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Nichtigkeit eines Zwischenentscheides betreffend vorsorgliche Massnahmen infolge funktioneller Unzuständigkeit des entscheidenden Organs und gravierender Verletzung der Ausstandsregeln

Regeste:

Ein Entscheid über vorsorgliche Massnahmen, der von einem funktionell unzuständigen Organ und in augenscheinlicher Verletzung der Ausstandsvorschriften ergangen ist, hat dessen Nichtigkeit zur Folge. – Entscheidet der Gemeindepräsident über ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen in Einzelzuständigkeit, obwohl gemäss § 8 Abs. 1 Ziff. 5 i.V.m. § 85 Abs. 1 EG ZGB der Gemeinderat als Kollegialbehörde über die Sache zu entscheiden hat, und trotz eines offenkundig mitunter auch gegen ihn hängigen und von ihm zur Beurteilung an den Regierungsrat weitergeleiteten Begehrens um Ausstand, leidet der Massnahmenentscheid an besonders schweren formellen Mängeln.

Aus dem Sachverhalt:

A. Mit Eingabe vom 24. Februar 2022 reichte B.B. bei der Gemeinde X. Aufsichtsbeschwerde gegen W. als Willensvollstrecker im Nachlass von A.B. sel., gest. 1. September 2013, ein. Neben dem Begehren auf Absetzung des Willensvollstreckers beantragte B.B., diesem vorsorglich zu verbieten, die im Nachlass befindlichen Liegenschaften zu verkaufen oder sonst wie im Sinne von Verkaufsvorbereitungen rechtlich zu verpflichten und die Aktionärsrechte bezüglich der 50 Namenaktien an der Y. Holding AG auszuüben, die gemäss letztwilliger Verfügung von A.B. sel. seiner unterstellt sind.

B. Der Willensvollstrecker W. hat am 26. April 2022 ein Ausstandsbegehren gegen sämtliche Mitglieder des Gemeinderats X. sowie gegen den Gemeindeschreiber und die stellvertretende Leiterin der Abteilung Einwohnerdienste eingereicht.

C. Am 27. Mai 2022 ersuchte B.B. um Anordnung (super)provisorischer Massnahmen, namentlich um sofortige Suspendierung von W. in seinem Amt als Willensvollstrecker bis zur Erledigung des aufsichtsrechtlichen Verfahrens. Mit einer Eingabe vom 17. Juni 2022 wies B.B. mit Blick auf das dringende Begehren darauf hin, dass der Willensvollstrecker W. ihm in der Zwischenzeit eine erbetene Auskunft nicht erteilt habe.

D. Die Gemeinde X. respektive die vom Ausstand betroffenen Personen leiteten das Ausstandsbegehren mit Schreiben vom 22. Juni 2022 an den Regierungsrat des Kantons Zug weiter. Dieser habe als Aufsichtsbehörde über das Gesuch zu befinden, da der Gemeinderat X. bzw. die betroffenen Personen sich ausser Stande sähen, über das Ausstandsbegehren zu entscheiden.

E. Am darauffolgenden Tag bzw. mit Entscheid vom 23. Juni 2022 wies der Präsident der Gemeinde X. die Anträge von B.B. um Anordnung von (super)provisorischen Massnahmen ab. Die anderen Mitglieder des Gemeinderats wurden nachträglich anlässlich der ordentlichen Gemeinderatssitzung am 4. Juli 2022 über den Präsidialentscheid informiert.

F. Gegen den Entscheid vom 23. Juni 2022 erhoben sukzessive C.B. mit Eingabe vom 6. Juli 2022 (Beschwerdeführerin 1), D.B. mit Eingabe vom 12. Juli 2022 (Beschwerdeführerin 2) und B.B. mit Eingabe vom 21. Juli 2022 (Beschwerdeführer 3) Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Zug. Sämtliche Beschwerdeführerenden machten im Wesentlichen geltend, dass der Gemeinderat X. respektive die vom Ausstand betroffenen Personen während des noch hängigen Ausstandsverfahrens in der Sache keine Entscheide – auch nicht betreffend (super)provisorische Massnahmen – treffen bzw. daran mitwirken könnten. Die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 beantragten die Feststellung der Nichtigkeit, eventualiter die Aufhebung des Entscheids vom 23. Juni 2022. Der Beschwerdeführer 3 beantragte dessen Aufhebung.

G. Im Rahmen der Verfahrensinstruktion forderte die Direktion des Innern die Vorinstanz auf, die Zustellnachweise einzureichen und zu erläutern, in welcher Zusammensetzung der Entscheid vom 23. Juni 2022 getroffen wurde. Das Antwortschreiben des Beschwerdegegners sowie die dazugehörigen Beilagen liess die Direktion des Innern den Beschwerdeführenden und dem Willensvollstrecker W. mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, um Fristansetzung für die Einreichung einer Stellungnahme zu ersuchen, zukommen. In der Folge ersuchte der Willensvollstrecker W. um Ansetzung einer Frist zur Stellungnahme. Die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 ersuchten jeweils mit Schreiben vom 31. August 2022 um Fristansetzung zur Stellungnahme, sofern im vorliegenden Verfahren auch in der Sache bzw. über die beantragten (super)provisorischen Massnahmen neu befunden würde. Überdies wiesen sie in ihren Eingaben jeweils darauf hin, dass der Entscheid der Vorinstanz in der Sache korrekt und nicht zu beanstanden sei. Die verfahrensinstruierende Direktion orientierte in der Folge darüber, dass im vorliegenden Verfahren lediglich die Rechtmässigkeit des Entscheids der Vorinstanz beurteilt werde und sie die Ersuchen um Fristansetzung der Beschwerdeführerinnen 1 und 2 daher als hinfällig erachte. In seiner Stellungnahme vom 27. September 2022 beantragte der Willensvollstrecker W. die Feststellung der Nichtigkeit des Entscheids vom 23. Juni 2022, eventualiter dessen Aufhebung, wies aber zugleich darauf hin, dass der Entscheid der Vorinstanz in der Sache korrekt und nicht zu beanstanden sei. Die Direktion des Innern übermittelte diese Stellungnahme mit Schreiben vom 30. September 2022 sämtlichen weiteren Verfahrensbeteiligten.

Aus den Erwägungen:

I.

(…)

2. Die Vorinstanz wies das Gesuch um Erlass (super)provisorischer Massnahmen gegen den im Nachlass von A.B. sel. nunmehr amtenden Willensvollstrecker W. ab. Sie handelte dabei als Aufsichtsbehörde i.S.v. Art. 518 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR 210) i.V.m. Art. 595 Abs. 3 ZGB sowie §§ 8 und 85 des Gesetzes betreffend die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches für den Kanton Zug vom 17. August 1911 (EG ZGB; BGS 211.1). Das erstinstanzliche Verfahren und das Rechtsmittelverfahren richten sich grundsätzlich nach den Bestimmungen des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 1. April 1976 (Verwaltungsrechtspflegege­setz, VRG; BGS 162.1; vgl. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 und § 2 VRG), wobei das Bundesrecht gewisse Mindestanforderungen an das Verfahren stellt (Iten Marc’ Antonio, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers, 2012, N 70, 74 ff. und 157 ff.) und die Bestimmungen der Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO; SR 272; insb. Art. 248 ff. ZPO) analog zur Anwendung gelangen, soweit fehlende Regeln zu ergänzen sind (Künzle Rainer, Die Aufsicht über den Willensvollstrecker, in: Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 941).

5. Das Anfechtungsobjekt ist ein Entscheid der Vorinstanz betreffend (super)provisorische Massnahmen. Hier ist aus verfahrensrechtlicher Sicht Folgendes zu beachten: Im Einklang mit dem Grundsatz des einmaligen Rechtsschutzes sind im Kanton Zug Zwischenentscheide praxisgemäss entsprechend der Regelung vor Bundesgericht (Art. 93 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 [BGG; BGS 173.110]) eingeschränkt anRegierungsratsbeschluss vom 8. November 2022 (inzwischen rechtskräftig; eine dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht mit Urteil V 2022 97 vom 26. Oktober 2023 abgewiesen) fechtbar. Namentlich können selbständig eröffnete Zwischenentscheide dann angefochten werden, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts V 2017 86 vom 29. August 2017 E. 2a/aa, in: GVP 2017, S. 17 ff.; Urteil des Verwaltungsgerichts V 2020 68 vom 8. Januar 2021 E. 3.1). Da provisorische Verfügungen das Verfahren nicht abschliessen, kommt eine Anfechtung – wenn überhaupt – nur wegen eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils in Frage (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Mai 1997 E. 4, in: GVP 1997/98, S. 119 f.). Der nicht wiedergutzumachende Nachteil muss rechtlicher Natur sein. Ein solcher liegt vor, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Entscheid nicht mehr behoben werden kann. Allerdings wird ein irreparabler Schaden nicht vorausgesetzt, sondern es genügt, wenn ein günstiger Endentscheid für die betroffene Person nicht jeden Nachteil zu beseitigen vermag. Mithin genügt die blosse Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils (vgl. BGE 137 III 380 E. 1.2.1).

Im vorliegenden Fall geht es um die Absetzung respektive die (super)provisorische Suspendierung des Willensvollstreckers. Der – dauerhafte oder vorübergehende – Wechsel eines vom Erblasser eingesetzten Willensvollstreckers kann im Hinblick auf die Verwaltung des Nachlassvermögens von erheblicher Tragweite sein. Insofern können nicht wiedergutzumachende Nachteile, wie beispielsweise das unwiederbringliche Veräussern von Nachlassgegenständen oder eine andersartige (z.B. risikoreichere) Verwaltung von Teilen des Nachlassvermögens, nicht ausgeschlossen werden. Die Gefahr, dass bleibende Nachteile eintreten können, akzentuiert sich bekanntermassen in Fällen, in denen die Erben untereinander verstritten und sich gerade auch hinsichtlich der Rolle und Person des Willensvollstreckers und der Verwaltung des Nachlassvermögens uneins sind. Dies ist vorliegend zweifelsfrei der Fall, zumal der Willensvollstrecker W. nicht nur den Nachlass der Erblasserin verwaltet, sondern auch noch das von der Beschwerdeführerin 2 gehaltene Aktienpaket (10 Prozent) vertritt. Bereits ein vorübergehender Wechsel des Willensvollstreckers könnte zu nicht wiedergutzumachenden Nachteilen führen, weshalb eine Überprüfung des Entscheids der Vorinstanz vom 23. Juni 2022 betreffend (super)provisorische Massnahmen im jetzigen Zeitpunkt angezeigt ist. Somit liegt ein selbständig anfechtbarer Zwischenentscheid und damit ein zulässiges Anfechtungsobjekt vor.

(…)

7. Der Beschwerdeführer 3 ist ohne weiteres in Anwendung von § 41 Abs. 1 VRG zur Beschwerde legitimiert, zumal sein Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen von der Vorinstanz abgewiesen wurde.

Ob die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 gemäss § 41 Abs. 1 VRG zur Beschwerde legitimiert sind, ist zu prüfen. Zwar haben die Beschwerdeführerinnen nicht am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Jedoch ist ihnen dies nicht anzulasten: Aus den Akten geht nicht hervor, dass sie von der Vorinstanz über die eingereichten Eingaben – die Aufsichtsbeschwerde, das Ausstandsbegehren und das Gesuch betreffend vorsorgliche Massnahmen – und den Entscheid über das Gesuch betreffend vorsorgliche Massnahmen in Kenntnis gesetzt wurden. Ausgehend davon bestand für die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 keine Veranlassung bzw. keine Möglichkeit zur Teilnahme am Vorverfahren, weshalb die Voraussetzung der formellen Beschwer gemäss § 41 Abs. 1 Bst. a VRG erfüllt ist. Weiter ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 durch den angefochtenen Entscheid materiell beschwert sind. Dies ist der Fall, wenn die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist (§ 41 Abs. 1 Bst. b VRG) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (§ 41 Abs. 1 Bst. c VRG). Diese beiden Voraussetzungen hängen eng zusammen. In der Regel – aber nicht ausnahmslos – hat jemand, der durch einen Akt besonders berührt ist, ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung. Umgekehrt setzt das schutzwürdige Interesse voraus, dass sich jemand in einer beachtenswert nahen Beziehung zur Streitsache findet. Insbesondere geht das Erfordernis des schutzwürdigen Interesses teilweise in der Voraussetzung der persönlichen Betroffenheit auf (zum Ganzen BSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 10). Verlangt wird letztlich, dass die beschwerdeführende Partei über eine spezifische Beziehungsnähe zur Sache verfügt und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht (BGE 136 II 281 E. 2.2).

Die besondere Beziehungsnähe erfordert, dass jemand stärker als jedermann betroffen ist (vgl. LGVE 2013 VI Nr. 6 E. 3.1). Steht bei einem aufsichtsrechtlichen Verfahren über einen Willensvollstrecker dessen Absetzung im Raum, bezieht die Aufsichtsbehörde in aller Regel die übrigen Erben als Beigeladene ins Beschwerdeverfahren mit ein. Der Einbezug sämtlicher Erben ist insbesondere in hochstrittigen Auseinandersetzungen gerechtfertigt, da es in deren Sinne sein kann, dass der vom Erblasser eingesetzte Willensvollstrecker weiterhin im Amt bleibt (vgl. zum Ganzen Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 400 18 58 vom 14. August 2018 E. 8.3 und 7). Die Beschwerdeführerin 1 ist Erbin, die Beschwerdeführerin 2 Vermächtnisnehmerin, wobei das Vermächtnis derzeit bis zu einem festen Zeitpunkt noch über mehrere Jahre vom eingesetzten Willensvollstrecker W. fremdverwaltet wird. Demnach sind die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 von einer dauerhaften Absetzung oder vorübergehenden Suspendierung des Willensvollstreckers W. in seinem Amt unmittelbar und in höherem Masse als jedermann betroffen. Das schutzwürdige Interesse ist zu bejahen, wenn durch den Ausgang des Verfahrens die rechtliche oder tatsächliche Situation der beschwerdeführenden Partei unmittelbar beeinflusst wird, indem sie einen wirtschaftlichen, ideellen oder materiellen Nachteil abwenden oder einen rechtlichen oder tatsächlichen Nutzen daraus ziehen kann (LGVE 2013 VI Nr. 6 E. 3.1; Urteil des Bundesgerichts 1C_453/2008 vom 12. Februar 2009 E. 1.2; BSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 16). Das Interesse ist grundsätzlich nur dann schutzwürdig, wenn es im Zeitpunkt der Beurteilung des angefochtenen Entscheids noch aktuell ist. Das ist der Fall, wenn der Nachteil dannzumal noch besteht und durch eine erfolgreiche Beschwerde beseitigt würde. Auf das Erfordernis des praktischen und aktuellen Interesses wird ausnahmsweise verzichtet, wenn sich die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage jederzeit und unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (Urteil des Bundesgerichts 1C_453/2008 vom 12. Februar 2009 E. 1.2; BGE 136 II 101 E. 1.1; BSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 17). Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände ist zu konstatieren, dass die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 über kein aktuelles und damit schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids verfügen. Beide Beschwerdeführerinnen bestätigten in ihren jeweiligen Eingaben vom 31. August 2022, dass der Entscheid inhaltlich nicht zu beanstanden respektive in der Sache korrekt sei. Daher ist nicht ersichtlich, inwiefern die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 einen praktischen und aktuellen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des Entscheids ziehen würden. Ebensowenig ist ersichtlich, inwiefern ein Ausnahmefall vom Erfordernis vom aktuellen und praktischen Interesse gegeben sein könnte. Auch wenn die Beschwerdeführerinnen von der Vorinstanz in das Verfahren mittels Beiladung ins Verfahren miteinbezogen worden wären, wären sie mangels praktischen und aktuellen Nutzens nicht zur Beschwerde legitimiert gewesen, jedoch im Falle einer Beschwerde durch den Beschwerdeführer 3 als Verfahrensparteien in das Rechtsmittelverfahren involviert worden. Demnach ist festzuhalten, dass unter den gegebenen Umständen die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerinnen 1 und 2 zu verneinen ist.

8. Die formellen Eintretensvoraussetzungen sind bei der Beschwerde des Beschwerdeführers 3 erfüllt, weshalb auf seine Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.

Die Eingaben der Beschwerdeführerinnen 1 und 2 erfüllen die Eintretensvoraussetzungen nicht, wes-halb auf ihre Beschwerden nicht einzutreten ist. Indessen ist eine allfällige Nichtigkeit jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen zu beachten und kann insbesondere auch erst im Rechtsmittelverfahren festgestellt werden. In diesem Punkt sind die Eingaben der Beschwerdeführerinnen daher weiterhin von Bedeutung (BGE 136 II 415 E. 1.2 [vollständig: Urteil des Bundesgerichts 1C_438/2009 vom 16. Juni 2010]). Ausserdem hätten die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 zum Beschwerdeverfahren beigeladen werden und als Parteien Eingaben machen – insbesondere auch Anträge stellen – können. Insofern sind ihre Eingaben als Stellungnahmen im Verfahren zu berücksichtigen.

II.

1. Die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 wiesen auf die Nichtigkeit des Entscheids der Vorinstanz hin. Die Vorinstanz sei nicht in der Lage gewesen, über die verfahrensrechtlichen Ausstandsfragen zu entscheiden. Demzufolge konnte der Gemeinderat X. erst recht nicht materiellrechtlich über die beantragten Massnahmebegehren entscheiden. Mithin sei er dafür nicht zuständig gewesen. Aus den sinngemäss selben Gründen beantragt der Beschwerdeführer 3 die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. Zunächst ist die allfällige Nichtigkeit des Entscheids vom 23. Juni 2022 zu prüfen.

2. Nichtigkeit bedeutet absolute Unwirksamkeit einer Verfügung. Eine nichtige Verfügung entfaltet keinerlei Rechtswirkungen. Sie ist vom Erlass an (ex tunc) und ohne amtliche Aufhebung rechtlich unverbindlich (Entscheid des Steuergerichts des Kantons Basel-Landschaft 530 10 61 vom 27. Mai 2011 E. 4). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein Entscheid nichtig, d.h. absolut unwirksam, wenn der ihm anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem durch die Annahme der Nichtigkeit die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährdet wird. In Konkretisierung dieser Definition hat die Praxis verschiedene Fehler anerkannt, bei deren Vorliegen eine Verfügung als nichtig betrachtet wird. Dies ist in der Regel bei sachlicher oder funktioneller Unzuständigkeit der verfügenden Behörde, aber auch bei schwerwiegenden Form- und Verfahrensfehlern der Fall. Demgegenüber führen inhaltliche Mängel in aller Regel lediglich zur Anfechtbarkeit der Verfügung, denn die These, dass die inhaltliche Rechtswidrigkeit schlechthin die Nichtigkeit zur Folge habe, würde bedeuten, dass das Vollstreckungsorgan praktisch an die Stelle der entscheidenden Behörde treten würde. In Ausnahmefällen können jedoch auch ausserordentlich schwerwiegende inhaltliche Mängel zur Nichtigkeit der Verfügung führen. Als nichtig wäre namentlich eine Verfügung anzusehen, die einen unmöglichen Inhalt hat und bei der die Fehlerhaftigkeit an ihr selbst zum Ausdruck kommt (z.B. Aberkennung der Rechtsfähigkeit, provisorische Einbürgerung). Ferner wäre Nichtigkeit bei tatsächlicher Unmöglichkeit des Vollzugs sowie bei einer unklaren oder unbestimmten Verfügung gegeben (grundlegend zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 5P.173/2003 E.3.2 vom 2. Juni 2003 mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Lehre; ferner Urteil des Bundesgerichts 4A_20/2020 vom 26. Februar 2020 E. 5.2.1). Nichtigkeit ist jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten. Sie kann auch im Rechtsmittelweg festgestellt werden, namentlich auch im Verfahren vor Bundesgericht. Ob Nichtigkeit vorliegt, bestimmt sich aufgrund einer rechtlichen Würdigung, ist also eine Rechtsfrage (Urteil des Bundesgerichts 4A_20/2020 vom 26. Februar 2020 E. 5.1).

2.1 Nach § 17 Abs. 1 VRG kann die Behörde zur Erhaltung des Zustands oder zur Sicherung bedrohter rechtlicher Interessen vorsorgliche Massnahmen treffen. Unter Vorbehalt von Spezialbestimmungen ist diejenige Behörde für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen zuständig, die auch für die Beurteilung der Hauptsache zuständig ist (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 1. Mai 1997 E. 2, in: GVP 1997/98, S. 119 f.). Gemäss § 8 Abs. 1 Ziff. 5 i.V.m. § 85 Abs. 1 EG ZGB ist der Gemeinderat für die Aufsicht über die Willensvollstreckung und die Erbschaftsverwaltung zuständig. Folglich ist der Gemeinderat als Kollegialbehörde zuständig, während einem Aufsichtsverfahren gegen einen Willensvollstrecker über die Anordnung von (super)provisorischen Massnahmen zu befinden (vgl. hierzu Urteil des Verwaltungsgerichts V 2017 86 vom 29. August 2017 E. 2a/aa, in: GVP 2017, S. 17 ff.). Von welchem Organ der (sachlich) zuständigen Behörde eine Verfahrenshandlung auszugehen hat, ist eine Frage der funktionellen Zuständigkeit (Urteil des Bundesgerichts 4A_377/2014 vom 25. November 2014 E. 4.3; zur funktionellen und sachlichen Zuständigkeit: Beschluss des Regierungsrats vom 18. November 2003 E. 3, in: GVP 2003, S. 339 ff.; ferner zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Einzel- und Kollegialbehörde BGE 147 IV 329 E. 2.7, wobei in E. 2.11 die Frage der Nichtigkeit offengelassen wurde).

Im vorliegenden Fall hat der Gemeindepräsident in Einzelzuständigkeit, d.h. ohne Mitwirkung der übrigen Mitglieder des Gemeinderats, über das Gesuch des Beschwerdeführers 3 um Erlass (super)provisorischer Massnahmen entschieden. Und dies obwohl im Entscheid explizit auf die infolge § 8 Abs. 1 Ziff. 5 i.V.m. § 85 Abs. 1 EG ZGB massgebende Zuständigkeit des Gemeinderats – als Kollegialbehörde – hingewiesen wurde (Entscheid vom 23. Juni 2022 E. 2 in fine). Folglich wurde der Entscheid trotz offenkundiger Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen nicht vom funktionell zuständigen Organ getroffen. Darin ist ein gravierender Mangel zu erblicken.

2.2 Gemäss § 8 Abs. 1 VRG gelten für die gemeindlichen Behörden die Ausstandsbestimmungen des Gesetzes über die Organisation und die Verwaltung der Gemeinden vom 4. September 1980 (Gemeindegesetz, GG; BGS 171.1). § 10 Abs. 4 GG statuiert, dass ein unter Verletzung der Ausstandspflicht gefasster Beschluss einer Gemeindebehörde oder ein unter Verletzung der Ausstandspflicht getroffener Entscheid einer gemeindlichen Mitarbeiterin bzw. eines gemeindlichen Mitarbeiters vom Regierungsrat auf Beschwerde hin aufzuheben ist, wobei das Einschreiten der Aufsichtsbehörde von Amtes wegen vorbehalten bleibt. Allerdings kann die Verletzung der Ausstandsregeln ausnahmsweise – sprich in besonders schwerwiegenden Fällen – die Nichtigkeit des Entscheids zur Folge haben. Zu den besonders schwerwiegenden Fällen ist insbesondere die Verfolgung persönlicher Interessen infolge direkter Betroffenheit zu zählen (Urteil des Bundesgerichts 2C_178/2020 vom 19. Juni 2020 E. 2.3; vgl. auch Kiener Regina, in Kommentar VRG [ZH], § 5a N. 53; ferner Urteil des Verwaltungsgerichts V 2017 47 vom 18. Dezember 2018 E. 2b, worin auf die potentielle Nichtigkeit von Entscheiden, die unter Verletzung der Ausstandspflicht zustande gekommen sind oder von einer unrichtig zusammengesetzten Behörde getroffen wurden, hingewiesen wird). Wird im Kanton Zug gegen sämtliche Mitglieder des Gemeinderats ein Ausstandsbegehren gestellt, so ist das Ausstandsbegehren vom Regierungsrat zu beurteilen. Bei einem berechtigten Ausstandsbegehren hat er die entsprechenden Ersatzanordnungen zu treffen, sprich eine nicht mehr beschlussfähige Behörde zu ergänzen, anstelle einer vollständig im Ausstand befindlichen Behörde eine andere geeignete zu bezeichnen oder selber in der Sache zu entscheiden (Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. August 2003 E. 2b, in: GVP 2003, S. 68 ff.).

Der Gemeinderat hat mit Schreiben vom 22. Juni 2022 das vom Willensvollstrecker gestellte Aus-standsbegehren zur Beurteilung an den Regierungsrat weitergeleitet, weil er sich ausser Stande sah, über das Ausstandsbegehren zu entscheiden. Dieses Schreiben wurde vom Gemeindepräsidenten und dem Gemeindeschreiber unterzeichnet. Dass sämtliche Mitglieder des Gemeinderats, der Gemeindeschreiber und die Leiterin der Einwohnerdienste in der Sache potentiell in den Ausstand zu treten haben, war für die unterzeichnenden Personen somit zweifelsfrei klar. Trotzdem hat der Gemeindepräsident unmittelbar danach mit dem Entscheid vom 23. Juni 2022, wiederum unterzeichnet von ihm und dem Gemeindeschreiber, über das hängige Massnahmengesuch entschieden. Angesichts der Sachlage ist es in keiner Weise nachvollziehbar, dass der Gemeindepräsident in vollem Wissen um das vor dem Regierungsrat gegen sämtliche Mitglieder des Gemeinderats – insbesondere auch gegen ihn – hängige Ausstandsverfahren über das Gesuch um (super)provisorische Massnahmen befunden hat. Zwar hat der Gemeindepräsident nicht aus einem unmittelbaren persönlichen Interesse gehandelt. Jedoch ist es für jedermann erkennbar, dass das Verhalten der Behörde hochgradig widersprüchlich ist. Vielmehr wäre es naheliegend gewesen, die Sache direkt an den Regierungsrat zu überweisen oder sich zumindest dort über das Vorgehen zu erkundigen, anstatt in augenscheinlicher Verletzung der Ausstandsvorschriften selbst über das Massnahmengesuch zu entscheiden. Unter Berücksichtigung des konkreten Geschehensablaufs wiegt die Verletzung der Ausstandsvorschriften äusserst schwer.

2.3 Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände – funktionelle Unzuständigkeit des entscheidenden Organs und Entscheid in krasser Missachtung der Ausstandsregeln – ist festzuhalten, dass der Entscheid vom 23. Juni 2022 insgesamt an besonders schweren formellen Mängeln leidet, die äussert leicht erkennbar gewesen wären. Zudem führt die Nichtigkeit im vorliegenden Fall nicht zu einer Gefährdung der Rechtssicherheit, ändert sich am Status quo bis zur erneuten Prüfung und Beurteilung nichts. Folglich ist festzustellen, dass der vom Gemeindepräsidenten gefällte Entscheid vom 23. Juni 2022 infolge schwerwiegender formeller Fehler nichtig ist.

3. Im Übrigen ist zu bemerken: Selbst wenn im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Nichtigkeit nicht gegeben wären, hätte der Entscheid vom 23. Juni 2022 infolge der vorstehend aufgeführten Mängel in Gutheissung des Begehrens des Beschwerdeführers 3 aufgehoben werden müssen.

(…)

IV.

1. Infolge Nichtigkeit des Entscheids vom 23. Juni 2022 ist mithin das Gesuch des Beschwerdeführers 3 um Erlass (super)provisorischer Massnahmen weiterhin hängig, weshalb noch der künftige Verfahrensablauf zu klären ist.

2. Das Ausstandsbegehren ist vor dem Regierungsrat als Aufsichtsbehörde pendent. Bis zu dessen Abschluss wird unklar bleiben, ob der Gemeinderat X. in den Ausstand zu treten hat oder nicht. Dementsprechend wird erst in jenem Zeitpunkt klar sein, welche Behörde bzw. gegebenenfalls Ersatzbehörde für die Beurteilung der Aufsichtsbeschwerde zuständig ist. Während des Schwebezustands ist der Regierungsrat in der vorliegenden Angelegenheit zuständig (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. August 2003 E. 2b, in: GVP 2003, S. 68 ff.). Demnach hat er über die Anordnung allfälliger (super)provisorischer Massnahmen zu befinden. Die Gemeinde X. hat daher sämtliche Akten im Zusammenhang mit der Aufsichtsbeschwerde dem Regierungsrat zu übermitteln. Dadurch wird zudem sichergestellt, dass der Regierungsrat nach seinem Entscheid über das Ausstandsbegehren die Akten der zuständigen Behörde zukommen lassen kann.

(…)

Regierungsratsbeschluss vom 8. November 2022 (inzwischen rechtskräftig; eine dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht mit Urteil V 2022 97 vom 26. Oktober 2023 abgewiesen)

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