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Art. 12 lit. a BGFA

Art. 12 lit. a BGFA / Art. 28 Abs. 1 Schweizerische Standesregeln (SSR

Regeste:

Vergleichsgespräche zwischen anwaltlich vertretenen Parteien, die teilweise mit einer Vertraulichkeitsklausel versehen sind, dürfen insgesamt nicht vor Gericht verwendet werden. Die Missachtung dieses Verbots durch die gegnerischen Anwältin bzw. den gegnerischen Anwalt stellt eine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA dar.

Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 12 lit. a BGFA haben die Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Das Gebot der sorgfältigen Berufsausübung, welches den Charakter einer Generalklausel hat, verlangt von Anwältinnen und Anwälten ein korrektes Verhalten. Was darunter zu verstehen ist, sagt das Gesetz allerdings nicht. Bei den ungeschriebenen Berufsregeln, welche die Anwältinnen und Anwälte nach Art. 12 lit. a BGFA beachten müssen, kann es jedoch von vornherein nur um Pflichten gehen, welche die neuere Lehre und Rechtsprechung entwickelt haben, um «im Interesse des rechtssuchenden Publikums und des geordneten Ganges der Rechtspflege» das Vertrauen in die Person der Anwältin oder des Anwalts und der Anwaltschaft insgesamt zu gewährleisten (Fellmann, in: Fellmann/ Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. A. 2011, Art. 12 BGFA N 12.). Die Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung erfasst nicht nur die Beziehung zur eigenen Klientschaft, sondern auch jene gegenüber der Gegenseite und Behörden (Art. 398 Abs. 2 OR; Fellmann, Anwaltsrecht, 2. A. 2017, Rz 288; Urteil des Bundesgerichts 2C_988/2017 vom 19. September 2018 E 4.1).

2. Die Verzeigte bestreitet eine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA durch die Einreichung vertraulicher Vergleichsgespräche beim Gericht. Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, es seien dadurch keine geschützten vertraulichen Gesprächsinhalte offenbart worden, und der Anzeigeerstatter habe diese E-Mails unter Umgehung der anwaltlichen Vertretungen direkt an die Gegenpartei geschickt.

[…]

4. Das Bundesgericht führte im Urteil 4A_291/2018 vom 10. Januar 2019 in den Erwägungen 4.4 ff. aus, das BGFA lege [zwar] in abschliessender Weise die Berufsregeln fest, denen Anwälte unterstellt seien, die Standesregeln behielten aber dennoch eine «rechtliche Bedeutung, da sie eine Präzisierung oder Auslegung der Berufsregeln ermöglichen, aber ausschliesslich insoweit, als sie eine auf nationaler Ebene weit verbreitete Auffassung zum Ausdruck bringen» (BGE 140 III 6 E. 3.1 S. 9 = Pra 2014 Nr. 81; BGE 136 III 296 E. 2.1 S 300 = Pra 2011 Nr. 5). Der Schweizerische Anwaltsverband habe die Schweizerischen Standesregeln denn auch mit dem Ziel herausgegeben, die Standesregeln auf dem Gebiet der ganzen Schweiz zu vereinheitlichen (a.a.O. E. 4.4). Auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar sind damit die Schweizerischen Standesregeln (SSR) vom 1. Juli 2023 bzw. sind aufgrund des vorliegend massgebenden Zeitraums vom 5. Dezember 2022 bis 11. April 2023 mitunter auch diejenigen Standesregeln vom 10. Juni 2005 beizuziehen (aSSR).

5.1 Gemäss Art. 6 aSSR darf der Gegenanwalt das Gericht nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Gegenpartei über deren Vorschläge zur Beilegung der Streitsache informieren. Art. 26 aSSR sieht bzw. sah vor, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Kolleginnen und Kollegen eine Mitteilung senden würden, die vertraulich sein soll, diesen Willen in der Mitteilung klar zum Ausdruck zu bringen hätten; als vertraulich bezeichnete Dokumente und Gesprächsinhalte dürften keinen Eingang in gerichtliche Verfahren finden.

5.2 Die neuen Standesregeln sehen in Art. 28 Abs. 1 SSR hierzu (ebenfalls) vor, dass Vergleichsvorschläge zwischen Kolleginnen und Kollegen vertraulich sind und nur mit Zustimmung der Gegenpartei dem Gericht oder einer Behörde zur Kenntnis gebracht werden dürfen. Würden Anwältinnen und Anwälte mit einer Gegenpartei, die nicht durch eine Kollegin oder einen Kollegen vertreten sei, verhandeln, so seien Vergleichsvorschläge nur vertraulich, wenn dies von der Urheberin oder dem Urheber explizit zum Ausdruck gebracht würde.

6. Der vorliegende Sachverhalt betrifft die Frage der Vertraulichkeit von (direkter) Vergleichskorrespondenz zwischen den Parteien, welche Konstellation keiner expliziten standesrechtlichen Regelung unterliegt.

6.1 Der Anzeigeerstatter rügte die Einreichung vertraulicher E-Mails von ihm an seine Ehefrau durch die Verzeigte in ein vorsorgliches Massnahmeverfahren vor dem Kantonsgericht Zug, welche E-Mails aus einem Zeitraum stammen, in welchem das Gerichtsverfahren zur Führung von Vergleichsgesprächen faktisch sistiert war. Zutreffend ist, dass es sich dabei um
E-Mails des Anzeigeerstatters an seine Ehefrau handelt und zutreffend ist, dass diese materiell Vergleichsinhalt aufweisen:

[…]

 6.2 Die E-Mails des Anzeigeerstatters sind klarerweise solche mit Vergleichsgesprächscharakter; im Falle der E-Mail vom 24. März 2023 explizit als «not intended for court use» bzw. nicht für den Gerichtsgebrauch bezeichnet. Adressatin aller E-Mails war stets seine Ehefrau und Gegenpartei im Scheidungsverfahren. Dass er mit dieser korrespondierte, ohne die Anwälte einzuschalten, ist dem Anzeigeerstatter nicht vorzuwerfen. Ebenfalls nicht vorzuwerfen ist dem Anzeigeerstatter bzw. vermag es die Verzeigte nicht zu entlasten, dass der Anzeigeerstatter die Mails nicht durchwegs und jedes Mal als «vertraulich» bezeichnet hatte. Das Bundesgericht führt im obgenannten Urteil 4A_291/2018 vom 10. Januar 2019 aus, dass es bei Vergleichsgesprächen zwischen Rechtsanwälten, welche schriftlich oder mündlich geführt würden, nicht erforderlich sei, dass die Vertraulichkeit solcher Gespräche ausdrücklich vorgesehen werde. Enthalte ein von einem Anwalt an den Vertreter der Gegenpartei gesandtes Dokument einen Vergleichsvorschlag, so dürfe dieser denselben nicht bei einem Gericht einreichen. Gleiches gelte in Bezug auf Vergleichsgespräche, die in Gegenwart der Anwälte der Parteien stattfänden (E. 4.6.1). Einschlägig ist hierzu, dass der Rechtsvertreter des Anzeigeerstatters in seiner Mail vom 22. Dezember 2022 an die Verzeigte «diese E-Mails samt Anhang» für unpräjudiziell bezeichnete und ausdrücklich «nicht für den Gerichtsgebrauch» deklarierte (act. 1/8).

Der Anzeigeerstatter und seine Ehefrau bezeichneten im vorliegenden Fall die Vergleichsgespräche gleich mehrfach als vertraulich, dies nicht nur der Anzeigeerstatter in einer der drei inkriminierten E-Mails, sondern auch in sonstiger E-Mail-Korrespondenz (vgl. eingangs bereits erwähnte Beilage 12 bzw. act. 1/12). Auch wenn dies nicht bei jeder E-Mail erfolgte, gilt die mehrfach geäusserte Vertraulichkeitsklausel für den gesamten Schriftverkehr. Die Verzeigte macht denn auch nicht geltend, von der mehrfachen Äusserung der Parteien, dass ihr Schriftverkehr nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmt sei, keine Kenntnis gehabt zu haben. Angesichts dessen bestehen keine Zweifel daran, dass die Verzeigte die E-Mails des Anzeigeerstatters im Wissen um deren Vertraulichkeit dem Gericht eingereicht hatte. Mithin ist darauf auch deshalb zu schliessen, weil die Verzeigte dem Gericht in der Tat, wie vom Anzeigeerstatter vorgebracht, abgedeckte Versionen von E-Mailverläufen eingereicht hatte bzw. legte sie nur die Ausführungen des Anzeigeerstatters, nicht aber die Texte der Gegenpartei oder allfällige Anwaltstexte ins Recht. Ebenfalls legte sie mit Eingabe vom 2. Juni 2023 die E-Mail vom 24. März 2023 ins Recht, allerdings nicht jene mit dem Vermerk «not intended for court use», sondern diejenige, welche der Anzeigeerstatter zwei Minuten früher ohne diesen Vermerk versandte (act. 3/10). Dass sie nicht über diese Version hätte verfügt haben sollen, machte die Verzeigte in ihrer Eingabe vom 28. August 2023 ebenfalls nicht geltend. Die Verzeigte war unter keinem Titel berechtigt, die E-Mails des Anzeigeerstatters mit Vergleichsinhalt beim Gericht ins Recht zu legen. Sie hat damit klar gegen Art. 12 lit. a BGFA verstossen.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, 19. Dezember 2023
(AK 2023 4)

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