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Art. 3 KVG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 lit. b KVV

Regeste:

Art. 3 KVG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 lit. b KVV – Personen, welche sich ausschliesslich zum Zwecke ärztlicher Behandlung in der Schweiz aufhalten, stellen eine Ausnahme zu der allgemein bestehenden Versicherungspflicht dar (Erw. 2.2). Obwohl der Beschwerdeführer sich kurz nach der Einreise in die Schweiz einer Operation unterzog, was darauf hin deutet, dass die Einreise zum Zwecke der medizinischen Behandlung erfolgte, ist in casu die Tatsache, dass der Beschwerdeführer seine beschränkte Lebenszeit noch mit den ihm nahestehenden Familienmitgliedern verbringen möchte, als weiterer Anknüpfungspunkt zu werten, weshalb nicht von einer ausschliesslich krankenversicherungsbedingten Wohnsitzbegründung ausgegangen werden kann (Erw. 3.2.3). Damit ist die Beschwerdegegnerin verpflichtet, den Beschwerdeführer rückwirkend in die obligatorische Krankenpflegeversicherung aufzunehmen (Erw. 4).

Aus dem Sachverhalt:

Der Versicherte, Jahrgang 1953, chinesischer Staatsangehöriger, erkrankte anfangs 2015 an einer chronisch myelomonozytären Leukämie (CMML). Am 8. Juli 2016 reisten er und seine Frau in die Schweiz ein, um während drei Monaten ihre Tochter, ihren Schwiegersohn und ihre Enkel zu besuchen. Mit Unterschriftsdatum vom 4. September 2016 ersuchte der Versicherte bei der A. Krankenversicherung um rückwirkende Aufnahme in die obligatorische Krankenpflegeversicherung (nachfolgend: OKP). Kurz darauf beantragte sein Schwiegersohn am 6. September 2016 beim Amt für Migration des Kantons Zug die Aufenthaltsbewilligung infolge Familiennachzugs für seine Schwiegereltern. Aus diesem Schreiben geht hervor, dass man beim diesjährigen Besuch in der Schweiz eine medizinische Zweitmeinung eingeholt und eine Operation hat durchführen lassen. Ergänzend informierte der Schwiegersohn im Schreiben vom 18. September 2016 die Einwohnerkontrolle der Gemeinde B. darüber, dass seine Schwiegereltern seit dem 1. September 2016 bei ihm wohnen würden. Die A. Krankenversicherung nahm den Versicherten gemäss Schreiben vom 4. Oktober 2016 rückwirkend provisorisch per 1. September 2016 in die OKP auf. Aus dem Gesuch um Kostengutsprache an die A. Krankenversicherung vom 7. Oktober 2016 von Dr. med. C. geht hervor, dass sich der Versicherte seit dem 15. Juli 2016, als er die medizinische Zweitmeinung zu seiner schweren Krankheit eingeholt hat, in ärztlicher Behandlung befindet. Mit dem Antrag auf Kostengutsprache ersuchte Dr. C. die A. Krankenversicherung, nach erfolgter operativer Entfernung der Milz am 28. Juli 2016, um Kostenübernahme der medizinischen Behandlung mit dem Medikament Vidaza, was am 13. Oktober 2016 gutgeheissen wurde. Kurz darauf, am 20. Oktober 2016, verfügte die A. Krankenversicherung, dass die Grundversicherung des Versicherten mangels Versicherungspflicht infolge Aufenthalts nur zu Behandlungszwecken aufgehoben wird. Dagegen liess der Versicherte mit Schreiben vom 11. November 2016 durch seinen Anwalt fristgerecht Einsprache erheben, welche mit zusätzlicher Eingabe vom 16. November 2016 ergänzt wurde. Diese Einsprache wies die A. Krankenversicherung mit Einspracheentscheid vom 9. Februar 2017 vollumfänglich ab. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 10. März 2017 liess der Versicherte beantragen, der angefochtene Einspracheentscheid sei aufzuheben und er sei rückwirkend per 1. September 2016 in die Grundversicherung nach KVG bei der A. Krankenversicherung aufzunehmen. Mit Vernehmlassung vom 21. April 2017 beantragte die Beschwerdegegnerin die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.

2.1 Grundsätzlich muss sich jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz innert drei Monaten nach der Wohnsitznahme oder der Geburt in der Schweiz für Krankenpflege versichern lassen (Art. 3 Abs. 1 KVG bzw. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über die Krankenversicherung vom 27. Juni 1995 [KVV; SR 832.102]). Auch Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung von mehr als drei Monaten nach Art. 32 und 33 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005 (AuG; SR 142.20) oder einer Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung von mehr als drei Monaten nach dem Freizügigkeitsabkommen oder dem EFTA-Übereinkommen unterstehen dem schweizerischen Krankenversicherungsobligatorium (Art. 1 Abs. 2 lit. a und f KVV). Gemäss Art. 1 Abs. 1 KVV bestimmt sich der Wohnsitz nach Art. 23 bis 26 des Zivilgesetzbuches (ZGB).

2.2 Der Bundesrat kann die Versicherungspflicht auf Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz ausdehnen, insbesondere auf solche, die in der Schweiz tätig sind oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 3 Abs. 3 lit. a KVG). Er kann aber auch Ausnahmen von der Versicherungspflicht vorsehen (Art. 3 Abs. 2 KVG). In Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 KVV werden jene Personenkategorien genannt, die zum Vornherein, d.h. ex lege, vom Versicherungsobligatorium ausgenommen sind. Artikel 2 Abs. 2 bis 8 KVV und Art. 6 Abs. 3 KVV nennen die Personen, die sich auf Gesuch hin von der Versicherungspflicht befreien lassen können. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. b KVV hat der Bundesrat die Möglichkeit, Personen, die sich ausschliesslich zur ärztlichen Behandlung oder Kur in der Schweiz aufhalten, von der Versicherungspflicht auszunehmen. Das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) hat in diesem Zusammenhang festgehalten, dass die Ausnahmen vom Versicherungsobligatorium eng zu umschreiben seien; gemäss Botschaft des Bundesrates zum KVG sei das Versicherungsobligatorium kein Selbstzweck, sondern unverzichtbares Instrument zur Gewährleistung der Solidarität (RKUV 2000 Nr. KV 102 S. 20 Erw. 4c; BGE 129 V 77 Erw. 4.2; BGE 132 V 310 Erw. 8.3; Urteil des Bundesgerichts vom 8. April 2008 9C_217/2007 Erw. 3.1).

Gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. b KVV können sich Personen, welche sich ausschliesslich zum Zweck ärztlicher Behandlung oder zur Kur in der Schweiz aufhalten, unabhängig von der Dauer einer Behandlung, der Tatsache einer Wohnsitznahme in der Schweiz oder der Art einer fremdenpolizeilichen Aufenthaltsbewilligung nicht rechtswirksam der OKP anschliessen (Gebhard Eugster, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, 3. Auflage, Basel 2016, S. 453). Ausschliesslichkeit ist gegeben, wenn andere Motive als Behandlungsziele für sich allein keinen Anlass zu einer Wohnsitzbegründung oder zur Erwirkung einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz gegeben hätten (Urteil des Bundesgerichts vom 8. April 2008 9C_217/2007 Erw. 5.2.2). Wer sich beispielsweise mit der Absicht in der Schweiz aufhält, nach der Behandlung umgehend wieder in ein ausländisches Domizil zurückzukehren, kann sich nicht versichern. Ebenso wenig bewirkt eine lange Behandlungs- und Aufenthaltsdauer in der Schweiz automatisch, dass man sich der OKP anschliessen kann. Dies würde den Sinn des Art. 2 Abs. 1 lit. b KVV unterlaufen (sinngemäss Urteil des Bundesgerichts vom 8. April 2008 9C_217/2007 Erw. 5.2.1). Nach einem unzulässigen Versicherungsbeitritt sind allenfalls bezogene Leistungen zurückzuerstatten und Prämien zurückzugeben (vgl. Gebhard Eugster, Bundesgesetz über die Krankenversicherung [KVG], Zürich/Basel/Genf 2010, N 27 zu Art. 3 KVG).

3. Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdeführer am 8. Juli 2016 mit seiner Frau in die Schweiz eingereist ist, um drei Monate lang seine Familie in der Gemeinde B. zu besuchen. Ebenso unbestritten ist, dass die Leukämie bereits anfangs 2015 diagnostiziert wurde und er in der Schweiz eine medizinische Zweitmeinung eingeholt und sich die Milz operativ hat entfernen lassen. Die Milzentfernung erfolgte bereits am 28. Juli 2016 und es wurde mit einer Chemotherapie begonnen, welche bis heute weitergeführt wird. Laut unbestrittenen Aussagen in der Verfügung vom 20. Oktober 2016 haben der Beschwerdeführer und seine Frau keinen eigenen Telefonanschluss und auch keine Bankverbindung in der Schweiz. Ebenso haben sie keine eigene Wohnung, sondern leben bei ihrer Tochter und deren Familie in der Gemeinde B. in einer Viereinhalb-Zimmer-Wohnung. Es wurden auch keine Unterlagen eingereicht, die beweisen würden, dass der Wohnsitz in China aufgegeben worden wäre. Der ursprünglich für einen vorübergehenden Aufenthalt eingereiste Beschwerdeführer und seine Frau liessen aber während ihres Besuchs in der Schweiz, am 6. September 2016, durch ihren Schwiegersohn beim Amt für Migration eine Bewilligung für einen dauerhaften Aufenthalt beantragen.

(...)

3.2.1 (...) Aus den eingereichten Akten geht hervor, dass der Beschwerdeführer sich darum bemüht hat, Wohnsitz in der Gemeinde B. zu begründen und eine längerfristige Aufenthaltsbewilligung zu erlangen. Ebenso enthalten die Akten den Mietvertrag des Schwiegersohnes, der beweist, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau als Mitbewohner im Mietvertrag aufgenommen worden sind, und einen Fotobeweis, dass der Briefkasten neu beschriftet wurde. Der Rechtsvertreter verweist zudem darauf, dass das Ehepaar Prepaid-Handyverträge abgeschlossen habe und dass auch die Ehefrau bei einer anderen Krankenkasse einen Antrag auf Krankenversicherung gestellt habe. Auch wenn dem Gericht keine Beweise vorliegen, dass der frühere Wohnsitz des Beschwerdeführers in China aufgegeben wurde, darf nach dem Gesagten davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer plant bis auf weiteres in der Schweiz zu bleiben. Allein die Tatsache, dass er über keine eigene Bankverbindung in der Schweiz verfügt, vermag daran nichts zu ändern, insbesondere nicht, weil er und seine Ehefrau bei ihrer Tochter und deren Ehemann eingezogen sind und der Schwiegersohn im Gesuch um Familiennachzug vom 6. September 2016 selbst schreibt, dass die Eltern finanziell von ihnen abhängen würden. Es ist daher anzunehmen, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau in der Schweiz Wohnsitz begründet haben.

3.2.2 Was die Gründe für die Wohnsitznahme in der Schweiz anbelangen, führte der Beschwerdeführer selbst aus, dass er in der Tat ursprünglich nicht mit der Absicht dauernden Verbleibens in die Schweiz eingereist sei, sondern um hier eine medizinische Zweitmeinung einzuholen. Die Tatsachen, dass der Beschwerdeführer die Diagnose bereits anfangs 2015 erhalten hat, sich aber direkt sieben Tage nach der Einreise in die Schweiz an Dr. C. gewendet hat, sich am 28. Juli 2016 nach Bestätigung der Diagnose durch denselben die Milz entfernen lassen hat und dann sofort mit der Behandlung mit Vidaza begonnen hat, deuten darauf hin, dass die Einreise zum Zweck der medizinischen Behandlung erfolgte und nicht nur, um eine medizinische Zweitmeinung einzuholen. Dieser Eindruck wird durch den Umstand verstärkt, dass der Beschwerdeführer die Diagnose bereits seit längerer Zeit kannte und aufgrund dessen angenommen werden darf, dass ihm allfällige Behandlungsmethoden, welche bei seiner Krankheit in Frage kommen, schon vor der Einreise in die Schweiz bekannt waren. Höchstwahrscheinlich wusste er auch vor der Einreise, dass die durchschnittliche Lebenserwartung mit der Diagnose einer chronischen myelomonozytären Leukämie stark verkürzt ist. Aus den Akten geht zudem in keiner Weise hervor, dass er sich in China bereits hat behandeln lassen und dass er dort einer Krankenversicherung angeschlossen bzw. dass er gut versichert war. Falls mit der Behandlung seit der Diagnosestellung mehr als ein Jahr zugewartet wurde, um sich in der Schweiz erstmals behandeln zu lassen, würde dies auch stark dafür sprechen, dass die Wohnsitzbegründung in der Gemeinde B. zu Behandlungszwecken erfolgte. In keiner Weise geht aus den Akten hervor, dass er früher schon Interesse an einer Wohnsitzbegründung in der Schweiz gezeigt hätte. In casu ist das Gericht deshalb aus all den oben erwähnten Gründen der Meinung, dass die medizinische Behandlung zweifelsohne eine zentrale Rolle bei der Motivation zur Wohnsitzbegründung gespielt hat.

3.2.3 Unter Hinweis auf Erw. 2.2. ist jedoch noch einmal daran zu erinnern, dass das Bundesgericht mit Urteil vom 8. April 2008 9C_217/2007 Erw. 5.2.2 ausgeführt hat, dass, sobald ein oder mehrere zusätzliche Gründe neben jenem der medizinischen Behandlung in der Schweiz eine Wohnsitzbegründung rechtfertigen würden, Art. 2 Abs. 1 lit. b KVV nicht mehr anwendbar sei. Daher stellt sich vorliegend die Frage, ob nicht allenfalls auch andere Gründe als die medizinische Behandlung eine Wohnsitzbegründung hätten rechtfertigen können.

Der Beschwerdeführer selbst führte neben dem Motiv, sich in der Schweiz behandeln zu lassen, aus, er habe eine sehr enge Bindung zu seiner Tochter, dem Schwiegersohn und seinen Enkeln. Da die Enkel nun auch in der Schweiz eingeschult werden müssten, seien längere Aufenthalte der hier lebenden Familienangehörigen in China nicht mehr möglich. Er als Schwerkranker möchte seinen Lebensabend mit den hier lebenden Familienangehörigen verbringen können. Die Tatsache, dass sein Schwiegersohn die Kosten für die Einholung der Zweitmeinung, der Milzentfernung sowie der anschliessenden medikamentösen Behandlung von über Fr. 30'000.– übernommen habe, zeige, dass die Wohnsitznahme nicht zu Behandlungszwecken erfolgt sei, sondern aus familiären Gründen. Die Lebensumstände und die nur noch sehr begrenzte Lebenserwartung seien ausschlaggebend gewesen für die Begründung des Wohnsitzes in der Schweiz. Mit Entscheid des Bundesgerichts vom 8. April 2008 9C_217/2007 Erw. 5.2.3 wurde ein schwer krankes, damals fünf jähriges Mädchen in die OKP aufgenommen mit der Begründung, ihre Schwester sei in der Schweiz geboren worden, die Familie hätte eine Wohnung in der Schweiz bezogen und der Vater hätte eine Arbeitsstelle gefunden, weshalb genügend Anknüpfungspunkte zur Schweiz bestehen würden, die eine Wohnsitznahme neben der medizinischen Behandlung des Mädchens begründen könnten. Vorliegend lebt die Tochter des Beschwerdeführers mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern in der Gemeinde B. Es haben gemäss unbestrittenen Aussagen des Beschwerdeführers in der Vergangenheit wiederholt gegenseitige Besuche stattgefunden, was darauf hindeutet, dass tatsächlich eine engere Bindung zwischen den Familienangehörigen besteht und auch vorher bereits bestand. Der Fakt, dass die Enkelkinder in der Schweiz eingeschult werden, verunmöglicht zwar nicht per se längere Besuche der hier lebenden Familienangehörigen in China. So wären beispielsweise längere Aufenthalte nach wie vor während den Schulferien möglich. Ebenso könnten der Beschwerdeführer und seine Frau, wenn sein Gesundheitszustand dies erlaubt, ohne Wohnsitz in der Schweiz zu begründen, ihre Familienangehörigen in der Schweiz besuchen. Allerdings geht es in casu nicht darum zu beweisen, dass der Beschwerdeführer und seine Frau auch ohne Wohnsitznahme in der Schweiz Kontakt zur hier ansässigen Familie haben könnten, sondern darum, dass es neben der medizinischen Behandlung andere Motive für eine Wohnsitzbegründung in der Gemeinde B. gibt. Dass der Beschwerdeführer, der sich gemäss ärztlicher Einschätzung darauf einstellen muss, nicht mehr sehr lange leben zu können, seine letzten Lebensmonate mit seinen in der Schweiz lebenden Familienangehörigen verbringen möchte, erscheint dem Gericht jedenfalls nachvollziehbar. Wohl trifft es zu, dass der Beschwerdeführer ursprünglich mit der Absicht in die Schweiz eingereist ist, seine Tochter und deren Familie während drei Monaten zu besuchen und eine Zweitmeinung einzuholen, weshalb der Beschwerdeführer ursprünglich nicht mit der Absicht dauernden Verbleibs eingereist ist und eine Wohnsitzbegründung im Zeitpunkt der Einreise gerade noch nicht geplant war, obwohl der Beschwerdeführer bereits seit Mai 2015 wusste, dass er schwer krank ist. Nachdem die Diagnose einer chronisch myelomonozytären Leukämie (CMML) bestätigt wurde und dem Beschwerdeführer keine allzu lange Lebensdauer mehr prognostiziert wurde, erscheint es jedoch naheliegend, wenn sich der Beschwerdeführer in diesem Zeitpunkt dazu entschieden hat, seinen Lebensabend im Schosse seiner Familie zu verbringen und er zur Auffassung gelangt ist, dass eine Wohnsitznahme in der Schweiz die beste Lösung wäre, zumal in der Folge nicht nur der Beschwerdeführer selbst, sondern auch seine Ehefrau ihren Wohnsitz in der Schweiz bei den Angehörigen begründet hat. Dem Beschwerdeführer ist somit zuzustimmen, wonach für ihn und seine Ehefrau zumindest ab September 2016 die nur noch sehr begrenzte Lebenserwartung und die damit zusammenhängende Absicht, die noch verbleibende Zeit mit den in der Schweiz lebenden Familienangehörigen zu verbringen, für die Begründung des Wohnsitzes in der Schweiz und die Beantragung eines Aufenthaltsrechts im Rahmen des Familiennachzuges ausschlaggebend waren. Es mag sein, dass Schweizer Ärzte und Spitäler bei nicht obligatorisch Krankenversicherten auf die Vorauszahlung der Rechnungen beharren. Gemäss unbestritten gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers hat der Schwiegersohn die Behandlungskosten jedoch nicht nur vorgeschossen bzw. vorausgezahlt, sondern diese auch tatsächlich übernommen und zwar nicht nur diejenigen Kosten, die seit der Beantragung einer Aufnahme in die Krankenkasse angefallen sind, sondern auch die bereits vor der Entscheidung über den Verbleib in der Schweiz entstandenen Kosten von insgesamt mehr als Fr. 30'000.–. Die Tatsache, dass der Schwiegersohn diese Kosten bezahlt hat im Wissen, dass er diese nicht zurückerstattet erhalten wird, und er auch die im Nachgang zum Gesuch um Aufnahme in die OKP angefallenen Kosten übernommen hat, spricht gerade dafür, dass die Wohnsitznahme nicht ausschliesslich zur ärztlichen Behandlung auf Kosten der Krankenpflegeversicherung stattgefunden hat, sondern auch aus Gründen familiärer Unterstützung, zumal die anschliessenden Behandlungskosten im Verhältnis zu denjenigen vor der Beantragung einer Aufnahme in die Krankenkasse relativ bescheiden ausgefallen sind. Somit ist ein weiteres Motiv, welches die Wohnsitznahme begründet, nämlich die Tatsache, dass der Beschwerdeführer schwer krank ist und die ihm verbleibende Zeit möglichst intensiv mit seinen Verwandten in der Schweiz verbringen möchte, welche ihn auch unterstützen, vorliegend gegeben, weshalb genügend Anknüpfungspunkte zur Schweiz bestehen, die eine Wohnsitznahme neben der medizinischen Behandlung begründen können.

4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in Abwägung der beiden Sachverhaltsdarstellungen die medizinische Behandlung durchaus einen entscheidenden Grund für die Wohnsitzbegründung in der Schweiz darstellte. Von entscheidender Bedeutung ist allerdings die Frage, ob von einer ausschliesslich krankenversicherungsbedingten Wohnsitzbegründung ausgegangen werden muss (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 8. April 2008 9C_217/2007 Erw. 5.2.2 am Ende). Dies ist in casu zu verneinen, da der Beschwerdeführer, der gemäss ärztlicher Prognose nur noch beschränkte Zeit leben wird, seine ihm verbleibende Lebenszeit mit seiner Familie in der Schweiz verbringen möchte, zu welcher er bereits früher eine Beziehung gepflegt hat. Dies begründet einen weiteren Anknüpfungspunkt zur Schweiz, der eine Wohnsitzbegründung zu rechtfertigen vermag, weshalb sich der Beschwerdeführer nicht ausschliesslich zu Behandlungszwecken in der Schweiz aufhält. Damit erweist sich die Beschwerde als begründet und sie ist vollumfänglich gutzuheissen. Die Beschwerdegegnerin wird somit verpflichtet, den Beschwerdeführer rückwirkend per 1. September 2016 in die obligatorische Krankenpflegeversicherung aufzunehmen.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 13. Juni 2017, S 2017 35
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Verfahrensnummer am Bundesgericht: 9C_546/2017

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