterworfen werden soll, wenn sie nicht glaubhaft machen kann, dass sie die mutmassliche Parteientschädigung zu decken vermag (a.a.O., Art. 99 ZPO N 31; ebenso Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 16 N 26, und Geiser, Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, Art. 62 BGG N 26; s. dazu auch Urteil des Kantonsgerichts Zug vom 25. Juli 2005 E. 2.1, in: GVP 2005 S. 212 f.).

Nicht gefolgt werden kann im Übrigen auch der bereits zitierten Auffassung von Schmid. Zwar trifft es zu, dass der Schuldner auch nach der Konkurseröffnung Rechtsträger seines Vermögens, insbesondere also Eigentümer seiner Sachen und Gläubiger seiner Forderungen bleibt (vgl. BGE 132 III 432 E. 2.4). Mit der Konkurseröffnung wird ihm jedoch die Befugnis entzogen, über sein dem Konkursbeschlag unterliegendes Vermögen zu verfügen (Art. 204 SchKG). Frei verfügen kann er nur noch über das, was nicht zur Konkursmasse gehört. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse gehen insoweit auf die Konkursmasse über, die sie durch die Konkursverwaltung ausübt. Mit dem Konkurs verliert der Gemeinschuldner auch das Recht zur Prozessführung in Verfahren über das Konkursvermögen. Trotz materieller Berechtigung fehlt ihm die Prozessführungsbefugnis; an seiner Stelle muss die Konkursmasse, vertreten durch die Konkursverwaltung, im Prozess handeln. Ihr kommt im Rahmen des für die Liquidation gebildeten Sondervermögens die Prozessführungsbefugnis zu; die Konkursverwaltung vertritt die Masse vor Gericht (Art. 240 SchKG). Partei im Prozess ist somit nicht der Gemeinschuldner, dem die Verfügungsbefugnis über die Konkursmasse entzogen ist, sondern die Konkursmasse selbst (vgl. Urteile des Bundesgerichts 4A_150/2013 vom 11. Februar 2014 E. 3.1 und 6B_557/2010 vom 9. März 2011 E. 6.3.2, je m.w.H.). Unter diesen Umständen ist die von Schmid angerufene «Aktivlegitimation» des Schuldners für die Sicherstellung der Parteientschädigung nicht relevant: Die Solvenz des Gemeinschuldners ist für die Frage, ob die Einbringlichkeit der Parteientschädigung gefährdet ist, offenkundig nicht von Belang; massgebend ist vielmehr, ob die Parteientschädigung durch die Masse gedeckt ist.

4.1.3 Im vorliegenden Fall beläuft sich der Streitwert auf rund CHF 21,42 Mio. Bei diesem Streitwert beträgt das Grundhonorar der Rechtsanwälte rund CHF 163 500.00 (vgl. § 3 Abs. 1 AnwT). Davon dürfen für das Rechtsmittelverfahren in der Regel ein bis zwei Drittel (d.h. CHF 54 500.00 bis CHF 109 000.00) berechnet werden (§ 8 Abs. 1 AnwT). Mithin ist davon auszugehen, dass selbst bei Berechnung allfälliger Zuschläge gemäss § 5 AnwT eine allfällige Parteientschädigung den Betrag von CHF 200 000.00 nicht überschreiten wird (vgl. Suter/von Holzen, a.a.O., Art. 100 ZPO N 6 ff.). Diesem Betrag stehen liquide Mittel der Masse gegenüber, die sich aktuell auf knapp CHF 12 Mio. belaufen. Es kann daher angenommen werden, dass die Masse die mutmassliche Parteientschädigung im jedem Fall zu decken vermag.

4.2 Die Klägerin bestreitet dies grundsätzlich nicht. Aus der Prozessgeschichte sei jedoch ersichtlich, dass die verfügbaren Aktiven der Konkursmasse bereits stark vermindert worden seien und sich diese Entwicklung wohl fortsetzen werde (...) Gemäss Schreiben der Konkursverwaltung vom 24. Juni 2015 (d.h. nach Eingabe des Gesuchs um Sicherstellung der Parteientschädigung) sei die Klägerin von der Beklagten zur Nebenintervention im Verantwortlichkeitsprozess gegen neun Beklagte eingeladen worden. Gestützt auf das ebenfalls zugestellte «Positionspapier Verantwortlichkeit» belaufe sich der Maximalstreitwert dieser Verantwortlichkeitsklage auf über CHF 640 Mio. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sich auch im Laufe des Kollokationsprozesses sowie des Verantwortlichkeitsprozesses gegen die neun Beklagten die Aktiven der Konkursmasse durch Kostenvorschüsse, Sicherstellungen der Parteientschädigungen, Gutachter- und Anwaltskosten weiter stark vermindern würden und deshalb der Erhalt der Parteientschädigung der Klägerin ernsthaft gefährdet sei. Deshalb sei die Beklagte jetzt zu verpflichten, Sicherheit für die Parteientschädigung zu leisten (act. 45, S. 3 f.).

Die Beklagte hat diese Ausführungen nicht substanziiert bestritten. Wie es sich damit verhält, kann vorliegend allerdings offen bleiben. Massgebend sind nämlich nicht die zukünftigen, sondern ausschliesslich diejenigen Verhältnisse, die im Zeitpunkt des Entscheids über Sicherstellungsbegehren ausgewiesen sind. Bei veränderten Verhältnissen kann jederzeit ein ergänzender, erneuter oder auch erstmaliger Antrag gestellt werden (vgl. 100 Abs. 2 ZPO; Suter/von Holzen, a.a.O., Art. 99 ZPO N 13; Rüegg, Art. 99 ZPO N 6). Das Argument der Klägerin erweist sich mithin als unbeachtlich.

4.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall eine allfällige Parteientschädigung der Klägerin durch die Aktiven der Konkursmasse hinreichend gedeckt ist und daher die Voraussetzungen für eine Kautionspflicht im Sinne von Art. 99 Abs. 1 lit. b ZPO nicht erfüllt sind. Im Übrigen sind auch keine anderen Gründe für eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung im Sinne von Art. 99 Abs. 1 lit. d ersichtlich, weshalb das Sicherstellungsbegehren der Klägerin abzuweisen ist.

5. In der Stellungnahme zum klägerischen Gesuch auf Sicherheitsleistung hat die Beklagte [und Berufungsklägerin] ihrerseits den Antrag gestellt, die Klägerin [und Berufungsbeklagte] habe für die Parteientschädigung der Beklagten eine nach richterlichem Ermessen festzusetzende Sicherheit zu leisten (...)

5.1 Die Beklagte stützt ihr Begehren sinngemäss auf Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO, wonach die klagende Partei auf Antrag der beklagten Partei für deren Parteientschädigung Sicherheit zu leisten hat, wenn (ausser den in lit. a-c genannten Tatbeständen) andere Gründe für eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung bestehen. Zunächst stellt sich allerdings die Frage, ob die Beklagte (als Berufungsklägerin) im Rechtsmittelverfahren überhaupt berechtigt, ist ein Begehren auf Sicherstellung ihrer Parteientschädigung zu stellen.

Diese Frage ist zu verneinen. Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 99 Abs. 1 OR klar ergibt, ist nur «die klagende Partei» kautionspflichtig. Diesbezüglich ist nach einhelliger Lehre aus-schliesslich auf die prozessuale Stellung als klagende Partei und nicht auf die materiell-rechtliche Rolle als einen Rechtsanspruch geltend machende Partei abzustellen. Dies gilt auch für das Rechtsmittelverfahren, bei welchem der Rechtsmittelkläger ebenfalls der Kautionspflicht unterworfen sein kann (und zwar auch dann, wenn er im erstinstanzlichen Verfahren beklagte Partei war). Von der beklagten Partei darf hingegen keine Kaution gefordert werden. Weshalb dies im Rechtsmittelverfahren anders sein sollte, ist nicht ersichtlich, zumal der Kautionsentscheid von vornherein auf die Parteientschädigung des Rechtsmittelverfahrens beschränkt ist (vgl. Sterchi, a.a.O., Art. 99 ZPO N 6, Suter / von Holzen, a.a.O., Art. 99 ZPO N 7 ff.; Rüegg, a.a.O., Art. 99 ZPO N 3 f.; Staehelin / Staehelin / Grolimund, a.a.O., § 16 N 25). Das Sicherstellungsbegehren der Beklagten ist daher ohne Weiteres abzuweisen (...)

6. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Sicherstellungsgesuche beider Parteien abzuweisen sind. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die gerichtlichen Kosten den Parteien je zur Hälft aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen (Art. 106 Abs. 2 ZPO).

Obergericht, I. Zivilabteilung (Präsidialverfügung), 14. Oktober 2015

Weitere Informationen

Fusszeile

Deutsch