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Art. 223 Abs. 2 und Art. 229 ZPO
Art. 257 Abs. 1 ZPO
Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO
Art. 117 ZPO
Art. 119 ZPO, Art. 326 ZPO

Art. 147 ZPO, Art. 219 ZPO, Art. 223 ZPO

Regeste:

Art. 147 ZPO, Art. 219 ZPO, Art. 223 ZPO – Nachfristansetzung zur Einreichung einer Gesuchsantwort. Im Gegensatz zum ordentlichen Verfahren, in welchem das Gericht bei versäumter Klageantwort der beklagten Partei eine kurze Nachfrist ansetzen muss, ist in dem im summarischen Verfahren durchzuführenden Rechtsöffnungsverfahren eine Nachfristansetzung nach unbenutztem Ablauf der Frist zur Beantwortung des Rechtsöffnungsgesuchs nicht erforderlich. Vielmehr kann der Richter, sofern er in der Aufforderung zur Einreichung der Gesuchsantwort auf die Säumnisfolgen hingewiesen hat, androhungsgemäss ohne Vernehmlassung über das Rechtsöffnungsbegehren entscheiden.

Aus den Erwägungen:

1. Die Beschwerdeführerin macht in der Beschwerde zusammengefasst geltend, die Vorinstanz habe Art. 219 i.V.m. Art. 223 Abs. 1 ZPO verletzt, indem sie ihr nach unbenutztem Ablauf der Frist zur Einreichung einer Gesuchsantwort keine Nachfrist angesetzt und über das Rechtsöffnungsgesuch ohne ihre Stellungnahme entschieden habe. Sie beantragt daher die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Sache zur Nachfristansetzung und anschliessenden Neubeurteilung an die Vorinstanz.

(...)

3. Die Beschwerdeführerin wurde vom Rechtsöffnungsrichter am 15. Juli 2011 zur Einreichung einer Gesuchantwort innert sieben Tagen aufgefordert. Die Aufforderung wurde der Beschwerdeführerin mithin während den vom 15. bis 31. Juli 2011 dauernden Betreibungsferien zugestellt. Sie gilt damit am ersten Werktag nach den Betreibungsferien als zugestellt (Art. 31 i.V.m. Art. 56 SchKG; Thomas Bauer, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, 2. A., Basel 2010, Art. 56 N 7a u. N 54 f.). Die Vernehmlassungsfrist begann somit am 3. August 2011 zu laufen und endete am 9. August 2011. Innert dieser Frist hat die Beschwerdeführerin keine Gesuchsantwort eingereicht und hat damit die Frist nicht eingehalten (Art. 31 SchKG i.V.m. Art. 143 Abs. 1 ZPO).

4.1 Die in Art. 147 ZPO geregelte Säumnis und ihre verfahrensrechtlichen Folgen beziehen sich auf die gesetzlichen und richterlichen prozessualen Fristen der ZPO (Adrian Staehelin, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 147 N 3). Nach dieser Bestimmung ist eine Partei säumig, wenn sie eine Prozesshandlung nicht fristgemäss vornimmt oder zu einem Termin nicht erscheint (Abs. 1). Das Verfahren wird ohne die versäumte Handlung weitergeführt, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt (Abs. 2). Für das ordentliche Verfahren sieht Art. 223 Abs. 1 ZPO vor, dass das Gericht bei versäumter Klageantwort der beklagten Partei eine kurze Nachfrist ansetzt.

4.2 Fraglich ist, ob diese Bestimmung auch für das im summarischen Verfahren durchzuführenden Rechtsöffnungsverfahren anwendbar ist, nachdem im summarischen Verfahren die Folgen bei versäumter Gesuchsantwort nicht explizit geregelt sind und nach Art. 219 ZPO die Bestimmungen des ordentlichen Verfahrens sinngemäss für sämtliche anderen Verfahren gelten, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Das Bundesgericht hat sich - soweit ersichtlich - dazu noch nicht geäussert und in der Lehre werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Für eine analoge Anwendbarkeit von Art. 223 Abs. 1 ZPO auf das summarische Verfahren plädieren Stephan Mazan (in: Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Basel 2010, Art. 253 N 16), Eric Pahud (in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 219 N 14 u. Art. 223 N 9) und Isaak Meier (Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich/ Basel/Genf 2010, S. 413), während sich Sylvia Frei/Daniel Willisegger (in: Spühler/Tenchio/ Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, a.a.O., Art. 223 N 17), Martin Kaufmann (in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, a.a.O., Art. 253 N 19 - 21), Dominik Gasser/Rahel Müller/Tamara Pietsch-Kojan (Ein Jahr Schweizerische ZPO - ein Erfahrungsbericht, in: Anwaltsrevue 1/2012, S. 11) und Denis Tappy (in: Bohnet et al. [Hrsg.], Code de procédure civil, Basel 2011. Art. 223 N 27) gegen eine Nachfristansetzung gemäss Art. 223 ZPO aussprechen.

4.3 In der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung wird zu Art. 216 E-ZPO (Art. 219 ZPO) ausgeführt: «Der ordentliche Prozess ist das Grundverfahren des Entwurfs. Seine Regeln gelten daher nicht nur für die Streitigkeiten, die tatsächlich in diesem Verfahren abzuwickeln sind, sondern sinngemäss auch für alle anderen Prozessarten. Abweichungen können sich direkt aus dem Gesetz ergeben oder aber durch die Natur eines besonderen Verfahrens bedingt sein.» Die Regelung in Art. 219 ZPO, wonach die Bestimmungen des ordentlichen Verfahrens sinngemäss für sämtliche anderen Verfahren gelten, ist damit dahingehend zu interpretieren, dass die Regeln des ordentlichen Verfahrens einzig dann ergänzend zur Anwendung kommen, soweit sie den Charakter des jeweiligen Verfahrens respektieren. Eine automatische und unreflektierte Übernahme der Verfahrensbestimmungen des ordentlichen Verfahrens auf das summarische Verfahren ist damit abzulehnen. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob diese Regeln mit dem Wesen des summarischen Verfahrens vereinbar sind (im selben Sinne: Ingrid Jent-Sørensen, in: Paul Oberhammer [Hrsg.], Kurzkommentar ZPO, Basel 2010, Art. 248 N 2).

4.4 Das summarische Verfahren erlaubt ein schnelles richterliches Eingreifen, das nicht zwingend zu einer endgültigen Entscheidung über die materielle Rechtslage führen muss (Vorläufigkeit), in manchen Fällen jedoch genau gleich wie im ordentlichen und vereinfachten Verfahren führen kann (Endgültigkeit). Die Raschheit des Verfahrens zeigt sich insbesondere in verkürzten Fristen, teilweise auch in Beweisbeschränkungen (Beweismittel- und Beweismassbeschränkung; Stephan Mazan, a.a.O., Vor Art. 248 - 256 N 1). Das Einräumen einer Nachfrist verträgt sich - wie Martin Kaufmann (a.a.O., Art. 253 N 21) zutreffend festhält - mit dem Grundsatz der Prozessbeschleunigung im summarischen Verfahren nicht und steht auch in einem Spannungsverhältnis zu Art. 84 Abs. 2 SchKG, der dem Rechtsöffnungsrichter für seinen Entscheid eine Frist von fünf Tagen einräumt. Auch wenn es sich bei dieser Fristenregelung bloss um eine Ordnungsvorschrift handelt (Daniel Staehelin, in: Staehelin/Bauer/ Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, a.a.O., Art. 84 N 62), brachte der Gesetzgeber damit doch klar zum Ausdruck, dass Rechtsöffnungsgesuche möglichst rasch zu entscheiden sind. Damit ist aber nicht nur der Rechtsöffnungsrichter in der Pflicht, sondern auch die Parteien. Von der Einräumung langer Vernehmlassungsfristen ist daher abzusehen und dem Rechtsöffnungsbeklagten soll nicht ermöglicht werden, durch Säumnis die Frist zur Beantwortung des Rechtsöffnungsgesuchs zu verlängern, indem der Rechtsöffnungsrichter diesfalls zur Einräumung einer Nachfrist zu verpflichten ist. Daran ändert auch nichts, dass sich der Rechtsöffnungsbeklagte bei versäumter Gesuchsantwort im erstinstanzlichen Verfahren nicht vernehmen lassen kann und im Beschwerdeverfahren aufgrund des Novenverbots gemäss Art. 326 Abs. 1 ZPO weitgehend von Einwendungen ausgeschlossen ist, es sei denn sie beziehen sich auf die von Amtes wegen vorzunehmende Überprüfung, ob ein definitiver bzw. provisorischer Rechtsöffnungstitel vorliegt (Daniel Staehelin, in: Bauer/Staehelin/Bauer [Hrsg.], a.a.O., Art. 81 N 2 u. Art. 82 N 86). Diese Regelung hat der Gesetzgeber bewusst getroffen, soll das Gericht im summarischen Verfahren doch möglichst schnell zu einem Entscheid kommen und darf dabei in Kauf nehmen, materiell nicht richtig zu entscheiden, weil es nicht alle denkbaren Beweismittel abgenommen hat (Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, Zürich/Basel/Genf 2008, S. 348). Gerade im vorliegenden Fall, in welchem es um die Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung geht, wiegt ein materiell unrichtiger Entscheid in aller Regel nicht übermässig schwer, geht es in diesem Verfahren doch im Wesentlichen darum, die Parteirollen im Hinblick auf ein späteres ordentliches Verfahren zu verteilen. So muss der Betreibende, dessen Rechtsöffnungsgesuch abgewiesen wurde, die sog. Anerkennungsklage gegen den Betriebenen erheben, während bei einer Gutheissung des Rechtsöffnungsgesuchs der Betriebene innert 20 Tagen nach der Rechtsöffnung auf Aberkennung der Forderung klagen muss, um den Fortgang des Betreibungsverfahrens zu verhindern (Art. 83 Abs. 2 und 3 SchKG). Schliesslich stehen dem Rechtsöffnungsbeklagten nach einer fälschlicherweise erfolgten Gutheissung des Rechtsöffnungsgesuchs die Klagen nach Art. 85 - 86 SchKG als Korrektiv zu.

5.1 Nach dem Gesagten steht fest, dass der Einzelrichter am Kantonsgericht der Beschwerdeführerin nach unbenutztem Ablauf der Frist zur Beantwortung des Rechtsöffnungsgesuchs zu Recht keine Nachfrist angesetzt hat. Nachdem der Rechtsöffnungsrichter die Beschwerdeführerin in der Aufforderung zur Einreichung der Gesuchsantwort vom 15. Juli 2011 darauf hingewiesen hat, dass das Verfahren ohne die versäumte Handlung fortgeführt wird, falls die Eingabe nicht fristgerecht eingereicht ist, hat er sie, wie von Art. 147 Abs. 3 ZPO verlangt, auf die Säumnisfolgen hingewiesen. Dementsprechend durfte er androhungsgemäss ohne Vernehmlassung der Beschwerdeführerin über das Rechtsöffnungsgesuch entscheiden. Schliesslich ist nicht zu beanstanden, dass der Rechtsöffnungsrichter dem Beschwerdegegner aufgrund der im Recht liegenden Akten in der Betreibung Nr. XX des Betreibungsamtes Zug provisorische Rechtsöffnung für CHF 293'000.-- nebst Zins zu je 5 % auf CHF 150'000.-- seit 1. Juli 2010 und auf CHF 140'000.-- seit 21. Juni 2009 erteilte. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 2. Februar 2012

Eine am 8. März 2012 dagegen erhobene Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das Bundesgericht mit Urteil Nr. 5A_209/2012 vom 28. Juni 2012 ab, soweit es darauf eintrat.

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