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Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 117 ZPO

Art. 122 ZPO

Regeste:

Art. 122 ZPO – Wird ein Fall beim Friedensrichteramt abgeschlossen bzw. die Klagebewilligung nicht beim Gericht eingereicht, entscheidet der Friedensrichter über die Höhe der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes.

Aus dem Sachverhalt:

1.1 Mit Eingabe vom 16. Februar 2016 liess B. beim Einzelrichter am Kantonsgericht Zug beantragen, es sei ihr in dem von A. gegen sie vor dem Friedensrichteramt der Stadt Zug angehobenen Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und ihr in der Person von RA C. ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen. Mit Entscheid vom 1. März 2016 bewilligte der Einzelrichter die unentgeltliche Rechtspflege und bestellte RA C. als unentgeltlichen Rechtsbeistand.

1.2 An der Schlichtungsverhandlung vom 3. März 2016 kam es zu keiner Einigung, worauf der Friedensrichter auf Antrag von A. die Klagebewilligung ausstellte. A. leitete in der Folge keine Klage gegen B. beim Kantonsgericht Zug ein.

1.3 Mit Eingabe vom 16. April 2018 reichte RA C. beim Einzelrichter am Kantonsgericht Zug seine Honorarnote ein und ersuchte um Festsetzung der Entschädigung aus der Gerichtskasse gemäss Honorarnote.

1.4 Mit Schreiben vom 19. April 2018 leitete der Einzelrichter die Honorarnote zuständigkeitshalber an das Friedensrichteramt der Gemeinde X. weiter zur Prüfung bzw. Genehmigung, falls der in Rechnung gestellte Aufwand angemessen sei.

1.5 Am 16. Mai 2018 retournierte der Friedensrichter die Honorarnote zur weiteren Bearbeitung an das Kantonsgericht Zug. Zur Begründung führte er aus, er sehe sich grundsätzlich ausserstande, die Aufwendungen von RA C. im vollen Umfang zu beurteilen. Ausserdem könne er als Friedensrichter auf kommunaler Ebene den Kanton nicht zu Entschädigungen gleich welcher Art verpflichten und so auch den gewünschten Entscheid nicht fällen.

1.6 Mit Entscheid vom 22. Mai 2018 trat der Einzelrichter am Kantonsgericht Zug auf das Gesuch von RA C. vom 16. April 2018, es sei vom Kantonsgericht Zug die Höhe der Entschädigung aus der Gerichtskasse gemäss Honorarnote festzulegen, nicht ein.

2.1 Gegen diesen Entscheid reichte das Friedensrichteramt der Gemeinde X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) mit Eingabe vom 1. Juni 2018 Beschwerde beim Obergericht Zug ein zur Klärung der Frage, wer für die Beurteilung der eingereichten Honorarforderung bzw. der Festsetzung der Anwaltsentschädigung zuständig sei.

2.2 Der Einzelrichter am Kantonsgericht Zug und RA C. verzichteten auf eine Vernehmlassung.

Aus den Erwägungen:

1. Zunächst ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zur Beschwerde legitimiert ist.

1.1 Die ZPO enthält keine Bestimmungen über die Beschwerdelegitimation. Nach der Lehre setzt die Beschwerdelegitimation grundsätzlich voraus, dass sich der Beschwerdeführer als Haupt- oder Nebenpartei am Verfahren beteiligt hat, das zum angefochtenen Urteil geführt hat. Darüber hinaus können auch am Verfahren nicht beteiligte Dritte von gerichtlichen Entscheidungen betroffen werden und Interesse an der Ergreifung eines Rechtsmittels haben. Erforderlich ist, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid unmittelbar betroffen ist und ein Rechtsschutzinteresse an dessen Aufhebung oder Abänderung hat (materielle Beschwer) bzw. der angefochtene Entscheid in seine Rechte eingreift (Freiburghaus / Afheldt, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 3. A. 2016, Art. 321 ZPO N 7 ff.; Hungerbühler/Bucher, in: Brunner/ Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. A. 2016, Art. 321 ZPO N 18). Nach der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung wäre es nicht sachgerecht, das Rechtsschutzinteresse für die Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht restriktiver zu formulieren als für das kantonale Verfahren (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7276). Aus diesem Grund wurde das Bundesgerichtsgesetz entsprechend angepasst, so dass für die Beschwerde in Zivilsachen ebenfalls ein schutzwürdiges (tatsächliches oder rechtliches) Interesse genügt. Entsprechend kann für die Beschwerdelegitimation nach Art. 319 ff. ZPO Literatur und Rechtsprechung zur Beschwerdelegitimation nach Art. 76 BGG herangezogen werden (vgl. Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich RU120006-O/U vom 16. August 2012 E. 2.2.2).

1.2 Gemäss Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG ist zur Beschwerde in Zivilsachen berechtigt, wer durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Erforderlich ist ein persönliches, aktuelles und praktisches Interesse. Die Wahrnehmung öffentlicher Interessen begründet grundsätzlich kein Rechtsschutzinteresse. Nach der Rechtsprechung kann ein Gemeinwesen auch zur Beschwerde legitimiert sein, wenn es durch einen Entscheid in seinen hoheitlichen Befugnissen und Aufgaben berührt ist (Klett, Basler Kommentar, 2. A. 2011, Art. 76 BGG N 4). Darüber hinaus kann das Gemeinwesen in bestimmten Fällen in seinen hoheitlichen Interessen derart berührt sein, dass von einem schutzwürdigen Interesse auszugehen ist. Das kann namentlich bei wichtigen vermögensrechtlichen Interessen der Fall sein. In jedem Fall setzt die Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus. Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung verschafft dem Gemeinwesen noch keine Beschwerdebefugnis. Zur Begründung des allgemeinen Beschwerderechts genügt auch nicht jedes beliebige, mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe direkt oder indirekt verbundene finanzielle Interesse des Gemeinwesens (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_784/2011 vom 23. März 2012 E. 1.2.1; BGE 136 II 383 E. 2.4).

1.3 Mit der vorliegenden Beschwerde möchte der Beschwerdeführer die Frage klären, ob der Einzelrichter am Kantonsgericht Zug oder der Friedensrichter bei unentgeltlicher Rechtspflege im Schlichtungsverfahren für die Beurteilung einer Honorarforderung bzw. der Festsetzung der Anwaltsentschädigung zuständig ist. Er verlangt «die Beurteilung des Dossiers durch das Obergericht, um für den gegenwärtigen Fall, aber auch für zukünftige Fälle Klarheit zu schaffen» (vgl. act. 1). Dieses Anliegen ist nicht ausreichend, um eine spezifische und qualifizierte Betroffenheit im Sinne der soeben dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts und damit ein Rechtsschutzinteresse darzutun. Wie vorne in E. 1.2 dargelegt, verschafft das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung dem Gemeinwesen noch keine Beschwerdebefugnis. Auch ein allfälliges indirektes finanzielles Interesse reicht nicht aus. Der Beschwerdeführer kann daher in der Sache selber keine Legitimation beanspruchen. Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten.

2. Selbst wenn auf die Beschwerde eingetreten werden könnte, müsste sie abgewiesen werden.

2.1 Die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege werden gemäss Art. 122 ZPO vom «Kanton» getragen bzw. der unentgeltliche Rechtsbeistand vom «Kanton» entschädigt. Welche öffentlich-rechtliche Kasse innerhalb des Kantons die dem unentgeltlichen Rechtsbeistand geschuldete Entschädigung effektiv auszurichten und zu tragen hat, sagt Art. 122 ZPO nicht. Den Kantonen kommt diesbezüglich Gestaltungsfreiheit zu, weil der in Art. 122 ZPO verwendete Begriff des Kantons in der ZPO nirgends definiert wird. Die Kantone können daher selber bestimmen, welche Staats-, Gemeinde- oder Bezirkskasse die Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung zu tragen hat (vgl. Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich RU110035-O/U vom 6. Oktober 2011 [ZR 2011 Nr. 83 E 2.4]; Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich VO110011-O/U vom 10. Mai 2011 E. 4.1; Bühler, Berner Kommentar, 2012, Art. 122 ZPO N 41b; Emmel, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], a.a.O., Art. 122 ZPO N 2; Huber, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], a.a.O., Art. 122 ZPO N 6; Jent-Sørensen, in: Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], Kurzkommentar ZPO, 2. A. 2014, Art. 122 ZPO N 1). Diejenige Behörde, welche die Kosten des unentgeltlichen Rechtsbeistandes zu tragen hat, muss auch die Honorarnote des unentgeltlichen Rechtsbeistandes prüfen bzw. genehmigen.

2.2 Im GOG des Kantons Zug wird nicht geregelt, welches Gemeinwesen den Ausfall der Gebühr und die Kosten des unentgeltlichen Rechtsbeistandes zu tragen hat, wenn der Fall beim Friedensrichteramt abgeschlossen bzw. die Klagebewilligung nicht beim Gericht eingereicht wird. Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers liegen nicht vor. Es gibt soweit ersichtlich in den Materialien keine Äusserungen zu dem Punkt. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der kantonale Gesetzgeber den Punkt aus Versehen nicht geregelt hat. Es ist daher im Sinne von Art. 1 Abs. 2 ZGB eine Lückenfüllung vorzunehmen. Dabei liegt die Überlegung am nächsten, dass, wer die tatsächlich bezahlten Gebühren einkassiert, auch den Ausfall zu tragen hat, wenn Gebühren nicht erhältlich sind oder (wegen bewilligter unentgeltlicher Rechtspflege) gar nicht auferlegt werden können (vgl. dazu Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich RU120041-O/U vom 18. Oktober 2012 E. 5.1 - 5.4). Nach § 37 Abs. 3 GOG und § 10 der Verordnung über die Schlichtungsbehörden vom 18. Januar 2011 (BGS 161.4) fallen die Einnahmen der Friedensrichterinnen und Friedensrichter in die Gemeindekasse. Folglich sind auch die Ausfälle von den Gemeinden zu bezahlen (vgl. Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich RU110035 vom 6. Oktober 2011 [ZR 2011 Nr. 83 E. 2.4]). Wurde zusätzlich ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt, ist die Kostentragungspflicht der Gemeinden analog zu bejahen. Zwar kassieren die Gemeinden, anders als bei den Schlichtungspauschalen, hier nichts ein. Eine andere Kostenverlegung drängt sich dennoch nicht auf. Es ist davon auszugehen, dass die anfallenden Kosten der unentgeltlichen Rechtsbeistände für die Gemeinden keine wesentliche Mehrbelastung und auch nicht «steuerfussrelevant» sein werden. Es handelt sich um einige wenige Fälle, und der Aufwand eines Vertreters in Schlichtungsverfahren ist begrenzt (vgl. Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Oktober 2012 RU120041-O/U E. 5.4). Wären aber die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege von der Gemeinde zu tragen, wenn der Fall beim Friedensrichteramt abgeschlossen bzw. die Klagebewilligung nicht beim Gericht eingereicht wird, müsste auch die Gemeinde, vertreten durch die Friedensrichterinnen und Friedensrichter, die Honorarnote des unentgeltlichen Rechtsbeistandes prüfen bzw. genehmigen.

3. Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

Da Art. 119 Abs. 6 ZPO auf das Beschwerdeverfahren gemäss Art. 121 ZPO keine Anwendung findet (BGE 137 III 470 ff.) und der Beschwerdeführer vorliegend unterliegt (Art. 106 Abs. 1 ZPO), wären ihm grundsätzlich die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Indes ist § 62 Abs. 3 GOG zu beachten, wonach den Gemeinden Gerichts- und Verfahrenskosten nur dann auferlegt werden, wenn sie in eigenen finanziellen Interessen betroffen sind. Der Beschwerdeführer verfolgt vorliegend – wenn überhaupt – nur indirekt eigene finanzielle Interessen, weshalb es sich rechtfertigt, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 12. Juli 2018 (BZ 2018 46)

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