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Nichtigkeit eines Zwischenentscheides betreffend vorsorgliche Massnahmen infolge funktioneller Unzuständigkeit des entscheidenden Organs und gravierender Verletzung der Ausstandsregeln
§ 17 VRG
Nicht anfechtbarer Zwischenentscheid (Art. 93 Abs. 1 BGG)
Regeste:
Eine Verfügung betreffend Anordnung sozialhilferechtlicher Auflagen und Weisungen erfüllt in aller Regel nicht die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG und stellt daher kein zulässiges Anfechtungsobjekt dar, woran auch eine anderslautende Rechtsmittelbelehrung nichts ändert.
Aus dem Sachverhalt:
A. A. hat seit 1. Juni 1997 ihren Wohnsitz in X. und wird seit dem Jahr 2000 von der Einwohnergemeinde X. mit Sozialhilfe unterstützt. Seit dem 1. Dezember 2016 lebt sie zusammen mit ihrer Tochter in einer Wohnung, welche der Einwohnergemeinde X. gehört. Der Mietzins inkl. Nebenkosten beträgt 1372 Franken. A. ist seit August 2012 zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Am 3. April 2023 erfolgte eine Wiederanmeldung bei der Invalidenversicherung (IV), wobei die IV mit Vorbescheid vom 3. Mai 2023 das Nichteintreten mangels einer Veränderung des Gesundheitszustands ankündigte. Dagegen erhob A. Einsprache. Die Tochter studiert derzeit und arbeitet nebenbei, um das Studium finanzieren zu können.
B. Im Rahmen der regelmässigen Fallrevision hat A. die Unterlagen für die erneute Prüfung des Sozialhilfeanspruchs am 29. Mai 2024 eingereicht. Mit Verfügung vom 10. Juni 2024 hat die Abteilung Soziales und Gesellschaft der Einwohnergemeinde X. festgehalten, dass weiterhin ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen besteht. Mit der Gewährung der Sozialhilfe wurden folgende Auflagen verbunden:
Auflagen Haushaltsführung:
1. A. habe bis am 30. Juni 2024 die Unterlagen der Tochter B. einzureichen, um eine allfällige Haushaltsführung berechnen zu können.
Auflagen Wohnen/Wohneigentum:
2. A. habe sich ab sofort intensiv um eine andere Unterkunft, die die Vertragspartei mittels Mietvertrags regulär mieten kann, zu bemühen.
3. Die Wohnungsbemühungen sind dem Sozialdienst X. monatlich per 1. des Monats schriftlich vorzulegen.
4. Die Auflagen gemäss Beherbergungsvertrag sind einzuhalten.
Auflagen Erwerbstätigkeit:
5. Im Rahmen der Subsidiarität ist während dem Bezug der wirtschaftlichen Sozialhilfe ein mögliches Erwerbseinkommen im Rahmen der persönlichen Möglichkeiten zu realisieren.
6. A. hat sich aktiv um Arbeit zu bemühen. Angebotene Arbeitsstellen sind anzunehmen.
Auflagen Arbeitsunfähigkeit:
7. Termine für ärztliche oder therapeutische Behandlungen sind regelmässig wahrzunehmen. Den Empfehlungen der Fachpersonen ist Folge zu leisten.
8. Arztzeugnisse sind regelmässig alle drei Monate zu belegen.
Auflagen Finanzen:
9. Es sind monatlich Kopien der Original-Bankauszüge sämtlicher Konten dem Sozialdienst X. einzureichen.
10. Anhang 10: Pflichten für den Bezug von wirtschaftlicher Sozialhilfe dieser Verfügung ist gründlich zu studieren und innert 10 Tagen unterzeichnet zu retournieren.
C. Gegen die Verfügung reichte A. (nachfolgend: Beschwerdeführerin), vertreten durch Rechtsanwalt C., mit Eingabe vom 1. Juli 2024 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug ein. Die Beschwerdeführerin beantragte darin, die Verfügung insoweit aufzuheben als die mit der Gewährung der Sozialhilfe verbundenen Auflagen in Bezug auf die Haushaltsführung, das Wohnen, die Erwerbstätigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Finanzen (Ziff. 1, 2 bis 4, 5 und 6, 7 und 8 sowie 9) in dieser kategorischen, grösstenteils unerfüllbaren Form als haltlos zu widerrufen seien. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug leitete die Eingabe mit Schreiben vom 2. Juli 2024 an den Regierungsrat des Kantons Zug weiter, der die Sache zur Verfahrensinstruktion an die Direktion des Innern übermittelte.
D. Die Direktion des Innern zeigte mit Schreiben vom 5. Juli 2024 der Einwohnergemeinde X. (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) den Eingang der Beschwerde an und wies auf die aufschiebende Wirkung der Beschwerde hin. Am 12. Juli 2024 forderte die Direktion des Innern die Beschwerdegegnerin auf, die angefochtene Verfügung vollständig, d.h. inklusive Beilagen, einzureichen, was die Beschwerdegegnerin in der Folge auch tat.
E. Der Beschwerdeführerin wurde die vollständige Verfügung mit Schreiben vom 18. Juli 2024 zur Kenntnisnahme zugestellt.
Aus den Erwägungen:
1. Nach § 39 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 1. April 1976 (Ver-waltungsrechtspflegegesetz, VRG; BGS 162.1) ist die Verwaltungsbeschwerde die förmliche, an eine Frist gebundene Anfechtung von Entscheiden unterer Verwaltungsbehörden bei der oberen Verwal-tungsbehörde, wodurch diese verpflichtet wird, den angefochtenen Entscheid zu überprüfen und in der Sache neu zu entscheiden. Entscheide des Gemeinderats sind beim Regierungsrat anzufechten (§ 40 Abs. 1 VRG). Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Verwaltungsbeschwerde die Verfügung der Abteilung Soziales und Gesellschaft der Beschwerdegegnerin vom 1. Juli 2024 teilweise – in Bezug auf die Auflagen – angefochten. Die Entscheidkompetenz wurde vom Gemeinderat mittels Delegation auf die Abteilung Soziales und Gesellschaft übertragen (vgl. §§ 10 und 11 des Gesetzes über die Sozialhilfe im Kanton Zug vom 16. Dezember 1982 [Sozialhilfegesetz, SHG; BGS 861.4] i.V.m. § 87a Abs. 1 und 2 Gesetz über die Organisation und die Verwaltung der Gemeinden [Gemeindegesetz, GG; BGS 171.1] i.V.m. Art. yy der Delegationsverordnung der Einwohnergemeinde X. vom zzzz i.V.m. Ziff. yy des Kompetenzbeschlusses der Einwohnergemeinde X. vom zzzz). De jure liegt somit ein Entscheid des Gemeinderats vor, weshalb die Zuständigkeit des Regierungsrats zur Beurteilung der Beschwerde gegeben ist.
(…)
3. Im Einklang mit dem Grundsatz des einmaligen Rechtsschutzes sind im Kanton Zug Zwischen-entscheide praxisgemäss entsprechend der Regelung vor Bundesgericht (Art. 93 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 [BGG; SR 173.110]) eingeschränkt anfechtbar. Namentlich können selbständig eröffnete Zwischenentscheide dann angefochten werden, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (hierzu grundlegend Urteil des Verwaltungsgerichts V 2017 86 vom 29. August 2017, in: GVP 2017, S. 18 f., bestätigt in Urteil des Verwaltungsgerichts V 2020 68 E. 3.1). Im Sozialhilferecht verfügte Auflagen und Weisungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als Zwischenentscheide zu qualifizieren, da sie einen ersten, notwendigen Schritt zu einer allfälligen Leistungskürzung darstellen (hierzu insbesondere Urteil des Bundesgerichts 8C_871/2011 vom 13. Juni 2012 E. 4.4; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 8C_449/2018 vom 18. Januar 2019 E. 5). In einem Urteil aus dem Jahr 2020 hielt das Bundesgericht fest, dass in aller Regel kein nicht wiedergutzumachender Nachteil ersichtlich sei, welcher eine sofortige Überprüfung sozialhilferechtlicher Auflagen und Weisungen gebieten würde. Es sei kein Fall ersichtlich, in dem das Bundesgericht einen solchen Nachteil in einem sozialhilferechtlichen Kontext je bejaht hätte. Damit müsse diese Konstellation als mehr oder weniger theoretisch angesehen werden (BGer 8C_152/2019 vom 14. Januar 2020 E. 5.4.5; ferner Entscheid des Regierungsrats vom 17. Mai 2022 E. 3, in: GVP 2022 S. 172 ff.).
Wie bereits unter Erwägung 1 ausgeführt, hat die Beschwerdeführerin die Verfügung der Beschwerdegegnerin nur hinsichtlich der Auflagen angefochten. Diesbezüglich ist auch in der vorliegenden Konstellation kein nicht wiedergutzumachender Nachteil gegeben. Die von der Beschwerdeführerin angefochtene Verfügung vom 1. Juli 2024 auferlegt ihr diverse Pflichten in Bezug auf die Bereiche Haushaltsführung, Wohnen, Erwerbstätigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Finanzen. Wenn sie diesen Pflichten nachkommt, darf die Sozialhilfebehörde auch keine Sanktionen verfügen. Sollte hingegen mangels Mitwirkung trotzdem eine Sanktion (Kürzung oder Einstellung) verfügt werden, müsste die Beschwerdeführerin vorab – d.h. vor dem Erlass der separaten und alsdann anfechtbaren Sanktionsverfügung – im Rahmen des rechtlichen Gehörs zwingend dazu angehört werden. Zudem wäre bei der Anfechtung der Sanktionsverfügung auch die Rechtmässigkeit der Auflagen der Verfügung vom 1. Juli 2024 zu prüfen. Die streitgegenständliche Verfügung stellt in Bezug auf die Auflagen daher kein zulässiges Anfechtungsobjekt dar. Daran ändert auch die Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung vom 1. Juli 2024 nichts, denn die Beschwerdeführerin erleidet in verfahrensrechtlicher Hinsicht keinen Nachteil, da zu einem späteren Zeitpunkt die Rechtmässigkeit der Auflagen immer noch vollumfänglich überprüft werden kann. Insofern fällt ein Eintreten aus Vertrauensschutzgründen ausser Betracht. Folglich ist auf die vorliegende Beschwerde nicht einzutreten.
(…)
5. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung schliessen Nichteintretensentscheide grundsätzlich ein Verfahren ab, weshalb sie als Endentscheide zu qualifizieren sind. Betrifft der Nichteintretens-entscheid aber eine Beschwerde gegen eine Zwischenverfügung, kann er lediglich den Streit um den Gegenstand der Zwischenverfügung und nicht das Hauptverfahren beenden. Ein solcher Nichteintre-tensentscheid ist daher ebenfalls als Zwischenentscheid zu qualifizieren (Urteil des Bundesgerichts 1C_80/2016 vom 18. Juli 2016 E. 1.1). Der vorliegende Entscheid dürfte als Zwischenentscheid vor dem Verwaltungsgericht nur eingeschränkt anfechtbar sein (vgl. dazu E. 3 vorstehend). Indes ist die Beurteilung dem Verwaltungsgericht vorbehalten.