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Ordentliches Verfahren

Art. 22 SchKG

Art. 275 SchKG

Regeste:

Art. 275 SchKG – Arrestort. Für die Bestimmung des Arrestortes wird wie zur Festlegung des Pfändungsortes an die Belegenheit der Vermögensobjekte angeknüpft. Nicht in einem Wertpapier verurkundete Forderungen sind am Wohnsitz des Gläubigers (und Arrestschuldners) belegen. Wohnt der Inhaber nicht in der Schweiz, gilt eine solche Forderung als am schweizerischen Wohnsitz bzw. des Sitzes der Forderung des Drittschuldners belegen und ist dort zu verarrestieren. Eine nicht inkorporierte Forderung gegen eine ausländische Tochtergesellschaft gilt hingegen als im Ausland gelegen, unabhängig davon, dass diese Gesellschaft von der im Betreibungskreis domizilierten Muttergesellschaft umfassend beherrscht wird.

Aus den Erwägungen:

3.1 Gemäss Art. 275 SchKG wird der Arrest nach den in den Art. 91 -109 SchKG für die Pfändung geltenden Vorschriften vollzogen. Dies hat unter anderem zur Folge, dass einzig das Betreibungsamt des Ortes, wo die Arrestgegenstände liegen, zu deren Beschlagnahme befugt ist. Es steht dem Betreibungsamt zwar nicht zu, die Grundlagen eines Arrestbefehls nachzuprüfen; doch hat es anderseits auch nicht jeden ihm von der Arrestbehörde erteilten Arrestbefehl ohne weiteres zu vollziehen. Vielmehr hat es den Arrestvollzug abzulehnen, wenn dadurch gegen gesetzliche Vorschriften verstossen würde. Letzteres trifft unter anderem zu, wenn Vermögenswerte mit Arrest belegt werden sollten, die nicht im Amtskreis des mit dem Vollzug beauftragten Betreibungsamtes liegen. Wird dem Arrestbefehl in einem solchen Fall dennoch stattgegeben, kann der Arrestvollzug jederzeit von Amtes wegen aufgehoben werden (BGE 116 III 107 E. 5.a), da er nichtig ist (Cometta/Möckli, in: Staehelin/Bau­er/Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, 2. A., Basel 2010, Art. 22 N 12, S. 163).

3.2 Für die Bestimmung des Arrestortes wird wie zur Festlegung des Pfändungsortes an die Belegenheit der Vermögensobjekte angeknüpft. Nicht inkorporierte Forderungen sind am Wohnsitz des Gläubigers (und Arrestschuldners) belegen. Wohnt der Inhaber nicht in der Schweiz, gilt die Forderung als am schweizerischen Wohnsitz bzw. des Sitzes der Forderung des Drittschuldners belegen und ist dort zu verarrestieren. Beruht die Forderung des im Ausland wohnhaften Arrestschuldners auf dem Geschäftsverkehr mit einer Zweigniederlassung, gilt sie als dort belegen. In BGE 107 III 147 hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Anknüpfung an den Ort der Zweigniederlassung die Ausnahme ist. Es müssen Tatsachen gegeben sein, die einen überwiegenden Zusammenhang mit der Zweigniederlassung herzustellen vermögen. Diese Ausnahme vom Grundsatz der Lokalisierung der Forderung am Sitz des Drittschuldners rechtfertigt sich indessen nur dann, wenn die Zweigniederlassung ebenfalls ihren Sitz in der Schweiz hat. Eine Forderung, welche auf Beziehungen des im Ausland wohnhaften Schuldners mit einer ausländischen Niederlassung des in der Schweiz domizilierten Drittschuldners beruht, gilt demnach als an dessen schweizerischem Wohnsitz belegen (Hans Reiser, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs II, 2. A., Basel 2010, Art. 275 N 49 u. 55 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und insbes. auf BGE 128 III 473 E. 3.1 = Pra 91 Nr. 215).

3.3 Der Begriff der Zweigniederlassung ist gesetzlich nicht definiert. Nach herrschender Lehre und bundesgerichtlicher Praxis ist darunter ein kaufmännischer Betrieb zu verstehen, der zwar rechtlich Teil einer Hauptunternehmung ist, von der er abhängt, der aber in eigenen Räumlichkeiten dauernd eine gleichartige Tätigkeit wie jene ausübt und dabei über eine gewisse wirtschaftliche und geschäftliche Selbständigkeit verfügt. Rechtlich bleibt die Zweigniederlassung Bestandteil des Gesamtunternehmens. Durch diese rechtliche Abhängigkeit, durch das Fehlen eigener Rechtspersönlichkeit und damit auch der Parteifähigkeit unterscheidet sich die Zweigniederlassung insbesondere von der Tochtergesellschaft (Meier-Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. A., Bern 2012, § 24 N 6 u. 12 mit Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und inbes. BGE 120 III 11 ff.).

3.4 Vorliegend stellte das Betreibungsamt der A. AG eine an die Adresse der Beschwerdeführerin gerichtete Anzeige von der Pfändung oder Arrestierung einer Forderung der Arrestschuldnerin gegen die Beschwerdeführerin von CHF 6,2 Mio. zu, herrührend aus den Forderungen der B. Ltd gegen die A. AG und die Beschwerdeführerin aus dem Prepayment Agreement vom 30. März 2012. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine am 23. September 2002 nach britischem Recht gegründete Aktiengesellschaft. Sie verfügt gemäss dem massgebenden britischen Recht über eigene Rechtspersönlichkeit und Parteifähigkeit (Art. 154 und 155 IPRG; Derek French/Stephen W. Mayson/Christopher L. Ryan, Company Law, 28. A., Oxford 2011, S. 5). Sie ist demnach rechtlich nicht Bestandteil der A. AG und damit nicht eine Zweigniederlassung derselben, sondern deren Tochtergesellschaft. Handelt es sich bei der Beschwerdeführerin mithin nicht um eine ausländische Zweigniederlassung der in Baar domizilierten A. AG, sind die nicht in einem Wertpapier verkörperten Forderungen der Arrestschuldnerin gegen die Beschwerdeführerin nicht am Sitz der A. AG belegen. Damit fehlt es an einer in der Gemeinde Baar belegenen Forderung der Arrestschuldnerin gegen die Beschwerdeführerin. Demnach war das Betreibungsamt nicht zuständig, den vom Arrestrichter verfügten Arrest mit Bezug auf diese Forderung durch die Zustellung der vorerwähnten Anzeige an die A. AG zu vollziehen. Indem das Betreibungsamt trotz örtlicher Unzuständigkeit diesen Arrest vollzog, handelt es sich dabei um eine nichtige Verfügung. Die Nichtigkeit dieser Verfügung ist von der II. Beschwerdeabteilung als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs von Amtes wegen festzustellen, ohne dass geprüft werden müsste, ob die Beschwerdeführerin als Drittschuldnerin zu einer Beschwerde gegen den Vollzug des Arrestbefehls legitimiert ist .

3.5 Die vom Arrestgläubiger gegen diese Schlussfolgerung vorgetragene Kritik ist unbegründet. Der Hinweis des Arrestgläubigers, wonach gemäss der Lehre zu Art. 5 Ziff. 5 LugÜ auch rechtlich selbständige Einheiten, die vom Stammhaus kontrolliert würden, als Niederlassung im Sinne von Art. 5 Ziff. 5 LugÜ gälten und damit ein Gerichtsstand bei der kontrollierenden Gesellschaft gegeben sei, ist für den vorliegenden Fall irrelevant. Im hier zu beurteilenden Fall geht es nicht um die Feststellung eines Gerichtsstandes im eurointernationalen Verhältnis. Vielmehr ist darüber zu befinden, ob das Betreibungsamt eine Forderung der Arrestschuldnerin gegen die Beschwerdeführerin verarrestieren kann. Zur Beurteilung, ob dies der Fall ist, kann dem Betreibungsamt nicht zugemutet werden, sich mit der Konzernstruktur eines Firmenkonglomerates auseinanderzusetzen. Insbesondere kann das Betreibungsamt nicht prüfen, ob eine ausländische Tochtergesellschaft derart stark von einer in seinem Betreibungskreis domizilierten Muttergesellschaft kontrolliert wird, so dass sie trotz rechtlicher Eigenständigkeit als Niederlassung der Muttergesellschaft gilt, mit der Konsequenz, dass das Amt zum Arrestvollzug zuständig ist. Derart komplexe Fragen können vom Betreibungsamt im Rahmen des Arrestvollzugs nicht gelöst werden. Andernfalls wäre das Betreibungsamt nicht in der Lage, seine Aufgabe innert nützlicher Frist wahrzunehmen. Das Betreibungsamt muss sich daher in einem solchen Fall zur Prüfung seiner Zuständigkeit auf rein formale Kriterien abstützen können. Es hat nur zu prüfen, ob es sich bei der Drittschuldnerin um eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt, die in seinem Betreibungskreis Sitz hat, oder ob die Forderung der Arrestschuldnerin auf Beziehungen mit einer ausländischen Zweigniederlassung einer in Baar domizilierten Drittschuldnerin beruht. Einzig dann hat das Amt den Arrest zu vollziehen. Andernfalls hat es unbesehen von der konkreten Konzernstruktur eines bestehenden Firmenkonglomerates den Arrestvollzug infolge fehlender örtlicher Zuständigkeit zu verweigern.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, 6. Dezember 2012

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