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Art. 3 KVG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 lit. b KVV

Art. 25-31 KVG i.V.m. Art. 32-34 KVG, Art. 17-19 KLV

Regeste:

Art. 25-31 KVG, 32-34 KVG und Art. 17-19 KLV – Zahnärztliche Behandlungen sind therapeutische Vorkehren am Kausystem (organischer Ansatzpunkt), wo hingegen bei einer Massnahme, die auf ein anderes therapeutisches Ergebnis als die Verbesserung der Funktion der Zähne gerichtet ist, eine ärztliche Behandlung vorliegt (Erw. 7.1). Bei der Wiederherstellung der Kaufähigkeit mittels Implantaten fallen therapeutisches Ziel und Ansatzpunkt zusammen, daher handelt es sich um eine zahnärztliche Behandlung (Erw. 7.2). Zahnärztliche Behandlungen werden durch die Versicherung nur gedeckt, wenn diese durch eine nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Erw. 8.2.1) oder wenn die Erkrankung am Zahnhalteapparat (Paradontopathie) aufgrund irreversibler Nebenwirkungen von Medikamenten (Erw. 8.2.3) bedingt sind.

Aus dem Sachverhalt:

Die bei der A. Kranken- und Unfallversicherung AG obligatorisch krankenpflegeversicherte B. litt im Februar 2015 aufgrund der Einnahme des Gichtmedikamentes Allopurinol an einer toxisch epidermalen Nekrolyse (sog. Lyell-Syndrom). Noch im selben Monat mussten ihr mehrere Zähne extrahiert werden. Im August 2015 stellte Dr. med. dent. C. für die Zahnsanierung der Versicherten bei der A. AG ein Gesuch um Kostengutsprache in der Höhe von Fr. 35'729.60. Mit Verfügung vom 27. Dezember 2016 verneinte die A. AG ihre Leistungspflicht. Die vom Versicherten dagegen erhobene Einsprache vom 10. Januar 2017 wies die A. AG mit Entscheid vom 7. März 2017 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Wiederherstellung der Kaufähigkeit stelle eine zahnärztliche Leistung gemäss Art. 31 Abs. 1 KVG i.V.m. Art. 17 ff. KLV dar. Die Behandlung, für die Kostengutsprache beantragt worden sei, sei nicht wegen einer Erkrankung des Zahnhalteapparates aufgrund irreversibler Nebenwirkungen von Medikamenten (Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV) erfolgt. Es liege keine andere schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems nach Art. 17 KLV vor. Zwar habe Allopurinol bei der Versicherten ein sogenanntes Lyell-Syndrom ausgelöst; die Zähne seien aber nicht aufgrund einer Erkrankung des Zahnhalteapparates, sondern aufgrund eines von ihnen selbst ausgehenden Infektionsrisikos entfernt worden. Die zahnärztliche Behandlung sei sodann nicht durch eine im Katalog von Art. 18 KLV aufgeführte schwere Allgemeinerkrankung oder deren Folgen bedingt und sie diene nicht zur Unterstützung und Sicherstellung der allgemein ärztlichen Behandlung von einer der in Art. 19 KLV aufgeführten Krankheiten. Damit fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für die Bejahung einer Leistungspflicht für die Wiederherstellung der Kaufähigkeit. Beschwerdeweise gelangte B. daraufhin an das Verwaltungsgerichts des Kantons Zug und beantragte die Kostenübernahme für die Wiederherstellung ihrer Kaufähigkeit. Mit Vernehmlassung vom 6. Juni 2017 beantragte die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

(...)

4.1 Im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung haben die anerkannten Krankenkassen die Kosten für die Leistungen gemäss Art. 25-31 KVG nach Massgabe der in Art. 32-34 KVG festgelegten Voraussetzungen zu übernehmen (Art. 24 KVG). Die Leistungen gemäss Art. 25-31 KVG umfassen einerseits solche, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen (Art. 25 Abs. 1 KVG), wozu nach dem Leistungskatalog des Art. 25 Abs. 2 KVG in erste Linie die Untersuchungen und Behandlungen, die ambulant, stationär oder in einem Pflegeheim, sowie die Pflegeleistungen, die in einem Spital von Ärzten oder Ärztinnen, Chiropraktoren oder Chiropraktorinnen und Personen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin bzw. eines Chiropraktors oder einer Chiropraktorin durchgeführt werden, gehören (Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG). Bedingung für die Übernahme der Kosten der im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erbrachten Leistungen ist nach Art. 32 Abs. 1 KVG ihre Wirksamkeit und Zweckmässigkeit sowie ihre Wirtschaftlichkeit.

4.2 Die zahnärztlichen Behandlungen sind in Art. 25 KVG nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfall der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem Masse überbunden werden (Urteil des BGer vom 30. April 2002 K 152/01 Erw. 1a). In Art. 31 Abs. 1 lit. a-c KVG sieht das Gesetz jedoch für die zahnärztliche Behandlung aufgrund einer nicht vermeidbaren und schweren Erkrankung des Kausystems, für die zahnärztliche Behandlung aufgrund einer schweren Allgemeinerkrankung mit Auswirkungen auf das Kausystem und für zahnärztliche Eingriffe zum Ermöglichen der Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung Ausnahmen vor, die vom Verordnungsgeber in Art. 17 bis 19a der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV) vom 29. September 1995 (SR 832.112.31) konkretisiert worden sind. In Art. 17 bis 19a KLV sind die zahnärztlichen Pflichtleistungen abschliessend aufgezählt (statt vieler: BGE 130 V 464 Erw. 2.3). Liegt kein Tatbestand gemäss Art. 17 bis 19a KLV vor, besteht keine Kostenübernahmepflicht für die betreffend zahnärztliche Behandlung (Gebhard Eugster, Bundesgesetz über die Krankenversicherung, in: Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, 1. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 31 Rzn 1 ff. mit Hinweisen).

4.3 Treffen mehrere medizinische Massnahmen zusammen, die gleichzeitig verschiedene, jedoch unter sich zusammenhängende Zwecke verfolgen, die für sich allein genommen mit Bezug auf ihre Qualifikation als Pflichtleistung oder Nichtpflichtleistung unterschiedlich zu beurteilen wären (Behandlungskomplex), so ist zu prüfen, ob sich die einzelnen Vorkehren nicht voneinander trennen lassen, ohne dass dadurch die Erfolgsaussichten gefährdet würden. Ist das der Fall und dominiert die nicht kassenpflichtige Leistung und steht die kassenpflichtige in ihrem Dienst, ist grundsätzlich der gesamte Behandlungskomplex Nichtpflichtleistung. Dominiert dagegen die kassenpflichtige Leistung, sind sämtliche Massnahmen Pflichtleistung. Treffen kassenpflichtige und nicht kassenpflichtige Massnahmen ohne sachlichen Konnex zusammen, ist eine Kostenausscheidung vorzunehmen und die obligatorische Krankenpflegeversicherung nur mit den kassenpflichtigen zu belasten (Eugster, a.a.O., Art. 25 Rz 70).

(...)

6.1 Die Kosten für die Extraktion der Zähne übernahm die Beschwerdegegnerin im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gemäss Art. 25 KVG, weil diese Massnahme eine ärztliche Zielsetzung, nämlich die Vermeidung von (weiteren) Infektionen bei einer vom Lyell-Syndrom betroffenen Patientin, hatte.

(...)

7. Während die Beschwerdegegnerin der Ansicht ist, die Wiederherstellung der Kaufähigkeit stelle eine zahnärztliche Behandlung dar, für welche die gesetzliche Grundlage fehle und die in der Form gemäss Kostenschätzung von Dr. C. vom 25. August 2015 überdies nicht wirtschaftlich im Sinne von Art. 32 KVG wäre, stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, die Wiederherstellung der Kaufähigkeit sei die adäquat kausale Folge der Extraktion der Zähne, stelle mithin eine untrennbare Einheit zur Extraktion dar, weshalb auch die Wiederherstellung als ärztliche Behandlung zu qualifizieren und von der Beschwerdegegnerin gemäss Art. 25 KVG zu bezahlen sei.

7.1 Zur Abgrenzung zwischen ärztlicher (Art. 25 KVG) und zahnärztlicher (Art. 31 KVG) Behandlung sind der organische Ansatzpunkt und die therapeutische Zielsetzung der Behandlung massgebend. Zahnärztliche Behandlungen sind therapeutische Vorkehren am Kausystem (organischer Ansatzpunkt). Dieses umfasst die Zähne, den Zahnhalteapparat sowie die Organbereiche, die ein künstliches Gebiss aufzunehmen haben. Ist die Massnahme auf ein anderes therapeutisches Ergebnis als die Verbesserung der Funktion der Zähne gerichtet (therapeutische Zielsetzung), liegt ärztliche Behandlung vor, und zwar selbst dann, wenn die Behandlung beim Kausystem ansetzt. Ist die Zuordnung nicht eindeutig, kommt der therapeutischen Zielsetzung das grössere Gewicht zu (Eugster, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, a.a.O., Art. 31 Rz 35 ff. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung [insbesondere auf den von der Beschwerdeführerin erwähnten BGE 128 V 143]).

7.2 Die in casu vorgesehene Wiederherstellung der Kaufähigkeit mittels acht Implantaten setzt ganz klar im Zahnhalteapparat an. Beim Implantat als Zahnersatz handelt es sich um eine künstliche Zahnwurzel, die in den Kieferknochen als Ersatz für die eigene Zahnwurzel bzw. als Zahnwurzelersatz eingesetzt wird. Sodann ist es therapeutisches Ziel dieser rekonstruktiven Massnahme, die Kaufähigkeit wiederherzustellen bzw. zu verbessern, dürfte doch das Kauen bei elf fehlenden Zähnen zwar nicht unmöglich, doch eher beschwerlich sein. Damit fallen – anders als im von der Beschwerdeführerin zur Begründung angeführten BGE 128 V 143 – der Ansatzpunkt und die therapeutische Zielsetzung zusammen. Bei der hier strittigen Massnahme – Erstellung künstlicher Zahnwurzeln bzw. Rekonstruktion fehlender Zähne – handelt es sich somit zweifellos um eine zahnärztliche Behandlung. Nichts anderes gilt für die Wiederherstellung der Kaufähigkeit mittels einer Zahnprothese.

Liegt also eine zahnärztliche Behandlung vor, so stellt sich weiter die Frage, ob diese durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung im Sinne von Art. 31 Abs. 1 KVG zu übernehmen ist.

8.

8.1 Die Beschwerdeführerin litt unbestrittenermassen an einem Lyell-Syndrom. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die Kosten ihrer zahnärztlichen Behandlung gestützt auf einerseits Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV, andererseits auf Art. 18 KLV bzw. 19 KLV von der Beschwerdegegnerin zu übernehmen seien. Dies weil sie an einer schweren Allgemeinerkrankung, am Lyell-Syndrom, gelitten habe und die Zahnextraktion eine unvermeidbare Folge davon gewesen sei. Zu Unrecht sei ihre schwere Allgemeinerkrankung vom Leistungskatalog gemäss KLV nicht erfasst, was aber nicht erstaune, handle es sich doch beim Lyell-Syndrom um ein sog. «orphan disease». Das Gericht habe aber die Möglichkeit zu prüfen, ob eine Krankheit in den entsprechenden KLV-Bestimmungen zu Unrecht nicht erfasst sei. Es obliege somit dem Gericht, den Leistungskatalog gemäss KLV zu ergänzen, zumal die übrigen Voraussetzungen gemäss Art. 18 f. KLV erfüllt seien.

8.2 In BGE 124 V 185 hat das Bundesgericht entschieden, dass die in Art. 17-19 KLV erwähnten Erkrankungen, welche von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmende zahnärztliche Behandlungen bedingen, abschliessend aufgezählt sind. Daran hat es in ständiger Rechtsprechung festgehalten (vgl. BGE 130 V 464 Erw. 2.3 mit Hinweisen; Urteil des BGer 9C_253/2011 vom 3. Juni 2011, Erw. 1.2).

8.2.1 Die Art. 17 und 18 KLV regeln die Übernahme der Kosten für die zahnärztliche Behandlung für den Fall, dass diese entweder durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt ist; Art. 19 KLV umfasst die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlung, die zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist. Für die Frage der anwendbaren Rechtsgrundlage kommt es somit darauf an, ob die schwere Erkrankung des Kausystems (Art. 17 KLV) oder die schwere Allgemeinerkrankung oder deren Behandlung (Art. 18 KLV) Ursache des Zahnleidens ist, oder ob die zahnärztliche Versorgung notwendiger Bestandteil der Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung darstellt (Art. 19 KLV) (Urteile des BGer K 11/06 vom 11. Juli 2006 Erw. 1; K 98/05 vom 30. Januar 2006 Erw. 2.1; K 64/04 vom 14. April 2005 Erw. 3.1 und 3.2; je mit Hinweisen).

8.2.2 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sind die Kosten für die vorliegend geplante zahnärztliche Behandlung von der Beschwerdegegnerin weder gestützt auf Art. 19 KLV noch Art. 18 KLV zu übernehmen. Sinn von Art. 19 KLV ist nach dem klaren Wortlaut die Unterstützung und Sicherung der ärztlichen Behandlung der darin aufgelisteten schweren Allgemeinerkrankungen, deren erfolgreiche Therapie unter Umständen eine zahnärztliche Behandlung voraussetzt (vgl. Urteil des BGer 9C_675/2007 vom 6. Februar 2008, Erw. 4.2). Weder stellt die Wiederherstellung der Kaufähigkeit eine unterstützende oder sicherstellende Massnahme der Behandlung des Lyell-Syndroms dar, zumal das Lyell-Syndrom inzwischen nicht mehr vorliegt, noch ist das Lyell-Syndrom in Art. 19 KLV als schwere Allgemeinerkrankung aufgelistet. Letzteres gilt auch für Art. 18 KLV, wo das Lyell-Syndrom nicht erfasst ist. Eine Leistungspflicht gestützt auf Art. 18 oder Art. 19 KLV ist somit klar zu verneinen.

Soweit die Beschwerdeführerin das Gericht darum ersucht, die Aufnahme ihres Leidens (Lyell-Syndrom) in die Krankheitsliste von Art. 18 KLV zu prüfen, hat sich das Bundesbericht schon verschiedentlich zur Rolle der Rechtsprechung in dieser Hinsicht geäussert und festgehalten, im Rahmen seiner Überprüfungsbefugnis von Verordnungen sei es ihm nicht verwehrt, der Fragen nachzugehen, ob eine Krankheit in Art. 18 KLV zu Unrecht nicht aufgeführt sei. Dabei hat es sich jedoch grosse Zurückhaltung auferlegt und es stets abgelehnt, eine Aufnahme weiterer Leiden in die Liste der Krankheiten von Art. 18 KLV ernsthaft in Prüfung zu ziehen. Begründend führte es aus, zum einen handle es sich bei der Krankenpflege-Leistungsverordnung um eine departementale Verordnung, deren Änderung und fortlaufende Anpassung an die Bedürfnisse der Praxis einfach sei. Zum anderen liege der Aufzählung von Krankheiten in Art. 18 KLV eine Konsultation der Eidg. Kommission für allgemeine Leistungen zugrunde. Eine richterliche Ergänzung der Liste würde ohnehin eine vorgängige Anhörung von Experten voraussetzen, was geraume Zeit in Anspruch nähme und erst noch den Nachteil hätte, dass im Falle einer richterlichen Ergänzung die Liste der Krankheiten nicht auf einheitlicher fachmännischer Beurteilung beruhte (BGE 124 V 185 Erw. 6). Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was Anlass geben könnte, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Beschwerdeführerin, Art. 18 und 19 KLV seien verfassungswidrig, weil sie dem Legalitätsprinzip von Art. 5 BV und Art. 7 EMRK nicht stand hielten, ist so wenig nachvollziehbar wie der Vorwurf an die Beschwerdegegnerin, sie verletze mit ihrem Verhalten ihre Gesundheit, was als unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 6 i.V. mit der Präambel EMRK und Art. 3 EMRK zu qualifizieren sei. Dass die Kostenübernahme der zahnärztlichen Leistungen, welche doch im Allgemeinen nicht von der Krankenpflegeversicherung zu decken sind, in einer Verordnung und nicht in einem Gesetz geregelt ist, stellt keine Verletzung des Legalitätsprinzips dar und erscheint gegenteils sinnvoll, weil so eine Anpassung an die Bedürfnisse der Praxis viel schneller vollzogen werden kann, als wenn die Aufzählung der schweren Allgemeinerkrankungen in einem Gesetz erfolgt wäre. Soweit die Beschwerdegegnerin die Kosten für die zahnärztliche Leistung abgelehnt hat, verletzt sie auch nicht die Gesundheit der Beschwerdeführerin, geht es doch längst nicht mehr um die Behandlung des Lyell-Syndroms.

8.2.3 Somit bleibt zu prüfen, ob die vorliegend zur Diskussion stehende zahnärztliche Behandlung unter Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV fällt, wie die Beschwerdeführerin behauptet. Demnach hätte die Beschwerdegegnerin die Kosten der zahnärztlichen Behandlung zu übernehmen, die durch eine Erkrankung am Zahnhalteapparat (Paradontopathie) aufgrund irreversibler Nebenwirkungen von Medikamenten bedingt ist.

8.2.3.1 In Würdigung der vorliegenden Akten ist festzuhalten, dass die Ärzte der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des F. Spitals – die die Extraktion der Zähne am 26. Februar 2015 vorgenommen hatten – im gleichentags erstellten Operationsbericht festhielten, dass sie bei der Operation den Sinus (gemeint: Sinus maxillaris) links mittels Endoskopie dargestellt hätten und die Schleimhaut sich stark entzündet und teilweise polypös gezeigt habe. Im Hospitalisationsbericht vom 6. Mai 2015 führten die Ärzte der G. Klinik diesen Operationsbefund als Nebendiagnose «St.n. eitriger Sinusitis maxillaris links» auf und hielten dazu fest, diese Sinusitis könnte differenzialdiagnostisch dentogen gewesen sein. Gestützt auf diese echtzeitlichen Feststellungen und die Differenzialdiagnose führte Prof. H. am 30. September 2015 beurteilend aus, dass die Erstdiagnose einer eitrigen Sinusitis am 26. Februar 2015 unabhängig vom Lyell-Syndrom gestellt worden sei. Die Ärzte des F. Spitals hielten am 26. Mai 2016 ergänzend zu ihrem OP-Bericht vom 26. Februar 2015 fest, die Zähne, welche noch konservierend zu erhalten gewesen seien, hätten im Rahmen der intensivstationspflichtigen toxischen epidermalen Nekrolyse am 26. Februar 2015 extrahiert werden müssen, um mögliche Infektionsherde zu eliminieren.

8.2.3.2 Weder die Operateure des F. Spitals noch ein anderer im vorliegenden Fall involvierter Facharzt sprachen von einer durch das Lyell-Syndrom (welches durch Medikamente verursacht wurde, vgl. Erw. 6 oben) aufgetretenen Zahnproblematik. Gegenteils kann aus der Aussage der behandelnden Ärzte, dass die Zähne konservierend zu erhalten gewesen wären, geschlossen werden, dass der Zahnhalteapparat nicht krank war und die Zähne eben gerade nicht extrahiert werden mussten, weil ein dentogenes Problem vorlag, sondern um mögliche, für die Heilung des Lyell-Syndroms offenbar (lebens-)gefährliche, teils schon vorhandene (Sinusitis maxillaris links) und noch mögliche Infektionsherde zu eliminieren. Dies wurde denn genau so kommuniziert. Soweit der Hausarzt Dr. I. in seinem Bericht vom 20. Juli 2016 zuhanden des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin vorbrachte, die Zähne hätten während der Hospitalisation zu wackeln begonnen, was vorher nicht der Fall gewesen sei, vermag er damit auch nicht zu belegen, dass durch das medikamentös verursachte Lyell-Syndrom eine Zahnproblematik aufgetreten sei, zumal er zugleich zu bedenken gab, dass die Zähne der Beschwerdeführerin vor der Erkrankung nicht regelmässig kontrolliert resp. auch nicht dokumentiert oder bei Bedarf saniert worden seien. Schliesslich ist bei dieser Aussage mitzuberücksichtigen, dass erfahrungsgemäss ein Hausarzt im Zweifel wohl eher zu Gunsten seines Patienten aussagt (vgl. Erw. 4.4 oben).

Es steht somit zweifelsfrei fest, dass die am 26. Februar 2015 erfolgten Zahnextraktionen zwar im Zusammenhang mit dem Lyell-Syndrom standen, indes nicht wegen eines durch das medikamentös versursachten Lyell-Syndroms geschädigten Zahnhalteapparates, sondern – wie die Beschwerdegegnerin immer wieder korrekt ausführte – zur Vermeidung von Infektionen der durch das Lyell-Syndrom anfälligeren Patientin, notwendig waren. Ob der bei der Extraktion der Zähne vorhandene Infekt, d.h. die Sinusitis maxillaris links, durch das Lyell-Syndrom verursacht worden oder allenfalls vorbestehend (dentogen) war, darüber kann nur spekuliert werden, so wie dies die Ärzte aktenkundig auch taten. Konnte diese Frage aber schon echtzeitlich nicht beantwortet werden, so wird man diese auch nachträglich nicht mehr beantworten können, ohne in Spekulationen zu verfallen. Auf die weiteren weitschweifigen Ausführungen der Parteien zu diesem Thema bzw. zum Sachverhalt ist somit nicht weiter einzugehen, insbesondere kann der Beschwerdegegnerin keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gemäss Art. 43 Abs. 1 ATSG vorgeworfen werden, durfte sie sich doch auf die echtzeitlichen und ergänzenden Aussagen der operierenden Ärzte des F. Spitals abstützen. Von weiteren medizinischen Abklärungen ist in antizipierter Beweiswürdigung abzusehen, so dass auch der Antrag der Beschwerdeführerin auf Einholung eines polydisziplinären Gutachtens abzuweisen ist.

8.3 Zusammenfassend steht aufgrund der Ausführungen fest, dass die zahnärztliche Behandlung nicht unter Art. 31 Abs. 1 KVG i.V. mit Art. 17, 18 und 19 KLV fällt, mithin die Beschwerdegegnerin eine Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlung (Implantatversorgung bzw. Zahnprothese) zu Lasten der obligatorischen Grundversicherung zu Recht verneint hat.

9. Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich geltend machen lässt, Extraktion und Wiederherstellung stünden in einem engen Sachzusammenhang, weshalb diese aufgrund der Kausalität leistungsmässig gleich zu behandeln seien, kann sie nicht gehört werden, handelt es sich doch vorliegend um zwei völlig verschiedene (zahn)ärztliche Behandlungen, welche – wie erfolgt – unabhängig voneinander zu beurteilen sind, sind die Erfolgsaussichten durch eine getrennte Behandlung doch nicht gefährdet (vgl. dazu Erw. 4.3 oben). Wie die Beschwerdegegnerin dazu mit Verweis auf einen höchstrichterlichen Entscheid (Urteil des EVG vom 19. Dezember 2001 K 111/1999), welcher doch genau die vorliegende Problematik thematisiert, zu Recht ausführte, gibt es nämlich durchaus Konstellationen wie die vorliegende, dass eine Zahnextraktion eine medizinische Pflichtleistung darstellt, ohne dass danach rekonstruktive Massnahmen zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit per se von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. Im erwähnten bundesgerichtlichen Fall wurde die zur Zystenoperation gehörende Behandlung der Ursache (Wurzelbehandlung, Resektion und Extraktion) als Pflichtleistung, nicht aber die rekonstruktiven Massnahmen am betroffenen Zahn, qualifiziert.

10. Zusammenfassend erweist sich damit die Beschwerde als unbegründet und sie ist vollumfänglich abzuweisen.

An dieser Stelle ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass auch bei einer Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin sehr fraglich wäre, ob die Implantat-Variante zu übernehmen wäre, rechtfertigen doch die WZW-Kriterien gemäss Art. 32 KVG lediglich die Übernahme einer kostengünstigeren Variante (so bspw. die Versorgung mittels Zahnprothese[n]).

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. September 2017, S 2017 42
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Verfahrensnummer am Bundesgericht: 9C_725/2017

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