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Art. 12 lit. a BGFA
Regeste:
Art. 12 lit. a BGFA
Die Tätigkeit eines registrierten Anwalts als Willensvollstrecker fällt unter das anwaltsrechtliche Disziplinarrecht (E. 1).
Art. 12 lit. a BGFA, wonach der Anwalt seinen Beruf sorgfältig und gewissenhaft ausüben müsse, bezieht sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen Anwalt und Klient, sondern auch auf das Verhalten des Anwalts gegenüber Behörden, der Gegenpartei und der Öffentlichkeit. Die Gegenpartei ist daher mindestens insoweit geschützt, als der Anwalt ihr gegenüber zu keinen von der Rechtsordnung missbilligten Mitteln greifen darf. Die verzögerte Weitergabe von Informationen des als Willensvollstrecker tätigen Anwalts an einen Kaufinteressenten einer Liegenschaft aus dem Nachlass ist unter der geforderten Schwelle, welche Lehre und Rechtsprechung als «missbilligte Mittel» umschreiben (E. 3.2).
Aus den Erwägungen:
1. Die für Anwältinnen und Anwälte geltenden Berufsregeln sind in Art. 12 BGFA normiert. Es handelt sich dabei um einen abschliessenden Katalog von Verhaltenspflichten, welche bei der Berufsausübung zu befolgen sind (Fellmann, in: Fellmann/Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. A. 2011, Art. 12 BGFA N 3).
1.1 Gemäss Art. 12 lit. a BGFA haben die Rechtsanwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben, wobei Rechtsanwälte nicht nur in ihrer Monopoltätigkeit als Anwälte der berufsrechtlichen Disziplinaraufsicht unterstehen. Ihre Erwerbstätigkeit fällt jedenfalls unter das anwaltsrechtliche Disziplinarrecht, wenn sie mit einer bestimmten Tätigkeit im Hinblick auf ihre besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse als Anwältinnen und Anwälte betraut werden (Urteil des Bundesgerichts 2C_1086/2016 vom 10. Mai 2017 E. 2.1 mit Hinweisen). Gemäss der höchstrichterlichen Rechtsprechung trifft dies insbesondere bei der Einsetzung eines Rechtsanwalts als Willensvollstrecker zu (Urteil des Bundesgerichts 2P.139/2001 vom 3. September 2011 E. 3). Richtschnur für die Beurteilung, ob ein Verhalten nicht mehr als sorgfältige und gewissenhafte Berufsausübung gewertet werden kann, bildet die Frage, ob die zur Diskussion stehende Verfehlung über ihre Auswirkungen im Einzelfall hinaus geeignet ist, das Vertrauen in die Kompetenz und Integrität der Anwaltschaft zu beinträchtigen und damit die Funktion der Anwaltschaft im System der Rechtspflege zu stören (vgl. Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 12). Von der Norm erfasst sind damit nur Verstösse, welche über ihre Auswirkung im Einzelfall hinaus geeignet sind, das Vertrauen in die Kompetenz und die Integrität der Anwaltschaft als Ganzes zu beeinträchtigen und damit die Funktion der Anwaltschaft im System der Rechtspflege zu stören (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 9 ff. und N 25 ff.).
2.1 Der Verzeigte wurde als Willensvollstrecker der Erbengemeinschaft A. eingesetzt, weshalb er zusätzlich zu den Verhaltenspflichten gemäss Art. 12 BGFA auch der Behördenaufsicht als Willensvolltrecker unterliegt (§ 85 EG ZGB). Einem Willensvollstrecker obliegt die Verwaltung des Nachlasses und dessen Teilung nach den vom Erblasser getroffenen Anordnungen (Art. 518 Abs. 2 ZGB). Der Willensvollstrecker hat seine Tätigkeit unverzüglich aufzunehmen und sie kontinuierlich und speditiv fortzusetzen und abzuschliessen. Dabei hat er den Nachlass nach dem Willen des Erblassers abzuwickeln. Dazu kommen dem Willensvollstrecker weitgehende Kompetenzen zu und er hat einen breiten Ermessensspielraum. Insbesondere ist er befugt, einen freihändigen Verkauf einer Liegenschaft vorzunehmen (zum Ganzen Christ/Eichner, in: Praxiskommentar Erbrecht, 5. A. 2023, Art. 518 ZGB N 54).
2.2 Im Rahmen seiner Tätigkeit als Willensvollstrecker war der Verzeigte bis zum Verkaufsauftrag an die B. AG ab März/April 2022 unbestrittenermassen für den Verkauf der Eigentumswohnung im C. zuständig. Der Anzeigeerstatter bringt vor, die Wohnung zum ersten Mal am 15. März 2021 besichtigt und das Antragsformular für Kaufinteressenten dem Verzeigten zwei Tage nach Erhalt zurückgeschickt zu haben. Erst nach mehrmaligen Nachfragen nach dem Stand des Verfahrens habe er vom Verzeigten am 1. Juli 2021 die erhoffte Zusage für den Verkauf der Wohnung erhalten. Am 9. Juli 2021 habe ihn der Verzeigte informiert, dass eine Erbin den Wohnungsverkauf über einen Makler abwickeln wolle, weshalb mit dem Verkauf zugewartet werden müsse. Am 10. September 2021 habe ihm der Verzeigte erneut eine Verkaufszusage gesandt und ihn gebeten, einen Finanzierungsnachweis zuzustellen. Da er wochenlang keine Reaktion erhalten habe, habe er sich am 28. November 2021 nach dem Verfahrensstand erkundigt und anschliessend nochmals eine Verkaufszusage erhalten. Nach Erhalt der Wohnungsdokumentation habe er aufgrund von nötigen Renovationsarbeiten, die bei der ersten Besichtigung verschwiegen worden seien, am 20. Januar 2022 ein tieferes Angebot gemacht. Am 8. Februar 2022 habe ihm der Verzeigte mitgeteilt, dass die Wohnung über einen Makler verkauft werde. Schliesslich sei die Wohnung über die B. AG ausgeschrieben und mittels Bieterverfahren verkauft worden. Die Wohnung habe er zu einem Preis von CHF 1,58 Mio. anstelle des von ihm ursprünglich angebotenen Preises von CHF 1,45 Mio. erworben, wobei er am Beurkundungstermin von der Verkäuferschaft erfahren habe, dass diese gewillt gewesen sei, die Wohnung zu seinem ersten Angebot von CHF 1,45 Mio. zu verkaufen.
3.1 Vorliegend ist festzustellen, dass der Verzeigte in seiner Funktion als Willensvollstrecker gegenüber dem Anzeigeerstatter keine Verpflichtungen hatte. Die Willensvollstreckung beschränkt sich auf die Wahrung der Interessen des Erblassers und nachgelagert auf die Wahrung der Interessen der Erben. Ob die Erbengemeinschaft, wie vom Anzeigeerstatter ausgeführt, ihm die Wohnung auch zum Preis von CHF 1,45 Mio. verkauft hätte, kann offenbleiben. Unzweifelhaft hat das Handeln des Verzeigten nämlich den pekuniären Interessen der Erben gedient.
3.2 Zu prüfen bleibt, ob dem Verzeigten eine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA vorzuwerfen ist (vgl. Erw. 1.1. vorstehend). Ausgangslage ist dabei, dass das BGFA in Bezug auf die Gegenpartei und Dritte grundsätzlich keinen speziellen Schutz bietet. Das Bundesgericht hat allerdings in einem Urteil vom 4. Mai 2004 festgestellt, Art. 12 lit. a BGFA, wonach der Anwalt seinen Beruf sorgfältig und gewissenhaft ausüben müsse, beziehe sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen Anwalt und Klient, sondern auch auf das Verhalten des Anwalts gegenüber Behörden, der Gegenpartei und der Öffentlichkeit. Die Gegenpartei ist daher mindestens insoweit geschützt, als der Anwalt ihr gegenüber zu keinen von der Rechtsordnung missbilligten Mitteln greifen darf (Fellmann, Anwaltsrecht, 2. A. 2017, Rz 288). Die verzögerte Weitergabe von Informationen bleibt jedoch unter der geforderten Schwelle, welche Lehre und Rechtsprechung als «missbilligte Mittel» umschreiben. Der Verzeigte hat in keiner Weise aktiv auf die Entscheidung des Anzeigeerstatters Einfluss genommen, die Wohnung zu kaufen oder zu einem höheren Kaufpreis zu kaufen. Seine Passivität steht zwar im Widerspruch zur speditiven Abwicklung des Willensvollstreckermandats, führt aber nicht zu einem unter dem Disziplinarrecht sanktionswürdigen Verhalten. Eine Gegenpartei kann nur in krassen Fällen von Disziplinarverstössen einen Schutz geniessen, andernfalls der Anwalt die Interessen seiner eigenen Klientschaft nicht mehr bestmöglich vertreten könnte.
Aufsichtskommission über die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, 10. Dezember 2023
(AK 2023 3)