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Art. 194 Abs. 1 SchKG in Verbindung mit 174 Abs. 2 SchKG

Regeste:

Art. 194 Abs. 1 SchKG in Verbindung mit 174 Abs. 2 SchKG – Beim Weiterzug einer Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung sind im Rechtsmittelverfahren nur die in Art. 174 Abs. 2 SchKG genannten echten Noven zulässig. Insbesondere kann weder vorgebracht werden, eine neue Revisionsstelle bestätige, dass keine Überschuldung vorliege, noch nützt in diesem Stadium ein Rangrücktritt, der die Gesellschaft an sich berechtigten würde, von der Überschuldungsanzeige abzusehen.

Aus den Erwägungen:

(...)

4.1  Für den Weiterzug der Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung verweist Art. 194 Abs. 1 SchKG auf Art. 174 SchKG, der den Weiterzug des konkursrichterlichen Entscheids über das Konkursbegehren in der ordentlichen Betreibung regelt. Nach Art. 174 Abs. 1 SchKG kann der Entscheid des Konkursgerichts innert zehn Tagen mit Beschwerde nach der ZPO angefochten werden. Die Parteien können dabei neue Tatsachen geltend machen, wenn diese vor dem erstinstanzlichen Entscheid eingetreten sind. Bei dieser Novenregelung handelt es sich um eine gemäss Art. 326 Abs. 2 ZPO gesetzlich geregelte Ausnahme zu dem nach Art. 326 Abs. 1 ZPO bestehenden Novenverbot im Beschwerdeverfahren (Volkart, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Zürich 2011, Art. 326 N 1 ff.; Freiburghaus/Afheldt, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich 2010, Art. 326 N 3 ff.). Inhaltlich können diese so genannten unechten Noven uneingeschränkt alle für das Konkursbegehren prozessrelevanten Tatsachen und Beweismittel umfassen (Giroud, in: Staehelin/ Bauer/Staehelin [Hrsg.], a.a.O., Art. 174 N 19).

4.2 Art. 174 Abs. 2 SchKG bestimmt sodann, dass die Tilgung der Schuld (samt Glaubhaftmachung der Zahlungsfähigkeit) auch nach der Konkurseröffnung vorgebracht werden kann, sofern dies innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgt (vgl. BGE 136 III 294 ff.; Diggelmann/Müller, in: Hunkeler [Hrsg.], Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, Kurzkommentar, Basel 2009, Art. 174 N 18). Diese Bestimmung betrifft allerdings den Fall der «gewöhnlichen» Konkurseröffnung auf Betreibung eines Gläubigers. Es ist daher fraglich, ob diese Bestimmung im Fall der Überschuldungsanzeige gemäss Art. 192 SchKG analog gilt. Der wohl grössere Teil der Lehre hält Art. 174 SchKG für abschliessend und eine grosszügige Zulassung echter Noven für unzulässig (vgl. Brönnimann, Novenrecht und Weiterziehung des Entscheids des Konkursgerichtes gemäss Art. 174 E SchKG, in: Festschrift für Hans Ulrich Walder zum 65. Geburtstag, Zürich 1994, S. 444; Brunner/Boller, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], a.a.O., Art. 192 N 24; Huber, in: Hunkeler [Hrsg.], a.a.O., Art. 192 N 33). Auch das Bundesgericht hat in einem Entscheid vom 30. Juli 2001 ausgeführt, dass Art. 174 Abs. 2 SchKG die nur beschränkt zulässigen echten Noven abschliessend nenne (vgl. 5P.182/2001 E. 5b). Der II. Appellationshof des Kantonsgerichts Freiburg hielt in einem Entscheid vom 25. April 2006 fest, dass Art. 194 Abs. 1 SchKG zwar ausdrücklich auf Art. 174 SchKG verweise, dass aber dessen Abs. 2 eine abschliessende Regelung enthalte (RFJ/FZR 2006, S. 190 ff.). Die II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich liess in einem Entscheid vom 15. Juli 2011 offen, ob Forderungsverzichte und Rangrücktritte während der Rechtsmittelfrist nachgebracht werden können, da im konkreten Fall selbst dann, wenn es entgegen der vorherrschenden Lehre und Praxis zulässig gewesen wäre, Rangrücktritte und Forderungsverzichte während der Beschwerdefrist überhaupt nachzubringen, diese wegen der aufgezeigten Unklarheit nicht berücksichtigt werden könnten (vgl. Geschäfts-Nr.: PS110058-O/U.doc). Demgegenüber hat der Cour de Justice de Genève in einem Entscheid vom 7. Mai 1997 die wohl herrschende Lehre und Rechtsprechung angezweifelt und sich gefragt, ob dies wirklich vom Gesetzgeber so gewollt war, die Frage aber im Ergebnis offen gelassen (vgl. BlSchK 1999, S. 193). Die gegenteilige Auffassung vertritt auch Magdalena Rutz, welche festhält, dass wie bei Konkurseröffnungen ohne vorgängige Betreibung auf Antrag des Gläubigers unechte und echte Noven bis zur zweitinstanzlichen Verhandlung zugelassen werden sollten (Weiterziehung des Konkursdekretes, in: Festschrift 75 Jahre Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz, Basel 2000, S. 353).

4.3 Die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug hat in einem Entscheid vom 1. Mai 2001 (JZ 2001/55.112) - indem sie im Gesetzesverweis (Art. 194 Abs. 1 SchKG) eine sinngemässe Anwendbarkeit der Novenregelung von Art. 174 Abs. 2 SchKG erblickte - sämtliche echte Noven bezüglich Sanierungsfähigkeit und Sanierungsaussichten sowie Wahrung der Gläubigerinteressen im Rechtsmittelverfahren als zulässig erachtet. In einem späteren Entscheid vom 7. April 2004 (JZ 2004 44) liess sie dann allerdings offen, ob an dieser Auffassung weiterhin festgehalten werden könne (vgl. JZ 2007 126 und JZ 2008 152). Auch die II. Beschwerdeabteilung des Obergerichts des Kantons Zug liess diese Frage in einem Entscheid vom 7. April 2011 offen (vgl. BZ 2011 19). Nachdem die herrschende Auffassung in der Literatur überzeugt und sich auch die Rechtsprechung - soweit ersichtlich - mehrheitlich dieser Meinung anschliesst, ist die alte Praxis der Justizkommission aufzugeben und sind im Rechtsmittelverfahren lediglich die in Art. 174 Abs. 2 SchKG genannten echten Noven zuzulassen. Insbesondere kann weder vorgebracht werden, eine neue Revisionsstelle bestätige, dass keine Überschuldung vorliege, noch nützt in diesem Stadium ein Rangrücktritt, der die Gesellschaft an sich berechtigten würde, von der Überschuldungsanzeige abzusehen (vgl. Brunner/Boller, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], a.a.O., Art. 193 N 24).

II. Beschwerdeabteilung des Obergerichts Zug, Urteil vom 9. November 2012

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