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Art. 320 ZPO

Resgeste:

Art. 320 ZPO – Kognition der Beschwerdeinstanz

Aus den Erwägungen:

2.1 Mit der Beschwerde kann gemäss Art. 320 ZPO die unrichtige Rechtsanwendung (lit. a) sowie die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts (lit. b) geltend gemacht werden.

2.1.1 Die Überprüfung des Sachverhalts ist auf Willkür beschränkt (BGE 138 III 232 E. 4.1.2; Urteil des Bundesgerichts 4A_149/2017 vom 28. September 2017 E. 2.2). Willkür liegt vor bei aktenwidriger Tatsachenfeststellung, d.h. wenn sich die Feststellung auf einen Sachverhalt stützt, der überhaupt nicht aktenmässig belegt ist, es sei denn, es handle sich um eine bekannte Tatsache (d.h. offenkundige oder gerichtsnotorische Tatsachen oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze) im Sinne von Art. 151 ZPO. Dasselbe gilt, wenn eine aktenkundige und rechtserhebliche Tatsache übersehen oder irrtümlich nicht richtig festgehalten worden ist. Ist das Beweisergebnis interpretationsbedürftig, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 157 ZPO). Der Beschwerdegrund ist nur erfüllt, wenn die durch die erste Instanz gezogene Schlussfolgerung schlechtweg nicht vertretbar erscheint (Sterchi, Berner Kommentar, 2012, Art. 320 ZPO N 6 f.).

2.1.2 Uneinheitlich ist der Meinungsstand zur Kognition der Beschwerdeinstanz bei Rechtsfragen. Ein Teil der Lehre geht davon aus, die Rechtsmittelinstanz habe (auch) eine uneingeschränkte Angemessenheitskontrolle vorzunehmen und nötigenfalls ihr (Rechtsanwendungs-)Ermessen an die Stelle desjenigen der Erstinstanz zu setzen (vgl. Reetz/Theiler, in: Sutter-Somm/
Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 3. A. 2016, Art. 310 ZPO N 36; Reich, in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, Art. 320 ZPO N 2 i.V.m. Art. 310 ZPO N 16 f.; Stauber, in: Kunz/Hoffmann-Nowotny/Stauber [Hrsg.], ZPO-Rechtsmittel, Berufung und Beschwerde, 2013, Art. 320 ZPO N 3 i.V.m. Art. 310 ZPO N 10). Andere Autoren sind demgegenüber der Auffassung, dass diesfalls nur gerügt werden könne, es liege eine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung, d.h. Ermessensmissbrauch, Ermessensüber- oder -unterschreitung vor, und dass blosse Unangemessenheit den Beschwerdegrund der unrichtigen Rechtsanwendung nicht erfülle (vgl. Spühler, Basler Kommentar, 3. A. 2017, Art. 320 ZPO N 1 i.V.m. Art. 310 ZPO N 3; Sterchi, a.a.O., Art. 320 ZPO N 3 i.V.m. Art. 310 ZPO N 3 und N 8 f.). Die Zürcher Praxis geht von einer umfassenden Kognition auch bezüglich Angemessenheit aus. Allerdings greift die Beschwerdeinstanz nur mit einer gewissen Zurückhaltung in einen wohl überlegten und vertretbaren Ermessensentscheid der ersten Instanz ein (vgl. ZR 111 [2012] Nr. 53 E. 3; Blickenstorfer, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. A. 2016, Art. 320 ZPO N 4 i.V.m. Art. 310 ZPO N 10; Brunner, in: Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. A. 2014, Art. 320
ZPO N 2; Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, 2. A. 2014, Art. 320 ZPO N 1 i.V.m. Art. 310 ZPO N 3). Diese Praxis wurde vom Bundesgericht gebilligt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_265/2012 vom 30. Mai 2012 E. 4.3.2).

2.1.3 Die I. Zivilabteilung des Obergerichts Zug liess in einem Urteil aus dem Jahre 2013 offen, ob sich die Rechtsmittelinstanz bei der Überprüfung eines Ermessensentscheides eine gewisse Zurückhaltung auferlegen dürfe (vgl. Z1 2012 34 E. 7.5.3). Die II. Beschwerdeabteilung des Obergerichts Zug hielt in einem Urteil aus dem Jahre 2015 fest, dass die Rechtsmittelinstanz nicht einfach ihr eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz setzen könne. Im Ergebnis laufe dies auf eine Einschränkung der Kognition auf Ermessensmissbrauch, Ermessensüberschreitung oder -unterschreitung, unter Ausschluss der Angemessenheitskontrolle, hinaus (vgl. BZ 2015 16 E. 2.2). In einem Urteil aus dem Jahre 2018 führte die II. Beschwerdeabteilung aus, dass sich die Rechtsmittelinstanz bei der Überprüfung eines Ermes-sensentscheides eine gewisse Zurückhaltung auferlegen müsse. Dies gelte insbesondere dort, wo das Gesetz dem Richter einen grossen Ermessensspielraum einräume (vgl. BZ 2018 72 E. 1.2). An dieser Praxis ist festzuhalten. Der II. Beschwerdeabteilung kommt zwar auch in Bezug auf die Prüfung der Angemessenheit grundsätzlich eine umfassende Kognition zu. Sie greift indes nur mit einer gewissen Zurückhaltung in einen wohl durchdachten und vertretbaren Ermessensentscheid der ersten Instanz ein.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 2. Oktober 2018 (BZ 2018 43)

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